Das Risiko Kommunikation


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Für große Unternehmen aller Branchen ist es heute selbstverständlich, Risiken systematisch zu erfassen und zu behandeln – nicht zuletzt durch das Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich (KonTraG). Jedoch ist es geradezu frappierend, dass Unternehmen in kommunikativer Hinsicht immer wieder erstaunlich unvorbereitet auf öffentliche Vorwürfe und Konfliktsituationen reagieren und gerade dadurch die Krise schüren.
Eine Beobachtung illustriert diesen Umstand: Im Sommer 2007 kam es zu Störfällen in den Kernkraftwerken Krümmel und Brunsbüttel. Auf immer neue Schreckensmeldungen reagierte der Betreiber Vattenfall mit Schweigen und überließ Politikern und Verbänden die Unterrichtung der Öffentlichkeit. Das führte zu weiteren Schwierigkeiten, denn diese instrumentalisierten die Vorfälle für ihre eigenen Zwecke. Am Ende stand eine desinformierte Öffentlichkeit, die nichts mehr mit Atomkraft zu schaffen haben wollte. Sogar der Konzernchef von Vattenfall Lars G. Josefsson gab zu: "Wir waren unfähig, richtig zu kommunizieren."

Kommunikationsrisiken sind Risk Managern offenbar fremd

Das "kommunikative Versagen" verwundert, denn seit etwa den 80er Jahren hat sich in Deutschland in diesem Bereich ein Wirtschafts- und Wissenschaftszweig entwickelt, der sich ausschließlich mit der Prävention sowie dem Management von Unternehmenskrisen befasst. Mit Krisenmanagementsystemen stehen den Unternehmen mannigfaltige Instrumente auch zur kommunikativen Bewältigung von Krisensituationen zur Verfügung und finden, laut Studien, in den Unternehmen Anwendung.
Aber werfen wir einen Blick auf die unterschiedlichen Risiken: Von Markt- über Kredit- bis hin zu technischen Risiken beobachtet das unternehmerische Risikomanagement verschiedenste Unsicherheiten. Der Begriff des kommunikativen Risikos indes findet sich selten im Sprachgebrauch der Risikomanager. Eine von Johanssen + Kretschmer Strategische Kommunikation initiierte und betreute Studie zeigt nun erstmals auf, wie sich kommunikative Risiken für Unternehmen spezifizieren lassen und wie es gelingt, kommunikative Aspekte in Risikomanagementsysteme zu integrieren.

Im Rahmen der Studie wurden Interviews mit Kommunikationsverantwortlichen großer Aktiengesellschaften geführt. Diese zeigen, dass in den Kommunikationsabteilungen der Unternehmen zwar eine hohe Sensibilität für kritische Issues und potenzielle Kommunikationsprobleme herrscht, daraus resultierende Präventionsmechanismen und Krisenmanagementsysteme jedoch weitgehend isoliert vom institutionalisierten Risikomanagement arbeiten.

Kommunikationsrisiken können auf vielen Ebenen lauern

Während die Kommunikationsabteilungen in das Krisenmanagement eingebunden sind bzw. häufig sogar eine führende Position darin einnehmen, spielen sie im Risikomanagement kaum eine Rolle. Zwischen betriebswirtschaftlichem Risikomanagement einerseits und Krisenmanagement andererseits herrscht in den Unternehmen somit oftmals eine Lücke. Als "Allheilmittel" im Umgang mit Risiken wird von den Kommunikationsverantwortlichen häufig das Issues Management ins Feld geführt. Die Studie kommt jedoch zu dem Ergebnis, dass dieses die Lücke allein nicht schließen kann, weil es gar nicht alle Arten von Risiken erfasst. So sind etwa Risiken aus internen Vorfällen und aus kommunikativem Fehlverhalten von der Betrachtung weitgehend ausgeschlossen.

Insgesamt lassen sich sechs Arten kommunikativer Risiken unterscheiden, die zwei Dimensionen zugeordnet werden:

  • Kommunikation selbst kann der Auslöser einer kritischen Situation sein:
  1. Kulturell-strukturell bedingte kommunikative Handlungsrisiken (Erwartungshaltungen von Stakeholdern können nicht erfüllt werden);
  2. Individuell bedingte kommunikative Handlungsrisiken (kommunikatives Fehlverhalten einer Person, die das Unternehmen repräsentiert).
  • Fehlerhafte Kommunikation kann aber auch selbst als Krisenkatalysator, als Verstärker der negativen Wirkung anderweitig ausgelöster Krisen, wirken:
  1. kommunikative Risiken in Verbindung mit (Sicherheits-)Risiken (Störfälle, Produktrückrufe);
  2. entscheidungsbezogene kommunikative Risiken (beispielsweise Börsengang und andere unternehmerische Entscheidungen);
  3. Exogene kommunikative Risiken, bei denen das Unternehmen von außen mit einem kritischen Thema konfrontiert wird;
  4. Endogene kommunikative Risiken, die aus internen Konflikten und Vorgängen hervorgehen.

Geht man von dieser Differenzierung aus, sollten die einzelnen Prozessschritte des betriebswirtschaftlichen Risikomanagements gezielt um kommunikationsbezogene Instrumente erweitert werden, die es ermöglichen, die gesamte Bandbreite kommunikativer Risikolagen von exogen induzierten Ereignissen bis hin zu internen Kommunikationsproblemen abzudecken.

In die Säulen des Risikomanagements (Risikoidentifikation, -bewertung, -behandlung und -kontrolle) müssen dafür prozessual kommunikative Fragestellungen integriert werden. Dies geschieht zuerst im Rahmen der Risikoidentifizierung.  Neben den Instrumenten des Issues Management kommt der Entwicklung und Integration von kommunikativen Szenarien und Stakeholder-Analysen  große Bedeutung zu. Für die Identifikation kommunikativer Handlungsrisiken bieten sich zudem spezielle Checklisten an. Überdies bieten sich Methoden wie Medienanalyse sowie Markt- und Meinungsforschung innerhalb des Risikomanagements an.

Im nächsten Schritt, der Risikobewertung, wird durch eine neuartige Parametrisierung die betriebswirtschaftliche Betrachtung der Schadenshöhe eines Risikos um Auswirkungen auf die Reputation ergänzt. Im Schritt der Risikobehandlung schließlich kommt, im Sinne dieser ganzheitlichen Betrachtung, dem Krisenmanagement eine entscheidende Bedeutung zu. Es greift immer dann, wenn Risiken im Prozess des Risikomanagements nicht ausgeräumt werden können.

Die integrierte Krisenbetrachtung

In diesem Sinne darf also Krisenkommunikation nicht als vom Risiko- und Krisenmanagement losgelöstes Element verstanden werden. Sie reiht sich vielmehr in den Prozesskreislauf des Risikomanagements ein. Ein integriertes Risiko- und Krisenmanagement hebt ineffektive Parallelexistenzen auf und trägt in Zeiten permanenter Öffentlichkeit und kritischer gesellschaftlicher Wahrnehmung zu einer ganzheitlichen Krisenprävention und –bewältigung bei.

Die beschriebenen Methoden- und Parametererweiterungen verhindern, dass plötzlich komplett neue Managementsysteme benötigt werden, weil zwei unvereinbare Systeme (Risikomanagement und Krisenkommunikation) zusammengeführt werden müssen. Vielmehr gilt es in den Unternehmen vorhandene Systeme auszubauen und neue Schnittstellen zu etablieren.

Zum Autor:
Heiko Kretschmer ist geschäftsführender Gesellschafter der Berliner Agentur Johanssen + Kretschmer Strategische Kommunikation.

Die von Heiko Kretschmer initiierte und betreute Studie "Public Relations und Risikomanagement" ist seit Juni 2008 im Buchhandel erhältlich: Kullick, Claudia: Public Relations und Risikomanagement. Berlin, München, Brüssel. ISBN: 978-3-9-3845620-0


[Bildquelle: aboutpixel.de/schmidt.koeln]

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