Der Entwicklungspfad der Logistik ist in besonderem Maße durch Kostendruck, Individualisierung und Komplexität gezeichnet. Gepaart mit einer sich schnell verändernden Umwelt und Unsicherheiten über die Zukunft resultieren daraus viele der aktuellen Herausforderungen. Im Zeitalter der Digitalisierung wirken insbesondere neue Technologien und damit entstehende neue Geschäftsmodelle als treibende Kräfte.
Sich strukturiert und proaktiv für die Zukunft zu positionieren ist in einer derart dynamischen Umwelt entscheidend für die Wettbewerbsfähigkeit. Dabei ist es nicht nur die Aufgabe, relevante Risiken und Chancen im Vorfeld zu erkennen. Es gilt auch diese zu bewerten und Konsequenzen für das eigene Unternehmen abzuleiten. Hier bietet Simulation ein geeignetes Instrument, um basierend auf verschiedenen Annahmen die Auswirkungen auf das eigene Geschäftsmodell sowie auf die damit verbundenen Prozesse systematisch einzuschätzen und entsprechende Maßnahmen einzuleiten.
Dieser Thematik widmete sich das 8. Forum zur zukunftsorientierten Steuerung unter dem Titel "Zukunftsorientierte Steuerung in der Logistik – besser vorbereitet sein mit Simulationen". Ausgerichtet wurde dieses Anfang März in Hamburg vom Institut für Controlling und Simulation der TU Hamburg, Spitzner Consulting und der Führungsakademie der Bundeswehr. Auch in diesem Jahr führten Einblicke aus Forschung, Praxis und Militär zu einem anregenden Austausch unter den Teilnehmern.
Den Vortragsauftakt des 8. Forums gaben Professor Wolfgang Kersten und Marius Indorf von der TU Hamburg, die auf die Auswirkungen der Digitalisierung in der Logistik und den möglichen Einsatz von Simulationen in diesem Zusammenhang eingingen. Dazu stellten sie Ergebnisse aus einer Studie für die Bundesvereinigung Logistik vor, die sich mit den Chancen der Digitalen Transformation beschäftigt. Unter den relevanten Trends stechen vor allem Kostendruck und Digitalisierung der Geschäftsprozesse hervor. Unternehmen haben Schwierigkeiten, solchen Trends und damit verbundenen innovativen Technologien nachzukommen und geraten vor allem durch große Technologieführer wie Amazon unter Druck. Auch wenn die Mehrheit der Unternehmen sich über Chancen und Risiken bzgl. ihrer Geschäftsmodelle bewusst ist, sind viele beim Ergreifen konkreter Maßnahmen noch zurückhaltend. Hierbei können Simulationen genutzt werden, um den Einsatz neuer Technologien für die eigene Wertschöpfungskette zu bewerten. So untersucht Marius Indorf mit einer Kombination aus ereignisdiskretem und agentenbasiertem Simulationsmodell, unter welchen Bedingungen sich eine kooperative Ressourcennutzung in der Wertschöpfungskette und damit der Einsatz entsprechender neuer Technologien für die beteiligten Unternehmen lohnt.
Eine umfassende Bewertung neuer Trends und Technologien macht es erforderlich, eine lang- und kurzfristige Perspektive einzunehmen. Simulationen können dafür auf strategischer, taktischer und operativer Ebene eingesetzt werden.
Strategisch
Eine strategische Frühaufklärung ist beispielsweise im Innovationsmanagement von Bedeutung. Dazu werden nicht nur Signale aus dem Markt, sondern auch solche aus Politik und Gesellschaft genutzt, um zukünftige Diskontinuitäten aufzudecken, die mögliche Auswirkungen auf das Geschäftsmodell, Prozesse, Produkte oder den Kundennutzen haben. Simulation hilft dabei, aus einer Vielzahl von möglichen Annahmen systematisch Zukunftsbilder zu entwickeln. Dabei ist ein breiter Raum an Annahmen durchaus erwünscht, der auch über die eigene Industrie hinausausgehen darf.
In ihrem Vortrag beschrieb Isabel de la Camp, wie auf diese Weise bei der Lufthansa Group Innovationspotenzial erkannt und in Strategien umgesetzt wird. Zum Einsatz kommt hier die Szenarioanalyse, die zur Identifizierung von Innovationsfeldern und Ableitung konkreter Projekte dient. Dazu wird zunächst die gegenseitige Abhängigkeit einer Vielzahl an Einflussfaktoren miteinander verglichen und geclustert, um diese auf wenige Kernfaktoren zu komprimieren. Auf Basis dieser Kernfaktoren werden dann mögliche Zukunftsprojektionen erarbeitet, die anschließend zu konsistenten Szenarien gebündelt werden. Mit diesen Szenarien können unternehmensweit Innovationsideen entwickelt, gesammelt, konzeptualisiert und in konkreten Projekten umgesetzt werden.
Ein weiteres Beispiel für die strategische Ebene wurde von Oberst i.G. Peter Fennel als Abteilungsleiter Planung vom Logistikkommando der Bundeswehr und Korvettenkapitän Lothar May präsentiert. In ihrem Vortrag wurde ein selbstentwickeltes Planungstool vorgestellt, das von der Bundeswehr zur Bedarfs- und Kräftekalkulationen verwendet wird. Das Tool kann zur Simulation von Bedarfsentwicklungen oder speziellen logistischen Situationen eingesetzt werden mit dem Ziel, Materialflüsse und Prozesse besser einschätzen und optimieren zu können. Dazu werden Annahmen zu Bedarfsträgern (beispielsweise Fahrzeuge) und deren Eigenschaften (beispielsweise Verbrauch) gemacht. Weiterhin werden Umgebungseinflüsse wie Annahmen zur Lieferkette oder Nutzung von Drittleistungen einbezogen, um dann eine Gesamteinschätzung über die erforderlichen logistischen Leistungen zu bekommen.
Taktisch
Abgeleitet von den strategischen Zielen werden auf taktischer Ebene konkrete Logistikkonzepte geplant und umgesetzt. In diesem Schritt ist es entscheidend, getroffene Annahmen mit einer validen Datenbasis zu fundieren.
Ein Praxisbeispiel auf dieser Ebene boten Steffen Scholz und Björn Großmann von DB Schenker. In dem präsentierten Projekt wird die Fragestellung der Standortauswahl für neue Zentrallager behandelt. Simulationen unterstützen dabei, entwickelte Konzepte auf ihre Robustheit zu testen. So wurde eine Center-of-Gravity-Analyse herangezogen und unter Beachtung bekannter Größen (wie beispielsweise Versorgungsströme und Kundendichte) werden Variablen wie Standortposition und -anzahl variiert. Die verschiedenen Kombinationen werden dann nach Servicegrad und Komplexität verglichen, um eine finale Auswahl zu treffen. So können Simulationen dabei helfen, verschiedene Konzeptdesigns zu evaluieren und in der Entscheidungsfindung eine grundlegende Unterstützung zu bieten.
Operativ
Für die taktische als auch für die operative Ebene gilt es den richtigen Innovationsgrad festzulegen, der als Verhältnis zwischen Sicherheit und Leistungsfähigkeit definiert werden kann. Da aus operativen Prozessen oftmals ein breiter Umfang an historischen Daten vorhanden ist, kommt deren Aufbereitung und Analyse eine entscheidende Rolle zu. Gerade die sich rapide entwickelnden neuen Technologien können mit Hilfe von Simulationen getestet werden, um neue Lager und Supply-Chain-Systeme zu entwerfen oder bestehende zu überarbeiten. In einem weiteren Praxisbeispiel zeigten Steffen Scholz und Björn Großmann, wie auf diese Weise eine Dimensionierung von autonomen Lagersystemen in Abhängigkeit des zu erreichenden Lieferservicegrades und auf Basis von vorhandenen Bestellbildern stattfinden kann. Dazu bietet sich vorrangig die ereignisdiskrete Simulation an.
Abschlussbetrachtung
In den verschiedenen Vorträgen wurde im diesjährigen Forum gezeigt, wie Simulationen auf allen Ebenen der logistischen Planung und Steuerung ein wertvolles Hilfsmittel sind, zukünftige Risiken und Chancen möglichst umfassend wie auch frühzeitig zu erkennen. Der Einsatz von Simulationsmethoden hat dabei noch einen weiteren Vorteil: Das Erarbeiten von Modellen führt zu einem explizierten individuellen Realitätsverständnis. Damit dient die Anwendung von Simulationen als ein Kommunikationsmedium zwischen Projektbeteiligten und der Reduzierung von Fehlern im Problemverständnis.
Das im März 2019 stattfindende 9. Forum wird das Thema "Resilienz mit Simulationen verbessern" aufgreifen.
Pausengespräche während des Forums Zukunftsorientierte Steuerung
Zielgruppe des Forums sind Wirtschaft, Wissenschaft und Militär
Die Veranstalter Jan Spitzner (links) und Professor Matthias Meyer (rechts)
Teilnehmer des Forums Zukunftsorientierte Steuerung