Trotz (oder vielleicht sogar wegen?) der anhaltenden Wirtschaftskrise konnte die Risk Management Association e. V. bei ihrer vierten Jahreskonferenz die Teilnehmerzahl abermals steigern: Am 24./25. November trafen sich mehr als 130 Risikomanager aus Deutschland, Österreich und der Schweiz in Ismaning bei München, um sich über aktuelle Entwicklungen zu informieren und ihr Netzwerk zu pflegen und auszuweiten. Ganz im Sinne des Rahmenthemas der Veranstaltung "Mit Risikomanagement erfolgreich aus der Krise" beschränkten sich die Beiträge der Referenten hierbei nicht auf die Ursachenanalyse der Finanzkrise. Vielmehr wurde anhand von modernen theoretischen Ansätzen und zahlreiche Praxisbeispielen aufgezeigt, wie das Risikomanagement als zentrales Instrument zur Sicherung und Steigerung des Unternehmenswertes eingesetzt werden kann.
Prof. Dr. Bernd Raffelhüschen (Foto), Professor für Finanzwissenschaft und Direktor des Forschungszentrums Generationenverträge an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, setzte sich in seinem Vortrag "Demographiekrise – Bankenkrise – Staatskrise" mit Schulden auseinander, die man sieht und solchen, die man nicht sieht. Die offizielle Verschuldung betrug laut Schuldenuhr des Bundes der Steuerzahler 1.613.041.122.272 Euro (als ich diese Zeilen schreibe sind es bereits 1.644.140.939.080 Euro bzw. pro Kopf 20.036 Euro). Das sind 63 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Die Staatsverschuldung Deutschlands wächst dramatisch. Doch der offizielle Schuldenstand, so Raffelhüschen, spiegelt nur die halbe Wahrheit wider, da die zukünftigen Belastungen des Rentensystems, der Beamtenversorgung sowie des Gesundheits- und Pflegesystems in den Zahlen nicht enthalten sind. So rechnete der Finanzexperte vor, dass um unrealistisch optimistischen Fall die Schulden tatsächlich 5.000.000.000.000 Euro betragen und im realistisch optimistischen Fall 9.000.000.000.000 Euro.
Wir leben immer stärker auf Kosten unserer Kinder und Enkel.
Mit einigen gängigen Thesen zur Finanzkrise räumte Raffelhüschen auf. Seiner Ansicht nach wird die Finanzkrise allgemein überschätzt. Und sie wird hysterisch geredet. Vor allem von den Medien, die wohl nur mit einer Schwarmintelligenz ausgestattet seien, so der Finanzexperte. Fische, die im Schwarm unterwegs sind, benötigen nur ein Kurzzeitgedächtnis von wenigen Sekunden, um dem Fisch vor sich zu folgen. Der Finanzwissenschaftler zeigte auf, dass es sich nicht um die größte Finanzmarktkrise der Wirtschaftsgeschichte handeln würde, sondern höchstens die zweit- bis drittgrößte. Auch wenn es starke Einbrüche in den Finanzmärkte gab - das Finanzvermögen ist in Deutschland nach seinen Angaben gerade mal drei Prozent gesunken. Im Jahr 2008 konnte die Gebietskörperschaften – so der Ökonom - die größten Steuereinnahmen in der deutschen Geschichte verbuchen. "Und für dieses Jahr werden die zweitgrößten Steuereinnahmen in der deutschen Geschichte erwartet", so Raffelhüschen weiter. Aufgrund der demografischen Entwicklungen sowie der verfehlten Ausgabenpolitik leben wir immer stärker auf Kosten unserer Kinder und Enkel. "Wir geben für Zinsen mehr Geld aus als für Bildung. Zinsen sind Zahlungen für die Fehler der Vergangenheit", so der Finanzexperte auf der RMA Jahreskonferenz.
Im Kontext der Finanzkrise hatte der Freiburger Wissenschaftler vier Tipps für die anwesenden Risikomanager parat: 1. Lege nicht alle Eier in einen Korb! 2. Lege nicht alle Eier in einen Korb! 3. Lege nicht alle Eier in einen Korb! 4. Lege nicht alle Eier in einen Korb!
Risikomanagement muss gelebt werden!
Jürgen Hahn (Foto), Vorstand Finanzen und Risikomanagement, Marc O‘Polo International GmbH, wies in seinem Vortrag auf die Bedeutung einer gelebten Unternehmens- und Risikokultur hin. Bei den Instrumenten einer risiko- und wertorientierten Steuerung setzt Marc O’Polo auf die Verknüpfung des Risikomanagements mit Prozessmanagement, strategischer und operativer Planung, Balanced Scorecard sowie regelmäßigen Mitarbeiter- und Kundenbefragungen. Basierend auf der Wertschöpfungskette skizzierte Jürgen Hahn die wesentlichen Risiken im Groß- und Einzelhandel.
Dr. Thomas Blunck (Foto), Mitglied des Vorstands der Münchener Rück, wies in seinem Vortrag auf die Bedeutung einer risiko- und wertorientierten Steuerung bei der Münchener Rück hin und zeigte den Mehrwert auf, den Rückversicherer bieten können. Risikomanagement muss seiner Meinung nach in die Kerngeschäftsprozesse und den täglichen Entscheidungsprozess integriert werden.
Dr. Werner Gleißner (Foto), Beirat der Risk Management Association e. V. und Vorstand der Future Value Group AG, beschäftige sich in seinem Vortrag "Meta- und Modellrisiken" mit dem Risiko, ein Risiko falsch einzuschätzen.
Noch immer berücksichtigen viele Risikomanagementsysteme zu wenig die empirischen Erkenntnisse, dass der Risikoumfang selbst volatil ist und extreme Marktbewegungen ("crashs") wesentlich häufiger auftreten als dies der Standardansatz nahe legt. Die notwendigen Verfahren (beispielsweise aus der Extremwerttheorie bzw. aus dem Ansatz der pareto-stabilen Verteilungen) zur Beschreibung und Steuerung von Risiken haben bis heute nicht die notwendige Verbreitung gefunden. Entsprechend wurden die in letzter Zeit zu beobachtenden extremen Marktbewegungen von vielen Marktteilnehmern als so unwahrscheinlich eingeschätzt, dass diese keiner Beachtung wert wären. Die Subprime-Krise ist dafür ein Paradebeispiel. Langlaufende Asset Backed Securities (ABS) wurden an ein so genanntes "Conduit" außerhalb der Bilanz verkauft, das sich über Commercial Papers (CPs) refinanzierte. Für den Fall, dass CPs aufgrund einer Marktstörung nicht mehr begeben werden könnten, stellte die Bank eine "Liquiditätslinie" – eine Eventualverbindlichkeit. Praktisch gingen alle Institute davon aus, dass dieser Fall sehr unwahrscheinlich war, nachdem der CP-Markt auch nach dem 11. September 2001 funktioniert hatte. Einige Banken aber hatten Liquiditätslinien in einer Größenordnung gestellt, die sie im Zweifel nicht bedienen konnten. Mathematisch ausgedrückt, sie hatten ihnen eine Eintrittswahrscheinlichkeit von 0 zugeordnet – unter Normalverteilungsannahme wahrscheinlich sogar vertretbar, in einer Realität mit extremen Marktbedingungen tödlich.
Weitere Informationen zum Thema finden Sie in dem Buch:
Romeike, Frank (Hrsg.): Die Bankenkrise - Ursachen und Folgen im Risikomanagement, Köln 2010, ISBN: 978-3-86556-230-2
[Bildquelle oben: iStockPhoto, alle anderen Bilder: RiskNET GmbH]
Kommentare zu diesem Beitrag
Da bleibt einem doch die Spucke weg.... Fehlt nur noch ein Kommentar aus der Bankenwelt dass die auch keine Schuld trifft. Es muss wohl am Klimawandel liegen.
Daher wundert es mich überhaupt nicht, dass die Umsätze gerade in dem Segment einbrechen, wo man gerade die eigenen Blindheit bewiesen hat. Kurioserweise investieren die Unternehmen mehr Geld in die Professionalisierung ihrer Risikomanagement-Systeme als in der Vergangenheit. Nur fliesst das Geld nicht an die WPs - was aus meiner Sicht auch richtig ist.
Aber es beruhigt mich doch sehr im Handelsblatt zu lesen, dass es Zuwächse im Bereich der Steuerberatung gibt. Je mehr Bürokratie sich die Politik ausdenkt umso praller füllt sich die Kasse bei den WPs. Kurios! Aber die Lobbyarbeit der WPs war schon immer professionell ;-)
Im Rahmen der gesetzlich vorgeschriebenen Bilanzprüfung prüft der Wirtschaftsprüfer zunächst mal, ob die die Rechnungslegung den gesetzlichen Vorschriften entspricht und fügt der Bilanz einen entsprechenden Bestätigungsvermerk an. Basierend auf § 91 II AktG prüft er in dem Kontext auch, ob ein Risikofrüherkennungssystem installiert ist. Er wird aber nicht in die Tiefen solcher Systeme einsteigen oder gar so etwas wie eine Risikokultur prüfen!
Und wo wir schon bei Bescheidenheit sind: Wenn deren tatsächliche Leistung so bescheiden ist, würde denen die gleiche Bescheidenheit sicherlich auch bei der Rechnungsstellung gut zu Gesicht stehen!!!
Und zu der Qualifikation der tatsächlich vor Ort eingesetzten Prüfer kann ich nur meinen Vorredern Recht geben: Hier passt das Thema "Das Risiko, ein Risiko falsch einzuschätzen" hervorragend.