Spätestens in 2007/2008 ist offensichtlich geworden, dass Risikokonzentrationen in den Finanzinstituten noch nicht ausreichend berücksichtigt werden. Expliziten Handlungsbedarf signalisiert auch die Bankenaufsicht, zuletzt durch den MaRisk-Entwurf vom 9. Juli 2010. Die Integration von Risikokonzentrationen in die Prozesse des Risikomanagements- und -controllings ist wohl ein wesentlicher Meilenstein für den Ausbruch aus dem Denken in einzelnen Risikoarten-Silos. Auf diesem Weg sind jedoch noch einige Hürden zu überwinden. Dies wird nachfolgend am Beispiel der Bewertung von Risikokonzentrationen gezeigt.
Die Auseinandersetzung mit Risikokonzentrationen ist grundsätzlich nicht neu. Jeder Empfänger eines Risikoberichts kennt die einschlägigen Tortengrafiken, welche die Diversifikation eines Portfolios, beispielsweise auf Branchenebene, darstellen. Mit Investitionsquoten des Portfolios von "maximal zehn Prozent in Schwellenländern" werden nicht nur Anlageschwerpunkte festgelegt, sondern zugleich für diese Ländergruppe typische Länderrisiken begrenzt. Und mit dem Setzen eines Kontrahentenlimits wird auch ein klar nachvollziehbares Ziel verfolgt.
Management und Controlling von Risikokonzentrationen
Neu hingegen ist das Ausmaß, in dem in den Jahren 2007 bis 2009 Risikokonzentrationen weltweit schlagend wurden. Sie wurden offensichtlich unterschätzt. Das wiederum hat die Aufsicht dazu veranlasst, die Anforderungen an das Management und Controlling von Risikokonzentrationen auf eine neue Ebene zu heben. Nicht ganz unbeeinflusst vom CP31 des CEBS lassen sich schon dem Allgemeinen Teil des MaRisk-Entwurfs vom 9. Juli 2010 sehr explizite Anforderungen entnehmen: So sind neben Klumpenrisiken insbesondere Intra- und Inter-Risikokonzentrationen zu analysieren. Risikokonzentrationen müssen sowohl in der Risikotragfähigkeit als auch in der Risikostrategie berücksichtigt werden. Es wird eine adäquate Integration in die Risikosteuerungs- und -controllingprozesse gefordert. Und schließlich wird die große Bedeutung der Annahmen zu Konzentrationen und Diversifikationseffekten in Stresstests klargestellt.
Der künftige Umgang mit Risikokonzentrationen setzt folglich eine tiefgründigere Analyse und die Generierung von besser belastbaren Fakten voraus. Übersetzt in die Sprache des Risikocontrollers: Die Prozesse und Methoden der Identifizierung und Bewertung von Risikokonzentrationen als Grundlage für jegliche Steuerungsentscheidung müssen deutlich aufgewertet werden. Es geht auch hervor, dass eine rein qualitative Betrachtung nicht ausreicht.
Auf dem Weg dahin lohnt ein kleiner Schritt zurück, die Analyse des Konzepts der Risikokonzentration:
- Risikokonzentrationen sind nicht per se schädlich und zu vermeiden, sie werden vielmehr bewusst in Kauf genommen, um aus Informationsvorteilen, beispielsweise tiefen Einblicken in die Bonität von Kreditnehmern, eine Überrendite zu generieren.
- Sie lassen sich stets auf die Abhängigkeit von wenigen Risikofaktoren zurückführen. Deren Veränderungen bewirken potenziell sehr hohe Verluste, die ein Existenz gefährdendes Ausmaß erreichen können.
Die Veränderung der Risikofaktoren ist meist an besondere Ereignisse geknüpft, beispielsweise eine Krise. Dieser bedingte Charakter stellt hohe Anforderungen an die Qualität der Einschätzung des Geschäftsumfelds. - Es handelt sich nicht um eine neue Risikoart. Risikokonzentrationen lassen sich immer auf Marktpreis-, Adressausfall-, Liquiditäts-, operationelle und sonstige wesentliche Risiken zurückführen. Dies führt in der Praxis regelmäßig zu Abgrenzungsproblemen.
- Sie besitzen einen übergreifenden Charakter. Insbesondere der Begriff der Inter-Risikokonzentration verdeutlicht, dass ein Denken in traditionellen Risikoarten-Silos nicht mehr ausreicht.
Diese Eigenschaften im Ganzen verknüpft der Praktiker mit einem unangenehmen Begriff: Komplexität. Neben der ebenfalls zentralen Frage nach einer systematischen Identifizierung resultieren folgende offenen Punkte: Wie lassen sich Risikokonzentrationen adäquat messen und welche Ergebnistypen besitzen Relevanz für die Risikosteuerung?
Diese Fragen werden nachfolgend adressiert. Im Interesse einer einheitlichen Darstellung wird dabei unterstellt, dass die Bewertung von Risikokonzentrationen für ein Portfolio P, bestehend aus n nicht weiter zerlegbaren Elementen E1, …, En mit den Portfolioanteilen A1, …, An erfolgt. Anhand von Beispielen wird dieser allgemeine Ansatz auf verschiedene Anwendungsbereiche übertragen.
Ein Weg zur Handhabung der oben beschriebenen Komplexität besteht im Einsatz einer vereinfachenden Messmethode – mit dem Wissen, damit nicht alle Anforderungen an die Bewertung von Risikokonzentrationen abdecken zu können. Diesem Zweck dient eine Vielzahl von modellfreien Indikatoren. Die Vereinfachung wird meist durch die Beschränkung auf die Analyse der Granularität des Portfolios erreicht. Nachfolgend werden einfache Standard-Indikatoren, die Bestandteil jedes Risikoberichtswesens sind, betrachtet. Anschließend wird der Mehrwert weiterer modellfreier Indikatoren diskutiert.
Standard-Indikatoren: Exposure
Bestandteil nahezu jeder Überwachung von Konzentrationen ist der Ausweis absoluter Exposures. Die Kenntnis der größten Exposures gegenüber Einzel-Kreditnehmern oder auf aggregierter Ebene gegenüber Branchen, Ländern etc. verschafft einen groben Überblick über wesentliche Anfälligkeiten des Portfolios, mehr jedoch auch nicht. Da der ausgewiesene EUR-Betrag leicht nachvollziehbar ist, unterstützen Exposures gut bei der Kommunikation von Handlungsbedarf und der Entwicklung eines "Bauchgefühls" für das Risikoprofil.
Relative Konzentrationsmaße
Relative Konzentrationsmaße stellen stärker auf die Zusammensetzung des Gesamtportfolios ab. Ein typischer Vertreter ist die Concentration Ratio CRm, welche den kumulierten Portfolioanteil der m Elemente mit den größten Anteilen am Portfolio misst (vgl. Gleichung 1).
Gleichung 1: Definition der Concentration Ratio CRm
Die Concentration Ratio lässt sich leicht berechnen und interpretieren. Sie ist daher auch weit verbreitet. Besonders wichtig für die Kommunikation: die normierte Werteskala zwischen 0 % und100 %. Einfache Steuerungsansätze wie z. B. die Limitüberwachung lassen sich praktikabel unterstützen. Außerdem erlaubt die Concentration Ratio die Ableitung einer plausiblen Visualisierung: die Concentration Curve (auch Lorenzkurve, siehe Abbildung 1). Je weiter entfernt eine Kurve von der Gleichverteilungslinie entfernt ist, desto größer die Konzentration im Portfolio. Die Darstellung erlaubt einen anschaulichen Vergleich der Granularität mehrerer Portfolios.
Abbildung 1: Concentration Curve
Die Concentration Ratio besitzt gleichwohl einige Schwächen. Sie berücksichtigt explizit nur die m Schwergewichte im Portfolio. Es lässt sich zwar vertreten, dass diese für die Abbildung der Konzentration entscheidend sind. Die Auswahl eines geeigneten m erfolgt jedoch in der Regel subjektiv. Nach Veränderungen der Portfoliostruktur, beispielsweise einer signifikanten Änderung der Anzahl der Elemente im Portfolio, kann sich das "optimale" m außerdem ändern. Wird dies berücksichtigt, resultiert im Zeitablauf wenig Kontinuität in der Darstellung im Reporting. Auch die Concentration Curve ist für die fortlaufende Risikosteuerung wenig zu gebrauchen: Sofern sich die Zusammensetzung eines Portfolios nicht wesentlich verändert, vermag nur ein geschärftes Adlerauge Veränderungen in der Kurve wahrzunehmen und zu interpretieren.
Abbildung 1 visualisiert überdies ein grundlegendes Problem der einfachen Indikatoren. Durch den einseitigen Fokus auf die Granularität des Portfolios wird bei gegebener Anzahl von Elementen n regelmäßig das Portfolio mit den Gewichten (1/n; 1/n; …, 1/n) als optimal diversifiziert definiert. Dies kann zu bizarren Signalen führen, die nicht zu einer konsistenten Risikosteuerung beitragen: Ein Investmentportfolio besteht aus vier Staatsanleihen und einer beigemischten Option. Eine wie oben definierte optimale Diversifikation würde somit die Portfoliogewichte (20%; …; 20%) implizieren. Eine solche Allokation würde den Investor – und sicher auch den Portfoliomanager – entschieden nervös machen.
Die Concentration Ratio ist eng mit einer Reihe anderer Konzentrationsindikatoren verwandt (beispielsweise Linda-Index, Gini-Koeffizient), die jedoch in der Regel für spezielle Problemstellungen konstruiert sind oder keinen nennenswerten zusätzlichen Mehrwert bieten. Der aus der Universitätswelt einschlägig bekannte Gini-Koeffizient sorgt sogar eher für Verwirrung. Es ist leicht zu zeigen, dass die Kennzahl mitunter eine höhere Konzentration anzeigt, wenn ein Portfolio um ein neues Element mit geringem Gewicht ergänzt wird. Dies ist nicht intuitiv. [...]
Download des kompletten Artikels hier:
Autoren:
Aneta Brzozowska, Consultant, Dr. Peter & Company AG
Peter Stübner, Senior Manager, Dr. Peter & Company AG
[Quelle: Brzozowska, Aneta/Stübner, Peter: Bewertung von Risikokonzentrationen – mehr als nur neue Kennzahlen, in: RISIKO MANAGER, Ausgabe 17/2010, S. 1, 8-16; Bildquelle oben: iStockPhoto]
Kommentare zu diesem Beitrag
Und seien wir doch ehrlich: Weder eine IKB noch eine Sachsen LB hätten ihre massiven Risikokonzentrationen reduziert, wenn auch irgendein Modell Ihnen gesagt hätte, dass dort eine Kumulierung von Risiken existiert. Ganz davon abgesehen, dass man die Konzentrationen auch ohne komplizierte Modelle gesehen hätte. Dafür genügt ausgeprägtes Praktiker-Banken-Know-how und "gesunder Menschenverstand". Und exakt dort liegt der Hase begraben ...