Meine Reisen in die Ukraine

Auf beiden Seiten der Front


Patrik Baab (2023): Auf beiden Seiten der Front - Meine Reisen in die Ukraine, 255 Seiten, Verlag fifty-fifty, Frankfurt am Main 2023, ISBN: 9783946778417 Rezension

In dem Beitrag "Ich mach mir die Welt – widdewidde – wie sie mir gefällt" hatte ich März 2022 darauf hingewiesen, dass nicht wenige Menschen (und damit auch Risikomanager) in einer Wahrnehmungsfalle und "Filterblase" gefangen sind und häufig nur eine Bestätigung für das suchen, was sie ohnehin schon glauben oder für richtig halten. Denn der "Mechanismus der kognitiven Dissonanzreduktion" vereinfacht komplexe Zusammenhänge in einem scheinbar einfachen Bild. Als Beispiel sei hier die Fabel "Der Fuchs und die Trauben" des antiken griechischen Dichters Äsops erwähnt: Der Fuchs verspürt den großen Wunsch nach süßen Trauben. Zugleich bemerkt er ihre Unerreichbarkeit. Die Dissonanz löst er mit der Überzeugung, die Trauben seien ohnehin "zu sauer und nicht der Mühe wert".

Dies führt dazu, dass alles, was jemand an Informationen aufnimmt, erst einmal danach gefiltert wird, ob diese Informationen für wünschenswert gehalten werden oder nicht. Nicht selten wird diese kognitive Dissonanzreduktion durch ideologische Wunschbilder verstärkt.

Seriöse Bewertung bestimmter Situation, beispielsweise eine ausgewogene Risikobewertung geopolitischer Konflikte, bedingt immer einen evidenzbasierten und wissenschaftlichen Diskurs sowie eine interdisziplinäre Risikoanalyse basierend auf Fakten sowie fundierten Methoden jenseits "gefühlter Wahrheiten" oder ideologischer Weltbilder.

Das Buch "Auf beiden Seiten der Front" des Journalisten Patrik Baab sticht in der Propaganda-durchtränkten Berichterstattung über den Stellvertreterkrieg zwischen Russland und der NATO positiv heraus. Er schreibt nicht als Schreibtischtäter oder unwissender Sitz- und Google-Redakteur über das, was die Auftraggeber hören wollen oder was von PR-Spezialisten der NATO oder anderer Organisationen aufbereitet wird (so lernt der Leser, dass allein für das Pentagon 27.000 PR-Spezialisten mit einem Jahresbudget von fünf Milliarden Euro arbeiten). Sondern er reist in die Krisenregionen und recherchiert vor Ort über die Realität. Er spricht mit Menschen – und zwar auf beiden Seiten der Front. So präsentiert das Buch – basierend auf Fakten – vor allem die verborgene, die dreckige Seite dieses Krieges aus der Perspektive der Menschen auf beiden Seiten (!) der Front. Denn in den abendlichen Talkshows werden die Schicksale der Bauern, Soldaten und ausgebombten Zivilisten nur selten thematisiert. Zudem kommen dort nicht selten "Experten" zu Wort, die noch nie im Schützengraben saßen oder in eine 30-mm-Kanone eines BTR-80 geblickt haben. Der Leser wird von Baab hingegen mit selbst recherchierten Informationen, historischen und geopolitischen Zusammenhängen und wichtigen Hintergründen versorgt, statt mit einer einseitigen, propagandistischen und oberflächlichen Kriegshetze.

Insbesondere geopolitische Konflikte zeigen, wie Menschen mit Propaganda und Manipulation auf die "richtige" Seite gezogen und von eigenem Denken befreit werden. Kritiker, die dem Autor vorwerfen, russische Propaganda zu verbreiten, haben das Buch wohl nicht gelesen oder nicht verstanden. Was auch daran leicht erkennbar ist, dass keine faktenbasierte Diskussion stattfindet, sondern mit "gefühlten Wahrheiten" argumentiert wird. Und gefangen im eigenen Echoraum befreien sich viele Menschen vom demokratischen Prozess einer konstruktiven Meinungs- und Urteilsbildung. Das Diffamieren Andersdenkender als "Querdenker", "Putin-Versteher", "Rechtsradikale" ist hierbei ein komfortabler Notausgang in Gesinnungsgesellschaften. "Factfulness" sowie eine Kultur der Abwägung wären Alternativen jenseits einfacher Welterklärungsbilder in "Gut" und "Böse". Stattdessen erheben die Kritiker den Anspruch, im Besitz der einzig legitimen Wahrheit zu sein. Auf eine konstruktive Diskussion lassen sie sich aber nicht ein.

Fazit: Patrik Baab liefert mit seinem Buch einen wichtigen Beitrag zur Kultur der Abwägung – basierend auf Fakten, jenseits "gefühlter Wahrheiten" oder ideologischer Weltbilder. 

 

[ Bildquelle Titelbild: Westend Verlag ]
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