Zwei von drei Finanzdienstleistern (63 Prozent) in Deutschland sind in den Jahren 2003 und 2004 Opfer wirtschaftskrimineller Handlungen geworden, weltweit war es nur jeder zweite. Dennoch glaubt nicht einmal jede dritte deutsche Bank oder Versicherung (31 Prozent), dass sie in den kommenden fünf Jahren zur Zielscheibe von Wirtschaftskriminellen wird. Die Unternehmen aller Branchen verzeichneten weltweit durchschnittlich jeweils acht Delikte, im Finanzsektor waren es sowohl weltweit als auch in Deutschland jeweils elf. Zu diesen Ergebnissen kommt die Analyse „Wirtschaftskriminalität bei Banken und Versicherungen 2006“ der Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft PricewaterhouseCoopers (PwC) und der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg.
„Durch Wirtschaftskriminelle ist den 240 deutschen befragten Finanzdienstleistern in den Jahren 2003 und 2004 ein Schaden von mehr als 250 Millionen Euro entstanden. Dennoch unterschätzen viele Banken und Versicherungen die besonders hohen Risiken auf dem hoch entwickelten deutschen Finanzmarkt. Der betriebs- und volkswirtschaftliche Schaden ist mit Sicherheit noch größer“, erläutert Steffen Salvenmoser, Partner bei PwC im Bereich Forensic Services und ehemaliger Staatsanwalt. „Wer finanziell schwer getroffen wurde, erfährt zusätzlich meist immaterielle Schäden, die weit über die finanziellen Verluste hinausgehen", ergänzt Salvenmoser. Die Befragung von insgesamt 837 Banken und Versicherungen in 34 Ländern zeigt, dass in Nordamerika eine besonders hohe Sensibilität gegenüber Falschbilanzierungen herrscht, während Reputation und Geschäftsbeziehungen deutscher Finanzdienstleister am häufigsten unter Korruptions- und Bestechungsfällen leiden.
Betrugsdelikte verursachen die höchsten finanziellen Schäden
Die häufigsten Straftaten bei deutschen Finanzdienstleistern sind Betrug (36 Prozent), Unterschlagung (24 Prozent), Geldwäsche (19 Prozent) und Falschbilanzierung (13 Prozent). Korruption folgt mit sechs Prozent erst an fünfter Stelle. Salvenmoser: „Dabei handelt es sich nicht um Kavaliersdelikte: Betrugsfälle verursachen dem betroffenen Unternehmen im Durchschnitt einen Schaden von mehr als 2,4 Millionen Euro. Ein Unterschlagungsdelikt kostet das betroffene Unternehmen durchschnittlich 250.000 Euro.“
Die Unternehmen müssen außerdem hohe immaterielle Schäden befürchten: Fast jeder zweite befragte deutsche Finanzdienstleister (45 Prozent) berichtete, der gute Ruf des Unternehmens habe durch Wirtschaftskriminalität gelitten. Und sogar 61 Prozent der Befragten gaben an, dass sich die Beziehungen zu Geschäftspartnern durch Wirtschaftskriminalität verschlechtert haben. Ein Fünftel beklagt eine Beeinträchtigung der Arbeitsmoral und einen demotivierenden Effekt auf die Mitarbeiter.
Täter stammen häufig aus den eigenen Reihen
Fast ein Drittel (31 Prozent) der befragten Finanzdienstleister musste die Erfahrung machen, dass die Straftaten von Mitarbeitern begangen wurden – also von Personen, denen besonders viel Vertrauen entgegen gebracht wurde. 32 Prozent von ihnen stammten sogar aus dem mittleren und Top-Management. Im Vergleich zu anderen Branchen, in denen bis zu 50 Prozent der Täter aus den eigenen Reihen stammen, ist dieser Anteil relativ gering. Dies ist darauf zurückzuführen, dass Banken und Versicherungen aufgrund ihres Geschäfts eine deutlich höhere Zahl an Außenkontakten haben als Unternehmen in anderen Branchen.
Der typische Wirtschaftskriminelle ist männlich (90 Prozent), zwischen 31 und 50 Jahre alt (65 Prozent), und hat Abitur oder studiert (61 Prozent). Auffällig ist, dass Mitarbeiter, die seit mehr als zehn Jahren bei einem Unternehmen beschäftigt sind, mit 43 Prozent die größte Tätergruppe bilden. „Es wäre falsch, langjährigen Mitarbeitern einen besonderen Vertrauensbonus zu schenken“, betont Burkhard Eckes, Partner bei PwC im Bereich Financial Services. „Offenbar nutzen viele Täter die Zeit, um Schwachstellen in der Unternehmensorganisation auszunutzen.“ Andererseits können sich Unternehmen relativ einfach vor einem solchen Missbrauch schützen: „Führungspersonal sollte des öfteren rotieren und mit wechselnden Aufgaben betreut werden“, empfiehlt Eckes.
Nur ein Drittel der Delikte lässt sich auf Schwachstellen im Kontrollsystem zurückführen, 64 Prozent jedoch auf ein mangelndes Werte- und Unrechtsbewusstsein und 51 Prozent auf den aufwändigen Lebensstil der Täter. Eckes: „Die Unternehmen sollten sich bei der Bekämpfung von Wirtschaftsstraftaten nicht nur auf Kontroll- und Entdeckungsmaßnahmen verlassen, sondern müssen auf der Ebene der Bewusstseinsbildung und Vermittlung von Werten ansetzen.“
Hier haben Finanzdienstleister in Deutschland noch Nachholbedarf: Während 97 Prozent der befragten US-Unternehmen über ethische Richtlinien verfügen, sind es in Deutschland erst 63 Prozent.
Straftaten konsequent verfolgen
Jede Wirtschaftsstraftat kann den guten Ruf eines Unternehmens beschädigen – sowohl nach außen, aber auch nach innen. Es ist zwar verständlich, wenn die befragten Unternehmen nur gegen 60 Prozent der Täter aus den eigenen Reihen und gegen 84 Prozent der externen Täter Strafanzeige erstattet haben. Dass aber elf Prozent der internen und 15 Prozent der externen Täter überhaupt nicht zur Rechenschaft gezogen werden, ist nach Ansicht von Professor Kai Bussmann sehr bedenklich. „Man schreckt Täter nur dann wirkungsvoll ab, wenn die Wahrscheinlichkeit entdeckt zu werden, hoch ist, und das strafbare Verhalten anschließend auch konsequent sanktioniert wird“, sagt der Inhaber des Lehrstuhls für Strafrecht und Kriminologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. „Zwar muss nicht jede kriminelle Handlung bei der Staatsanwaltschaft angezeigt werden, betriebliche Sanktionen wie Abmahnungen und Kündigungen sowie zivilrechtliche Schritte wie Schadensersatz sollten jedoch auf keinen Fall unterbleiben“, ergänzt Bussmann.
Unternehmen sollten alle Straftaten gleich behandeln und Täter aus dem Top-Management auf keinen Fall bevorzugen. Bussmann: „Interne Richtlinien zum Umgang mit Straftaten sind am besten geeignet, um eine Gleichbehandlung sicherzustellen.“ In diesem Bereich besteht bei deutschen Finanzdienstleistern noch Handlungsbedarf: Während in Nordamerika 83 Prozent der befragten Banken und Versicherungen über derartige Richtlinien verfügen, sind es in Deutschland erst 52 Prozent.
Aufholbedarf bei der Vorbeugung von Wirtschaftsstraftaten
Obwohl Paragraf 25a des Kreditwesengesetzes für den gesamten Bereich der Betrugsbekämpfung ein Risikomanagement fordert, existiert dieses nur bei 77 Prozent der befragten deutschen Banken und Versicherungen. Lediglich 36 Prozent von ihnen sind mit deren Wirksamkeit zufrieden.
Banken und Versicherungen hierzulande haben bei den Maßnahmen zur Vorbeugung von Wirtschaftsstraftaten noch einiges aufzuholen. Während sich in Nordamerika 83 Prozent der Mitarbeiter vor ihrer Einstellung einer Prüfung (Pre Employment Screening) unterziehen müssen, sind es in Deutschland erst 58 Prozent. Und immerhin 80 Prozent der befragten nordamerikanischen Unternehmen vertrauen bei der Vorbeugung und Früherkennung von Straftaten auf die Hilfe von Hinweisgebern (Whistleblower) – eine Methode, die sich als effizientes Instrument zur Aufdeckung von Korruption und Bestechung erwiesen hat. In Deutschland verfügen lediglich 32 Prozent der befragten Gesellschaften über ein derartiges System. Strenge US-amerikanische Regularien wie der Sarbanes-Oxley Act scheinen bereits zu wirken: In Nordamerika haben 89 Prozent der Finanzdienstleister ein Audit Commitee als Prüfungsausschuss innerhalb ihres Aufsichtsgremiums eingerichtet, in Deutschland ist es erst ein Viertel.
Das Potenzial der Hinweisgebersysteme ist noch lange nicht ausgeschöpft. Da Hinweisgeber oft nicht ausreichend vor beruflichen Nachteilen geschützt werden, bleiben viele Verdachtsmomente weiter verborgen und können den Unternehmen früher oder später großen Schaden zufügen. Während knapp zwei Drittel der nordamerikanischen Finanzdienstleister ihre Hinweisgeber nach eigenen Angaben vor Repressalien schützen, sind es in Deutschland erst ein Drittel. Steffen Salvenmoser: „Ein besserer Schutz der Hinweisgeber würde diesen Informationsweg erheblich attraktiver machen und das noch viel zu hohe Dunkelfeld deutlich aufhellen.“ Während Whistleblower acht Prozent aller Wirtschaftsstraftaten bei Finanzdienstleistern publik gemacht haben, war es in Deutschland lediglich ein Prozent.
Hohe Entdeckungsquote von „Kommissar Zufall“
Über die Hälfte der Straftaten (52 Prozent) werden bei Finanzdienstleistern in Deutschland nicht durch Kontrollen oder systematische Prüfungen entdeckt, sondern durch Hinweise von internen und externen Personen und pure Zufälle. In Nordamerika liegt diese Zahl lediglich bei 28 Prozent. Erst an zweiter Stelle folgt mit der internen Revision eine Instanz, die sich systematisch mit dem frühzeitigen Erkennen von Unregelmäßigkeiten befasst. Während die Revisoren in Deutschland 25 Prozent aller Delikte bei Banken und Versicherungen aufgedeckt haben, waren es in Nordamerika 23 Prozent. Dort spielen der Werkschutz (sieben Prozent) und die Whistleblower eine größere Rolle bei der systematischen Suche nach Schwachstellen im Unternehmen. In Deutschland decken Werkschutz und Whistleblower jedoch nur ein Prozent aller Wirtschaftsstraftaten auf.
Die Analyse „Wirtschaftskriminalität bei Banken und Versicherungen 2006“ können Sie hier herunterladen!