Länderrisikoanalyse

Ägypten: Wolken über der Risikolandkarte


Ägypten: Risiken rücken ins Bewusstsein News

Ägypten befindet sich in einer Umschwungphase hin zu einer demokratischen Gesellschaftsordnung. Von dem Erfolg der Demokratiebewegung, die mit einer wirtschaftlichen Stabilisierung einhergehen muss, hängt auch die Entwicklung in anderen arabischen Ländern ab. Ein wichtiger Stützpfeiler der ägyptischen Volkswirtschaft ist die Tourismusbranche, die symbolhaft für die Wirtschaftskraft Ägyptens steht. Im Zuge der Revolution, die in dem Sturz von Präsident Mubarak gipfelte, gingen die Urlauberzahlen stark zurück, die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Landes ist rückläufig und die Wachstumsprognosen sinken. Zwar sind Bankensektor und ägyptisches Pfund aufgrund hoher Devisenrücklagen nur wenig geschwächt. Doch noch ist Ägypten in einer wirtschaftspolitisch sowie gesellschaftlich instabilen Situation. Die Übergangsregierung muss nun schnell Maßnahmen umsetzen, um die wirtschaftliche Situation der Bevölkerung zu verbessern und demokratischen Wahlen den Weg zu ebnen.

Ägypten hat traditionell einen erheblichen Einfluss in der arabischen Welt. Aus diesem Grund nahmen nach dem Sturz von Präsident Mubarak in der gesamten Region die Proteste der Regimegegner zu. Ein erfolgreicher Übergang zur Demokratie in Ägypten könnte die Verfechter des politischen Wandels in der Region und darüber hinaus stark unterstützen. Es ist aber überaus wichtig, dass das Land eine Reihe von schwierigen politischen und sozio-ökonomischen Hürden überwindet, bevor es eine erfolgreiche Demokratie schaffen kann. Die Übergangsregierung wurde eingesetzt vom Militärrat, der nach der Revolution in Kairo und der Vertreibung Mubaraks die Macht übernahm. Sie hat die schwierige Aufgabe, einerseits den Übergang zur Demokratie zu gestalten und andererseits die wirtschaftliche und soziale Stabilität wiederherzustellen und die dringendsten sozio-ökonomischen Missstände zu bekämpfen.

In den Wochen vor und nach dem Sturz von Präsident Mubarak war die ägyptische Wirtschaft zeitweise wie gelähmt - aufgrund von Streiks, Straßensperren, geschlossenen Banken und Unternehmen sowie Sicherheitsproblemen. Da die Einnahmen aus dem Tourismus etwa ein Fünftel der gesamten Deviseneinnahmen ausmachen, fielen die in Scharen davonlaufenden oder nicht anreisenden Touristen besonders schwer ins Gewicht. Dagegen waren die Einnahmen vom Suezkanal, einer weiteren wichtigen Deviseneinnahmequelle, nicht wesentlich von der Krise betroffen.

Als Folge schrumpfte nach Angaben der ägyptischen Zentralbank das reale Bruttoinlandsprodukt (BIP) im ersten Quartal 2011 um 4,2 %, und der IWF hat seine BIP-Wachstumsprognose für das Haushaltsjahr (endet im Juni 2011) nach unten korrigiert: von 5,5 % auf 1 %. In der nahen Zukunft werden Tourismus und ausländische Direktinvestitionen weiterhin beeinträchtigt bleiben, solange die Unsicherheit über den Übergang andauert. Die gute Liquiditätslage des Bankensektors vor den Unruhen hat dazu beigetragen, dass die Branche die Krise relativ gut überstanden hat. Ein geringeres Wirtschaftswachstum wird sich in der Zukunft aber negativ auf die Rentabilität der Banken auswirken. Auch die Abwertung des ägyptischen Pfundes konnte begrenzt werden. Doch dafür schrumpften die Devisenreserven, die sich vor der Krise auf einem sehr hohen Niveau befanden, deutlich.

Da die Wirtschaftsleistung zurückgegangen ist, sind die Finanzierungskosten gestiegen und mussten auch die öffentlichen Ausgaben erhöht werden, um den dringendsten wirtschaftlichen Bedürfnissen gerecht zu werden. Die Übergangsregierung sagte für das kommende Haushaltsjahr ursprünglich einen Anstieg des Haushaltsdefizits auf rund 11 % des BIP voraus. Dies hat die Regierung veranlasst, bilaterale und multilaterale Finanzhilfe zu suchen und ein Stand-by-Abkommen in Höhe von 3 Milliarden US-Dollar mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) zu vereinbaren. Im Juli hat der ägyptische Finanzminister jedoch angekündigt, dass das Land die Gelder des IWF oder der Weltbank nicht braucht, nachdem die Prognose für das Haushaltsdefizit auf 8,6 % reduziert wurde. Das Haushaltsdefizit soll mit einem erhöhten Steuersatz für höhere Einkommen und Subventionskürzungen für die Industrie in Schach gehalten werden. Diese Maßnahmen wurden in einem nationalen Dialog abgestimmt. Die Entscheidung, auf die Möglichkeit einer multilateralen Kreditaufnahme zu verzichten, soll nach offiziellen Angaben die Schuldenlast für die noch zu wählende Regierung verringern. Wenigstens zum Teil kann dies aber auch durch den Widerstand der Bevölkerung gegen einen IWF-Kredit erklärt werden.

Als Grundvoraussetzung für den wirtschaftlichen Aufschwung Ägyptens gilt ein erfolgreicher Übergang, der das Land stabilisiert. Das Land braucht den Aufschwung dringend, um die wirtschaftliche Lage der Bevölkerung zu verbessern. Nach großer Zustimmung zu Verfassungsänderungen bei der Volksabstimmung im vergangenen März wurden die Parlamentswahlen ursprünglich für September und die Präsidentschaftswahlen für November 2011 festgesetzt. Allerdings gibt es auch Stimmen für eine Verschiebung der Wahlen auf spätere Zeitpunkte, sodass zuerst eine neue Verfassung entworfen werden kann und die neu gegründeten Parteien mehr Zeit zur Vorbereitung bekommen. Nach heutigem Stand sollen die Parlamentswahlen nun einen Monat später durchgeführt werden. Viele argumentieren, dass zu früh stattfindende Wahlen nur der von der Muslimbruderschaft (MB) gegründeten "Freedom and Justice Party" helfen würden. Die Muslimbruderschaft ist eine islamistische Bewegung mit mehr als 80 Jahren Erfahrung und einem gut ausgebauten nationalen Netzwerk. Obwohl natürlich zu erwarten ist, dass die MB einen deutlichen Einfluss auf die künftige ägyptische Innen- und Außenpolitik haben wird, hat die Organisation angekündigt, dass sie sich nicht an den Präsidentschaftswahlen beteiligen und bei den Parlamentswahlen höchstens für die Hälfte der Sitze kandidieren wird. Darüber hinaus sind in den letzten Wochen Meinungsverschiedenheiten über die politische Strategie innerhalb der Bewegung aufgetreten.

Solange der Übergang zu einer echten Demokratie nicht vollendet ist, besteht die Gefahr, dass die Übergangsregierung bei notwendigen, aber unbeliebten Entscheidungen unter starken öffentlichen Druck gerät. Die Übergangsregierung ist nicht demokratisch legitimiert, und ihr ist bereits vorgeworfen worden, dass sie nur reaktiv regiert, das frühere Regime nicht strengstens verurteilt und zu langsam auf sektiererische Bewegungen reagiert, die sich seit der Revolution verschärft haben.

 
Autor:

Christoph Witte ist Direktor Deutschland des Kreditversicherers Delcredere NV.



[Bildquelle: iStockPhoto]

Kommentare zu diesem Beitrag

Sebastian /27.08.2011 09:21
@Christoph Witte: Es gibt Staaten, die sind nicht reif für eine "echte" Demokratie. Aus meiner Sicht gilt das auch für Ägypten und viele andere (nord-)afrikanische Länder.
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