Die Beluga Unternehmensgruppe ist nach eigener Darstellung ein auf Projekt- und Schwergutschifffahrt spezialisiertes Unternehmen mit Sitz in der Hansestadt Bremen. Muttergesellschaft des Konzerns ist die Beluga Shipping GmbH, der die mit dem Kerngeschäft betraute Beluga Chartering GmbH und die Beluga Fleet Management GmbH & Co. KG als Tochtergesellschaften nachgeordnet sind. Bei Frachtschiffen im Segment "Standard Heavy Lift" ist die Beluga Group mit derzeit 69 entsprechend ausgerüsteten Mehrzweck-Schwergutfrachtern nach eigenen Angaben Weltmarktführer. Die relevanten Branchen für Projekt- und Schwergutschifffahrt sieht das Unternehmen insbesondere im Anlagenbau in den Segmenten Kraftwerksbauten, Walz- und Hüttenwerke, Chemieanlagen u. a. sowie in Sondersegmenten wie beispielsweise Windkraftanlagen.
Das Unternehmen wurde im Jahr 1995 von Niels Stolberg und Erhard Koschorreck in Bremen gegründet. Seit rund einer Woche werden Stolberg und zwei ehemalige Geschäftsführer und weitere leitende Angestellte von dem amerikanischen Hedgefonds Oaktree Capital Management LP (OCM) der Fälschung von Umsatzkennzahlen im dreistelligen Millionenbereich beschuldigt. Die Staatsanwaltschaft Bremen hat - basierend auf diversen Presseberichten sowie einer Pressemeldung der Staatsanwaltschaft Bremen - ein Ermittlungsverfahren gegen den Gründer und ehemaligen Geschäftsführer der Bremer Beluga Shipping, Niels Stolberg, sowie gegen den ehemaligen Geschäftsführer Emilio Reales-Bertomeo und weitere leitende Angestellte eingeleitet. Laut dem elektronischen Bundesanzeiger hatte am 30.06.2010 die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PricewaterhouseCoopers (PwC) zuletzt für das Geschäftsjahr 2009 dem Konzern ein uneingeschränktes Testat erteilt: "Nach unserer Beurteilung aufgrund der bei der Prüfung gewonnenen Erkenntnisse entspricht der Jahresabschluss den gesetzlichen Vorschriften und vermittelt unter Beachtung der Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild der Vermögens, Finanz und Ertragslage der Gesellschaft."
Kometenhafter Aufstieg und effiziente Kontrollsysteme
Nach rund 15 Jahren seit der Gründung hatte Beluga zuletzt eine beindruckende Größe erreicht: Nach Unternehmensangaben sind 555 Mitarbeiter an Land und 1.500 Seeleute auf dem Wasser für Beluga tätig. Insgesamt 72 Frachter fahren für Beluga über die Weltmeere. Die Frachter sind jedoch teilweise gechartert und gehören Schifffonds.
Seit der Finanzmarktkrise in 2008 war das Geschäftsumfeld für die Schifffahrt besonders schwierig. Wie auch dem letzten Konzernabschluss zu entnehmen ist, verzeichnete die maritime Wirtschaft einen drastischen Einbruch der Transportnachfrage und infolgedessen auch der Frachtraten. Das Statistische Bundesamt hat einen Rückgang von minus 24 Prozent für den Güterumschlag in der Seeschifffahrt 2009 gemessen. Das war für den über viele Jahre von einen expansiven Wachstum verwöhnten Containerverkehr eine schwere Zeit. Auch die Beluga-Gruppe konnte diesem starken Abwärtstrend nicht entkommen und das Resultat findet sich im Konzernabschluss wieder. Sollten sich die Vorwürfe der Fälschung von Finanzkennzahlen bewahrheiten, zeigt sich mal wieder in einer langen Reihe von Skandalen wie wenig Aussagekraft die Lippenbekenntnisse von Unternehmen und Wirtschaftsprüfern zur Effizienz von Internen Kontrollsystemen haben. Denn im Konzernabschluss 2009 findet sich folgender Abschnitt:
Interne Kontrollen der Finanzberichterstattung
Die Verlässlichkeit der Rechnungslegungsprozesse und die Korrektheit der Finanzberichterstattung, einschließlich der Erstellung eines regelkonformen Jahresabschlusses und Konzernabschlusses sowie Lageberichtes und Konzern-Lageberichtes, wird durch eine Vielzahl von Maßnahmen und internen Kontrollen sichergestellt. Um eine zuverlässige Finanzberichterstattung und die zutreffende Erfassung von Transaktionen in der Buchhaltung sicherzustellen, bestehen Kontrollmechanismen, z. B. systemtechnische und manuelle Abstimmungen. Zur Vermeidung von Missbrauch achten wir auf eine systematische Trennung von Funktionen. Zusätzlich tragen die vom Management durchgeführten Überwachungen und Bewertungen dazu bei, dass Risiken mit direktem Einfluss auf die Finanzberichterstattung identifiziert werden und Kontrollen zur Risikominimierung eingerichtet sind. Darüber hinaus werden Änderungen der Rechnungslegungsvorschriften eng verfolgt und die mit der Finanzberichterstattung betrauten Mitarbeiter regelmäßig und umfassend geschult.
Brancheninsider vermuten, dass die Beluga-Gruppe durch expansives Wachstum in Kombination mit der allgemeinen Wirtschaftskrise in eine finanzielle Schieflage geraten ist und infolge dessen den amerikanischen Hedgefonds als Investors ins Boot holen musste. Darauf deutet auch die unternehmenseigene Angabe hin, dass das Durchschnittsalter der 72 Schiffe bei drei Jahren liegt. Kaum eine Reederei dürfte über so viele neue Schiffe verfügen.
Vom "Entrepreneur des Jahres" bis zum tiefen Absturz
Beluga ist in den vergangenen Monaten und Jahren immer wieder durch spektakuläre Projekte aufgefallen. So hatte die Beluga Group im Sommer 2009 einen zweiten Versuch unternommen, die Nordostpassage entlang der sibirischen Küste für ihre Frachter zu nutzen. In der Folge des Klimawandels weicht das Eis inzwischen im Sommer zurück und gibt je nach Witterung für sechs bis acht Wochen eine Passage frei, die die Strecke von Europa nach Asien und zurück um ein Drittel verkürzt. Gegenüber der klassischen Route durch den Suezkanal ließen sich so nach Unternehmensangaben bis zu 3,5 Mio. Euro einsparen. "Wir sind alle stolz und glücklich, als erste westliche Reederei die legendäre Nordostpassage erfolgreich durchquert zu haben", sagte Niels Stolberg damals.
Ende Oktober versuchten Piraten die Beluga Fortune etwa 1.200 Seemeilen östlich der kenianischen Stadt Mombasa zu entführen. Der Versuch misslang jedoch, weil sich die Crew in einen Schutzraum flüchtete, von dort aus die Maschinen des Schiffs stoppte und Hilfe rufen konnte. Ende Januar wurde ein weiteres Schiff der Beluga-Reederei von somalischen Piraten angegriffen und gekapert.
Der tiefe Fall eines Aufsteigers: Niels Stolbergs Vater war Lotse, seine Mutter Buchhalterin. Nachdem er für zwei Jahre als Kapitän zur See gefahren war, heuerte er zunächst bei einer Reederei als Angestellter an. Im Jahr 1997 kaufte er sich sein erstes Schiff – bereits im Jahr 2006 knackte er die 100-Millionen-Umsatz-Marke. Niels Stolberg war stets ein Mann der großen Schlagzeilen – hanseatische Zurückhaltung war ihm eher fremd. Für das Jahr 2010 rechnet das Unternehmen mit 500 Millionen Euro Umsatz. Für diesen raketenhaften Aufstieg verlieh die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young der Reederei den Titel "Entrepreneur des Jahres". Nun gilt wohl eher die Erkenntnis: Wer hoch hinaus will, stürzt tief.
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Kommentare zu diesem Beitrag
Der Jahresabschluss und der Konzernabschluss mit den Lageberichten für die IKB AG und den Konzern waren von der KPMG Deutsche Treuhand-Gesellschaft Aktiengesellschaft Wirtschaftsprüfungsgesellschaft geprüft und jeweils mit dem uneingeschränkten Bestätigungsvermerk versehen worden. Die wahren Risiken wollten sie nicht sehen oder sie wussten nicht was ein Conduit ist. Oder sie wussten nicht was eine Eventualverbindlichkeit oder eine Liquiditätslinie ist. Würde mich auch nicht wundern ;-(
Aber ich habe Hoffnung, dass EU-Kommissar Michel Barnier das Kartell der großen WP-Gesellschaften aufbrechen wird und die massiven Interessenkonflikte unterbinden wird. Das würde die Branche auf den Kopf stellen.