Die Finanzkrise von 2007 hat gezeigt, dass Regulatoren nicht nur das idiosynkratische, sondern auch das systemische Risiko von Banken im Auge behalten müssen. Zur Messung dessen wurden verschiedene Kennzahlen entwickelt. Zu den prominentesten zählen CoVaR [Adrian & Brunnermeier 2016] und SRISK [Brownlees & Engle 2016]. Besonders SRISK findet in der Praxis häufig Anwendung. Grund dafür ist vor allem die einfach Interpretierbarkeit. Vereinfacht gesagt misst die Kennzahl die Finanzierungslücke zwischen Eigen- und Fremdkapital, welche sich durch eine Finanzkrise auftut, und gewichtet diese mit einer aufsichtsrechtlichen Kapitalanforderung (k). Eine naheliegende Möglichkeit, um diese Finanzierungslücke zu schließen besteht im Aufbau zusätzlichen Eigenkapitals. Die damit assoziierten Kosten sind jedoch häufig sehr hoch, so dass sich eine günstigere Alternative durch die Nutzung von Contingent Convertible Bonds (CoCo-Bonds) ergeben kann. Dabei handelt es sich um de jure Schuldinstrumente, die die emittierenden Bank im Falle einer Finanzkrise entweder in hartes Kernkapital (CET1) wandeln kann, oder aber deren Nennwert herabgeschrieben werden kann, um die ausstehenden Verbindlichkeiten zu reduzieren. Zusammen mit weiteren vertraglich festgelegten Kriterien bestimmt die Ausgestaltung des CoCo-Bonds die bilanzielle Zuordnung zum Eigen- oder Fremdkapital. Wie in Gleichung 01 zu sehen ist, können sich daraus jedoch Probleme im Kontext von SRISK ergeben.
Gleichung 01: SRISKi,t = k∙ Fremdkapitali,t - (1-k)∙ Eigenkapitali,t∙(1-(Verlusti,t) |Finanzkrise))
Die Kennzahl baut auf die intuitive Annahme, dass mehr Haftungskapital ceteris paribus zu weniger systemischem Risiko führt. Dieser Realität wird aber nur dann Rechnung getragen, wenn der CoCo-Bond bilanziell als Eigenkapital ausgewiesen wird. Bei einer Bilanzierung als Fremdkapital wäre hier sogar der entgegengesetzte Effekt zu erwarten. Obwohl eine Bank zusätzliches Haftungskapital durch den CoCo-Bond geschaffen hat, wird im Falle einer Bilanzierung als Fremdkapital ein höheres systemisches Risiko ausgewiesen. Die fatale Konsequenz dessen ist, dass das systemische Risikoprofil dieser Banken somit überschätzt wird, und der Regulator in Folge dessen inadäquate Maßnahmen, bis hin zur Abwicklung der Bank, ergreifen könnte. Eine triviale Lösung des Problems wäre es den Ausgestaltungsspielraum der Banken so einzuschränken, dass CoCo-Bonds nur noch dem Eigenkapital zugeordnet werden können. Die Eliminierung von Entscheidungsfreiheiten sollte jedoch nicht das Ziel des Regulators sein. Wir schlagen daher eine Anpassung der SRISK-Formel vor, die das beschriebene Problem adressiert, und gleichzeitig die Autonomie der Banken nicht beschneidet.
Empirische Evidenz zu CoCo-Bonds
Die Nutzung von hybriden Kapitalinstrumenten, insbesondere CoCo-Bonds hat seit der Finanzkrise von 2007 erhebliches Wachstum erlebt. Anhand einer Stichprobe mit 533 CoCo-Bonds von 126 Banken weltweit untersuchen wir in unserer Studie [Kund & Petras 2019], wie die Ausgabe von CoCo-Bonds das systemische Risiko von Banken beeinflusst. Wir zeigen dabei zunächst die Relevanz des Problems in der Praxis auf. Wie in Tab. 01 dargestellt, ist festzuhalten, dass CoCo-Bonds, die als zusätzliches Kernkapital (AT1) angerechnet werden, in vier von zehn Fällen als Fremdkapital bilanziert werden. Im Falle von CoCo-Bonds, die dem Ergänzungskapital (T2) zugerechnet werden liegt die Quote der als Fremdkapital bilanzierten Bonds sogar bei 100 Prozent. Zusammenfassend werden rund zwei Drittel aller CoCo-Bonds als Fremdkapital bilanziert, so dass es sich um ein weit verbreitetes Phänomen handelt, das es unabhängig von der Strukturierung zu lösen gilt.
AT1 | T2 | Prozent | |
Fremdkapital | 107 | 258 | 68,48% |
Eigenkapital | 168 | 0 | 31,52% |
Prozent | 51,59% | 48,41% | 100,00% |
Tab. 01: Bilanzausweis von CoCo-Bonds je regulatorischer Kapitalkategorie (aus Kund & Petras 2019)
Unsere Ergebnisse zeigen, dass CoCo-Bonds, die als Eigenkapital bilanziert werden, den erwarteten Effekt auf SRISK haben und das systemische Risiko reduzieren. Zwar erhöhen als Fremdkapital bilanzierte CoCo-Bonds das gemessene SRISK nicht, aber führen eben trotz zusätzlichem Haftungskapital zu keiner Reduktion des vom Regulator wahrgenommenen systemischen Risikos der Bank. Somit kommt es für zwei ansonsten vergleichbare CoCo-Bonds zu unterschiedlichen Auswirkungen auf SRISK, welche ausschließlich auf den Bilanzausweis zurückzuführen sind. Wir empfehlen daher die SRISK-Berechnung so anzupassen, dass CoCo-Bonds gleichartig behandelt werden. Unser Vorschlag beinhaltet zum Zwecke der SRISK-Berechnung eine hypothetische Wandlung des CoCo-Bonds unmittelbar zum Zeitpunkt der Emission. Dadurch kann das Verlustabsorptionspotential des CoCo-Bonds in dem Maße berücksichtigt werden, wie es im Wandlungsfall zur Verfügung stünde. Wir zeigen empirisch, dass die von uns vorgeschlagene Anpassung geeignet ist, die Verzerrung zu eliminieren.
Implikationen
Banken sollten sich dieser Problematik bewusst sein und haben verschiedene Möglichkeiten, mit ihr umzugehen. Eine Alternative zur Berücksichtigung der Verzerrung ist die grundsätzliche Vermeidung der Bilanzierung von CoCo-Bonds als Fremdkapital. Im Rahmen dessen müssten CoCo-Bonds so ausgestaltet werden, dass sie die Anforderungen an eine Bilanzierung als Eigenkapital erfüllen. Diese Einschränkung des Handlungsspielraums erscheint uns jedoch nicht erstrebenswert, weshalb wir eine adjustierte SRISK-Formel vorschlagen. Somit kann der Regulator weiterhin das systemische Risiko beobachten, ohne sich dabei jedoch von bilanzrechtlichen Verzerrungen beeinflussen zu lassen. Unser Messansatz löst das identifizierte Problem vollständig, ohne die intuitive Interpretation der SRISK-Kennzahl zu schmälern.
Fazit
CoCo-Bonds tragen zusätzliches Verlustabsorptionspotential in Krisenzeiten bei. Diesem Sachverhalt wird aber durch die SRISK-Kennzahl, als weithin anerkanntem Maß für systemisches Risiko, inadäquat Rechnung getragen. Wir zeigen empirisch, dass CoCo-Bonds uneinheitlich als Eigen- oder Fremdkapital bilanziert werden und daraus eine Verzerrung im SRISK resultiert, die einzig auf dem bilanzrechtlichen Ausweis beruht. So reduzieren nur CoCo-Bonds, die als Eigenkapital bilanziert werden SRISK, nicht aber solche, die als Fremdkapital ausgewiesen werden. Im vorliegenden Fall wird somit das systemische Risiko von Banken, die CoCo-Bonds emittieren und als Fremdkapital bilanzieren, überschätzt. Dies kann zu Fehleinschätzungen seitens des Regulators führen, da er diese Banken als riskanter wahrnimmt, als sie eigentlich sind. Wir zeigen ferner, dass bei adäquater Anpassung der SRISK-Formel CoCo-Bonds erwartungsgemäß unabhängig von ihrer Bilanzierung SRISK reduzieren. Somit verringern sie das systemische Risiko und stärken das Bankensystem. Die Nutzung von CoCo-Bonds ist damit durchaus eine sinnvolle Alternative zu hartem Kernkapital. Banken sollten sich jedoch der Konsequenzen der Bilanzierung von CoCo-Bonds bewusst sein und dementsprechend ihre Kommunikation mit Aufsichtsbehörden anpassen. Ansonsten könnten trotz solider Kapitalisierung auf der Basis verzerrter Informationen über die Verlustabsorptionsfähigkeit aufsichtsrechtliche Maßnahmen im Krisenfall drohen.
Literatur:
- Adrian, T./ Brunnermeier, M. K. [2016]: CoVaR. American Economic Review, 106 (7), 1705-1741.
- Brownlees, C./Engle, R. F. [2016]. SRISK: A Conditional Capital Shortfall Measure of Systemic Risk. The Review of Financial Studies, 30 (1), 48-79.
- Kund, A-G./Petras, M. [2019]: Can CoCo-Bonds Mitigate Systemic Risk? Available at SSRN 3455924.
Autoren
Arndt-Gerrit Kund, M.Sc., Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Seminar für ABWL und Bankbetriebslehre, Universität zu Köln, Köln
Matthias Petras, M.Sc., Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Seminar für ABWL und Bankbetriebslehre, Universität zu Köln, Köln