In der letzten Woche bekam ich eine interessante Mail. Könnte es nicht sein, so schrieb mein Kollege Christian Kreuser, dass die Märkte und die Politik mit ihrer Forderung nach mehr Investitionen auf dem Holzweg sind? Natürlich brauchen wir mehr Investitionen, um die Wachstumsschwäche zu überwinden. Aber: Investitionen schaffen neue Kapazitäten. Damit wird mehr produziert. Das erhöht den Angebotsdruck auf den Märkten. Die Preise gehen zurück. Am Ende landen wir bei Deflation, die niemand haben möchte. Mit zusätzlichen Investitionen wird also letztlich der Teufel mit dem Beelzebub ausgetrieben.
Das ist ein wichtiges Argument. Wenn es richtig ist, wird damit die ganze wirtschaftspolitische Philosophie aus den Angeln gehoben. Denn im Mittelpunkt aller Überlegungen zur Überwindung der Wachstumsschwäche stehen derzeit in der Tat die Investitionen. Viel mehr haben wir nicht in der Tasche.
Strukturreformen sind immer schwierig und schmerzlich. Staatliches "Deficit Spending" ist angesichts der hohen aufgelaufenen Verschuldung zahnlos geworden. Die Geldpolitik ist durch die viele Liquidität an ihre Grenzen gekommen. Wenn man jetzt nicht einmal mehr die Investitionen erhöhen darf, dann haben wir wenig Chancen, aus dem Dilemma herauszukommen.
Glücklicherweise ist das Argument aber nicht richtig. Der Grundfehler ist: Investitionen haben immer einen doppelten Effekt. Sie erhöhen nicht nur das Angebot, indem sie neue Kapazitäten schaffen. Sie vergrößern auch die Nachfrage. Das Unternehmen muss die zusätzlichen Maschinen und Ausrüstungen kaufen, die es in der Produktion zur Herstellung neuer Güter einsetzen will. Bei der Beurteilung der Folgen von Investitionen muss man daher immer beide Effekte im Kopf haben und sie gegeneinander abwägen.
Aus Makrosicht ist der Nachfrageeffekt insgesamt sogar der wichtigere. Zum einen tritt er zeitlich früher auf. Das Unternehmen muss die Maschine erst erwerben, bevor es damit arbeiten kann. Vor dem deflationären Effekt durch mehr Kapazitäten kommt also der inflationäre Effekt durch mehr Nachfrage.
Struktur der Investitionen [Quelle: ifo]
Zum Zweiten ist der Nachfrageeffekt pro Periode größer als der Angebotseffekt. Wenn eine Maschine EUR 100.000 kostet, wird sie nicht gleich im Jahr der Anschaffung Güter in Höhe von EUR 100.000 produzieren. Was sie tatsächlich bringt, hängt von den Gegebenheiten in den einzelnen Unternehmen, Branchen und Volkswirtschaften ab. Die Volkswirte messen das mit dem Kapitalkoeffizienten (Relation des Kapitalbestandes zum Bruttoinlandsprodukt). Nimmt man einen Kapitalkoeffizienten in der Größenordnung von 3 an – was für europäische Industrieländer nicht ganz unrealistisch sein dürfte – so ergibt sich: Der Angebotseffekt ist gesamtwirtschaftlich nur ein Drittel so hoch wie der Nachfrageeffekt.
Zum Dritten: Jede Investition hat zwar einen Nachfrageeffekt, aber nicht alle haben einen Angebotseffekt. In Deutschland entfallen nach dem Investitionstest des ifo-Instituts von den gesamten Investitionen rund ein Viertel (27 Prozent) auf Ersatzbeschaffung. Sie haben keine oder nur eine geringe Bedeutung für die Kapazitäten. 9 Prozent aller Investitionen sind Rationalisierungsmaßnahmen. Hier geht es im Wesentlichen darum, effizienter und kostengünstiger zu produzieren, nicht mehr Güter auf den Markt zu bringen.
Nur etwas weniger als zwei Drittel aller Investitionen (64 Prozent) dienen der Erweiterung. Aber auch hier muss man unterscheiden. Nur bei einem geringen Teil wird einfach mehr produziert. In der Mehrzahl der Fälle handelt es sich um Maßnahmen zur Änderung und Ausweitung des Produktionsprogramms. Ein Automobilunternehmen baut ein neues Werk, um ein neues Modell auf den Markt zu bringen. In der Regel läuft dann früher oder später ein altes Modell aus. Das heißt, an anderer Stelle werden Kapazitäten abgebaut.
Ein wichtiger Teil der Investitionen, die vor allem in den europäischen Volkswirtschaften gebraucht werden, entfällt im Übrigen auf Infrastrukturmaßnahmen. Es müssen etwa Straßen, Brücken oder Häfen instand gesetzt werden. Das hat normalerweise überhaupt keinen direkten Angebotseffekt.
Schließlich noch etwas ganz Faktisches. In Deutschland existiert das Problem nicht, dass durch Investitionen Deflation geschaffen werden könnte. Hier gibt es keine sinkenden Preise. Die Geldentwertung beträgt immer noch 0,9 Prozent. Es gibt auch nicht zu viel Produktionskapazitäten, die auf die Preise drücken. Vielmehr entspricht die gesamtwirtschaftliche Nachfrage in etwa dem Produktionspotenzial.
In den südeuropäischen Ländern wie Italien, Spanien oder Griechenland, wo die Preise tatsächlich zurückgehen, sieht das etwas anders aus. Dort gibt es in der Tat vielfach zu hohe Kapazitäten. Sie sind aber nicht dadurch entstanden, dass zu viel investiert wurde. Entscheidend ist vielmehr, dass die Nachfrage bewusst zurückgeführt wurde, um die öffentlichen Defizite zu verringern, die Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen und die Länder wieder auf einen soliden Wachstumspfad zurückzuführen. Mit zu viel Investitionen hat das also nichts zu tun.
Autor:
Dr. Martin W. Hüfner, Chief Economist, Assenagon Asset Management S.A.