Von den Ökonomen haben wir gelernt, dass das Bruttoinlandsprodukt (BIP) allgemein den Gesamtwert aller Güter (Waren und Dienstleistungen) angibt, die innerhalb eines Jahres innerhalb der Landesgrenzen einer Volkswirtschaft hergestellt wurden und dem Endverbrauch dienen. Damit fallen unbezahlte Tätigkeiten (Ehrenämter, Hausarbeit, Heimwerken, Hobbys etc.) aus der Berechnung heraus. Und auf der anderen Seite enthält das BIP viele Komponenten, die nicht direkt zum Wohlergehen der Bürger beitragen, wie etwa finanzielle Belastungen durch Militärausgaben oder Abschreibungen. Doch was sagt das Bruttoinlandprodukt tatsächlich über den Wohlstand eines Landes aus? Müssen nicht auch Familienarbeit, Freizeit, Gesundheit und der Zustand der Umwelt in die Wohlstandsberechnung einbezogen werden? Doch wie lässt sich beispielsweise Glück (er)messen? Wohlergehen und Glücksempfinden der Menschen werden durch eine Vielzahl von Einflussfaktoren bestimmt (vgl. Abbildung 1).
Abbildung 1: Glücksempfinden und Wohlergehen: durch zahlreiche Einflussfaktoren bestimmt, negative Einflussfaktoren in Klammern. [Quelle: Deutsche Bank Research]
Ausgangspunkt für die Berechnung ist das Bruttoinlandsprodukt. Davon werden in einem ersten Schritt Abschreibungen, im Inland erwirtschaftetes Einkommen, das an Kapitaleigentümer im Ausland fließt, und Schaden verursachende Elemente (beispielsweise duch Umweltverschmutzung) abgezogen. Was dann vom BIP übrig bleibt ist der Ausgangspunkt für Maße des wirtschaftlichen Wohlergehens. Diese berücksichtigen dann auch die Aktivitäten im Nichtmarkt-Bereich (also beispielsweise ehrenamtliche Tätigkeiten), den Wert von Freizeit und Vermögen und ziehen die Kosten von Arbeitslosigkeit und Einkommensunsicherheit ab.
Wohlergehen hat jedoch nicht nur eine wirtschaftliche Dimension: Auch Gesundheit, Bildung, eine saubere Umwelt und sichere Straßen tragen zum Wohlergehen des Einzelnen und der Bevölkerung insgesamt bei.
In Volks- und Bertriebswirtschaft sind Humankapital und Opportunitätskosten als Messfaktoren zwar bekannt, werden aber in der Praxis selten verwendet. Die fehlende Bewertung der sogenannten "weichen" Faktoren wie Kultur, Religion, Nachbarschaft und soziale Netzwerke wird zwar von Aktivisten oft beklagt, aber daraus sind bisher keine alternativen Mess- und Bewertungsmethoden hervorgegangen. In den letzten Jahren wurden mehrere Indices entwickelt, die Länder nicht nur nach ihrem Bruttosozialprodukt oder ihrer Analphabetenrate, sondern auch nach Biodiversität, Korruptionsanfälligkeit, menschlichen Entwicklungsmöglichkeiten und Friedlichkeit bewerten und vergleichen.
Insbesondere sind dies:
- der Human Development Index;
- der Weighted Index of Social Progress;
- der Happy Planet Index;
- der Economic Living Standard Index;
- der Global Peace Index;
- der Shadow Economy Index;
- der Environmental Stability Index.
Der bekannteste Index für die Lebensqualität ist der Index für menschliche Entwicklung (Human Development Index, HDI), der jährlich vom Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen veröffentlicht wird. Er wird seit vielen Jahren für eine große Anzahl von Ländern berechnet, eignet sich jedoch nach Expertenschätzungen nicht als sinnvolles Maß für Wohlergehen. Anders als der Ländervergleich der Weltbank berücksichtigt er nicht nur das Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Einwohner eines Landes in KKP-$ (Kaufkraftparität), sondern ebenso die Lebenserwartung und den Bildungsgrad mit Hilfe der Alphabetisierungsrate und der Einschulungsrate der Bevölkerung.
Der Faktor Lebenserwartung gilt als Indikator für Gesundheitsfürsorge, Ernährung und Hygiene; das Bildungsniveau steht, ebenso wie das Einkommen, für erworbene Kenntnisse und die Teilhabe am öffentlichen und politischen Leben für einen angemessenen Lebensstandard. Der Human Development Report 2009 wurde am 5. Oktober 2009 veröffentlicht und basiert auf Länderdaten aus dem Jahr 2007. Auf den ersten drei Plätzen landen Norwegen, Australien und Island.
Ein umfassenderes Maß für den Entwicklungsstand von Ländern ist der Weighted Index of Social Progress (WISP, Gewichteter Index des Sozialen Fortschritts), der von Richard Estes an der University of Pennsylvania für 163 Länder ab dem Jahr 1970 berechnet wurde. Der Indes hat sich zum Ziel gesetzt, zahlreiche Aspekte des Wohlergehens wie Einkommen und Bildung, Gesundheit, Rolle der Frau, Umwelt, sozialen Frieden, Chancengleichheit bis hin zur Sozialhilfe zu erfassen.
Der Happy Planet Index (HPI) wurde im Juli 2006 von der New Economics Foundation in Zusammenarbeit mit Friends of the Earth Großbritannien veröffentlicht. Im Happy Planet Index werden Werte für Lebenszufriedenheit, Lebenserwartung und Ökologischen Fußabdruck kombiniert. Im Gegensatz zu den etablierten volkswirtschaftlichen Indizes bezieht der Happy Planet Index das Kriterium der Nachhaltigkeit mit ein.
Costa Rica scheint demnach der glücklichste Ort der Erde zu sein. Europa, insbesondere Deutschland schneiden mit einem Indexwert von 48,1 Punkten eher mittelmäßig ab. Die USA erreichen sogar nur einen Wert von 30,7 Punkten. Die USA führen die Liste der am wenigsten korruptesten Länder an. Australien konnte hinter Norwegen den zweiten Platz in Sachen menschlicher Entwicklung vermelden. Als umweltfreundlichstes Land gilt Finnland. Uruguay nimmt darin Platz 3 ein. Neuseeland wiederum ist das friedlichste Land der Erde.
Die Regierung von Neuseeland veröffentlicht seit dem Jahr 2002 den Economic Living Standard Index (ELSI, Index zur Messung des wirtschaftlichen Lebensstandards), der auf einer Umfrage unter 7.000 Personen basiert. Der Index umfasst den Konsum, den Besitz langlebiger Konsumgüter, die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und die persönliche Einschätzung des Lebensstandards.
Viele Indikatoren und doch kein klares Bild
Die Indikatoren für Wohlergehen liefern mit Sicherheit ein viel umfassenderes Bild vom Zustand einer Gesellschaft als das klassische BIP. Doch welcher Index liefert ein adäquates Bild vom Wohlergehen eines Landes? In diesem Kontext hat das "Basel Institute of Commons and Economics" einen Vergleich einiger Indices vorgenommen. In einem Index Benchmark wurden die fünf neuen Indices zusammengerechnet. Würden sie ein neues Bild der Bewertung von Nationen abgeben?
Mit einem Visualisierungsprogramm wurde die Gewichtung der Länder im Vergleich der Indices in eine maßstabsgetreue Weltkarte importiert (vgl. Abbildung 2). Diese verblüfft gleich durch mehrere Besonderheiten:
- wirtschaftlich und territorial große Staaten wie Russland, China, Indien und die USA erscheinen auf der Karte als Kleinstaaten
- mit einem überdimensionierten Europa erscheint die Welt so eurozentrisch wie in den frühen Seekarten des Altertums
- Afrika schrumpft zu einer kleinen Inselgruppe
Abbildung 2: Index Benchmarks [Quelle: Basel Institute of Commons and Economics]
Da nicht für alle Staaten auch in allen Indices Daten vorliegen, fehlen einige Staaten, die vermutlich eine gute Positionierung haben würden, beispielsweise Singapur, Hong Kong, Luxemburg, Liechtenstein und Island. Nur zehn nichteuropäische Staaten schaffen es unter die ersten 30 in den Index Benchmarks, unter ihnen neben dem legendären Glücksstaat Bhutan die einst von Europa aus besiedelten Staaten Australien, Neuseeland, Chile, Argentinien, Costa Rica und Kanada.
Eurozentrismus und Wettbewerbsfähigkeit
Neben den World Development Indicators, mit denen die Weltbank Entwicklungsländer von entwickelten Ländern trennt, veröffentlicht das World Economic Forum (WEF) aus Davos den Global Competiveness Report. Dieser wird unter Wirtschaftsführern erhoben und bewertet die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit und Konkurrenzfähigkeit von Staaten. Das "Basel Institute of Commons and Economics" hat nun die Ergebnisse des Index-Benchmarks mit dem Ranking des Competiveness Reports verglichen.
Die WEF-Profis setzten die USA auf Platz 2, Österreich dagegen, das nach dem Sieger Schweden in den alternativen Indices Vizeweltmeister ist, nur auf Platz 17. Da rein statistisch die Miteinbeziehung weiterer Indices zu einer immer geringeren Abweichung im Gesamtvergleich führt, zementieren die gegenwärtigen internationalen Indices die vorhandenen ökonomischen und kulturellen Unterschiede. Ob Bildung und Chancengleichheit, Umweltschutz und Rechtssicherheit, stets gehen die Stärken auf diesen Gebieten auch mit ökonomischer Stärke einher.
Sozialkapital als neues Kriterium?
Damit bieten die Indices keine positiven Ansätze für die Entwicklungspolitik bzw. reduzieren diese auf Umverteilungsfragen. Demgegenüber könnte es sinnvoll sein, so die Experten des "Basel Institute of Commons and Economics", das jeweilige Sozialkapital von Staaten zu erfassen, jene Leistungen also, die in Nachbarschaft, Religion und Kultur unentgeltlich außerhalb der Familie erbracht werden sowie das Vertrauen, das innerhalb einer Volkswirtschaft herrscht.
Das "Basel Institute of Commons and Economics" plant vor diesem Hintergrund die Berechnung eines Social Capital Index, der durch empirische Umfragen den tertiären, nicht monetären Sektor (im Grunde eine Geschenkökonomie) erfasst. Ein ähnliches Projekt hat die "Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung" (OECD, Organisation for Economic Co-operation and Development) ohne Begründung eingestellt.
Drei Aspekte stehen bei der Bewertung von Sozialem Kapital im Vordergrund:
- Geschenke und Freiwilligenarbeit. Was bieten Menschen anderen Menschen außerhalb der Familie ohne Anspruch auf Gegenleistung an?
- Vertrauen. Wie stark vertrauen die Mitglieder von Gemeinschaften anderen innerhalb und außerhalb der Gemeinschaft?
- Lokale Wertschöpfung und Autarkie. Wie viele Dienste und Produkte können innerhalb einer Gemeinschaft selbst erbracht werden?
[Bildquelle: iStockPhoto]
Kommentare zu diesem Beitrag
In einer wirtschaftlichen Betrachtung stehen wir wahrscheinlich ganz weit vorne, in einer Bewertung der sozialen Verantwortung ganz hinten, insbesondere wenn man solche potenziellen Mörder wie die Kollegen des Münchener S-Bahn-Mordes, den Duisburger Bürgermeister und Landtagsabgeordneten Thomas Mahlberg im Land hat. Wobei letztere gerade fein auf Tauchstation gegangen sind....Solche Ergeignisse trüben dann ganz schnell die rein statistisch gute Lebensqualität eines Landes, oder?
Mich würde mal eine Übersicht interessieren, in der die unterschiedlichen alternativen Indices gegenübergestellt werden. So könnte man sehr schön die Unterschiede bzgl. Parameter, Gewichtung etc. erkennen.
1. Sweden
2. Austria
3. Switzerland
4. Finland
5. Norway
6. Ireland
7. Costa Rica
8. Japan
9. Canada
10. Netherlands
11. Germany
12. Australia
13. New Zealand
14. France
15. Slovenia
16. Denmark
17. Argentina
18. Chile
19. Malaysia
20. United Kingdom
21. Croatia
22. Slovakia
23. Portugal
24. Italy
25. Belgium
26. Lithuania
27. Hungary
28. Bhutan
29. Panama
30. Uruguay
31. Albania
32. Spain
33. United States of America
34. Tunisia
35. Latvia
36. Laos
37. Czech Republic
38. Bosnia & Hercegovina
39. Peru
40. Poland
Nach dem Index steht Deutschland auf Platz 11. Die USA demgegenüber schrumpfen als Wirtschaftsmacht zusammen und landen beim alternativen Index auf Platz 33.
Statistiken sind da um Aussagen zu bestätigen und werden deshalb auch so konstruiert - um eine Bestätigung der Aussage zu erhalten.
Ich erinnere an Internet, ipod, Computer, Smartphone, Mobilphone, Software etc. etc. etc. Alles erfunden und entwickelt von den "unzufriedenen, korrupten, umweltverschmutzenden..." Menschen auf der anderen Seite des Atlantik - dort wo diese Statistik gnadenlos zuschlägt.
Aber wir hier in Europa brauchen den oben aufgeführten "Schrott" tagtäglich und können schon nicht mehr leben ohne das Zeug und sind recht froh darüber, dass es existiert. Die Internetseite hier ist ein gutes Beispiel dafür. Und ganz ohne Zweifel, das Internet ist DIE grösste Errungenschaft des 20. Jahrhunderts.
So miserable kann es also in "den Ländern" die in dieser Statistik schlecht dastehen nicht sein.
Die Frage müsste doch jetzt lauten:"Warum sind all die glücklichen und zufriedenen Menschen auf dem alten Kontinent nicht kreativer als die unglücklichen US-Bürger? Warum kommt keine der grossen Errungenschaften der letzen 50 Jahre aus den glücklichen Regionen dieser Erde?"
Auf den" Social Capital Index" wäre ich sehr gespannt.