Das konjunkturelle "W"

Blow-out oder Eskalation der Finanzkrise


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Vorsicht, wenn alle der gleichen Meinung sind. Lange Zeit glaubten die Märkte bei der Konjunktur fast unisono an das Japan-Szenario, also dass es nach der Krise Stagnation gibt. Das erwies sich als falsch. Im zweiten Quartal ging es mit der Weltwirtschaft wieder nach oben. Jetzt erwarten die meisten, dass das nur ein kurzes Aufflackern ist und dass das Wirtschaftswachstum spätestens Anfang nächsten Jahres wieder in sich zusammenfallen könnte. Das ist das berühmte konjunkturelle "W". Auch ich halte es nach wie vor für den wahrscheinlichsten Fall. Aber je mehr Leute daran glauben, umso dringlicher stellt sich die Frage, ob es nicht wiederum anders kommen könnte.

Zwei Alternativen sind denkbar. Die eine ist die erneute Eskalation der Finanzkrise, etwa ein neuer Lehmann- Fall, und ein Rückfall in die Rezession. Das können sich viele vorstellen. Der Präsident des Münchner ifo-Instituts, Hans-Werner Sinn, fordert für Deutschland bereits weitere staatliche Beteiligungen an den Banken und ein neues Konjunkturpaket. Die andere Alternative ist, dass sich die Weltwirtschaft besser als erwartet entwickelt. Also ein Ausbruch nach oben. Ein "Blow-out" wie es Joachim Fels, der Leiter von Global Economics bei Morgan Stanley, vor kurzem nannte. Das geht heute immer noch vielen gegen den Strich.

Schauen wir uns diesen Fall deshalb etwas näher an. Passieren kann er, wenn die private Nachfrage, also Konsum und Investitionen, anspringen, bevor die staatlichen Ankurbelungsmaßnahmen und die monetäre Lockerung auslaufen. Dann würde die Konjunktur gleichzeitig von zwei Motoren getrieben, von der privaten Nachfrage und von der öffentlichen Hand. Das ist einer zu viel. Auf den ersten Blick mutet so etwas unwahrscheinlich an. Der Eindruck täuscht aber. Die Philosophie des "deficit spending" beruht darauf, dass die private Nachfrage genau zu dem Zeitpunkt anspringt, zu dem die öffentlichen Programme auslaufen. Es wäre jedoch reiner Zufall, wenn das zeitlich wirklich so exakt zusammenfällt. Plausibler ist, dass die private Nachfrage sich entweder früher belebt – dann kommt es zu einer über Erwarten guten Konjunktur. Oder dass es später passiert, dann sackt die Konjunktur vorübergehend ab. Es besteht dann freilich die Gefahr, dass das "deficit spending" ganz verpufft. Die Regierungen werden daher alles tun, dass dieser zweite Fall nicht eintritt. Lieber etwas mehr staatliche Ankurbelungen als zu wenig. Das erklärt die riesigen Summen, mit denen derzeit beinahe rund um den Globus alles getan wird, um die Wirtschaft in Gang zu bringen.

Wir sollten uns daher nicht wundern, wenn das Erfolg hat. In China sieht es so aus, als sei das schon der Fall. Auch am Aktienmarkt hat man in letzter Zeit manchmal den Eindruck, als setze er nicht auf das "W", sondern eher auf eine bessere Konjunktur. Was freilich dagegen spricht ist die anhaltende Finanzkrise. Sie führt dazu, dass es trotz überschäumender Liquidität an Kredit fehlt.

Wenn die Konjunktur besser laufen sollte, würde das gesamtwirtschaftliche Wachstum nicht nur in diesem Jahr günstiger ausfallen, sondern auch im nächsten. Derzeit erwarten die meisten, dass das reale Bruttoinlandsprodukt zum Beispiel in Deutschland 2009 um rund fünf Prozent zurückgeht. Wenn sich aber der Umschwung, den es vom ersten zum zweiten Quartal gegeben hat, auch nur ansatzweise fortsetzen würde, dann wäre der Rückgang nur noch halb so groß (drei Prozent). So etwas hätte man sich bisher nicht vorstellen können. Für das nächste Jahr ergäbe sich unter solchen Umständen nicht nur ein Wachstum von ein bis zwei Prozent, wie es die Mehrheit erwartet. Bei einer Konjunktur mit zwei Motoren könnte die Expansion sogar drei oder vier Prozent betragen.

Das könnte dann so aussehen, als wäre aller Wachstumspessimismus verflogen, der heute überall zu hören ist. Freilich ist zu bedenken, dass eine solche Situation nicht ewig dauert. Denn früher oder später läuft die Wirkung der staatlichen Maßnahmen aus. Die Realität langsameren Wachstums holt die Wirtschaft dann spätestens 2011 ein. Es könnte sein, dass es dann auch zu einem "W"-förmigen Konjunkturverlauf kommt. Nur tritt der zweite Abstrich des "W" eben etwas später ein.

Insgesamt wäre ein besserer Verlauf der Konjunktur natürlich zu begrüßen. Die Arbeitslosigkeit würde nicht so stark ansteigen. Die Kapazitäten der Unternehmen würden wieder besser ausgelastet. Die Unternehmenserträge wären höher. Auch die Staatsverschuldung würde nicht so stark in die Höhe gehen. Hier helfen die automatischen Stabilisatoren. Bei einer besseren Konjunktur steigen die Steuereinnahmen und es sinken die Ausgaben etwa für die Arbeitslosenversicherung. Die Konsolidierungsnotwendigkeiten bleiben natürlich bestehen, sie wären aber nicht so groß.

Negativ wären die Auswirkungen auf die Rohstoffpreise. Hier lauern die größten Gefahren. Der Ölpreis könnte leicht wieder von derzeit 70 auf 100 Dollar je Barrel hochschnellen mit entsprechenden Folgen für die Verbraucherpreise. Die Geldentwertung in Europa könnte schon im Verlauf des Jahres 2010 auf über zwei Prozent steigen. Natürlich müsste die Politik – wenn das erkennbar wird  – schneller umschalten. Hier sind vor allem die Notenbanken gefragt. Sie müssten rasch die Liquidität einsammeln und die Zinsen erhöhen. Sie bräuchte keine Angst mehr zu haben, die Konjunktur abzuwürgen. Freilich müsste sie immer noch Rücksicht nehmen auf die labile Lage der Bankbilanzen. Ob der Staat die schon in Gang gesetzten Ankurbelungsprogramme wieder stoppen kann, ist fraglich.

Insgesamt wäre die Welt in einem solchen Szenario in der Krise noch einmal mit einem blauen Auge davongekommen. Der Ausstieg aus der Rezession wäre schneller, aber er wäre nicht grundlegend anders. Was wir zum Beispiel bei der Inflation für 2010/2011 erwarten, käme schon 2009/2010.

Autor: Dr. Martin W. Hüfner, Chief Economist, Assenagon Asset Management S.A.



[Bildquelle: iStockPhoto]

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