Jetzt kommt die Zeit, in der neue Prognosen für die Wirtschaftsentwicklung vorgelegt werden. Das wird interessant. Setzt sich die konjunkturelle Beschleunigung, die wir in den letzten Monaten erlebt hatten fort? Kommt es möglicherweise zu einer Überhitzung? Oder ist es nach dem GAU aus Eurokrise, politischen Umwälzungen in Nordafrika und dem Nahen Osten sowie den Ereignissen in Japan mit der Erholung erst einmal vorbei?
Von vielen höre ich, man solle jetzt nicht zu pessimistisch sein. Die Einflüsse von Japan hielten sich bis auf ein paar vorübergehende Betriebsunterbrechungen bei Autos, iPads und anderem in Grenzen. Die Geschäftsklimaindizes gehen weiter nach oben. Der kleine Rück-schlag bei der Erwartungskomponente im ifo-Index im März sei bei dem erreichten Niveau nicht zu ernst zu nehmen. Der Baltic Dry-Index, der die Dynamik des Welthandels misst und den Vorteil hat, dass er nicht nur monatlich, sondern täglich ermittelt wird, ist seit dem Erdbeben um knapp 8 Prozent gestiegen (siehe Abbildung). Der Aufschwung ist so wie es aussieht also intakt.
Ich traue dem Frieden nicht. Acht Gründe dafür: Erstens scheint sich das Unglück in Japan für die Weltwirtschaft als schwieriger darzustellen als es ursprünglich aussah. Der Kobe-Effekt tritt nicht ein. Nach dem Erdbeben in Kobe 1995 hatte sich die Wirtschaft überraschend schnell wieder erholt. Diesmal verzögern die andauernden atomaren Strahlungen den Wiederaufbau und die Normalisierung in der Region. Ich war überrascht, bei wie vielen wichtigen Vorprodukten die Japaner eine know-how-bedingte Alleinstellung auf dem Markt haben. Vor allem die Automobilindustrie ist davon betroffen. Einige Werke mussten die Produktion bereits einstellen. Die Autoindustrie hat in der Bundesrepublik einen Anteil an der gesamtwirtschaftlichen Wertschöpfung von 3 Prozent, einschließlich aller Vorleistungen könnten es 6 Prozent bis 7 Prozent sein. Sie ist damit eine der größten Branchen. Da schlagen Produktionsunterbrechungen schon auf die Gesamtwirtschaft durch.
Zweitens steigen die Ölpreise. Sie liegen inzwischen um 25 Prozent über dem Vorjahr. Seit Anfang 2011 haben sie noch einmal um 15 Prozent zugelegt. Weiterer Erhöhungen sind nicht auszuschließen. Das erhöht die Kosten und verringert die Kaufkraft der Verbraucher.
Abbildung: Baltic Dry-Index erholt sich [Quelle: Bloomberg]
Drittens gehen die Strompreise nach oben, wenn Kernkraftwerke abgeschaltet werden. Das trifft vor allem energieintensive Unternehmen. Natürlich bedeutet die Umstellung auf erneuerbare Energien auch neue Investitionen. Aber bis sie wachstumsrelevant werden, wird wohl noch einige Zeit ins Land gehen.
Viertens – ein ganz anderes Gebiet – hat die politische Führung in China beschlossen, das Wachstum in den nächsten fünf Jahren von bisher 11 Prozent auf 7 Prozent p. a. zu reduzieren. Das ist eine deutliche Verlangsamung. Niemand weiß, ob das schon in diesem Jahr virulent wird. Unwahrscheinlich ist es aber nicht. Die Verbraucherpreise steigen derzeit mit 4,9 Prozent deutlich zu stark und erfordern entsprechende Gegenmaßnahmen.
Fünftens: Die Europäische Zentralbank hat angekündigt, dass sie die Leitzinsen demnächst anheben wird. Das wird vermutlich zunächst nicht dramatisch sein (0,25 Prozentpunkte, nehme ich an). Es ist aber erst der Anfang. Weitere Anhebungen werden folgen.
Sechstens steigen die Löhne in diesem Jahr so wie es aussieht weniger als ich ursprünglich vermutet hatte. Das nominale Bruttoinlandsprodukt dürfte sich in diesem Jahr um rund 4,5 Prozent erhöhen, die Löhne aber vermutlich nur um maximal 3,5 Prozent brutto. Das ist gut für die Unternehmensgewinne. Für den privaten Verbrauch bleibt dabei aber abzüglich der Steuern und Abgaben sowie der Preissteigerungen nicht mehr viel übrig. Eine stärkere Einkommenssteigerung ergibt sich allein durch die Zunahme der Beschäftigung.
Siebtens muss auch die Psychologie berücksichtigt werden. Ich kann mich nicht erinnern, so viel Krise auf einmal schon je erlebt zu haben. Dazu kommen in Deutschland die Veränderungen durch die Wahlen. Da werden die Unternehmen mit ihren Planungen vorsichtiger.
Achtens schließlich macht mich nachdenklich, dass die Aktienmärkte an Dynamik verloren haben. Die Anleger (vor allem die Profis, weniger die Privaten) haben nicht mehr so viel Vertrauen in die weitere Aufwärtsentwicklung.
Die Konsequenz: Die Zeit des Heraufrevidierens der Prognosen ist zu Ende. Ab jetzt werden die Prognosen gehalten oder eher nach unten korrigiert. Ich bin bisher von einem Wachstum von 2,5 Prozent bis 3 Prozent in Deutschland im Jahr 2011 ausgegangen. Jetzt rechne ich eher mit 2 Prozent bis 2,5 Prozent. Das ist immer noch eine ordentliche Zahl. Wenn wir 2012 eine Zunahme des realen Bruttoinlandsprodukts von 2 Prozent erreichen sollten, dann können wir sehr glücklich sein. Das läge deutlich über dem langfristig erreichbaren Potenzialwachstum. In den USA wird die Wachstumsrate freilich deutlich höher liegen.
Autor: Dr. Martin W. Hüfner, Chief Economist, Assenagon Asset Management S.A.
Der Baltic Dry Index (BDI) wird von der Baltic Exchange in London veröffentlicht und ist ein wichtiger Preisindex für das weltweite Verschiffen von Hauptfrachtgütern (hauptsächlich Kohle, Eisenerz und Getreide) auf Standardrouten. Der Index wird seit 1985 von Montag bis Freitag um 13:00 Uhr UTC (14:00 Uhr MEZ) von der Baltic Exchange, 1744 in London gegründet, veröffentlicht und aus den standardisierten Angaben verschiedener Marktteilnehmer ermittelt.
Offensichtlich besteht ein Zusammenhang von Frachtraten mit Rohstoffpreisen und der Nachfrage nach Metallen, Treibstoffen und Nahrungsmitteln. Da der Baltic Dry Index (BDI) die Verschiffungskosten von Rohstoffen, der Vorstufe der Produktion, ermittelt, misst er präzise das Volumen des Welthandels auf der Anfangsstufe. Der BDI ist also ein Frühindikator für die Weltwirtschaft. Andere Indizes bilden dagegen spätere Stufen der wirtschaftlichen Entwicklung ab, wenn aus den Rohstoffen Halbfertig- oder Fertigprodukte entstanden sind.
Je größer die Anzahl der zu verschiffenden Güter ist, desto größer ist die Nachfrage und desto höher der Verschiffungspreis. Eine Aufwärtsbewegung des BDI signalisiert einen Anstieg des globalen Handels, eine Abwärtsbewegung das Gegenteil. Veränderungen des BDI sind auch ein Indikator für die Kursentwicklung der Aktien von Unternehmen im Bereich der Seeschifffahrt. Zwischen der Entwicklung des BDI und dem weltweit beachteten CRB-Index, der die Preisentwicklung von 19 Rohstoffen misst, besteht ein gewisser Gleichlauf.
[Bildquelle: iStockPhoto]
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Der Internationale Währungsfonds (IWF) zweifelt einem Bericht des Nachrichtenmagazins "Spiegel" daran, dass Griechenland seine Schuldenlast ohne Restrukturierung bewältigen kann. Wie dass Magazin ohne Angaben von Quellen berichtet, haben hochrangige IWF-Vertreter in den vergangene Woche in Gesprächen mit Offiziellen europäischer Regierungen die Position vertreten, dass eine baldige Umschuldung erforderlich sei. Es sei eine Verringerung der Schuldenlast von derzeit 150% des Bruttoinlandsprodukts (BIP) erforderlich. Denkbar seien ein Schuldenschnitt, eine Verlängerung der Anleihelaufzeiten oder niedrigere Laufzeiten. Alle drei Maßnahmen würden aus Sicht der Anleihegläubiger auf einen Renditeverzicht hinauslaufen.
Laut "Spiegel"-Bericht drängt der IWF die griechische Regierung dazu, bald Gespräche mit den Gläubigern aufzunehmen und ihnen die geplante Umschuldung mitzuteilen. Offiziell wolle sich der IWF allerdings wegen befürchteter Auswirkungen auf Portugal nicht äußern. Griechenland hatte erst im vergangenen Monaten günstigere Zinskonditionen für das Hilfsprogramm von IWF und EU erhalten. Die Europäische Zentralbank (EZB), die an der Rettung Griechenlands über die Gewährleistung einer großzügigen Bankenrefinanzierung beteiligt ist, steht einer Schuldenrestrukturierung ablehnend gegenüber, weil sie eine Beschädigung der Finanzstabilität befürchtet.
Aber... währen die Aussage "Eine Aufwärtsbewegung des BDI signalisiert einen Anstieg des globalen Handels" tendenziell korrekt, ist die Aussage "Eine Abwärtsbewegung das Gegenteil " nicht ganz richtig und darf m.E. nicht so stehen bleiben. Stichwort supply side economics.
Den BDI in diesem Kontext als Indikator zu nehmen ist schlichtweg irreführend.
Der BDI bildet Frachtraten für Rohstoffe ab, welche natürlich durch Angebot und Nachfrage bestimmt werden. Aber: das Angebot und die Nachfrage nach Verschiffung verhalten sich unterschiedlich elastisch. Schiffe haben eine Bauzeit von bis zu 3 Jahren und sobald sie ergestellt und einsatzbereit sind, bleiben sie 20/30 Jahre erhalten und das Angebot bleibt unverändert, unabhängig von der Nachfrage. Die Nachfrage hängt aber an der Weltkonjunktur (Stahlproduktion etc).
Folgende Aussage ist somit widerlegt: "Da der Baltic Dry Index (BDI) die Verschiffungskosten von Rohstoffen, der Vorstufe der Produktion, ermittelt, misst er präzise das Volumen des Welthandels auf der Anfangsstufe."
Will sagen: streicht den BDI als Indikatior für das Volumen des Welthandels aus dem Artikel. Der unwissende Leser wäre sonst geneigt, dies zu glauben und falschen Informationen aufgesessen. DANKE