Diskussion über Mindestinflation

Das Gespenst der "Lowflation"


Das Gespenst der "Lowflation" Kolumne

Ein neues Feindbild ist aufgetaucht. Jahrelang war es das Ziel der Wirtschafts- und Währungspolitik, Inflation zu verhindern. In den letzten Monaten ging es dann – vor allem in Europa – zunehmend darum, Deflation, also sinkende Preise, zu bekämpfen. Und nun gibt es plötzlich einen neuen Gegner: "Lowflation", also geringe Preissteigerungen. Auch sie soll nicht hingenommen werden. Die Wortschöpfung ist nicht nur ein sprachlicher Gag. Ich fürchte, es steckt auch eine veränderte wirtschaftspolitische Philosophie dahinter.

"Lowflation" ist der Bereich zwischen Inflation und Deflation. In Europa wären das also Preissteigerungen zwischen Null und "nahe aber unter 2 Prozent". Das ist ein relativ schmales Band und kann kaum als wirtschaftspolitische Zielgröße gesehen werden. Manche ziehen den Korridor aber weiter. Der Internationale Währungsfonds beispielsweise, von dem der Begriff der "Lowflation" stammt, hat ins Gespräch gebracht, dass Preissteigerungen erst ab 4 Prozent als Inflation bekämpft werden müssen. Dann würde "Lowflation" von 0 Prozent bis 4 Prozent reichen. Das wäre schon ganz erheblich.

"Lowflation" in Europa, Verbraucherpreise in % ggü. Vorjahr [Quelle: EZB]
"Lowflation" in Europa, Verbraucherpreise in % ggü. Vorjahr [Quelle: EZB]

Mit dem Begriff der "Lowflation" wird der wirtschaftspolitische Aktionsradius erweitert. Die Politik soll nicht nur dafür sorgen, dass die Inflation nicht zu groß wird. Sie soll auch darauf achten, dass sie nicht zu klein ist. Dahinter steht die Idee, dass eine Volkswirtschaft eine bestimmte Minimum-Preissteigerung braucht, um gut zu funktionieren.

Dafür werden verschiedene Gründe angeführt. Ohne ein bestimmtes Maß an Inflation ist, so wird zum Beispiel gesagt, der Strukturwandel schwerer zu bewerkstelligen. Schrumpfende Branchen werden zu Preis- und Lohnsenkungen gezwungen, die bei der gegebenen Inflexibilität der Märkte nur unter Schmerzen zu verwirklichen sind. Zudem: Ohne ein Mindestmaß an Preissteigerungen kommen große und heterogene Wirtschaftsräume wie die europäische Währungsunion oder die USA in Schwierigkeiten. In solchen Räumen gibt es immer Regionen mit höherer und mit niedrigerer Inflation. Wenn hier die durchschnittliche Geldentwertung zu niedrig gehalten wird, werden einige Regionen möglicherweise in die Deflation getrieben.

Noch ein anderer Grund, der bei vielen sicher eine Rolle spielt: Ohne Preissteigerung ist es schwerer möglich, von der hohen Staatsverschuldung herunterzukommen. Denn dann gibt es zum einen nicht genug Steuereinnahmen. Zum anderen kann der Staat seine Schulden nicht mit einem Geld zurückzahlen, was weniger wert ist (was auf eine Enteignung der Bürger hinausläuft).

Die Diskussion über eine Mindestinflation ist nicht neu. Sie wurde in den 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts schon einmal sehr heftig geführt. Eigentlich dachte ich, sie wäre inzwischen abgeschlossen. Auf dem Londoner Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs der großen Industrieländer 1977 hatte man sich auf die berühmte Formel geeinigt: "Inflation verringert nicht die Arbeitslosigkeit. Im Gegenteil, sie ist eine ihrer Hauptursachen". Das war eine klare Absage an das Konzept einer Minimuminflation. Die Einigung ist freilich lange her. Offenbar ist sie inzwischen in Vergessenheit geraten.

Jedenfalls sieht es so aus, als würden wir mit der Diskussion über die "Lowflation" in die Zeit vor dem Londoner Konsens zurückkehren. In Europa redet man darüber noch nicht explizit. Die Europäische Zentralbank hat die niedrige Inflation bis jetzt nicht zum Anlass genommen, weitere Lockerungen zu beschließen. Auf internationaler Ebene traue ich aber dem Frieden nicht.
Vielleicht bin ich zu skeptisch und interpretiere zu viel in die neue Terminologie. Aber Volkswirte sollten Trends erkennen und davor warnen, bevor alle darüber reden.

Nun kann man natürlich fragen, warum es den Korridor zwischen Deflation und Inflation überhaupt gibt, wenn man ihn politisch nicht nutzen soll? Die Antwort ist klar. Er ist die Gefahrenzone. Da stehen die Ampeln auf Gelb. Die Zentralbank soll noch nicht handeln. Sie soll aber ihre Wachsamkeit erhöhen.
Eine solche Gefahrenzone ist aus zwei Gründen sinnvoll: Zum einen, weil die Deflationsbekämpfung so schwierig und herausfordernd ist, dass die Zentralbank mit der Vorbereitung darauf frühzeitig beginnen soll. Zum anderen weil die Messung der Preissteigerung immer mit Fehlern und Unsicherheiten verbunden ist. Es könnte also sein, dass auch eine Inflation von ein Prozent schon näher an der Deflation ist, als viele denken. Das hängt unter anderem damit zusammen, dass sich die statistischen Ämter schwer damit tun, den technischen Fortschritt bei einzelnen Gütern aus der Preissteigerung herauszurechnen.


Autor: Dr. Martin W. Hüfner, Chief Economist, Assenagon Asset Management S.A.

 

 

[Bildquelle: © Péter Mács - Fotolia.com]

 

Kommentare zu diesem Beitrag

Markus /09.04.2014 20:15
Netter Punkt Herr Hüfner,

blöd nur dass die Zentralbanken immer noch nicht verstehen wollen wie sie die Inflation zu steuern haben und können !!!
Bei der massiven Ausweitung der Geldmenge der letzten Jahre hätten wir uns um Inflation im Rahmen der gängigen Meinungen und Lehrkonzepte keine Sorgen machen müssen.
Faktisch und praktisch sieht die Welt aber anders.
Wo liegt nun der Hase im Pfeffer?
Solange das Geldmengenwachstum nicht in den Wirtschaftskreislauf gebracht wird also BIP BSP wirksam werden kann steigt die Inflation auch nicht.
Was wir im Moment sehen ist die weitere Umverteilung von gemeinschaftliches Geld in Privathände. Wie hoch sind denn momentan die Einlagen bei der EZB?
Deflation enteignet uns Bürger uns steigert den Reichtum der anderen
Markus /10.04.2014 09:15
Nur ein Stern

Aber immerhin:

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