Interview mit Prof. Dr. Leonhard Knoll, Universität Würzburg

CAPM und Unternehmensbewertung


Interview mit Prof. Dr. Leonhard Knoll, Universität Würzburg: CAPM und Unternehmensbewertung Interview

Der Wert eines Unternehmens wird im Wesentlichen durch die zukünftigen Chancen und Risiken determiniert. Ein Blick in die Praxis der Unternehmensbewertung zeigt jedoch, dass eine fundierte Risiko- und Chancenanalyse aus Sicht des CAPM nicht erforderlich ist, weil einfach der Betafaktor als Risikomaß genutzt wird. Basierend auf der Hypothese des CAPM werden nur die im Betafaktor ausgedrückten systematischen Risiken als bewertungsrelevant betrachtet. Zudem werden die Konsequenzen von systematischen – und auch den nicht diversifizierten unsystematischen – Risiken für die Insolvenzwahrscheinlichkeit und damit den Terminal Value ignoriert. Gerade diese Risiken bewirken, dass Unternehmen nicht "ewig" existieren. Die Möglichkeit der Insolvenz, der den Zahlungsstrom für die Eigentümer beendet, verdeutlicht – ebenso wie indirekte Konkurskosten – auch die Bewertungsrelevanz unsystematischer Risiken und zeigt die durch den praktischen Umgang mit dem CAPM ausgelösten Gefahr, diese im Rahmen der Analyse zu vernachlässigen. Schließlich ist auch zu fragen, ob die aus historischen Daten abgeleiteten Betafaktoren wenigstens die systematischen Risiken adäquat erfassen.

Der Wert eines Unternehmens wird im Wesentlichen durch die zukünftigen Chancen und Risiken bestimmt. Ein Blick in die Welt der Unternehmensbewertung zeigt jedoch, dass beispielsweise Risiko auf eine einzige Größe, den Beta-Faktor, reduziert wird. Wird damit die Komplexität der Bewertung von Unternehmen nicht massiv trivialisiert?

Leonhard Knoll: Bei der Unternehmensbewertung geht es immer um Komplexitätsreduktion und jedes Modell ist ein vereinfachtes Abbild der Realität. Es geht also letztlich durchweg um die Frage, ob die getroffenen Vereinfachungen im Hinblick auf das verfolgte Ziel angemessen sind.

Der Beta-Faktor, der übrigens nicht allein, sondern zusammen mit der Marktrisikoprämie die Risikoberücksichtigung prägt, ist das erfreulich einfache Ergebnis einer durchaus nicht trivialen (nobelpreisgekürten!) Modellierung. Kritik kann sich deshalb bei börsennotierten Unternehmen mit diversifizierten Aktionären nicht an dem einfachen Vorgehen der Risikoberücksichtigung aufhängen, schon gar nicht, wenn die Unsicherheit in der Unternehmensbewertung ansonsten noch stiefmütterlicher behandelt wird: Man denke nur an die Schätzung zukünftiger Zahlungsüberschüsse, die eigentlich Erwartungswerte darstellen soll, in der Praxis aber allenfalls Modalwerte, oft sogar eher "Bauchwerte" widergibt. Wenn man "Trivialisierung" in der Unternehmensbewertung bekämpfen will, sollte man also nicht beim Beta-Faktor beginnen.

Die in der Unternehmensbewertung etablierten Methoden basieren im Wesentlichen auf Theorien, die von vollkommenen Kapitalmärkten ausgehen. Hier sei beispielsweise auf das Capital-Asset-Pricing-Modell (CAPM) verwiesen. Nun wissen wir aber seit langer Zeit, dass Kapitalmärkte alles andere als effizient sind. Erfordert ein Verzicht auf die Fiktion vollkommener Märkte nicht die konsequente Berücksichtigung private und individueller Präferenzen (beispielsweise über Risiken)?

Leonhard Knoll: Was passiert, wenn Märkte nicht vollkommen sind, hängt von der Art der Unvollkommenheit ab. Für eine Berücksichtigung entsprechender Restriktionen gibt es beispielsweise das allgemeine Zustands-Grenzpreismodell, das in Deutschland unter anderem von Hering propagiert wird. Hier wie auch bei anderen Ansätzen wird jedoch schnell deutlich, welchen Preis man für die umfassende Betrachtung zahlen muss: Die Erfüllung erheblicher Informationsbedürfnisse und die Abwägung unterschiedlicher individueller Vorgaben, wenn mehr als eine Person im Spiel ist.

Am Kapitalmarkt und in der Wissenschaft dominiert aus verschiedenen Gründen die Akzeptanz einer idealisierenden Modellierung gegenüber realitätsnäheren Berechnungsprogrammen und -algorithmen, die grundsätzlich beliebig viele Abweichungen gegenüber vollkommenen Märkten und der Handelbarkeit von Eigenschaften über Gleichgewichtspreise zulassen, aber die skizzierten Schwächen aufweisen.

In der Praxis wird häufig das Beta einer Peer Group verwendet, obwohl gezeigt werden kann, dass gleiche oder ähnliche Betas kapitalstrukturbereinigt nicht auf das gleiche "operative Risiko" zurückgeführt werden können. Warum werden trotz dieser Schwächen Peer-Group-Betas verwendet?

Leonhard Knoll: Im Gegensatz zur Kapitalstrukturbetrachtung à la Modigliani/Miller hat die Berücksichtigung des so genannten "operativen Hebels", dessen Wurzeln in der Kostenrechnung liegen, für die Kapitalmarkt- und Bewertungstheorie eher ein Nischendasein geführt. Außerdem ist die Informationslage für den Einzelfall in der Praxis dramatisch schlechter: Bei allen zugestandenen Problemen ist die Kapitalstrukturbereinigung in Zeiten moderner Datenbanken ein "Kindergeburtstag" verglichen mit dem Aufwand, der für eine verlässliche Ermittlung der Kostenstruktur nötig ist.

Noch einfacher und besser wäre natürlich die Verwendung des eigenen Betas des Bewertungsobjekts, aber da resultieren oft unerwünscht niedrige Werte, so dass händeringend nach (Pseudo-)Argumenten gesucht wird, um auf höhere Surrogatwerte auszuweichen.

Was sind aus Ihrer Sicht weitere Schwächen bei der Verwendung von Peer-Group-Betas oder Beta-Surrogaten?

Leonhard Knoll: Zunächst einmal die Umkehrung der Modelllogik: Unternehmen sind gemäß dem CAPM (näherungsweise) gleich, wenn sie ein (näherungsweise) gleiches Beta aufweisen. Das Modell lässt die Basis dieser rein stochastisch formulierten Vergleichbarkeit offen – wenn ein Internetbuchhändler das gleiche Beta wie ein Stahlproduzent aufweist, sind die beiden aus Anlegersicht perfekte Substitute. Eine Surrogatsverwendung unterstellt nun eine Gleichheit aufgrund anderweitiger Überlegungen und weist einem Unternehmen auf dieser Basis ein fremdes Beta zu.

Dies wäre im Ergebnis so lange unschädlich, wie die zumeist herangezogenen Kriterien, insbesondere die Branchenzugehörigkeit, tatsächlich eine gute Treffsicherheit für das Beta eines Bewertungsobjekts erwarten ließe. 2013 habe ich zusammen mit K. Zeugner und R. Göb [siehe Zeugner, K./Göb, R./Knoll, L.: Branchenindex und systematisches Risiko, in: ZBB - Zeitschrift für Bankrecht und Bankwirtschaft, 25. Jg. (2013) H. 1, S. 39-60] eine Untersuchung für deutsche Branchenindizes veröffentlicht, deren Ergebnisse hinsichtlich solcher Erwartungen aber überaus ernüchternd waren.
Bislang blieb dies folgenlos, denn ein Bewerter, der einen teuren Zugang zu einer Unternehmensdatenbank abonniert hat, mit der er bequem ein Peer-Group-Beta bestimmen kann, wird weder eigenständig zu berechnende methodische Alternativen in Erwägung ziehen noch das eigene Beta des Bewertungsobjekts, dessen oft geringer Wert ihm oder/und dem Mandanten wie erwähnt überhaupt nicht gefällt.

Ist es plausibel, dass gemäß CAPM für die Berechnung der erwarteten Rendite und damit des Beta-Faktors nur systematische Risiken erfasst werden? Diese werden zudem auf historischen Kursentwicklungen an der Börse abgeleitet. Dies unterstellt, dass der Kapitalmarkt über die Risikosituation eines Unternehmens mindestens so gut informiert ist wie das Unternehmen selbst.

Leonhard Knoll: Diese Überlegung liegt natürlich auf der Hand, führt aber wieder zur Frage der idealisierten Modellierung zurück. Auch mit Verweis auf die entsprechenden Antworten auf die zweite Frage oben, halte ich es für das kleinste Übel, dem CAPM bei börsennotierten Gesellschaften zu folgen, wenn man den Wert für einen diversifizierten Streubesitzaktionär ermitteln möchte. Wenn man indessen über nicht diversifizierte Anteilseigner bei nicht börsennotierten KMU redet, erachte ich eher ein anderes Vorgehen als angemessen [siehe Knoll, L.: KMU-Bewertung: Kapitalmarktorientierte Risikoberücksichtigung ohne Börsennotiz und Diversifikation?, in: RWZ 2010, S. 365-371]. Dann sollte man sich aber auch offen zu einem heuristischen Vorgehen bekennen und nicht "Modelle" proklamieren, die "besser" als das CAPM sind.

Aktuell wird sowohl in der Praxis als auch der Wissenschaft intensiv über die Behandlung von Länderrisiken in der internationalen Unternehmensbewertung diskutiert [vgl. exemplarisch Kruschwitz/Löffler/Mandl: Damodarans Country Risk Premium – und was davon zu halten ist, in: WPg 2011, S. 167 ff.]. Auch das IDW hat eine Stellungnahme zur Berücksichtigung von Länderrisiken in der Unternehmensbewertung veröffentlicht. Damodaran wird vor allem vorgeworfen, dass er versucht, das CAPM durch eine Modifikation zu retten. Erwartete Renditen von Unternehmen aus den "Emerging Markets" werden durch das traditionelle CAPM falsch eingeschätzt. Wie bewerten Sie Damodarans Konzept zu "Country Risk Premiums"?

Leonhard Knoll: Das CAPM ist ein Ein-Faktor-Modell. Die Einführung eines weiteren Faktors zur Renditebestimmung ist keine Modifikation, sondern der Übergang zu einer anderen Alternative. Dass solche Mehr-Faktoren-Modelle aus konzeptioneller Sicht abzulehnen sind, wurde bereits in den neunziger Jahren im Zusammenhang mit der APT als theoretisch anspruchsvollster Konkurrenz des CAPM bewiesen. Daran hat sich natürlich nichts geändert, obwohl die APT und andere Mehr-Faktoren-Modelle weiterhin von einigen Ökonometrikern geschätzt werden, weil auf ihnen basierende Schätzungen zumeist höhere Bestimmtheitsmaße ergeben.

Wer dagegen wie ich der konzeptionellen Argumentation folgt, muss Damodarans CRP verwerfen. Wenn die Kapitalmarktteilnehmer die Auslandsexposure der Unternehmen kennen, was sie gemäß dem CAPM müssten, würde eine CRP zu einer Doppelberücksichtigung führen. Wenn man den Ländereinfluss richtig berücksichtigen will, geht es also um die Ermittlung der Überschussverteilung und nicht um eine "Modifikation" des CAPM.

Warum werden die internen Risikoinformationen nicht stärker im Rahmen der Unternehmensbewertung berücksichtigt, beispielsweise mit Hilfe einer risikodeckungsorientierten Kapitalkostenbestimmung bzw. simulationsbasierter Ansätze? Bieten die Werkzeuge des Risikomanagements hierfür nicht etablierte Instrumente, die jedoch in der Welt der Unternehmensbewertung noch nicht angekommen sind?

Leonhard Knoll: Nicht nur unter Kostengesichtspunkten erscheint es merkwürdig, wenn man einerseits mehr oder weniger freihändig angebliche Überschusserwartungswerte schätzt, anstatt zumindest elementare Simulationen durchzuführen, und sich andererseits einen teuren Datenbankzugriff zur Ermittlung (vermeintlich! Siehe oben) geeigneter Peers zu leistet. Dieser oft zu beobachtende Status quo wird sich meines Erachtens allerdings relativ schnell ändern, wenn geeignete Schulungsangebote vorliegen, denn die Softwarekosten sind mittlerweile praktisch vernachlässigbar.

Ob der eigentlich aus dem Rating stammende Risikodeckungsansatz damit gleichzeitig an Bedeutung gewinnt, ist nicht auszuschließen, aber auch nicht zwangsläufig. Eigen- und Fremdkapital weisen unterschiedliche Zahlungscharakteristika auf, was eine einheitliche Bewertungsmethodik erschwert. Trotzdem müssen beide nicht nur bei Mergers & Akquisitions gemeinsam bewertet werden, weshalb ich glaube, dass die Entwicklung eines von Unternehmensbewertern und Ratingexperten anwendbaren allgemeinen Ansatzes ein Megathema für die nächsten zwanzig Jahre werden dürfte.

[Die Fragen stellte Frank Romeike, Chefredakteur RiskNET sowie verantwortlicher Chefredakteur der Zeitschrift RISIKO MANAGER]

Prof. Dr. Leonhard Knoll, Jahrgang 1963, ist freier Consultant und lehrt an der Universität Würzburg, wo er nach einer Lehre als Bankkaufmann (IHK-Abschluss 1984) zwischen 1989 und 2001 alle akademischen Prüfungen an der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät ablegte (Diplom-Kaufmann, Promotion zum Dr. rer. pol. und Habilitation in Betriebswirtschaftslehre).Prof.  Dr. Leonhard Knoll, Jahrgang 1963, ist freier Consultant und lehrt an der Universität Würzburg, wo er nach einer Lehre als Bankkaufmann (IHK-Abschluss 1984) zwischen 1989 und 2001 alle akademischen Prüfungen an der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät ablegte (Diplom-Kaufmann, Promotion zum Dr. rer. pol. und Habilitation in Betriebswirtschaftslehre).

Seit rund zwei Jahrzehnten sind seine bevorzugten Arbeitsgebiete in Forschung, Lehre und Praxis: Personal- und Finanzwirtschaft (jeweils unter besonderer Beachtung steuerlicher Belange) sowie Unternehmenskontrolle und -bewertung.

Starke Beachtung fand er nicht nur durch wissenschaftliche Veröffentlichungen, sondern auch durch sein Engagement für den Schutz von Minderheitsaktionären, das auch seine Tätigkeit als Vorstandsmitglied des Vereins zur Förderung der Aktionärsdemokratie umfasst. In den letzten Jahren kam es dabei zu einer wachsenden Konzentration auf Bewertungsfragen im Rahmen aktienrechtlicher Abfindungen. Professor Knoll ist ein gefragter Redner zu den von ihm bearbeiteten Sachgebieten. Er ist in einer Reihe nebenberuflicher Funktionen tätig, seit 2009 auch als Aufsichtsrat einer mittelgroßen Genossenschaftsbank.

[ Bildquelle Titelbild: © Olesia Sarycheva - Fotolia.com ]
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