Nach der betriebswirtschaftlichen Lehre bestehen die Aufgaben der Geschäftsleitung in der Befolgung des Managementprozesses, der als Planung, Entscheidung, Durchsetzung und Kontrolle ihrer Tätigkeit dargestellt wird. Diesbezüglich ist zuzustimmen. Es ist aber noch zu klären, auf welche Themen dieser Zyklus anzuwenden ist. Ganzheitliches Management bedeutet, systematisch zu differenzieren, was die Geschäftsleitung in Erfüllung der "Good Governance"-Vorgaben – ohne Ermessensspielraum – machen muss und in welchen Bereichen Entscheidungsmöglichkeiten unter Anwendung der Business Judgment Rule existieren. Um ermessenfehlerfrei entscheiden zu können, muss als Teil der Informationsbasis die Kenntnis von anerkannten einschlägigen Werkzeugen und Methoden von Recht, Technik und Wirtschaft vorhanden sein: Bei der Geschäftsleitung selbst oder gegebenenfalls bei in- oder externen Delegationsempfängern.
Bei Verletzung dieser Pflicht steht eine persönliche Haftung der Geschäftsleitung für Managementfehler mit Beweislastumkehr sogar auch bzgl. der Kausalität zwischen Pflichtverletzung und Schaden im Raum. Eine große Rolle in diesem Zusammenhang spielen die sich schnell vermehrenden Management- und Governance-Standards. Die klassisch praktizierten Methoden der Unternehmensbewertung und Planung stellen häufig nur einen "Blick in Rückspiegel und Glaskugel, angereichert mit Bauchgefühl" dar. Am Beispiel der haftungsbewehrten Pflicht der Geschäftsleitung zur langfristigen, zukunftsorientierten Strategieentwicklung und Unternehmensplanung mit neuen, aber bereits anerkannten Methoden zeigt sich, dass Risiko- und Compliancemanagement nicht nur den Unternehmenswert langfristig sichert und steigert, sondern zugleich auch die persönlichen Haftungsrisiken der Entscheider reduziert. In Managementlehre und -Praxis fehlt häufig noch die nötige Sensibilität bzgl. der nachfolgend aufgezeigten Governance-Ansätze.
Business Judgment Rule im Kontext Risiko- und Compliancemanagement
Besteht im Sinne eines sorgfältigen und gewissenhaften Managements eine haftungsbewehrte Pflicht der Geschäftsleitung zur Kenntnis und (vernünftigen) Anwendung von anerkannten Werkzeugen und Methoden aus Recht, Technik und Wirtschaft?
Möglicherweise lässt sich die Antwort aus der allgemeinen Pflicht eines ordentlichen Kaufmanns oder gewissenhaften Geschäftsleiters, Nachteile vom Unternehmen fernzuhalten und einer Melange aus Business Judgment Rule, Risikomanagement- und Organisationspflicht, herleiten: So verlangt § 34 GenG von den Vorstandsmitgliedern einer Genossenschaft, bei ihrer Geschäftsführung die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters anzuwenden und statuiert bei Pflichtverletzungen eine Schadensersatzpflicht gegenüber der Genossenschaft. Fast wortgleich definiert § 93 AktG die Sorgfaltspflicht und Verantwortlichkeit der Vorstandsmitglieder der Aktiengesellschaft und § 43 GmbHG für GmbH-Geschäftsführer, wobei in § 93 Abs. 1, S. 2 AktG die Business Judgment Rule kodifiziert wurde: "Eine Pflichtverletzung liegt nicht vor, wenn das Vorstandsmitglied bei einer unternehmerischen Entscheidung vernünftigerweise annehmen durfte, auf der Grundlage angemessener Informationen zum Wohle der Gesellschaft zu handeln." Für kaufmännische Unternehmer (Kaufleute als Einzelunternehmer oder OHG und KG-Komplementäre, etc.) spricht das Handelsgesetzbuch in § 347 HGB von den Sorgfaltspflichten eines "ordentlichen Kaufmanns".
Angemessene Informationen bedingt Know-how
Die zentrale These lautet, dass ein gewissenhafter, ordentlicher Geschäftsleiter auch die "Basics" einschlägiger betriebswirtschaftlicher, technischer und rechtlicher Werkzeuge, Methoden und des aktuellen Wissens kennen muss, um über deren sachgerechten Einsatz überhaupt urteilen zu können. Dieses Know-how stellt einen wesentlichen Bestandteil der "angemessenen Informationen" i. S. der Business Judgment Rule dar.
Die Pflicht, geschäftliche oder unternehmerische Entscheidungen sorgfältig vorzubereiten, ist anerkannt. Zwar darf ein Geschäftsführer auch riskante Geschäfte eingehen oder verlustbringende Maßnahmen ergreifen, jedoch niemals das erlaubte Risiko überschreiten und auch nie sein unternehmerisches Ermessen fehlerhaft ausüben, was anzunehmen ist, wenn "aus ex-ante Perspektive das Handeln des Geschäftsführers hinsichtlich ausreichender Information als Entscheidungsgrundlage zum Wohl der Gesellschaft unvertretbar erscheint."
Know-how bedingt Informationen über Risiken
Fehlerfreie Ermessensausübung setzt freilich neben hinreichenden Informationen voraus, dass das Know-how vorhanden ist, um Handlungsalternativen überhaupt zu erkennen, da nur dann im Anschluss ein sachlicher Abwägungsvorgang stattfinden kann: Kennt der Geschäftsleiter dagegen die anerkannten Werkzeuge und Methoden erst gar nicht, so kann er die Abwägung, welche sinnvollerweise anzuwenden sind, nicht treffen und die weitere Frage, ob nach sachgemäßer Auswahl des Instrumentariums dieses fachgerecht eingesetzt wurde, stellt sich gar nicht mehr.
Hier ist auch die Einbruchstelle für Risiko-, Chancen- und Compliancemanagement: Bei der Informationsgewinnung und -Bewertung im Wirkungskreis der Business Judgment Rule helfen anerkannte Methoden des Risiko- und Compliancemanagements, den Pflichtenrahmen des möglichen Handelns abzustecken und bzgl. der einzugehenden Risiken nicht "aus dem Bauch heraus" zu handeln.
Den kompletten Artikel aus der "Corporate Compliance Zeitschrift" (CCZ, Ausgabe 6/2012, S. 201-211) können Sie hier herunterladen:
Risikomanagement schafft Transparenz
Bezüglich der Entscheidungsfällung nach den Vorgaben der Business Judgment Rule schafft Risikomanagement Transparenz und gibt Grundsätze vor: Risiken- und Nutzenabwägung und Berücksichtigung der Risikotragfähigkeit des Unternehmens.
Der Entscheider hat sich freilich nicht zwingend auf dem neuesten Stand von Wissenschaft und Technik, aber immerhin auf dem anerkannten Stand als Mindeststandard zu bewegen. Diese Aussage bezieht sich nicht nur auf technisch physikalische Themen, sondern ebenso u.a. auf rechtliche und betriebswirtschaftliche Methoden und Werkzeuge. Das heißt, dass anerkannte und praktizierte Management-Standards die Messlatte für pflichtgemäßes Verhalten oder Pflichtverletzung darstellen. Von Juristen anerkannt werden Vorschläge, das pflichtgemäße Verhalten eines Geschäftsleiters in Standards, wie die Grundsätze der Corporate Governance, standardisierte Mindestanforderungen einer ordnungsgemäßen Compliance- Organisation, etc., zu fassen.
Selbstverständlich wird hier nicht gefordert, dass jeder Unternehmer höchstpersönlich die berühmte "eierlegende Wollmilchsau" mit allumfassenden Fähigkeiten und Kenntnissen darstellen muss. Vielmehr sollte er seine Stärken und Schwächen kennen und Defizite unter Beachtung der Grundsätze rechtssicherer Delegation durch geeignete Maßnahmen, Mitarbeiter, Berater ausgleichen. Alter, Arbeitsüberlastung, Überforderung, Unerfahrenheit, Unkenntnis, etc. sind keinesfalls Entschuldigungsgründe. Bei der rechtssicheren Delegation stellt sich zunächst die Frage, ob die Aufgabe überhaupt delegierbar ist. Anschließend, ob die Aufgabe mit Ressourcen des Unternehmens erfüllt werden kann und soll. Unabhängig von der Entscheidung sind die internen oder externen Delegationsempfänger sorgfältig auszuwählen (fachliche und persönliche Eignung), zu instruieren und zu überwachen.
Wissen und Fähigkeiten zur Führung eines Unternehmens
Obiger These folgend handelt ein Unternehmer nicht pflichtgemäß wenn er – wie in der Praxis häufig anzutreffen – in Bezug auf Wissen und Fähigkeiten zur Führung eines Unternehmens erhebliche Defizite aufweist und das Unternehmen deshalb durch fehlerhafte unternehmerische Entscheidungen Verluste erleidet. Dies hieße in der Konsequenz, dass Geschäftsleiter in Bezug auf ihren Qualifizierungsstatus in der Lage sein müssten, eine Art "Manager-TÜV" oder "Manager-Rating" erfolgreich zu bestehen, um nachzuweisen, die einschlägigen Basics in Recht, Technik und Wirtschaft als Voraussetzung für unternehmerisches Handeln zum Wohle des Unternehmens, also pflichtgemäßes Handeln, zu beherrschen. Oder zumindest müssten sie nachweislich eine SWOT-Analyse durchgeführt und Schwächen und Risiken in ihrer Person behandelt haben, indem sie durch Delegation substituierten.
Im Umfeld des Kernbereiches der Business Judgment Rule, die unternehmerische Entscheidungen, bei denen Handlungsspielräume und Alternativen existieren, anspricht, gibt es bereits zahlreiche Fälle aus dem Feld des operativen und strategischen Managements, in denen die Rechtsprechung Managementfehler, also Verhalten, das nicht dem anerkannten Stand von Wissenschaft und Technik bzw. oder "good practice" entspricht, als Pflichtverletzung sanktioniert: So haftet ein Geschäftsführer, der bei deutlicher Unterbeschäftigung seiner Arbeitnehmer infolge von Auftragsmangel nicht einmal den Versuch unternimmt, Kosten durch Kurzarbeit zu reduzieren.
Ebenso, wenn er aufgrund unterlassener Bonitätsprüfung bei der Gesellschaft einen Forderungsverlust verursacht. Auch muss ein Geschäftsleiter im Rahmen seiner Organisationspflichten den verlängerten Eigentumsvorbehalt der Lieferanten schützen und dafür sorgen, dass jederzeit eine ausreichende Dokumentation über die finanzielle und wirtschaftliche Situation des Unternehmens existiert. Die Organisationspflicht umfasst auch, das Unternehmen organisatorisch und personell so aufzustellen, dass die Erreichung des Gesellschaftszwecks am besten gesichert wird. Fehlkalkulation eines Preises für einen Auftrag, unsorgfältige Überwachung des Zahlungsverkehrs und Unterlassung einer zügigen Rechnungsstellung, aber auch der Ausgleich von noch nicht fälligen Verbindlichkeiten, das Unterlassen einer vorherigen Nutzen-Kosten-Untersuchung bei Erwerb eines EDV-Systems, Abschluss und/oder Vergütung unbrauchbarer oder nicht erfüllter Beraterverträge, unterlassene Organisation von Compliance (recht- und pflichtgemäßes Verhalten), Verletzung der Pflicht zur Erkennung der Sanierungsbedürftigkeit und zur Sanierung der GmbH führten ebenso zu Verurteilungen von Geschäftsführern, wie andere Klassiker.
Autor:
Prof. Dr. Josef Scherer ist Professor für Unternehmensrecht, Risiko- und Krisenmanagement, Sanierungs- und Insolvenzrecht. Zuvor war er Staatsanwalt und Richter am Landgericht in einer Zivilkammer. Neben seiner Tätigkeit als Seniorpartner der Kanzlei für Wirtschaftsrecht Prof. Dr. Scherer, Dr. Rieger & Partner arbeitet er als Insolvenzverwalter in verschiedenen Amtsgerichtsbezirken.
Webinar der Risk Academy:
Anreicherung des "unternehmerischen Bauchgefühls" mit Risiko-, Chancen- und Compliancemanagement
Wann? 9. Juli 2013, 9:30 bis 10:30 Uhr
Es gibt viele Argumente für die Geschäftsleitung, bezüglich der anerkannten, einschlägigen Methoden und Werkzeuge aus Recht, Technik und Wirtschaft auf dem aktuellen Stand zu sein und Risiko-, Chancen- und Compliance-Management als strategisches Instrument für eine erfolgreiche Unternehmensführung (Good Governance) und treffsichere Planungen einzusetzen. Für das Unternehmen selbst bedeutet es Liquiditäts- und Existenzsicherung, die Möglichkeit der Nutzung von Chancen bei gleichzeitiger Haftungsreduzierung, Erzielung eines erheblichen Wertbeitrags, ebenso Reputationsgewinn und Wettbewerbsvorteile. In der Managementlehre und -praxis fehlt häufig noch die nötige Sensibilität bzgl. der nachfolgend aufgezeigten Governance-Ansätze.
Anmeldung zum Webinar: Anreicherung des "unternehmerischen Bauchgefühls" mit Risiko-, Chancen- und Compliancemanagement
Wann? 9. Juli 2013, 9:30 bis 10:30 Uhr
Referent: Prof. Dr. Josef Scherer
[Bildquelle oben: © L.Klauser - Fotolia.com, Bild unten: © JiSIGN - Fotolia.com]
Kommentare zu diesem Beitrag