Eine Zuspitzung der europäischen Schuldenkrise birgt nach Einschätzung der Experten des Bundesfinanzministeriums (BMF) auch für die deutsche Wirtschaft große Risiken. Eine Verschärfung der Schuldenkrise stelle "ein erhebliches Risiko dar", heißt es im aktuellen Monatsbericht des BMF. Dass die Stimmungsindikatoren zuletzt gesunken seien, sei nicht zuletzt der europäischen Krise geschuldet. Die Stimmungsindikatoren hätten sich insbesondere vor dem Hintergrund der gestiegenen Unsicherheiten über die Bewältigung der Schuldenkrise im Euroraum eingetrübt, schreiben die BMF-Konjunkturexperten.
Insgesamt zeigten die aktuellen Konjunkturdaten "einen verhaltenen Start" der deutschen Wirtschaft in das zweite Quartal nach einem unerwartet deutlichen Anstieg der wirtschaftlichen Aktivität zu Jahresbeginn. Im weiteren Jahresverlauf sei auch wegen der aktuell abgeschwächten "harten" Wirtschaftsdaten wieder mit einer moderateren Wirtschaftsentwicklung zu rechnen.
Auch für den Exportbereich zeigten die jüngsten Daten einen verhaltenen Einstieg in das zweite Vierteljahr. Die Niveaus seien allerdings sehr hoch und klar über dem Vorkrisenstand von 2008. "Insgesamt signalisieren die vorlaufenden Indikatoren, dass sich der Aufwärtstrend der Exporte im weiteren Jahresverlauf fortsetzen dürfte, wenn auch mit geringerer Dynamik als im Vorquartal", heißt es im Monatsbericht. Die schwache Nachfrage aus dem Euroraum dürfte den deutschen Außenhandel jedoch weiter belasten.
Auch die industrielle Umsatzentwicklung zeige in der Tendenz noch eine leichte Aufwärtsbewegung. Die BMF-Experten gehen jedoch im zweiten Quartal von einer moderateren Entwicklung der industriellen Aktivität im Vergleich zum Vorquartal aus.
Die Lage auf dem Arbeitsmarkt wird weiter als günstig eingestuft. Auch im April und Mai sei Beschäftigung aufgebaut worden. "Die damit einhergehenden Einkommenssteigerungen und die aufgrund der jüngsten Tariflohnabschlüsse erfolgten Lohnerhöhungen dürften den privaten Konsum begünstigen", schreiben die BMF-Experten. Allerdings stelle die Schuldenkrise auch für die weitere Entwicklung des Privatkonsums - vor allem wegen möglicher negativer Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt - ein deutliches Risiko dar.
Rückläufig waren im Mai die Steuereinnahmen von Bund und Ländern. Sie sind nach BMF-Angaben im Mai 2012 im Vorjahresvergleich um 4,3 Prozent gesunken. Hierzu haben die gemeinschaftlichen Steuern mit einem Minus von 5,3 Prozent, die Bundessteuern mit einem Minus von 0,1 Prozent und die Ländersteuern mit einem Rückgang um 6,4 Prozent beigetragen. Im Zeitraum Januar bis Mai 2012 erhöhte sich das Aufkommen der Steuereinnahmen insgesamt im Vorjahresvergleich um 3,6 Prozent.
Der Rückgang der Steuereinnahmen im Mai ist aus BMF-Sicht vor allem auf die Entwicklung der nicht veranlagten Steuern vom Ertrag zurückzuführen. Eine Verfahrensumstellung habe zu zeitlichen Verschiebungen bei der Abführung der Steuer geführt. "Es kann daher sein, dass ein gewichtiger Teil der im Vorjahresvergleich fehlenden Einnahmen in den kommenden Monaten noch zufließt", heißt es im BMF-Monatsbericht. Selbst wenn dieser Effekt vernachlässigt werde, sei die Wachstumsdynamik der Steuereinnahmen insgesamt im bisherigen Jahresverlauf mit einem Plus von 3,6 Prozent noch deutlich positiv.
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Der anhaltende Konjunkturabschwung im Euroraum gefährdet nach Aussage des Europäischen Rats für Systemrisiken (ESRB) die Finanzstabilität. "Eine weitere Konjunkturabschwächung und eine Vertiefung der Staatsschuldenkrise könnten die Widerstandsfähigkeit des ohnehin belasteten Bankensektors gefährden, die Kreditversorgung der Realwirtschaft gefährden und das bereits hohe Systemrisiko verstärken", heißt es in einer Erklärung des Gremiums, dem EZB-Präsident Mario Draghi vorsteht. Der mit der Abschätzung systemischer Risiken betraute ESRB forderte die Länder auf, die finanziellen Ansteckungsgefahren innerhalb der EU einzudämmen und eine Wirtschaftspolitik zu betreiben, die Wirtschaftswachstum und finanzielle Konsolidierung ermöglicht.
Der Rat der Europäischen Zentralbank (EZB) hat laut einem Zeitungsbericht bereits am Mittwoch beschlossen, die Anforderungen an die Wertpapiere zu lockern, die Banken in Refinanzierungsgeschäften mit der EZB als Sicherheit einreichen. Entsprechende Änderungen ihres Sicherheitenregelwerks will die EZB nach Angaben der Tageszeitung Die Welt am Freitag bekannt geben. Die EZB lehnte eine Stellungnahme zu den Bericht ab und wollte auch eine geplante Veröffentlichung solchen Inhalts am Freitag nicht bestätigen.
Die Euro-Krise wirft nach Ansicht von Klaus Wohlrabe, Ökonom beim ifo Institut, dunkle Wolken über die deutsche Wirtschaft. Es gebe wachsende Anzeichen, dass die europäische Schuldenkrise die deutsche Wirtschaft bald treffen könnte, sagte Wohlrabe in einem Interview mit Dow Jones Newswires. "Bis jetzt ist Deutschland ganz gut durch die Krise gekommen, unbeeinträchtigt von den Schwierigkeiten in Partnerländern wie Spanien und Griechenland, doch nun ziehen Wolken herauf." Zuvor hatte das ifo Institut eine erneute Stimmungseintrübung in den Chefetagen der Wirtschaft gemeldet. Der ifo-Index ging gegenüber dem Vormonat um 1,6 Punkte auf 105,3 zurück.
Wohlrabe rechnet derzeit nicht mit einer Rezession in Deutschland. Doch sollte die Krise weiter eskalieren, könnte dies durchaus eintreten. Unter den gegenwärtigen Bedingungen sollte die deutsche Wirtschaft im zweiten Quartal ein leichtes Wachstum verzeichnen. Auch im dritten Quartal sei ein Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP) möglich, doch dies hänge davon ab, wie sich die Krise in den nächsten Wochen weiter entwickele. Die derzeitigen Daten wiesen zudem auf ein BIP-Wachstum für die Gesamtjahr 2012 und 2013, sagte Wohlrabe.
Bundeskanzlerin Angela Merkel hat sich besorgt gezeigt, dass auf dem EU-Gipfel Ende der Woche zu viele Forderungen nach gemeinschaftlicher Haftung diskutiert werden. "Haftung und Kontrolle dürfen nicht in einem Missverhältnis zueinander stehen", mahnte Merkel bei einer Veranstaltung des Rates für Nachhaltigkeit in Berlin. Gleichzeitig erneuerte sie ihre Ablehnung von Eurobonds oder Eurobills.
Merkel nannte die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse die "beste Antwort" auf die Herausforderung einer nachhaltigen Haushaltsführung. Gleichzeitig äußerte sie sich kritisch zum Stand des derzeitigen Bundeshaushaltes, der von wirklich nachhaltiger Haushaltsführung noch entfernt sei.
"Wir brauchen eine Verpflichtung zur soliden Haushaltsführung und Strukturreformen", sagte Merkel. Es sei eine "abenteuerliche Diskussion", man könne Wachstum nachhaltig organisieren ohne über eine nachhaltige Haushaltsführung zu beraten. Der Zusammenbruch der Investmentbank Lehman Brothers habe gezeigt, dass einem rein quantitativen Verständnis von Wachstum Grenzen gesetzt sind. Leitbild könne nur ein nachhaltiges Wachstum sein, dass Lebensbedingungen verbessert ohne die Chancen der nachwachsenden Generation zu verringern. Merkel nannte Nachhaltigkeit eine Querschnittsaufgabe, die auch die Wirtschafts- und Finanzpolitik betreffe.