Das Kriterium Sicherheit dominiert gegenwärtig die Kapitalanlage institutioneller Investoren. Dies ist ein Ergebnis der dritten Studie von Union Investment zu dem Anlageverhalten und der Risikoeinstellung professioneller Investoren wie Banken, Versicherungen, Pensionskassen, Unternehmen und Stiftungen. Von Juni bis August 2008 wurden hierfür insgesamt 164 Groß-Investoren im In- und Ausland mit einem Gesamtanlagevolumen von rund 936 Milliarden Euro befragt. Besonders ausgeprägt ist das Sicherheitsbedürfnis bei den deutschen Anlegern: 74 Prozent sehen darin den wichtigsten Aspekt bei ihrer Anlageentscheidung. Im Jahr zuvor hatten lediglich 23 Prozent dem Kriterium Sicherheit den höchsten Stellenwert beigemessen. Das Erreichen ihrer Zielrendite priorisieren in der aktuellen Befragung 14 Prozent der Investoren. 2007 waren es mit 26 Prozent fast doppelt so viele. Der Aspekt Liquidität weist 2008 mit 9 Prozent die geringste Bedeutung für die Anlageentscheidung auf. Im Jahr zuvor hatten dagegen noch 50 Prozent der Investoren dem Liquiditätsaspekt die höchste Priorität zugewiesen. "Durch die Zuspitzung der Finanzmarktkrise im Sommer dieses Jahres haben sich auch die Anlage- und Risikopräferenzen institutioneller Investoren verändert", so Alexander Schindler, Mitglied des Vorstands von Union Investment, zuständig für das Geschäft mit institutionellen Investoren. "Hatte noch vor einem Jahr immerhin gut ein Viertel der Anleger das Erreichen ihrer Zielrendite in den Vordergrund gestellt, so dominiert heute ganz eindeutig das Sicherheitsbedürfnis." Am wenigsten stark ausgeprägt sei der Sicherheitsaspekt bei Pensionskassen. Hingegen sähen 50 Prozent der befragten Unternehmen hierin das wichtigste Kriterium ihrer Anlagepolitik. Immerhin 25 Prozent priorisierten aber weiterhin das Renditeziel.
Verlustvermeidung institutioneller Investoren stark ausgeprägt
Entsprechend ihrer veränderten Präferenzen spielt die Vermeidung von Verlusten die wichtigste Rolle im Anlageverhalten der Investoren. Für immerhin 90 Prozent ist dieses Ziel von überragender Bedeutung. Allerdings lassen sich auch hier Unterschiede bei den verschiedenen Investorengruppen feststellen. Während Versicherungen und Stiftungen eine besonders stark ausgeprägte Verlustaversion aufweisen, nimmt die Bedeutung von Verlustvermeidung bei Banken und Sparkassen (85 Prozent) sowie Pensionskassen (75 Prozent) leicht aber wahrnehmbar ab. "Angesichts des gegenwärtigen Krisenschocks ist die Ausrichtung vieler Investoren auf Sicherheit und Verlustvermeidung nachvollziehbar", bewertet Schindler die Studienergebnisse. Diese Einstellung mache auch die anhaltende Dominanz sicherheitsorientierter Anlagen in der Asset-Allokation von Investoren erklärbar. Zwar sei der Anteil an Rentenpapieren von 2007 auf 2008 zugunsten von Alternativen Investments etwas zurückgegangen. Angesichts der Zuspitzung der Krise sei jedoch damit zu rechnen, dass sich diese Entwicklung in den kommenden Monaten wieder umkehre. "Ein Problem bleibt damit allerdings bestehen“, betont Schindler. „Die Zielrendite der Investoren für das Gesamtportfolio ist mit sechs Prozent in der aktuellen Befragung nämlich unverändert auf Vorjahresniveau. Mit der gegenwärtig präferierten Asset-Allokation vieler Anleger wird dieses Ziel aber kaum zu erreichen sein."
Das am häufigsten missverstandene Risikomaß
Besondere Bedeutung kommt vor diesem Hintergrund dem zweiten Teil der Studie zu, der sich mit der Renditeoptimierung durch die Verbesserung von Risikomodellen befasst. Heiner Schierenbeck, Professor an der Universität Basel, geht darin der Frage nach, inwieweit die Weiterentwicklung der Risikoquantifizierung auf Basis des gängigen Value-at-Risk-Modells zu einer Optimierung der Ertragschancen führen kann.
Der VaR stellt dabei die in Geldeinheiten berechnete negative Veränderung eines Wertes dar, die mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit (auch als Konfidenzniveau bezeichnet) innerhalb eines festgelegten Zeitraumes nicht überschritten wird. Bei genauerer Betrachtung wird deutlich, dass der VaR nicht etwa den maximalen Verlust eines Portfolios angibt. Vielmehr kann der durch den VaR berechnete Verlust sehr wohl überschritten werden. Insbesondere ist bei einem exakten VaR-Modell beispielsweise bei einem Konfidenzniveau von 99% gerade an 1 von 100 Tagen ein größerer Verlust als der durch den VaR prognostizierte Verlust "erwünscht", da nur dann der VaR ein guter Schätzer ist; andernfalls überschätzt der VaR das Risiko, wenn in weniger als 1 von 100 Fällen der tatsächliche Verlust größer ist als der durch den VaR prognostizierte Verlust, bzw. unterschätzt der VaR das Risiko, wenn in mehr als 1 von 100 Fällen der tatsächliche Verlust größer ist als der durch den VaR prognostizierte Verlust.
Nach überwiegender Meinung der Investoren spiegelt vor allem der VaR das Marktpreisrisiko besonders gut wider. So geben 55 Prozent der Befragten an, das Risiko der Kapitalanlage werde durch diese Kennziffer komplett abgebildet. Trotz seiner allgemeinen Verbreitung erfährt das VaR-Modell nicht zuletzt durch die Ereignisse im Rahmen der Finanzmarktkrise Kritik aus Wissenschaft und Praxis. Einerseits wird dem Modell vorgeworfen, dass es nicht in der Lage sei, sich an ein sich verändertes dynamisches Marktumfeld rechtzeitig anpassen zu können. Andererseits wird reklamiert, dass sich mit Hilfe von VaR zwar Normalbelastungen, nicht jedoch Extremrisiken hinreichend gut abbilden ließen. "Diese Kritik muss ernst genommen werden", sagte Schindler. "Denn die effiziente Ausnutzung des Risikobudgets und damit die risiko-adjustierte Performance eines Portfolios hängt entscheidend von der Genauigkeit der Risikomessung ab." Nutze der Investor sein selbstgesetztes Risikolimit auf der Basis von ungenauen Risikomodellen voll aus, bestehe die Gefahr, dass dieses im Fall des Risikoeintritts überschritten wird. Sei sich der Anleger auf der anderen Seite dagegen bewusst, dass sein Risikomodell unzureichend ist, werde er in der Regel nur einen begrenzten Teil des Risikolimits ausschöpfen und damit Gefahr laufen, seine Renditeziele nicht zu verwirklichen.
Renditeoptimierung durch verbessertes Risikomanagement
Angesichts dieser Problemstellung beleuchtet Henner Schierenbeck im Rahmen der Studie alternative Ansätze, die eine verbesserte Risikoquantifizierung ermöglichen können. "Ziel war es, Lösungen für die erkennbaren Schwachstellen des VaR-Standardmodells zu finden. Und zwar vor allem mit Blick auf drei Kernmängel: die schwache Reaktionsfähigkeit des Modells auf sich schnell verändernde Marktsituationen, die starke Vergangenheitsbezogenheit der Daten sowie die mangelnde Berücksichtigung von Extremrisiken", erläuterte Henner Schierenbeck den Forschungssauftrag. Die Resultate seiner Arbeit sind ermutigend. So kann gezeigt werden, dass durch eine stärkere Berücksichtigung weniger weit in der Vergangenheit liegender Ereignisse eine bessere Risikoquantifizierung möglich ist. Sehr gute Ergebnisse hinsichtlich einer stärken Zukunftsbezogenheit liefert zudem die Berücksichtigung der aus Optionspreisen abgeleiteten impliziten Volatilität auf Basis des VDAX. Mit Blick auf die Einbeziehung von Extremrisiken offenbart die Anwendung der Extremwerttheorie gute Möglichkeiten der Verknüpfung von Risikohöhe und Eintrittswahrscheinlichkeit. Dass seine Ergebnisse nicht rein theoretischer Natur sind, macht Schierenbeck in einer weiteren Analyse deutlich. Dabei ermittelte er, dass die Anwendung der beschriebenen Ansätze und die damit verbundene verbesserte Ausnutzung von Risikobudgets die zu erwartende Überschussrendite institutioneller Portfolios um bis zu einem Drittel steigern könne.
Kommentare zu diesem Beitrag
Ein Blick in ältere Literatur, z.B. in „Value at Risk: The New Benchmark for Controlling Market Risk” von Philippe Jorion, Juli 1996, zeigt aber dass diese revolutionären Erkenntnisse zur Interpretation des Value at Risk und Modellverbesserung uralt sind. Auch die stärkere Gewichtung von Ereignissen in der jüngeren Vergangenheit gegenüber alten Beobachtungen, kurz EWMA für exponentially weighted moving average, ist in der Quantifizierung von Risiken seit Urzeiten bekannt.
Der Modellbaukasten ist gar nicht so schlecht, es mangelt vielmehr an der Kompetenz der Anwender. Vielleicht sollte man, ähnlich wie bei Verhütungsmethoden den Pearl-Index, auch für das Risikomanagement einen Index einführen wie häufig die Verwendung von alternativen Modellen fehlschlägt. Darin wären auch die Fehlschläge aus nicht verstandener, fehlerhafter Anwendung enthalten (nicht umsonst hat ein Kondom einen Pearl-Index von bis zu 14, d.h. in bis zu 14 % der Anwendungen kann es seine empfängnisverhütende Wirkung versagen).
Ein Blick auf die Anwendung des Value at Risk in der Praxis sorgt für Angst und Schrecken bzgl. der Kompetenz mancher „Risikomanager“. So wird in einigen empfohlenen (!!!) Anwendungen ein 99 % Value at Risk auf Basis von nur 10 historischen Beobachtungen gemessen, was eigentlich erst ab 100 Beobachtungen möglich wäre, aber selbst dort wegen der geringen Stichprobengröße nicht zu empfehlen ist. Schätzfehler, wie sie jedem Modell innewohnen, werden gänzlich ignoriert. Schon aus einfachen Backtestingtabellen lässt sich ablesen, dass ein Value at Risk von 99 % eben nicht genau 1 Ausreißer auf 100 Beobachtungen bedeutet, sondern es können 0, 1, 2 usw. Ausreißer sein und das Modell ist trotzdem richtig.
Auch alternative Maße zum Value at Risk sind seit über einem Jahrzehnt bekannt, so z.B. die Shortfallmaße die den Mittelwert der 1 % oder 5 % schlechtesten Beobachtungen liefern und damit eine Aussage über die gesamte Risikoflanke treffen. Last but not least: Der Value at Risk ist kein Maß für Extremszenarien, sondern das Risiko unter ganz normalen Umweltbedingungen (z.B. funktionierenden Kapitalmärkten).
Und das Schönste ist. Das Alles bekommen die Anwender seit Jahren gebetsmühlenartig erzählt, ohne dass es aber auf fruchtbaren Boden trifft. Dann ist es doch wieder viel schöner nach einer Krise die Modelle heftig zu kritisieren und gleich alten Wein in neuen Schläuchen als ultimative Problemlösung zu verkaufen…