Seit mehr als zwei Jahrzehnten beklagt die Industrie in regelmäßigen Abständen Gewinneinbußen infolge schwankender Marktpreise für Rohstoffe und Wechselkursschwankungen bei Exporterlösen. Die Liste der geschädigten Unternehmen liest sich wie das "who-is-who" der deutschen Wirtschaft: BMW, Daimler, Lufthansa sowie zahlreiche Mittelständler gehören zu dem Kreis der Betroffenen. Teilweise finden sich inzwischen in den Jahresberichten Hinweise auf einen Ausbau der Risikomanagementsysteme um auch die Marktpreisschwankungen zu managen. Vielfach mangelt es jedoch an geeigneten Ansätzen zur Risikomessung und -steuerung, insbesondere in mittelständischen Unternehmen.
Der Branchendienst KI Kunststoffinformation hat gemeinsam mit dem Einkaufsdienstleister Inverto aus Köln unlängst eine Befragung unter 220 Vorständen, Geschäftsführern und Einkaufsleitern deutscher Unternehmen durchgeführt. Die Ergebnisse bestätigen das althergebrachte Bild: Bei rund 84 Prozent der befragten Unternehmen wurde seit 2007 das Unternehmensergebnis schon einmal durch Rohstoffpreisschwankungen negativ beeinflusst.
Mehr als zwei Drittel der Befragten rechnen mit steigenden Rohstoffpreisen in den nächsten eineinhalb Jahren. Aber nur die Hälfte der befragten Unternehmen hat mehr oder minder ausreichende interne Kapazitäten zum Rohstoffpreismanagement. Derzeit dominiert die vertragliche Preisabsicherung mit Hilfe langfristiger Lieferkontrakte oder die Weitergabe von Preiserhöhungen an die eigenen Kunden. Umgekehrt fordern mehr als 90 Prozent der Unternehmen zumindest teilweise Preissenkungen ihrer Lieferanten bei sinkenden Marktpreisen für Rohstoffe ein.
Chancen- und Risiken frühzeitig erkennen mit Zukunftssimulationen
Im Gegensatz zu der weit verbreiteten vertraglichen Preisabsicherung im Einkauf verfügen nur rund 20 Prozent der befragten Unternehmen über statistische Prognosemodelle. Der Vorteil der Einführung eines Risikomanagements im Einkauf besteht darin, dass sich viele der in diesen Bereichen vorkommenden Risiken quantifizieren lassen und so Gewinn- und Verlustchancen leichter zu bestimmen sind. Bei Marktpreisrisiken, wie beispielweise Rohstoffpreisen, liegen die idealen Bedingungen für eine Risikomessung vor, da meistens monatliche oder gar tägliche Messgrößen vorliegen und häufig auch eine hinreichend lange Historie für die Adjustierung der Risikomodelle vorliegt. Hinzu kommen häufig Terminpreise und implizite Marktvolatilitäten für eine bessere Zukunftsausrichtung der Modelle.
Die Messung von Chancen und Risiken erfolgt mit Hilfe von stochastischen Analysen (simulationsbasierte Szenarioanalyse) für die zukünftige Entwicklung der relevanten Risikofaktoren und die Veränderung von Umweltzuständen. Zum Zeitpunkt der Risikoprognose ist es ungewiss, ob die tatsächliche Entwicklung eines Marktpreises gemäß den aktuellen Terminpreisen verlaufen wird oder ob sich eine entgegengesetzte Entwicklung einstellt. Die erforderlichen Szenarien können aus der Historie, Expertenbefragungen, aktuellen Marktgegebenheiten und -preisen, Zufallszahlen und vielen anderen Quellen gewonnen werden. Im Bereich der Marktpreisrisiken wird häufig auf Terminpreise, historische und/oder per Zufallszahlen simulierte Preisänderungen zurückgegriffen. Terminpreise werden für meist an Börsen gehandelte Finanzinstrumente und Güter gestellt. Dazu gehören insbesondere Zinsen, Aktien, Wechselkurse, Rohstoffe und Energie.
Arten von Rohstoff-Exposures
Als Rohstoff-Cash-Flow-Exposure eines Unternehmens, das als Käufer auftritt, wird die Gesamtheit der bis zum Ende des Planungshorizonts benötigten Rohstoffe definiert. Der exakte Bedarf ist zum Betrachtungszeitpunkt noch nicht bekannt, der Bezugspreis ist nicht vertraglich fixiert und Verluste aus Rohstoffpreiserhöhungen können nicht sofort durchgereicht werden. Ein Beispiel für diese Exposure sind Unternehmen mit einem von der Nachfrage abhängigen Rohstoffbedarf (beispielsweise in Form von Kunststoffgranulaten), aber im Risikozeitraum verbindlichen Preisen. Für Unternehmen, die als Verkäufer von Rohstoffen auftreten, wie beispielsweise die ölfördernde und -verarbeitende Industrie, besteht die Rohstoff-Cash-Flow-Exposure in sinkenden Rohstoffpreisen. Dabei ist die zukünftige Absatzmenge unsicher und sinkende Rohstoffpreise müssen nicht automatisch zu höheren Absatzmengen führen. Beispielsweise können Erhöhungen der Mineralölsteuer auch bei sinkenden Rohstoffpreisen zu konstanten oder sogar abnehmenden Absatzmengen führen.
Die Rohstoff-Value-Exposure erfasst zum einen die vom Unternehmen gelagerten Rohstoffe, deren Wert ebenfalls Preisschwankungen unterliegen kann. Die Lagerbestände bilden eine Vermögensposition, so dass sinkende Rohstoffpreise zu Wertverlusten führen. Zum anderen kann die Rohstoff-Value-Exposure aus einer Lieferverbindlichkeit bestehen, beispielsweise wenn sich ein Unternehmen verpflichtet, eine festgelegte Menge von Rohstoffen zu einem festen Preis über einen bestimmten Zeitraum zu liefern. Das Risiko besteht in steigenden Rohstoffpreisen, von denen das ausliefernde Unternehmen wegen der Preisfestschreibung nicht profitieren kann. Der Abnehmer der Rohstoffe hat die entgegengesetzte Risikoposition. Seine Verpflichtung, die Rohstoffe zu einem festen Preis zu kaufen, hindert ihn daran, an sinkenden Rohstoffpreisen zu partizipieren.
EBIT at Risk und Cash Flow at Risk
Jedes Unternehmen ist Risikoinformationen interessiert, die transparent machen, unter welchen Umständen das geplante bzw. erwartete Jahresergebnis verfehlt wird. Die Messung eines Cash Flow at Risk, EBIT at Risk oder Budget at Risk liefert die Antwort. Die Messmethode ist bei allen drei Verfahren gleich: Cash Flow at Risk, EBIT at Risk und Budget at Risk unterscheiden sich nur anhand der zu Grunde gelegten Messgröße Cash Flow, EBIT oder Budget. Grundsätzlich sind die drei Risikokennzahlen für alle Arten von Exposuredefinitionen anwendbar, sofern Stromgrößen statt Bestandsgrößen der Risikomessung zu Grunde liegen.
Während der Cash Flow at Risk aus den erwarteten Einnahmen und Ausgaben berechnet wird, gehen in die Earnings at Risk die erwarteten Erträge und Aufwendungen des Unternehmens ein. Im Earnings at Risk-Ansatz werden die Auswirkungen von finanziellen Risiken auf den handelsrechtlichen Jahresgewinn simuliert, aus dem externe Analysten und Investoren Kennzahlen zur Bewertung des Unternehmens etwa die Price-Earnings-Ratio und den Return-on-Equity herleiten. Die Begrenzung der Volatilität von Erträgen kann zu einer Steigerung von Aktienkurs und Shareholder Value des Unternehmens führen. Die Unterschiede zwischen Earnings at Risk und Cash Flow at Risk lassen sich aus den Unterschieden zwischen handelsrechtlicher und pagatorischer Erfassung der Zahlungsströme ableiten. Beispielsweise führt die Durchführung einer Investition pagatorisch zu einer sofortigen, aber einmaligen Auszahlung in Höhe des Anschaffungspreises, während in der handelsrechtlichen Gewinn- und Verlustrechnung der Kaufpreis in Form von Abschreibungen über die Nutzungsdauer verteilt wird. Es wird deutlich, dass es zwischen Earnings at Risk und Cash Flow at Risk Unterschiede bezüglich Betrag und Zeitpunkt einer Zahlung geben kann.
Zur Ermittlung der Cash Flow / Earnings at Risk bedarf es eines geplanten Jahresergebnisses (Referenzwert), das mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit innerhalb des Prognosehorizonts um nicht mehr als den Risikobetrag marktrisikobedingt verfehlt wird. Dieser Risikobetrag folgt aus der Simulation der relevanten Einflussfaktoren, beispielsweise Einkaufspreise für Rohstoffe, Wechselkurse für Importe und Exporte sowie Fremdkapitalzinsen oder Schwankungen der Produktion und Absatzmenge. Die nachfolgende Abbildung illustriert das Grundmodell einer stochastischen Analyse.
Grundmodell einer stochastischen Analyse [Quelle: RiskNET Advisory]
Abbildung: Grundmodell einer stochastischen Analyse [Quelle: RiskNET Advisory]
Die daraus folgende Nachricht an die Geschäftsleitung lautet: Für den Rohstoffeinkauf von Kupfer wird im nächsten Jahr ein Budget von 1,78 Mio. EUR benötigt. Bei konstanten Bedarfsmengen für das Exportgeschäft wird dieses Budget mit 95 Prozent Sicherheit nicht um mehr als 100.000 EUR überschritten in Folge von Marktpreisschwankungen auf den volatilen Weltmärkten. Erscheint der Geschäftsleitung diese mögliche Budgetüberschreitung zu riskant, kann das Risiko gegen Zahlung einer Prämie (Option) und/oder den Verzicht auf Chancen durch sinkende Marktpreise (Termingeschäft) reduziert werden. Die Absicherungswirkung von Maßnahmen lässt sich ebenfalls simulieren.
Vom Risikomanagement im Einkauf zum integrierten Risikomanagement des Unternehmens
Ein stochastischer Ansatz kann neben volatilen Marktpreisen noch weitere Risiko-Faktoren berücksichtigen. Zum Beispiel können die einzelnen Zahlungen durch einen zusätzlichen Zufallsprozess Schwankungen ausgesetzt sein, die von Szenarien für Absatzmengen, Verhalten der Konkurrenten oder Korrelationen mit Marktpreisänderungen abhängig sind. Für die Umsatz- und Liquiditätsplanung eines Unternehmens ist die Verzahnung aller Determinanten wichtig, so dass die Interdependenzen zwischen den Märkten, den Konkurrenten und dem Unternehmenserfolg erfasst werden können. Die Simulation der gesamten GuV ist möglich und wird von einigen Unternehmen bereits erfolgreich praktiziert.
Zukunftssimulationen machen Risiken in Unternehmen transparent. Ein Allheilmittel sind sie aber nicht und das Management können sie erst recht nicht ersetzen. Vielmehr erweitern sie das Frühwarnsystem um ein weiteres Instrument, so dass Bestands gefährdende Entwicklungen zeitnah erkennbar werden. Der hier gezeigte Ansatz liefert hierzu eine praxisnahe stochastische Methode, die den besonderen Anforderungen von Unternehmen gerecht wird.
Intensiv-Seminar: Derivate und Sicherungsgeschäfte zur Risikosteuerung in Unternehmen (RN-S06), 26.-27. Mai 2011 sowie 22.-23. September 2011
Das Verständnis der Preisbildung sowie des Chancen- und Risikoprofils von Derivaten wird in der Industrie immer stärker gefordert. Die seit Jahren volatilen Rohstoff-, Währungs- und Zinsmärkte erfordern zunehmend den Einsatz von Sicherungsinstrumenten um den Erfolg des Unternehmens zu garantieren. Wer sich nicht blind auf Firmenkundenbetreuer und Makler verlassen möchte, sollte sich mit der Konstruktion, Bewertung und Risikoanalyse von Derivaten auseinandersetzen. Diese Veranstaltung liefert Ihnen hierfür ein solides Fundament. Mit Hilfe stochastischer Modelle können neben volatilen Marktpreisen noch weitere Risiko-Faktoren berücksichtigt werden. Neben der Vermittlung von methodischen Kenntnissen wird deren Anwendung in Fallstudien und Übungen mit Excel vertieft.
Sie lernen in diesem Serminar die folgenden Aspekte kennen:
> Wie kommen Kassa- und Terminpreise zustande?
> Wie werden Finanzprodukte aus Basisinstrumenten konstruiert?
> Wie können Derivate bewertet werden?
> Welche Chancen und Risiken sind mit dem Einsatz der einzelnen Derivate verbunden?
> Welche Hedgingstrategien gibt es und was sind die Vor- und Nachteile?
Alle Teilnehmer erhalten nach erfolgreichem Abschluss ein Hochschulzertifikat mit 3 ECTS.
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