Die europäische Währungsunion befindet sich in einer systemischen Krise, die den Fortbestand der gemeinsamen Währung und die ökonomische Stabilität Deutschlands gleichermaßen gefährdet. Die Entscheidungen der Staats- und Regierungschefs am 28. und 29. Juni 2012 können die Lage im Euro-Raum zwar kurzfristig stabilisieren. Doch die Krise bleibt weiterhin ungelöst und erneute Zuspitzungen drohen, wenn der bestehende Teufelskreis aus Bankenkrise, Staatsschuldenkrise und makroökonomischer Krise nicht durchbrochen wird. Besonders gefährlich ist es dabei, dass sich diese Krisen wechselseitig verstärken und somit in einer Vertrauenskrise münden, die die Stabilität der Währungsunion insgesamt in Frage stellt (vgl. Abbildung unten).
Aus diesem Anlass hat der Sachverständigenrat der Bundesregierung aktuell ein Sondergutachten vorgelegt, in dem er Wege aufzeigt, wie die Staatsschuldenkrise beendet werden kann und welche Maßnahmen nötig sind, um den Bankensektor nachhaltig zu stabilisieren. Es trägt den Titel: "Nach dem EU-Gipfel: Zeit für langfristige Lösungen nutzen".
Zur Lösung der Staatsschuldenkrise hatte der Sachverständigenrat mit dem Schuldentilgungspakt bereits im Herbst 2011 ein Konzept vorgestellt, das er nun umfassend weiterentwickelt und mit zusätzlichen Sicherungsmechanismen versehen hat. Der Schuldentilgungspakt ist zeitlich befristet und beinhaltet die Möglichkeit, die Hilfen an Konditionen zu knüpfen. Das unterscheidet ihn von geldpolitischen Maßnahmen der Europäischen Zentralbank. Er kann so konstruiert werden, dass europa- und verfassungsrechtliche Maßstäbe eingehalten werden. In Kürze wird dazu ein entsprechendes Rechtsgutachten veröffentlicht, das der Sachverständigenrat in Auftrag gegeben hat.
Zur Stabilisierung des europäischen Finanzsystems sollten die bereits beantragten Mittel für die spanischen Banken nur bei Einhaltung klarer Kriterien zur Rekapitalisierung und Restrukturierung der betroffenen Banken eingesetzt werden. Die Bedingungen, die für eine direkte Vergabe von Finanzhilfen aus dem ESM an Banken vorgesehen sind, werden auf absehbare Zeit nicht erfüllt sein. Es muss gewährleistet sein, dass Haftung und Kontrolle zusammenfallen. Bisher versäumte aufsichtsrechtliche Reformen, insbesondere Regelungen für die grenzüberschreitende Restrukturierung und Abwicklung von Banken, sollten zügig umgesetzt werden. Gleichzeitig darf die Lösung der akuten Krise nicht zu einer übereilten Einführung einer Bankenunion führen.
Auseinanderbrechen des Euro-Raums könnte Deutschland 3,3 Billionen Euro kosten
Für Deutschland wäre ein unkontrolliertes Auseinanderbrechen des Euro-Raums mit hohen Risiken verbunden, so der Sachverständigenrat.
Für die deutsche Finanzwirtschaft sowie für deutsche Unternehmen und Privatpersonen würde eine Auflösung der Währungsunion erhebliche Verluste bedeuten. Insgesamt beliefen sich die Forderungen gegenüber dem Euro-Raum Ende des Jahres 2011 auf rund 2,8 Billionen Euro; hierbei sind die Auslandsforderungen der Deutschen Bundesbank gegenüber dem Euro-Raum (einschließlich TARGET2-Forderungen), die sich zum Jahresende 2011 auf 530 Mrd. Euro beliefen, nicht berücksichtigt. Rund 1,5 Billionen Euro entfallen dabei auf Wirtschaftsunternehmen und Private. Bei der Wiedereinführung nationaler Währungen wäre kaum damit zu rechnen, dass die Schuldner aus den Problemländern in der Lage wären, ihre Verbindlichkeiten vollumfänglich zu bedienen. Somit summieren sich die Risiken auf rund 3,3 Billionen Euro allein für Deutschland. Da darf dann schon mal die Frage gestellt werden, warum ein solches Risiko von staatlicher Seite nie quantifiziert, überwacht und gemanaged wurde?
Des weiteren weist der Sachverständigenrat darauf hin, dass bei einem Auseinanderbrechen der Euro-Zone kurzfristig zu einem Unsicherheitsschock kommen könnte. So führte etwa der Zusammenbruch der US-amerikanischen Investmentbank Lehman Brothers im Jahr 2008 zu einem Einbruch der deutschen Wirtschaftsleistung um 5 Prozent.
Die mit einer Wiedereinführung der D-Mark verbundene Aufwertung würde auf Dauer die internationale Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft nicht nur in Europa, sondern auch auf den Weltmärkten erheblich beeinträchtigen, so die Wirtschaftsexperten in ihrem Gutachten. "Es sollte nicht übersehen werden, dass die deutschen Unternehmen in den letzten Jahren erheblich dadurch begünstigt wurden, dass sie in einem Währungsraum produzieren, dessen Währung von den Märkten – anders als beispielsweise der Yen oder der Schweizer Franken – nicht als typische "Starkwährung" angesehen wird. Die Erfahrungen dieser Länder sowie von China und Deutschland in der Phase des Festkurssystems von Bretton Woods zeigen zudem, dass Versuche die Wettbewerbsfähigkeit der eigenen Volkswirtschaft mit Devisenmarktinterventionen zu verteidigen, zu hohen Devisenbeständen führt, mit denen de facto die Staatsverschuldung der Vereinigten Staaten finanziert wird."
Download Gutachten:
Abbildung: Teufelskreis der Banken-, Staatsschulden- und makroökonomischen Krise (Quelle: Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung: Nach dem EU-Gipfel: Zeit für langfristige Lösungen nutzen (Sondergutachten gemäß § 6 Absatz 2 Satz 1 des Gesetzes über die Bildung eines Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung), Wiesbaden, 5. Juli 2012, S. 1.)
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Kommentare zu diesem Beitrag
Der Wirtschaftsweise Peter Bofinger hat das Bundesverfassungsgericht davor gewarnt, die Entscheidung über die Eilanträge gegen den Euro-Rettungsschirm ESM zu lange hinauszuzögern. "Wir haben jetzt schon eine sehr labile Situation im Euro-Raum. Die Risikoaufschläge für Spanien erreichen wieder eine sehr kritische Höhe", sagte Bofinger. "Würden die Richter den ESM stoppen oder auf die lange Bank schieben, wäre das ein gravierender Schock für den Euro-Raum", warnte das Mitglied im Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (SVR). Bofinger widersprach der Einschätzung, dass die Euro-Rettung für Deutschland mehr Gefahren berge als das Auseinanderbrechen der Euro-Zone. www.rp-online.de