Eigentlich müsste es ein ziemlicher Scherbenhaufen sein, der von dem Euro übrig bleibt. Alle Todsünden, die begangen werden konnten, wurden begangen. Die Griechen haben Statistiken gefälscht. Die Iren haben eine riesige Blase entstehen lassen. Die Portugiesen haben ihren Haushalt nicht in Ordnung gebracht. Alle haben gewaltige Staatsschulden angehäuft. Trotzdem geht der Aufschwung in Deutschland weiter. Der ifo-Index erreichte diese Woche ein neues Hoch. Auf den Kapital- und Devisenmärkten herrscht business as usual. Der Euro ist kurzfristig mal etwas abgerutscht. Er hat sich dann aber schnell erholt. Jetzt liegt er, wie die Grafik über die Entwicklung der letzten fast 60 Jahre zeigt, wieder ganz im Trend. Wie passt das zusammen? Ist es eines jener "conundrums", von denen der frühere amerikanische Notenbankchef Alan Greenspan sprach, also ein schwer ergründbares Rätsel?
Abbildung: Euro-Dollar Kurs [Werte bis 1999 abgeleitet aus DM-Kursen, Quelle der Originalbank: Bundesbank]
Zunächst ist natürlich noch lange nicht aller Tage Abend. Die Griechen machen bei der Konsolidierung zwar Fortschritte, aber sie haben noch einen langen Weg vor sich. Das Rettungspaket für die Iren ist noch nicht unter Dach und Fach. Danach werden Portugal und vielleicht auch Spanien in den Fokus geraten. Niemand weiß, wo und wann das Ende der Fahnenstange erreicht ist. Es kann uns also noch einiges blühen. Da sollte man mit Urteilen vorsichtig sein.
Unzweifelhaft ist, dass der Euro etwas von seinem Image als "Strahlemann" verloren hat. Er ist eine ganz normale Währung geworden mit Stärken und Schwächen. Dass er auf den Devisenmärkten nicht stärker abgesackt ist, hängt mit den Problemen des Dollar zusammen. Ohne die Krise wäre der Euro in jedem Fall stärker. Insofern hilft die Krise der Konjunktur, zumindest dem Export.
Non-Bail out-Klausel zur Förderung der Stabilitätsorientierung
Richtig ist auch, dass bedeutsame Stützen des Euro verloren gegangen sind. Die wichtigste ist die Non-Bail out-Klausel, also die Vorschrift, dass die Partnerstaaten einem in Bedrängnis geratenen Mitgliedsland nicht finanziell zur Seite stehen dürfen. Diese Regel sollte ursprünglich die Stabilitätsorientierung der Mitglieder fördern. Keiner sollte sich darauf verlassen können, dass ihm bei Schwierigkeiten unter die Arme gegriffen wird.
Er muss schon für sich selber sorgen. Das hat leider nicht geklappt. Griechenland, Irland und andere haben trotz Non-Bail-out-Klausel über ihre Verhältnisse gelebt. Das ist ein Makel für den Euro. Es verringert seine Attraktivität vor allem für internationale Investoren. Andererseits: Wenn die Non-Bail-out-Klausel die in sie gesetzten Ziele nicht erreicht hat, ist es auch nicht schade, dass sie de facto weggefallen ist (de iure steht sie immer noch im Lissabon Vertrag). Sie muss durch etwas Besseres ersetzt werden.
Richtig ist auch, dass die vor allem von den Deutschen so ungeliebte Transferunion de facto näher gekommen ist. Der Riegel, der in Maastricht einem innergemeinschaftlichen Lastenausgleich vorgeschoben wurde, ist weg. Was heute als Rettungsschirm funktioniert, kann morgen zur Angleichung der innergemeinschaftlichen Lebensverhältnisse verwandt werden. Das ist eine gefährliche Entwicklung. Eine Sozialunion mit einer Angleichung der Sozialleistungen würde die öffentlichen Finanzen überfordern. Es wird großer, sehr großer Anstrengungen bedürfen, das zu verhindern. In jedem Fall wird die Mitgliedschaft in der Währungsunion für die "Zahlerländer" (auch für Deutschland) teurer.
Gemeinsame Stabilitätspolitik
Daneben muss man freilich auch die andere Seite sehen. Durch die Euro-Krise ist die Gemeinschaft in eine Stabilitätspolitik hineingetrieben worden, die international Ihresgleichen sucht. Wer hätte sich vorstellen können, dass etwa Griechenland so rigorose Maßnahmen zur Reduzierung der öffentlichen Defizite ergreift? Das Euro-Gebiet ist derzeit eine der stabilitätsorientiertesten Regionen der Welt. Viel mehr als die USA. So etwas schafft Vertrauen.
Auch Euro-Mitglieder, die nicht in Schwierigkeiten gerieten, sind bemüht, ihre Defizite zu reduzieren. Die Geldgeber können von den Schuldnern keine Disziplin verlangen, die sie selbst nicht einhalten. Freilich sollte man auf dieses Argument nicht zu sehr setzen. Der Sparwille etwa in Deutschland oder Frankreich ist nicht wirklich überzeugend.
Die wirtschafts- und finanzpolitische Souveränität, auf die alle so großen Wert legen, ist eingeschränkt worden. Das kommt bei den Betroffenen hart an. Langfristig ist es jedoch ein Schritt in die richtige Richtung. Zum einen ersetzen die wirtschaftspolitischen Auflagen der Rettungspakete den Stabilisierungszwang der Non-Bail-out-Klausel. Das wirkt direkter. Zum anderen kann eine Währungsunion auf Dauer nicht ohne eine stärkere Koordination der Wirtschafts- und Finanzpolitik (analog der Harmonisierung der Geldpolitik) funktionieren. Die politische Union ist – das ist mein ceterum censeo – für einen stabilen Euro langfristig unabdingbar. Dem sind wir ein kleines bisschen näher gekommen. Das stärkt den Euro.
Die European Financial Stability Facility (EFSF), die jetzt so sehr in den Mittelpunkt gerückt ist, könnte auf Dauer zum Katalysator, vielleicht sogar eines Tages zum Träger einer stärkeren politische Zusammenarbeit werden. Sie hat Geld. Unter ihrem Chef Klaus Regling kann sie die notwendige Expertise aufbauen. Sie könnte dann in die Formulierung und Überwachung der mit seinen Rettungspaketen verbundenen Auflagen eingebunden werden. Ihr großer Vorteil gegenüber der Kommission ist, dass sie eine Institution des Euro-Gebiets ist, nicht der EU. Sie stünde auf Augenhöhe mit der EZB.
Autor: Dr. Martin W. Hüfner, Chief Economist, Assenagon Asset Management S.A.
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