Ich bin an sich ein Optimist. Bei der Analyse der Aktienkursentwicklung der letzten Tage stieß ich jedoch auf einen Vergleich, der mich stutzig machte. Das, was wir derzeit beim DAX erleben, hat nämlich eine verblüffende Ähnlichkeit mit der Entwicklung von vor drei Jahren im August 2011. Die Parallelität ist so frappierend, dass sie fast zu gut ist, um wahr zu sein.
Schauen Sie sich die Grafik an. Hier habe ich die Entwicklung des DAX in den Jahren 2011 und 2014 übereinander gelegt (zur Verbesserung der Vergleichbarkeit habe ich die Werte zum 1. Januar der jeweiligen Jahre auf 100 normiert). In den ersten sieben Monaten der beiden Jahre haben sich die Kurse unter Schwankungen weitgehend seitwärts entwickelt. Das war nicht weiter aufregend. Ende Juli/Anfang August ging es dann aber in beiden Fällen fast senkrecht nach unten. In sechs Wochen verlor der DAX im Jahre 2011 in der Spitze 30 Prozent. Es dauerte zwei Monate, bis der Spuk vorbei war. Insgesamt ergab sich ein Verlust, der bis zum Jahresende nicht mehr aufgeholt werden konnte.
Wiederholt sich die Geschichte? DAX 2011 und 2014 [Quelle: Yahoo]
Könnte es sein, dass sich diese Entwicklung wiederholt und wir uns damit von den Träumen eines DAX über 10.000 am Jahresende verabschieden müssen? Um die Frage zu beantworten, ist es ganz hilfreich, auch einmal die fundamentale Situation damals und heute zu betrachten. Hier gibt es Ähnlichkeiten und Unterschiede.
Der Kurseinbruch 2011 hatte zwei Ursachen. Das eine war die Verschlechterung der Konjunktur zur Jahresmitte. Das ist ganz ähnlich wie heute. Der Unterschied besteht nur darin, dass die Wachstumsschwäche damals weltweit war. In den USA gab es zum Teil sogar Rezessionsängste. Diesmal ist nur Europa betroffen, insbesondere Deutschland. In den USA geht es weiter kräftig nach oben. Hier schneidet 2014 also besser ab als 2011.
Der zweite Grund, der die Märkte damals verunsicherte, war die Eurokrise. Mitte 2011 wurden die Zweifel immer größer, dass die Gemeinschaftswährung vielleicht doch nicht überlebensfähig wäre. Die Maßnahmen der Regierungen zur Eindämmung der Krise wirkten nicht. Die Märkte fingen an, über den Staatsbankrott des einen oder anderen Landes zu räsonieren. Anleger flüchteten aus Europa. So etwas gibt es heute nicht. Der Euro ist zwar noch nicht gerettet, er ist aber aus dem Gröbsten raus.
Dafür gibt es jetzt aber eine Vielzahl Krisen ganz anderer Art. Da sind die geopolitischen Spannungen in der Ukraine und dem Nahen und Fernen Osten, die durchaus noch gefährlich eskalieren können. Die Sanktionen gegen Russland werden Europa auch ohne Gegenmaßnahmen im Energiebereich nach Schätzungen der EU-Kommission etwa 0,3 bis 0,4 Prozentpunkte Wachstum kosten. Das ist rund ein Viertel des gesamten Wachstums.
Da sind – auf ganz anderer Ebene – Zinsängste ausgehend von dem geldpolitischen Kurswechsel in den USA. Da sind Deflationsbefürchtungen in Europa, die die EZB zu unkonventionellen Maßnahmen bewegen könnten. Manche Investoren betrachten das mit Argwohn (vor allem das Quantitative Easing, das heißt Käufe von Staatsanleihen am offenen Markt, so wie es die Amerikaner und Briten tun). Dazu kommt die Argentinien-Krise, die auch nicht geeignet ist, Vertrauen bei den Anlegern zu stärken.
Es ist schwierig zu spekulieren, welche Problemmischung gefährlicher ist, die vom Sommer 2011 oder die jetzige. Insofern kann man auch nicht sagen, ob der derzeitige Einbruch an den Märkten genauso groß und genauso lang sein muss wie der damalige. Ich persönlich glaube, dass die Märkte die Situation damals als gefährlicher einschätzten als das heute der Fall ist. Das hängt freilich auch damit zusammen, dass etwaige Weiterungen insbesondere bei den geopolitischen Risiken nicht wirklich eingepreist sind.
Sicher erscheint in jedem Fall, dass die Entwicklung damals wie heute in Europa stärker ausgeprägt ist als in den USA. Das zeigt sich auch an den Märkten. Schon in den letzten Tagen hat sich der Dow besser gehalten als der DAX. Die Märkte der Peripherieländer lagen damals tief am Boden. Sie stehen heute wesentlich besser da. Allerdings sind sie anfällig, weil Investoren in Krisenzeiten gerne Gewinne mitnehmen.
Autor:
Dr. Martin W. Hüfner, Chief Economist, Assenagon Asset Management S.A.