Bilanzierungsgerüchte und Reaktionen von BaFin, Wirtschaftsprüfern und Wirecard in Konzernabschlüssen

Der Fall Wirecard


Edgar Löw / Daniela Kunzweiler (2021): Der Fall Wirecard: Bilanzierungsgerüchte und Reaktionen von BaFin, Wirtschaftsprüfern und Wirecard in Konzernabschlüssen, 108 Seiten, Erich Schmidt Verlag, Berlin 2021, ISBN: 978-3-503-19973-0 Rezension

Die Betrügereien bei Wirecard liefern uns nicht nur ein äußerst schmerzliches Beispiel für Bilanzmanipulation, sondern vor allem einen Beweis für die kollektive Unfähigkeit, fachliche Inkompetenz und Risikoblindheit vieler Akteure, wie beispielsweise BaFin, DPR, KPMG, EY und allen voran politischer Entscheidungsträger. Es musste jedoch erst viele Jahre dauern, trotz evidenzbasierter Fakten und umfangreicher Frühwarnindikatoren, dass auch die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young endlich am 18. Juni 2020 bekannt gab, dass bei Wirecard über die Existenz von Bankguthaben auf Treuhandkonten in Höhe von insgesamt 1,9 Milliarden Euro keine ausreichenden Prüfungsnachweise erlangt werden konnten. Falls viele Bilanz- und Datenprofis bereits zuvor wussten, stellte sich erst jetzt für viele Akteure heraus, dass Wirecard seit Jahren die Bilanzen manipulierte und nach eigenen Vorstellungen ein potemkinsches Dorf baute.

Obwohl auch der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) bereits seit vielen Jahren fundierte Hinweise über Unstimmigkeiten in den Zahlen vorlagen, unternahmen sie nichts. Auch die blinden Prüfer von EY hatten – trotz der von investigativen Journalisten und Analysten bekannten Vorwürfe der Bilanzmanipulation – Wirecard jahrelang korrekte Bilanzen bescheinigt. 

Eine aufschlussreiche Chronologie der Manipulationsvorwürfe und die Reaktionen der wichtigsten Akteure gegenüber der Öffentlichkeit und in Konzernabschlüssen beschreiben Edgar Löw und Daniela Kunzweiler eindrucksvoll in ihrem kompakten 108-seitigen Buch. Dabei zeigt sich: Eine transparente und zielführende Aufklärung wurde von keinem der Kontrollorgane betrieben.

"Der Blog der Financial Times 'FT Alphaville' publizierte eine voluminöse Artikel-Serie unter dem Titel "House of Wirecard" und legte zahlreiche Vorwürfe dar. Doch nicht nur die Financial Times wetterte früh gegen das aus ihrer Sicht obskure Unternehmen, sondern auch kleinere Institutionen und eine Shortsellerin, welche seit 2018 aktiv war und sich an die BaFin wandte, um zu verdeutlichen, dass die Maßnahmen der Aufsicht einen gefährlichen Präzedenzfall und eine Kapitulation vor dem Einfluss der Unternehmen darstellen könne.", so die Autoren in ihrer Einleitung.

Wirecard hat sowohl dem Finanzplatz Deutschland als auch der Qualität der Aufsichtssysteme einen massiven Schaden zugefügt. Wie konnte es den Verantwortlichen gelingen, Aufsichtsräte, Wirtschaftsprüfer, Finanzmarktaufsicht und viele andere hinters Licht zu führen? Oder war es vielmehr so, dass die Ursache in der methodischen Inkompetenz und Risikoblindheit dieser Akteure zu finden ist. Aktuell kratzen wir erst an der Oberfläche und Untersuchungsausschüsse und Experten werden vermutlich noch Jahre brauchen, um die komplette Wirecard-Story an die Oberfläche zu bringen.

Das Buch verdeutlicht, dass sich die BaFin mit sämtlichen Maßnahmen und Äußerungen von Beginn an auf die Seite von Wirecard stellte und wie sich der Vorstand als Organ der Unternehmensführung, der Aufsichtsrat als Kontrollorgan über den Vorstand sowie der Abschlussprüfer im an die Aktionäre gerichteten Bestätigungsvermerk zu den erhobenen Anschuldigungen und konkreten Gerüchten in den Konzernabschlüssen 2014 bis 2019 geäußert haben. Die Untersuchung stützt sich, was die Unternehmensseite anbetrifft, im Wesentlichen auf die jährliche Berichterstattung an Aktionäre, Fremdkapitalgeber und andere Adressaten, einschließlich der Aufsichtsbehörden, mithin auf die Geschäftsberichte und Konzernabschlüsse der Jahre 2014 bis 2019. 

Hierbei hätte bereits der "Reifegrad" auf das dokumentierte Risikomanagement-System bei Wirecard (vgl. Seiten 29 ff.) genügt, um zu erkennen, dass diese Art von Voodoo-Risikomanagement (welches angeblich internationale Standards erfüllt haben soll) ein reines "Alibi-System" ist und weder wirksam sein kann noch mit dem Geschäftsmodell von Wirecard kompatibel ist. Spätestens hier hätten Wirtschaftsprüfer (mit Blick auf ihre eigenen Prüfungsstandard IDWPS 340) und auch die Finanzaufsicht aufwachen müssen.

Fazit: Das Buch liefert eine Chronologie des Wirecard-Skandals von den Anfängen bis zum Zusammenbruch und kann daher als kompakte Einführung empfohlen werden.
 

[ Bildquelle Titelbild: Erich Schmidt Verlag ]
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