Der Umgang mit Risiken im Unternehmen der Realwirtschaft und die nachhaltige Steuerung dieser Risiken haben aufgrund der wirtschaftlichen Entwicklungen seit 2008 stark an Bedeutung gewonnen, so die Experten des Wirtschaftsprüfers PricewaterhouseCoopers (PWC) in der aktuellen Studie "Risk-Management-Benchmarking 2010". Unternehmen müssen auch in wirtschaftlich volatilen Situationen in der Lage sein, Risiken frühzeitig zu erkennen, die Gesamtrisikosituation zu bewerten und durch Einleiten adäquater Gegenmaßnahmen auf sie zu reagieren.
Die Benchmark-Studie zeigt auf, wie sich deutsche Großunternehmen der Realwirtschaft aktuell dieser Herausforderung stellen und wie ihr Risikomanagementsystem (RMS) ausgestaltet ist. Beim Thema Risikomanagement muss unterschieden werden zwischen den Anforderungen an ein Risikofrüherkennungssystem (RFS) nach § 91 II AktG und einem weiterentwickelten RMS, das in die Unternehmenssteuerungsprozesse integriert ist und zum Beispiel auch die Chancenberichterstattung berücksichtigt. Die Ergebnisse unserer Studie zeigen, dass die große Mehrheit der untersuchten Großunternehmen die gesetzlichen Anforderungen erfüllt. In Bezug auf ein umfassendes RMS besteht jedoch noch viel ungenutztes Potenzial. Die folgende Abbildung gibt eine Übersicht über die Bewertung der einzelnen RMS-Module.
Dokumentierte, operational anwendbare Risikostrategie fehlt häufig
Die Analyse der PWC-Untersuchung ergab, dass in 88 Prozent der Unternehmen eine dokumentierte, operational anwendbare Risikostrategie fehlt. Diese ist jedoch notwendig, um systematisch die dem Gesamtunternehmen innewohnende Risikogefährdung und seine Risikotragfähigkeit (beispielsweise Liquidität, Eigenkapital, Kreditlinien, Finanzierungsstrategie, Rating) miteinander abzugleichen bzw. in Einklang zu bringen. So kann ein Unternehmen zum Beispiel feststellen, wie viel Handlungsspielraum es bei einem eventuellen gleichzeitigen Eintritt mehrerer Risiken besitzt.
Das Ergebnis ist nicht weiter verwunderlich, da in über 70 Prozent der Unternehmen geeignete Systematiken zur Risikoaggregation und damit zur Ermittlung einer Gesamt-Risikoexposition fehlen.
Abbildung: Bewertung der RMS-Module durch PwC-Experten
Die Mehrzahl der Unternehmen weisen in ihrer "Risikostrategie" lediglich darauf hin, dass sie keine bestandsgefährdenden Risiken eingehen werden. Da aber überwiegend Methoden zur Ermittlung einer Gesamt-Risikoexposition fehlen, bezieht sich die Risikostrategie in der Regel nur auf Einzelrisiken. Die Möglichkeit des Eintritts mehrerer Risiken zur gleichen Zeit wird vernachlässigt und somit ist keine auf die Risikotragfähigkeit des Unternehmens bezogene Aussage möglich. Die Finanz- und Wirtschaftskrise der letzten drei Jahre hat gezeigt, dass sich Unternehmen durch die Entwicklung von sogenannten Krisenszenarien ("Stresstests") auf wirtschaftliche Ausnahmesituationen sinnvoll vorbereiten können. Unsere Analysen haben jedoch ergeben, dass diese Stresstests in den allermeisten Fällen nicht eingesetzt werden.
Förderung eines Risikobewusstseins vernachlässigt
Viele Unternehmen agieren zu zaghaft bei der Förderung des Risikobewusstseins ihrer Mitarbeitenden. Möglichkeiten wären zum Beispiel Schulungen zum RMS oder die Etablierung der Risikokommunikation als fester Bestandteil von regelmäßigen Meetings.
Obwohl Risiken bei über der Hälfte der Unternehmen mit Hilfe von Risikokatalogen, Erhebungsbögen und durch die Beobachtung von Frühwarnindikatoren identifiziert werden, arbeiten nur 15 Prozent der Unternehmen mit regelmäßig aktualisierten Frühwarnindikatoren. Dadurch bleibt die Möglichkeit ungenutzt, Risikoveränderungen frühzeitig systematisch oder sogar automatisiert zu erkennen.
Bei der Risikobewertung werden die gesetzlichen Anforderungen von allen beteiligten Unternehmen erfüllt, wobei die Bewertungssystematik erheblich divergiert. Manche Unternehmen bewerten Risiken anhand mehrerer Szenarien oder projizieren die möglichen finanziellen Belastungen auf verschiedene Planjahre der Mittelfristplanung, andere dagegen verfügen nur über eine unspezifizierte Einszenario-Bewertung mit wenig eindeutigen Angaben zum möglichen Eintrittszeitraum.
Schwierigkeiten bei der Aggregation von Risiken
Große Schwierigkeiten bereiten den Unternehmen die Aggregation der Risiken zu einem Gesamtrisiko und Ursache-Wirkungs-Analysen, aus denen sich Korrelationen ermitteln lassen. Risikokennzahlen (beispielsweise der Value at Risk, VaR) liefern – aus der Perspektive der PWC-Experten - wichtige Informationen für die Steuerung von Risiken. Sie werden jedoch nur von jedem vierten Unternehmen verwendet.
52 Prozent der Unternehmen bewerten die Risiken lediglich über einen Zeithorizont von einem Jahr. Dabei besteht die Gefahr, dass mittelfristige und strategische Risiken nicht systematisch beachtet werden. Die Erhebung und Dokumentation der Risiken führen 56 Prozent der Unternehmen mit einem Tabellenkalkulationsprogramm (MS Excel) durch. 38 Prozent verwenden verschiedene professionelle Risikomanagement-Softwareprogramme und Nutzen dadurch zum Teil die Möglichkeit, Schnittstellen zu anderen Steuerungsprozessen zu schaffen und damit die Steuerung der Risiken zu erleichtern.
Nur in 18 Prozent der Unternehmen erfolgt eine Chancenberichterstattung
Während die Risikoberichterstattung inzwischen etabliert ist, trifft dies auf die strukturierte Chancenberichterstattung in den allermeisten Unternehmen nicht zu. In nur 18 Prozent der Unternehmen wird der Unternehmensführung regelmäßig über Chancen berichtet.
Zur prozessabhängigen Kontrolle haben die Unternehmen verschiedene Instanzen von der Unternehmensleitung bis zu einem Risikokomitee eingerichtet, um die Einhaltung der Vorgaben zum RMS zu überwachen. Die Interne Revision überwacht hingegen als prozessunabhängige Überwachungsinstanz vor allem die Anwendung der Maßnahmen, die vollständige Erfassung der Risikofelder und die Einhaltung prozessintegrierter Kontrollen. Bei über der Hälfte der Unternehmen wurde im Berichtsjahr keine prozessunabhängige Überwachungstätigkeit des RMS durchgeführt.
Download der Studie: Risk-Management-Benchmarking 2010 - Eine Studie zum aktuellen Stand des Risikomanagements in Großunternehmen in der deutschen Realwirtschaft:
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