Die Konjunktur in Deutschland hat sich in den letzten zwei Jahren mehr als erwartet abgeschwächt. Die annualisierte Wachstumsrate verringerte sich von über vier Prozent Anfang 2017 auf zuletzt geschätzt kaum mehr als Null (siehe Grafik). Fast jedes Quartal nahm die Dynamik ab. Wenn sich das so fortsetzen würde, hätten wir nächstes Jahr eine Rezession. Müssen wir uns darauf einstellen?
Nein, mit dem Abschwung ist es in Deutschland jetzt erst einmal vorbei. Es geht wieder aufwärts. Die Entwicklung vollzieht sich allerdings nicht gradlinig, sondern unter großen Schwankungen. Es mutet fast wie eine Achterbahn an. Nachdem es zuerst kräftig nach unten gegangen ist, geht es jetzt ebenso stark nach oben. Im Laufe des kommenden Jahres normalisiert sich die Dynamik und die Zuwachsrate verlangsamt sich wieder. Insgesamt wird das Wachstum 2019 etwas, aber nicht viel höher sein als 2018. Die wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsinstitute gehen in ihrer Gemeinschaftsprognose von einer Zunahme des realen BIPs im kommenden Jahr von 1,9 Prozent aus (2018: 1,7 Prozent). Das erscheint nicht unrealistisch.
Achterbahn der Konjunktur: Reales BIP Deutschland [Quelle: Gemeinschaftsgutachten]
Wie kommt es zu dieser Entwicklung? Der "Turning Point", von dem an es wieder nach oben geht, dürfte Ende September gewesen sein. Das dritte Quartal 2018 dürfte eines der schlechtesten der letzten Zeit gewesen sein. Das Wachstum ist vermutlich völlig zum Stillstand gekommen. Das lag vor allem an der Automobilindustrie. Sie wurde durch die Einführung des WLTP-Zulassungsverfahrens zum 1. September besonders belastet. Es kam zu zeitweiligen Produktions- und Lieferstopps. Manch einer erinnert sich an Fotos mit Massen von Autos auf der grünen Wiese, die auf Abholung warteten.
Im vierten Quartal wird sich das ändern. Das gesamtwirtschaftliche Wachstum wird dramatisch nach oben gehen. Ursache ist wieder die Autoindustrie, die jetzt von den "Diesel-Beschlüssen" der Regierung profitiert. Die Prämien für die Rückgabe von alten Diesel-Pkws wirken – nach derzeitiger Beschlusslage der Regierung – wie eine Abwrackprämie. Sie erhöhen den Absatz an Neufahrzeugen und sind damit eine Art Konjunkturprogramm für die Unternehmen. Die wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsinstitute in Deutschland rechnen mit einem Wachstum des realen BIPs im vierten Quartal von annualisiert 2,5 Prozent. Wenn es aus Angst vor Zöllen zu vorgezogenen vermehrten Ausfuhren in die USA kommen sollte, könnte der Zuwachs sogar noch höher ausfallen.
Das hohe Wachstum geht Anfang des neuen Jahres weiter, dann aber aus einem anderen Grund. Dann kommen nämlich all die finanzpolitischen Wohltaten zum Tragen, die die große Koalition beschlossen hat. Das sind unter anderem die Erweiterung der Mütterrente, die Senkung des Beitrages zur Arbeitslosenversicherung, die Anhebung des Grundfreibetrages bei der Einkommensteuer und die Erhöhung des Kindergeldes. Auch die Rückkehr zur paritätischen Finanzierung der Krankenversicherung entlastet die Arbeitnehmer.
Zusätzlich wirtschaftet der Staat auf der Ausgabenseite aus dem Vollen. Zu nennen ist die Erhöhung der Verteidigungsausgaben und die geplante Ausweitung von Infrastrukturinvestitionen. Insgesamt ergibt sich nach Berechnungen der Wirtschaftsforschungsinstitute ein Konjunkturimpuls von EUR 19 Mrd. Das sind 0,6 Prozent des BIPs. Das fällt schon ins Gewicht. Es führt dazu, dass Deutschland gesamtwirtschaftlich gesehen ein "goldenes erstes Halbjahr 2019" erleben wird (annualisierte Wachstumsrate von 2 Prozent bis 2,5 Prozent).
Erst im Laufe des zweiten Halbjahres werden die Impulse schwächer und das Wachstum wird sich wieder verlangsamen.
Was heißt das nun für den Kapitalmarkt? Zunächst ist es positiv für die Aktien. Wenn die Konjunktur im vierten Quartal 2018 wieder anzieht, steigen die Gewinne der Unternehmen und die Einkommen der Haushalte. Damit hellt sich das Umfeld der Börsen auf. Es gibt die Chance auf eine Jahresend-Rallye in Deutschland. Sie geht aus von der Autoindustrie, sollte sich dann aber auf die gesamte Wirtschaft ausdehnen. Immerhin macht die Autoindustrie rund acht Prozent der gesamtwirtschaftlichen Wertschöpfung aus. Ab 2019 wird der Aufschwung breiter und erfasst direkt das gesamte Spektrum der Wirtschaft.
Profitieren wird wegen der höheren verfügbaren Einkommen vor allem der private Konsum. Daneben dürften jedoch die zusätzlichen Staatsausgaben den Investitionsgüterherstellern und der Bauindustrie nutzen. Wenn die Inflation anziehen sollte, kommt das ebenfalls den Gewinnen zugute. Die Exportnachfrage wird dagegen wegen des langsameren Welthandels unverändert bleiben.
Das ist die gute Nachricht. Freilich darf man die positiven Wirkungen nicht übertreiben, denn die Entwicklung beschränkt sich zunächst auf Deutschland. In einer Welt, in der Deutschland so stark in das europäische Umfeld eingebunden ist, kann der DAX keinen größeren Sonderweg gehen. Andererseits hilft ein besserer DAX den umliegenden Börsen. Im Übrigen bin ich mir nicht sicher, ob nicht das eine oder andere EU-Land im kommenden Jahr angesichts der schwächeren Weltkonjunktur auch zusätzliche finanzpolitische Maßnahmen ergreifen wird. In Italien ist jetzt schon absehbar, dass sich das Haushaltsdefizit im kommenden Jahr erhöhen wird.
Hinzu kommt, dass natürlich die generellen Marktrisiken durch die Handelspolitik der Amerikaner, die Probleme in den Schwellen- und Entwicklungsländern, die steigenden Zinsen, den Brexit und die populistischen Forderungen der italienischen Regierung bestehen bleiben. Von den US-Börsen werden auch nicht mehr so viele positive Effekte ausgehen, da in den Vereinigten Staaten die Wirkung der Steuerreform nachlässt und sich das gesamtwirtschaftliche Wachstum verlangsamt. Wenn der Himmel einstürzt, können bekanntlich auch die Tauben nicht mehr fliegen.
Autor:
Dr. Martin W. Hüfner, Chief Economist, Assenagon Asset Management S.A.
Kommentare zu diesem Beitrag
Die Ökonomen des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) haben der deutschen Wirtschaft einen fortgesetzten Aufschwung mit geringerer Dynamik prognostiziert. "In diesem Jahr schaltet das Wachstum zwar etwas zurück, 2019 fängt sich die Konjunktur aber wieder", erklärten sie in ihrem neuen Konjunkturbericht und sagten eine Zunahme des Bruttoinlandsproduktes um 1,9 Prozent in diesem und um 2,0 Prozent im kommenden Jahr voraus. Gegenüber dem Juni senkte das IMK die Prognose für 2018 um 0,2 und für 2019 um 0,1 Punkte.
"Obwohl der Anstieg der deutschen Exporte durch Handelskonflikte, Unklarheit über den Brexit und steigende Energiepreise gebremst wird, geht der moderate Aufschwung der deutschen Wirtschaft weiter", konstatierten die Wissenschaftler. Vor dem Hintergrund spürbar steigender Löhne und eines weiter positiven Trends am Arbeitsmarkt bleibe der Konsum die zentrale Stütze des Wachstums, hinzu kommt ein positiver Beitrag durch anziehende Investitionen.
Die Forscher prognostizierten eine Zunahme der realen privaten Konsumausgaben um 1,6 Prozent in diesem und 1,9 Prozent im kommenden Jahr. Die Ausrüstungsinvestitionen sollen 2018 um 5,4 Prozent und 2019 um 5,6 Prozent steigen. Die deutschen Ausfuhren dürften in diesem Jahr um lediglich 2,4 Prozent wachsen, 2019 dann aber wieder um 3,9 Prozent zulegen. Für die Importe sagen die Forscher einen Zuwachs um 2,8 Prozent in diesem und um 5,0 Prozent im nächsten Jahr voraus.
Die Arbeitslosenzahl soll nach der Prognose 2018 auf rund 2,35 Millionen und 2019 auf etwa 2,23 Millionen sinken. Die Erwerbstätigkeit dürfte 2019 nach der Prognose ein Rekordniveau von 45,4 Millionen Personen im Jahresdurchschnitt erreichen. Die Einnahmen von Bund, Ländern, Gemeinden und Sozialversicherungen werden die Ausgaben nach den Berechnungen um knapp 56 Milliarden Euro in diesem Jahr und knapp 51 Milliarden Euro 2019 übersteigen. "Dieser Spielraum für zusätzliche Investitionen sollte genutzt werden", empfahlen die Forscher.
"Auch wenn die Dynamik zeitweilig nachlässt: Der laufende Aufschwung ist intakt, und wir haben gute Aussichten darauf, dass er der längste im vereinigten Deutschland wird", erklärte Gustav Horn, der wissenschaftliche Direktor des Instituts, das zur gewerkschaftlichen Hans-Böckler-Stiftung gehört. "Diese Stabilität beruht darauf, dass unsere Wirtschaft nicht mehr so abhängig vom Außenhandel ist wie noch vor einer Dekade."
Mit seiner neuen Prognose liegt das IMK auf einer Linie mit anderen Vorhersagen. Die Bundesregierung will ihre neue Wachstumsprognose am Donnerstag vorlegen. Erwartet wird ebenfalls eine Korrektur nach unten. Spiegel und Handelsblatt berichteten, die Regierung korrigiere ihre Prognose auf 1,8 Prozent in diesem Jahr und 2,0 Prozent im kommenden Jahr. Die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute hatten zuvor bereits ihre Prognose für dieses Jahr auf 1,7 Prozent und für nächstes auf 1,9 Prozent gesenkt.