Schweizer Notenbank wirbelt Märkte durcheinander

Das Schweizer Risiko


Das Schweizer Risiko: Schweizer Notenbank wirbelt Märkte durcheinander News

Für einen Paukenschlag und heftige Verwerfungen an den Finanzmärkten hat am Donnerstag die Schweizerische Nationalbank (SNB) gesorgt. Gänzlich überraschend haben die Währungshüter in Zürich den Franken-Mindestkurs zum Euro aufgegeben und den Kurs der Landeswährung damit binnen Minuten zum Euro auf ein Allzeithoch getrieben. Am Aktienmarkt in Zürich brachen die Kurse daraufhin auf breiter Front ein. Die Rendite Schweizer Staatsanleihen mit zehn Jahren Laufzeit drehte vorübergehend in negatives Terrain. Der Goldpreis legte kräftig zu. Auch der DAX stieg am Nachmittag kräftig und verpasste ein neues Rekordhoch nur knapp.

Gegen 10.30 Uhr MEZ handelte der Euro zum Franken wie schon in den vergangenen Monaten wie festgenagelt knapp über 1,20 Franken. Euro-Käufe durch die SNB auf diesem Niveau verhinderten bislang, dass der Euro unter diesen "Peg" fallen konnte. Als jedoch die Nachricht von der Aufhebung dieses Peg über die Ticker in den Handelsräumen lief, schoss der Euro binnen 20 Minuten um fast 30 Prozent nach unten auf das Allzeittief von 0,8574 Franken.

Anschließend stabilisierte sich der Euro wieder etwas auf 1,04 Franken, knapp über der Parität. "Am Euro-Franken-Markt herrschten für Minuten chaotische Zustände", sagte Lutz Karpowitz von der Commerzbank. Devisenhändler vermuteten, dass die SNB am Markt erneut mit Euro-Käufen interveniert habe, um eine zu starke Aufwertung des Franken und die damit verbundenen Verzerrungen an den Finanzmärkten zu verhindern.

Denn die hatten es in sich. Der SMI-Leitindex der Schweizer Börse rutschte um 8,7 Prozent auf 8.401 Punkte ab. Im Tagestief knickte der Leitindex sogar um fast 14 Prozent oder 1.266 Punkte ein. Zum einen verschlechtern sich mit der stark aufwertenden Währung die Wettbewerbschancen der schweizerischen Wirtschaft. Zum anderen - und das dürfte noch schwerer wiegen - müssen Investoren bei der Bewertung der Aktien in Franken nun einen hohen Abschlag einpreisen.

Der Kurseinbruch am Zürcher Aktienmarkt belastete vorübergehend auch die anderen europäischen Aktienbörsen. Der Euro-Stoxx-50 gab um bis zu 2,2 Prozent nach, erholte sich im Verlauf des Handels aber wieder und schloss 1,9 Prozent fester bei 3.150 Punkten. Der DAX verlor zunächst ebenfalls knapp 2 Prozent, drehte dann jedoch wieder nach oben und verpasste am Nachmittag den Sprung auf ein neues Rekordhoch nur knapp. Er beendete den volatilen Tag 2,2 Prozent höher bei 10.033 Zählern.

Gestützt wurden die Aktienmärkte von den immer näher rückenden Anleihekäufen der EZB. An den Märkten wurde argumentiert, mit der Aufgabe des Mindestwechselkurses Euro/Franken durch die SNB sei diese einem noch größeren Druck nur zuvorgekommen. Denn überschwemme die EZB die Märkte erst mit Euro, indem sie im großen Stil Staatsanleihen kaufe, wäre der Aufwertungsdruck auf den Franken noch stärker geworden. "Die Schweizer Notenbank hat angesichts dieses Horrorszenarios heute die Flucht nach vorn angetreten", sagte ein Devisenhändler.

Die Kurse von eidgenössischen Schwergewichten wie ABB, Credit Suisse, UBS, Richemont und Swatch brachen zwischen 9 und 16 Prozent ein. Der Handlungsdruck der Marktakteure spiegelte sich in extrem hohen Umsätzen wider. In der umsatzstarken Nestle beispielsweise wurden knapp 58 Millionen Aktien umgesetzt, fast zehnmal so viel wie an einem durchschnittlichen Handelstag.

An der Derivatebörse Eurex wurde angesichts der sprunghaft angestiegenen Volatilitäten der Handel mit Terminkontrakten auf den SMI-Index am Vormittag kurzfristig ausgesetzt. Für den Handel mit Derivaten auf Schweizer Einzelaktien wurde der Status "Fast Market" ausgerufen. Das bedeutet, dass bestimmte Regularien für das Trading vorübergehend aufgehoben werden, um überhaupt noch einen Handel gewährleisten zu können.

Die SNB hat ferner das Zielband für den Dreimonatslibor auf minus 1,25 bis minus 0,25 Prozent gesenkt von minus 0,75 bis 0,25 Prozent. Das hatte heftige Verwerfungen im Handel mit Franken-Liquidität unter Banken zur Folge. Schweizer Geldmarktpapiere mit drei Monaten Laufzeit sind von Kursen um minus 0,35 Prozent in wenigen Minuten bis auf minus 0,98 Prozent eingebrochen.

Anschließend pendelten sie sich bei minus 0,80 Prozent ein. "Die Kurse überschießen nach unten. Es wird noch eine Weile dauern, bis der Markt die Nachrichten verdaut hat und zu einer gewissen Ordnung zurückkehrt", sagte ein Geldmarkthändler.

Angesichts dieser Verspannungen an den Märkten retteten sich Investoren in Sicherheit. Der Yen als sicherer Währungshafen wertete zum Dollar, noch stärker aber zum Euro auf. Der Goldpreis stieg um 2,3 Prozent auf 1.263,40 US-Dollar je Feinunze und somit auf den höchsten Stand seit vier Monaten. Zehnjährige deutsche Bundesanleihen stiegen auf den höchsten Stand aller Zeiten. Sie werfen nunmehr eine Rendite von 0,416 Prozent ab. Steigende Anleihekurse bedeuten sinkende Renditen.

Der Tenor von Marktakteuren war einhellig: "Klar ist, dass die Notenbank damit zumindest kurzfristig Glaubwürdigkeit riskiert hat", sagte Manuel Andersch, Schweiz-Stratege bei der BayernLB. Nachdem SNB-Präsident Thomas Jordan immer wieder betont habe, die Notenbank tue alles, um den Euro/Franken nicht unter den Mindestkurs fallen zu lassen, dürfte Jordan nun einen schwereren Stand haben. Für die Schweizer Exportwirtschaft sei die Entscheidung kurzfristig Gift.

Dem Land drohe eine lange Phase der Deflation, prognostizierte die Berenberg Bank. Die Exportunternehmen des Landes dürften wegen des starken Franken unter zunehmenden Wettbewerbsdruck geraten. Produktionsstätten dürften ins Ausland verlagert werden. Auch der Tourismus sowie der Einzelhandel würden in Mitleidenschaft gezogen.

Der Stoxx-50-Index, in dem acht Schweizer Schwergewichte von ABB bis Zurich Insurance enthalten sind, reagierte extrem volatil auf die Nachrichten aus der Schweiz: Der Index gab zunächst um 3,6 Prozent nach, schoss anschließend um mehr als 9 Prozent nach oben und schloss 3,1 Prozent fester. Eine Sprecherin des Indexanbieters Stoxx räumte Probleme bei der Kursfeststellung ein und sagte zu Dow Jones Newswires, die zwischen 10.54 und 11.09 Uhr MEZ ermittelten Kurse des Stoxx-50 würden nachträglich korrigiert.

Andere Nachrichten traten dagegen in den Hintergrund. Aktien von Beiersdorf profitierten von einem soliden Umsatzplus von 4,7 Prozent im vergangenen Jahr, sie stiegen um 5,6 Prozent. Lufthansa blieben mit einem Plus von 0,7 Prozent etwas zurück. Hier verschärfte sich der Ton am Donnerstag in der Auseinandersetzung des Unternehmens mit der Piloten-Vereinigung Cockpit. Zudem sei die Lufthansa mit der Tochter Swissair mittelbar vom aufwertenden Franken betroffen, sagten Händler.

[ Bildquelle Titelbild: © Schlierner - Fotolia.com ]
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