Umwelt-, Sozial- und Governance-Faktoren (im Folgenden ESG-Faktoren) spielen schon seit vielen Jahrzehnten für Anleger eine Rolle, wenn die Leistung eines Unternehmens bewertet werden soll. Die Auswirkungen von ESG-Faktoren auf die Refinanzierungskosten von Unternehmen werden erst seit jüngster Zeit empirisch untersucht. Dabei ist zu beachten, dass sich die meisten Studien auf börsennotierte Unternehmen beziehen. Hier scheint es methodisch am einfachsten, solche Zusammenhänge zu erfassen.
Dennoch gibt es keinen Konsens darüber, inwieweit die Nachhaltigkeitsleistung eines Unternehmens die Eigen- und Fremdkapitalkosten beeinflussen. Einige Untersuchungen weisen auf negative Zusammenhänge hin. Andere wiederum sehen positive Abhängigkeiten. Dies scheint verwunderlich, sind doch Schuldner und Anteilseigner nicht denselben Risiken ausgesetzt. Daher ist es unwahrscheinlich, dass ihre Reaktion auf Nachhaltigkeitspraktiken gleichgerichtet ist.
Stakeholder-Theorie suggeriert Risikominderung
Im Rahmen der sogenannten Stakeholder-Theorie wird ein Unternehmen als ein Netz von Beziehungen zwischen den Stakeholdern betrachtet. Die Geschäftsleitung steuert diese Beziehungen, um den Wert der Stakeholder zu maximieren und zu verteilen. Nachhaltigkeit wird in diesem Ansatz als eine Möglichkeit zur Verbesserung dieser Beziehungen angesehen. Dadurch wird die Wahrscheinlichkeit negativer Ereignisse wie kostspielige Klagen und Sanierungsmaßnahmen aufgrund von Umweltschäden, unsichere Produktrückrufe, Streiks aufgrund unzufriedener Mitarbeiter sowie Marken- und Reputationsverluste aufgrund von Skandalen verringert.
Als Folge wird eine negative Beziehung zwischen der Unternehmens- und Umweltverantwortung und Eigenkapitalkosten angenommen, die sowohl durch die Theorie der Risikominderung als auch durch die Perspektive der Anlegerbasis begründet ist. Das Argument der Risikominderung besagt, dass verantwortungsbewusste Unternehmen in den Augen der Anleger ein geringeres Risikoprofil aufweisen und daher von niedrigeren Kapitalkosten profitieren. Nach dieser Auffassung ist die Wahrscheinlichkeit geringer, dass verantwortungsbewusste Unternehmen von negativen Ereignissen betroffen sind. Treten diese negativen Ereignisse dennoch ein, kann die Nachhaltigkeit als Puffer dienen, um solche Auswirkungen abzufedern.
Eine gute Nachhaltigkeitsbilanz ermöglicht es Unternehmen, moralisches Kapital aufzubauen. Dies geht einher mit dem Wohlwollen bei den Stakeholdern, so dass Nachhaltigkeitsaktivitäten auch als Instrument des Risikomanagements interpretiert werden kann.
Schließlich gibt es das Argument, dass verantwortungsbewusste Unternehmen von Kreditgebern als weniger riskant angesehen werden und daher bessere Finanzierungsbedingungen erhalten sollten.
Wie sieht es bei Banken aus?
Eine zunehmende Studienanzahl zeigt, dass andere Faktoren einen Einfluss auf den Zusammenhang zwischen Kapitalkosten und Nachhaltigkeitsleistung haben. Dazu gehört beispielsweise die Branchenzugehörigkeit. So findet man Studien zu Finanzinstitutionen bisher sehr selten.
Zwei Autoren untersuchen in einer jüngst vorgelegten Studie, ob und inwieweit ESG-Faktoren die Refinanzierungskosten von Banken beeinflussen. Auf Grundlage einer Stichprobe von 493 börsennotierten Banken in 39 Volkswirtschaften stellen sie für den Zeitraum von 2003 bis 2020 fest, dass Banken von der Einbeziehung von ESG-Praktiken in ihre Finanzentscheidungen profitieren. Dies schlägt sich in geringeren Zinsaufwendungen bei der Attrahierung von Kapital nieder.
Darüber hinaus deuten die Ergebnisse darauf hin, dass nur große Banken und solche mit Sitz in Industrieländern von einer erhöhten Transparenz bei der Berichterstattung über ESG-Informationen in Form von geringeren Finanzierungskosten profitieren. Dabei ist zu beachten, dass die durchschnittliche Bilanzsumme der Banken in der Stichprobe schon bei 152 Milliarden USD liegt.
Interessanterweise arbeiten die Studienautoren heraus, dass zwar alle drei Faktoren zur Kostensenkung für zinstragende Verbindlichkeiten beitragen. Allerdings sind für die Anleger vor allem die soziale Leistung und die Qualität der Unternehmensführung von Bedeutung.
Stakeholder schätzen die soziale Verantwortung von Unternehmen (CSR). Eine Autorengruppe fand jüngst heraus, dass es vier wirtschaftliche Kanäle gibt, wo die CSR die Liquiditätsschöpfung der Banken beeinflusst: Einlagenwachstum, Kreditwachstum, Kreditzins und Finanzierungssatz. Die positive Beziehung zwischen CSR und der Schaffung von Bankliquidität vor allem bei Großbanken mit geringer Kapitalausstattung festzustellen.
In einer anderen Studie wird untersucht, ob ESG-Faktoren die Preisbildung von Bankanleihen auf dem Primärmarkt beeinflussen. Für etwa 19.000 festverzinsliche Wertpapiere, die von 63 EU-Banken zwischen 2006 und 2021 emittiert wurden, stellt die Studie fest, dass die Emissionskosten für Banken mit höheren ESG-Werten niedriger sind. Auch hier wird konstatiert, dass die Ergebnisse nicht auf die Umweltfreundlichkeit des Emittenten zurückzuführen sind. Es sind die hohen Corporate-Governance-Standards und ESG-Berichterstattungs- und Transparenzpraktiken, die sich in den niedrigeren Refinanzierungskosten niederschlagen.
Die Studien unterstreichen die wachsende Bedeutung von Nachhaltigkeit als wertrelevante Größe bei der Festlegung der Unternehmensstrategie. Die Wirkungen auf die Kapitalkosten veranlassen Manager dazu, über rein finanzielle Kennzahlen hinaus zu denken. Darüber hinaus deuten die Ergebnisse auf eine unterschiedliche Positionierung von Kreditgebern und Investoren in Bezug auf Nachhaltigkeit hin.
Die Ergebnisse aller dieser Studien sind auch deshalb wichtig, da die Unternehmen langsam beginnen ihre nichtfinanzielle Berichterstattung aufzubauen. Damit endet eine Periode, in der Nachhaltigkeitsinformationen eher lax offengelegt wurden. ESG-Daten liegen bisher unvollständig vor, so dass ein Unternehmensvergleich bisher nur schwer möglich ist. Sowohl in der EU als auch in den USA wurden in den letzten Jahren Offenlegungsgesetze veröffentlicht, die klarere und straffere Berichtsstandards vorsehen.
Autor:
Dr. Silvio Andrae