Anwendung von Ratingkriterien in der Finanzkrise

Bonitätsbewertung von Versicherungsunternehmen


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In den vergangenen Monaten ist offensichtlich geworden, dass die deutschen Versicherer bisher relativ gut durch die Finanz- und Wirtschaftskrise gekommen sind. Dies fällt besonders im Vergleich zu den Banken auf und liegt hauptsächlich in den aufsichtsrechtlichen Eigenheiten der Versicherer und ihrer spezifischen Geschäftsmodelle begründet. So sind die Kapitalanlagen in der Regel sehr konservativ investiert und Liquiditätsrisiken spielen eine untergeordnete Rolle.

Traten bisher noch keine existentiellen Probleme in der Assekuranz auf, so sind Versicherer dennoch als große institutionelle Investoren am Kapitalmarkt in erheblichem Ausmaß von der Krise betroffen. Dies hat sich bei der Veröffentlichung der Abschlüsse des Jahres 2008 gezeigt. Weltweit sind viele Gesellschaften aufgrund der deutlichen Marktwertverluste ihrer Kapitalanlagen unter Druck geraten. Zusätzlich weisen viele Versicherer eine reduzierte finanzielle Flexibilität auf, da der Kapitalmarkt derzeit nicht oder nur zu deutlich höheren Risikoaufschlägen zugänglich ist. Darüber hinaus sind bestimmte Produkte, wie zum Beispiel Variable Annuity-Policen amerikanischer Lebensversicherer, in starkem Ausmaß gegenüber Kapitalmärkten exponiert. Dies hat bei Versicherern zu deutlich höheren Reservierungen und Änderungen bei Produktbedingungen geführt. Die Anpassungen können sowohl die Wettbewerbsposition als auch die Ertragslage einzelner Gesellschaften deutlich beeinflussen.

Ratingkriterien für Versicherungsunternehmen

Um der Vehemenz der Verwerfungen an den Kapitalmärkten gerecht zu werden, hat Fitch im Februar dieses Jahres einen Kriterienreport veröffentlicht, der den gegenwärtigen internationalen Versicherungsanalyseansatz beleuchtet [Vgl. Fitch 2009]. Die Agentur hat dabei die für die Beurteilung der Finanzstärke zugrunde liegenden Kriterien nicht geändert. Sie hat lediglich den Fokus und die Gewichtung der wesentlichen Analyseaspekte angepasst. Dadurch soll eine stärkere Berücksichtigung von Kriterien sichergestellt werden, welche die Kreditqualität eines Versicherers im gegenwärtigen Umfeld besonders beeinflussen. Dazu gehören die folgenden Bereiche:

  • Verlustschätzungen: Um den Einfluss von Marktwertschwankungen bei festverzinslichen Wertpapieren auf pro forma Kapitalkennzahlen zu berücksichtigen, werden Verlustschätzungen durchgeführt. Eine wesentliche analytische Herausforderung ist hierbei die Beurteilung, welcher Anteil der unrealisierten Bewertungsveränderungen kurzfristigen Ausweitungen von Credit Spreads zuzuordnen ist und welcher Anteil dauerhaft ist. Ferner ist es wichtig, den Anteil an den Bewertungsänderungen zu approximieren, der durch den Rückgang des risikolosen Zinsniveaus verursacht wurde.
  • Szenarioanalysen: Um zwischenzeitliche Marktwertrückgänge bei Aktieninvestitionen zu berücksichtigen, erfolgt eine Anwendung deterministischer Szenarioanalysen. Hierbei findet der bisherige Wertverlust Berücksichtigung, der als Differenz zwischen Höchstwert und darauf folgendem Tiefstwert bedeutender Aktienindizes berechnet wird ("Peak to Through").
  • Fremdverschuldungskennzahlen: Zur Verbesserung der risikobasierten Kapitalanalyse, sind Fremdverschuldungskennzahlen stärker zu berücksichtigen. Hierzu wird die risikobasierte Modellierung mit Fremdverschuldungsanalysen zunehmend erweitert.
  • Goodwill Impairments: Der Fokus auf Markenwert und Ertragslage vor dem Hintergrund von sogenannten "Goodwill Impairments", die bei einer verschlechterten Ertragslage zuvor akquirierter Töchterunternehmen notwendig werden können, wird verstärkt. Hinzu kommt die Frage, wie die Marktstellung einer Gesellschaft von den jüngsten Entwicklungen beeinträchtigt werden könnte. Dem liegt die Beobachtung zugrunde, dass in vergangenen Krisen Unternehmensleitungen oftmals der Führung des operativen Geschäfts nicht genügend Bedeutung beigemessen haben.
  • Diversifikationseffekte: Die Beurteilung von Diversifikationseffekten einhergehend mit kritischerer Beurteilung von Komplexität und Intransparenz einer Organisation erfolgt vorsichtiger. So haben in jüngster Zeit einige spektakuläre Fälle deutlich aufgezeigt, dass die unterstellten Diversifikationseffekte in Krisenzeiten ausgeblieben sind. Ferner ist deutlich geworden, dass die Nachteile aus einer übergroßen Komplexität einer Organisation die Diversifikationsvorteile überwiegen können.
  • Staatliche Unterstützung: In Einzelfällen erfolgt die explizite Berücksichtigung von tatsächlicher oder potenzieller staatlicher Unterstützung.
  • Gruppenratings und Notching: Die Anwendung der Kriterien für Gruppenratings und das so genannte "Notching" (also der Abweichung der Ratingnote einer Einzelgesellschaft vom Gruppenrating) wird vorsichtiger gehandhabt. Entsprechende Kriterien erläutern, wie Ratings innerhalb einer Gruppe zueinander stehen. Einige der zuvor getroffenen Annahmen werden kritisch überprüft, falls Anhaltspunkte bestehen, dass sie in einem volatileren Umfeld keinen Bestand mehr haben.
  • Liquiditätsaspekte: Liquiditätsaspekte finden vor dem Hintergrund eines verringerten Zugangs zum Kapitalmarkt stärkere Beachtung. Dabei werden unter anderem die Liquiditätsauswirkungen  anstehender Fälligkeiten und Prolongationen, ausstehender Bankverbindlichkeiten oder bestehender Rating Trigger im Zusammenhang mit Rückversicherungssicherheiten oder Derivatepositionen untersucht.
  • Idiosynkratische Risiken: Verschiedene so genannte "idiosynkratische Risiken" werden bei der Analyse stärker beachtet. Hierbei handelt es sich um einzigartige oder ungewöhnliche Risiken für den jeweiligen Versicherer. Solche Risiken wurden in der Vergangenheit oftmals als weniger bedeutend eingestuft und erhielten folglich in der Analyse eine geringere Gewichtung. Beispiele sind Risiken aus versicherungsfremden Geschäften wie Kapitalmarktgeschäfte (beispielsweise der CDS-Handel, oder Strukturierte Produkte), Finanzgarantiegeschäfte, Hypothekengeschäfte, Bankgeschäfte oder Asset Management. Beispiele für ungewöhnliche Produkte oder Bedingungen sind ungewöhnlich hohe Garantien in Variable-Annuity-Produkten oder auch wesentliche Risiken aus "Errors & Omissions"- oder "Directors & Oofficers"-Liability-Produkten.
  • Gegenmaßnahmen: Ein weiterer wichtiger Analyseaspekt stellen Maßnahmen dar, die der Unternehmensführung zur Verfügung stehen, um auf die Herausforderungen extremer Marktwertschwankungen zu reagieren. Hierbei werden auch Absicherungsmaßnahmen gegen Wertverluste des Anlageportfolios analysiert. Effektive Instrumente zur Vermeidung oder Milderung von Risiken werden dabei als Zeichen einer starken Unternehmensführung beatrachtet.

 

Von den aufgezeigten Punkten sind einige für die deutschen Versicherer von untergeordneter Bedeutung. So spielen beispielsweise Liquiditäts- und idiosynkratische Risiken für die hiesige Assekuranz aufgrund des Verbots versicherungsfremder Geschäfte keine große Rolle. Darüber hinaus ist der Fremdverschuldungsgrad mit Ausnahme weniger kapitalmarktorientierter Unternehmen unbedeutend oder beträgt sogar Null. Die aufgezeigten Beispiele verdeutlichen, weshalb die deutsche Assekuranz trotz schwacher Kapitalanlageergebnisse insgesamt weniger stark von der Krise betroffen ist als Versicherer in anderen Ländern.

Fazit

Fitch vergibt derzeit an 26 Lebensversicherer im deutschen Markt ein Rating. Die Entwicklung dieser Ratings war bisher sehr robust und Herabstufungen lagen bei durchgängig hohen Ratingniveaus lediglich im Bereich von ein bis zwei Feinabstufungen. Im März 2009 hat die Agentur den negativen Ausblick für die Branche bestätigt. Somit geht Fitch davon aus, dass es in den nächsten zwölf bis 18 Monaten weiterhin zu mehr Ratingherab- als -heraufstufungen kommen wird. Die Zahl der Bestätigungen sollte dabei aber insgesamt überwiegen.


Quellenverzeichnis:

Fitch Ratings (Hrsg.) (2009): Insurance Ratings Criteria – Application in a Stressful Environment, London 2009, elektronisch veröffentlicht unter www.fitchratings.com heruntergeladen werden.


Autoren:

Tim Ockenga ist Senior Director und Teamleiter deutsche Versicherungen bei Fitch Ratings in in Frankfurt/Main.

Axel Großpietsch ist Associate Director bei Fitch Ratings in in Frankfurt/Main.



[Bildquelle: iStockPhoto]

Kommentare zu diesem Beitrag

Thomas /12.08.2009 15:27
Eine aktuelle Studie - veröffentlicht von KPMG - ist zu dem Ergebnis gekommen, dass die Mehrzahl der Versicherer rund um den Globus ihre Geschäftsaussichten für die kommenden zwölf Monate - trotz Finanzkrise - vorsichtig optimistisch beurteilen.

Die Auswirkungen der Finanzkrise machen sich auch dadurch bemerkbar, dass die Versicherungsunternehmen dem Risikomanagement heutzutage deutlich mehr Aufmerksamkeit widmen als noch vor Jahresfrist. Während sich vor einem Jahr das Management nur in jedem fünften Unternehmen (19 Prozent) mindestens ein Drittel seiner Zeit mit Risikomanagement-Fragen beschäftigte, sind es heute schon 56 Prozent - also drei Mal so viele. Fast ebenso wichtig sind vielen die Kapitalanlagen des eigenen Hauses: Die Hälfte der Versicherer verwendet mindestens ein weiteres Drittel ihrer Zeit darauf, diese zu managen - doppelt so viele wie noch vor einem Jahr.

Der Einfluss von Regulierern bzw. Regierungen auf Risk Management-Regeln und ihre Anwendung ist enorm gestiegen: 65 Prozent bzw. 32 Prozent der Befragten nennen diese die derzeit wichtigsten Faktoren. Ratingagenturen haben dagegen an Bedeutung verlieren; ihr Einfluss hat sich praktisch halbiert auf nur noch 14 Prozent.

Über 80 Prozent der Versicherer bezeichnen derzeitige und zukünftige regulatorische Anforderungen als wichtigste Einflussfaktoren bezüglich des Kapitalbedarfs, noch vor internen betrieblichen Erfordernissen, Bonität, Markt-(Aktionärs-)Erwartungen und Aktienkursen.

[Vgl. A Glimmer of Hope: Growth prospects in the global insurance industry and the escalation of risk and capital management" - Umfrage von KPMG und Economist Intelligence Unit, Download unter: http://www.kpmg.de/docs/20090601_Glimmer_of_Hope.pdf]
Donald Duck /12.08.2009 17:08
Liegt das wirklich eher in den aufsichtsrechtlichen Eigenheiten der Versicherer und ihrer spezifischen Geschäftsmodellen begründet oder eher in der eher konservativen Ausrichtung der Versicherungswirtschaft? Der geringe Innovationsgrad der Versicherer hat sie diesmal vor größeren Verlusten geschützt ...
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