An den Stammtischen und in den abendlichen Schlaumeier-Talkshows wissen es alle: Die gierigen Bankvorstände sind Schuld an der schlimmsten Finanzmarktkrise seit Jahrzehnten. Interessant ist an diesen Vorwürfen, dass nicht wenige der Politiker, die diese Vorwürfe erheben, in ihrer Vergangenheit ein wesentlicher Teil des Systems waren. Sie waren als Vorstand oder Kontrolleur in den Finanzinstituten tätig, die sie nun mit milliardenschweren Rettungspaketen vor dem Untergang zu retten versuchen. So war etwa der bis Januar 2009 amtierende US-Finanzminister Henry Paulson im Zeitraum 1999 bis 2006 Vorstand und CEO der US-Investmentbank Goldman Sachs. Von 2006 bis 2009 war er Krisenmanager im Staatsdienst und sieht die Welt auf einmal aus einer sehr eingeengten Perspektive: "Da wird viel Schuld zu verteilen sein. Schuld haben die großen Finanzinstitutionen, die diese unverantwortliche Kreditvergabe begonnen haben. Dazu kommen ihre hochkomplizierten Finanzprodukte, die niemand hinreichend verstand. Auch die Bankiers selbst nicht."
Dieses einbetonierte Bild von Schuldigen und Rettern wurde erst jüngst von Bundespräsident Horst Köhler in seiner Berliner Rede bestätigt. Köhler attestierte der Bundesregierung und dem Bundestag – also den Rettern – ein gutes Krisenmanagement. Und auf der anderen Seite sind die gierigen und bösen Banker. Köhler: "Zu viele Leute mit viel zu wenig eigenem Geld konnten riesige Finanzhebel in Bewegung setzen. Viele Jahre lang gelang es, den Menschen weiszumachen, Schulden seien schon für sich genommen ein Wert; man müsse sie nur handelbar machen. Die Banken kauften und verkauften immer mehr Papiere, deren Wirkung sie selbst nicht mehr verstanden. Im Vordergrund stand die kurzfristige Maximierung der Rendite." Köhler weist darauf hin, dass auch angesehene deutsche Bankinstitute beim Umgang mit dem Risiko zunehmend Durchblick und Weitsicht verloren. Von Selbstkritik auf der Seite der Politik keine Spur.
Eine Feudalgesellschaft auf Raubzug
Im jüngst erschienen Buch "Der große Raubzug" weicht der Autor von der quasi einbetonierten Ursachenanalyse der Stammtischanalysten und Politiker ab und sieht die Ursachen – und überhaupt die gesamte Finanzwelt – mit völlig anderen Augen. Für ihn sind die Verluste der deutschen Banken völlig hausgemacht und das Resultat eines strukturellen Misstrauens des deutschen Beamtenstaates gegen den eigenen Mittelstand. Fast alle Verantwortlichen für die Milliardenverluste sind Funktionäre der drei Regierungsparteien SPD, CDU und CSU.
Für Autor Alexander Dill ist die Zahlung von 480 Milliarden Euro aus Steuermitteln zur Deckung der Spekulationsverluste der Höhepunkt eines jahrzehntelang währenden Raubzuges, der der deutschen Staatskasse gilt. Diese ist nur deshalb notleidend, weil ein Großteil der öffentlichen Mittel dazu verwendet wird, eine große Gruppe von Marktfreien (für den Autor sind dies Bürger, die weder Sozialabgaben leisten müssen noch den Widrigkeiten des Marktes ausgeliefert sind, insbesondere Beamte und Erben) auf Kosten der Marktteilnehmer abzusichern und von Steuern und Sozialabgaben freizustellen. Für Dill hat sich damit die soziale Marktwirtschaft in eine Feudalgesellschaft verwandelt, in der der Großteil der Arbeitenden für die Marktfreien und deren Altersversorgung sowie für die daraus resultierenden Staatsschulden arbeiten muss. Diese Form der dauerhaften Umverteilung von unten nach oben unter dem Schutz des Gesetzes verdient die Bezeichnung korrupt.
Dill sieht die Finanzkrise als "Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für etwa 50.000 deutsche Finanzbeamte im Bundesfinanzministeriums, in der Bundesbank und in den Landesbanken sowie für die Mitglieder des gerne als ‚Fünf Wirtschaftsweise‘ bezeichneten Sachverständigenrates zur Begutachtung der Gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, die offensichtlich seit 1971 alle geschlafen haben" (Seite 12).
Eine Rückversicherungskrise?
In sieben Kapiteln beschäftigt sich Dill zunächst mit den Geldempfängern. Auf fundierte Details – beispielsweise über die Hypo Real Estate, die BayernLB oder die IKB – verzichtet der Autor. Die zitierten Quellen basieren überwiegend auf Pressemeldungen und Artikeln aus der Tagespresse. Mit Feinheiten hält sich der Autor nicht auf: so geht er nicht darauf ein, dass das Rettungspaket in Höhe von 102 Milliarden Euro sich aus (Eigen-)Kapitalhilfen und staatlichen Bürgschaften bzw. Garantien zusammensetzt. Auf Seite 24 kann des Leser lernen, dass die "Subprime-Krise ganz wesentlich eine Rückversicherungskrise ist". Da fragt sich der Leser, warum der Branchenprimus, die Münchener Rück, unbeschadet die Finanzkrise an sich vorbeiziehen lässt. Die Antwort hat Vorstand Nikolaus von Bomhard jüngst in einem Interview geliefert: "… wir waren vielleicht skeptischer als andere und haben unser Pulver trocken gehalten, indem wir uns bei Kreditrisiken seit geraumer Zeit sehr zurückgehalten haben. Wir haben zwar immer wieder überlegt, ob und wann wir einsteigen sollen, aber letzten Endes fanden wir die Risikozuschläge auf die risikofreien Zinsen, die sogenannten Spreads, unbefriedigend". Von Rückversicherungskrise keine Spur.
Falsch ist auch die Behauptung, dass erst die rot-grüne Bundesregierung unter Finanzminister Eichel die Einrichtung von nicht bilanzierungspflichtigen Zweckgesellschaften ermöglicht hat. Banken – und auch andere Unternehmen – konnten immer schon über ausländische Zweckgesellschaften verbriefen. Dies hat nichts mit den Reformen der rot-grünen Regierung zu tun, die es steuerlich nur ermöglichten, dass Verbriefungen von Bankkrediten mit deutschen Emissionsgesellschaften möglich sind.
Ein sinnvolles Instrument des Risikomanagements in einer Reputationskrise
Jörg Asmussen, SPD-Mitglied und Staatssekretär im Bundesministerium der Finanzen, wird ein komplettes Kapitel gewidmet. Er gilt – so Dill – als die treibende Kraft bei der Einführung von Asset Backed Securities (ABS). So war er Mitglied im Gesellschafterbeirat der Lobbyorganisation True Sale International GmbH (TSI), die sich für die Entwicklung des deutschen ABS-Marktes einsetzt. Dill weiter: "Die KfW und die Landesbanken planten allen Ernstes, diese ABS-Papiere Mittelständlern zum Erwerb anzubieten, die damit die für die Kreditvergabe notwendigen Sicherheiten nachweisen sollten!" Diese Aussage ist völlig absurd und basiert auf einer Fehlinterpretation eines Artikels von Jörg Asmussen. Leider gehört auch Dill zu den Anhängern, die der Meinung sind, dass Verbriefungen die primäre Schuld an der Finanzkrise tragen. In der aktuellen Krise wird leider häufig übersehen, dass Verbriefungen als Risikosteuerungsinstrument sinnvoll und effizient sind. Das Teilsegment "US Subprime" mit den auf Mortgage Underlyings fußenden Instrumenten Mortgage Backed Securities (MBS), Collateralized Debt Obligation (CDO) und "CDO squared" hat dem gesamtem Verbriefungsmarkt einen massiven Reputationsschaden zugefügt.
Richtig ist sicherlich, dass die Rolle von Jörg Asmussen als Vertreter des Bundes im Aufsichtsrat der Mittelstandsbank IKB und als Vertreter des BMF im Verwaltungsrat der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin), nur wenig rühmlich war. Weder die Kompetenz noch die Kontrollfunktion von Asmussen werden vom Autor fundiert analysiert.
Auf Seite 51 erfährt der Leser, dass sich in Deutschland alle Banken und Fondkonstruktionen auf die Ratingagenturen verlassen, "die zum Glück alle eben den großen US-Instituten gehört". Diese pauschale Aussage ist falsch, da Banken auch bankinterne Ratings durchführen und die drei großen Ratingagenturen nicht US-Instituten gehören. In der fast hundertjährigen Geschichte der Ratingagenturen wird der Markt von drei Agenturen dominiert, die bereits heute zusammen mehr als 80 Prozent des gesamten Ratingmarktes und in etwa gleichem Verhältnis die globalen Kapitalströme kontrollieren. Die größte Ratingagentur "Standard and Poor‘s Corporation" (S&P) ist eine Tochtergesellschaft des Medienunternehmens McGraw-Hill. Moody’s gehört u. a. Berkshire Hathaway und Davis Selected Advisers. Mehrheitseigentümer der dritten Agentur Fitch ist die französische Holding Fimalac. Daher kann Fitch auch als europäische Ratingagentur angesehen werden.
Das Versagen der Volkswirtschaftler
Schließlich beschäftigt sich der Autor mit der Frage, warum es in Deutschland keine Finanzaufsicht mehr gibt. Es werden die Gewinner der Weltfinanzkrise (nach Dills Meinung im Wesentlichen diverse Vermögensverwalter), das Märchen von der Mittelstandsförderung (Politikern und Staatsbankern ist der Begriff Mittelstand fremd), die Lügen des Finanzministeriums (hier wird Peer Steinbrücks "unsoziale Politik" beschrieben) und das Versagen der deutschen Volkswirtschaftler. Für Autor Dill existiert nur eine Person, die rechtzeitig auf die heraufziehende Finanzkrise hingewiesen hat: Dirk Sollte.
Spätestens im Kapitel "Das Versagen der deutschen Volkswirtschaftler" begibt sich der promovierte Philosoph Dill auf sehr dünnes Eis. "Die Professoren für Volkswirtschaft sind Pfründe, die ohne jede Kontrolle des Gemeinwesens von Berufungskommissionen vergeben werden. Diese achten darauf, dass sich in den Veröffentlichungslisten der angehenden Professoren nur jene Fachzeitschriften finden, in denen seit Jahrzehnten wissenschaftlich verbrämte neoliberale Ideologien veröffentlicht werden" (Seite 127). Leider liegt der Autor völlig schief, wenn er schreibt, dass in keiner der internationalen Zeitschriften eine Warnung vor der Subprime-Krise erschienen sei und sich die Autoren "in akademischen Fachdebatten über Zinssätze, Spieltheorie und in Formeln zur Berechnung volkswirtschaftlicher Größen" ausgelassen hätten (Seite 127). Fakt ist vielmehr, dass viele Wissenschaftler fundiert auf die Krise hingewiesen haben. Auf unserem Portal RiskNET findet der interessierte Leser eine Reihe von wissenschaftlich fundierter Literatur zur Finanzkrise und zu systemischen Risiken, die vor 2007 erschienen sind.
Auf mehr als sechs Seiten werden die Kuratoriumsmitglieder des ifo Institut für Wirtschaftsforschung e. V., deren Präsident Hans-Werner Sinn ist, aufgeführt. Hieraus leitet der Autor ab, dass das ifo-Institut nichts anderes ist als eine "Propagandaagentur für die Ausraubung der Staatskasse" (Seite 128). Auf Seite 136 stolpert der Leser über ein weiteres Missverständnis. Das von Sinn skizzierte "Lemon-Problem" basiert auf einem Fachartikel "The Market for Lemons" des Wissenschaftlers George A. Akerlof. In dem Aufsatz untersuchte er die Mechanismen des Gebrauchtwagenmarkts (Lemon ist in den USA dabei ein umgangssprachlicher Ausdruck für einen qualitativ schlechten Gebrauchtwagen) und konnte zeigen, dass freie Märkte nicht funktionieren, wenn Käufer und Verkäufer ungleichen Zugang zu Informationen haben. Es handelt sich also nicht – wie von Dill unterstellt – um eine Theorie von Hans-Werner Sinn, sondern des Nobelpreisträgers Akerlof, der Wirtschaftsprofessor an der University of California (Berkeley) ist. Statt sich fundiert mit dem Artikel "The Market for Lemons” aus dem Quarterly Journal of Economics aus dem Jahr 1970 (!) zu beschäftigen, begibt sich Dill auf den Pfad von Verschwörungstheorien, die er in einer reißerischen Sprache seinen Lesern serviert (Seite 137): "Die Vermutung ist, dass im Bogenhausener Fürstentum des Multimillionärs Sinn der Rausch der Macht, als Deutschlands führender Volkswirtschaftler zu gelten, der auf jedem Podium, in jeder Kommission gefragt wird, ihn jede Verantwortung für das Gemeinwesen vergessen ließ. Hans-Werner Sinn lebte nicht mehr in einem Staat, der kluge Beamte wie ihn dringend benötigte, um sich und sein Gemeinwesen zu erhalten, sondern er bildete mit seinen Kuratoriumsmitgliedern einen eigenen Staat: den der Marktfreien, von Bürgern, die selbst den Gefahren des Marktes nicht mehr ausgesetzt sind und deshalb die Sensibilität und das Gespür dafür verloren haben, wann ein Zustand unhaltbar oder gefährlich ist".
Die Suche nach Sündenböcken ist von allen Jagdarten die einfachste
In der Liste der Hauptverantwortlichen hat Dill 46 Haupttäter zusammengefasst und weist aber (wohl als Haftungsausschluss) darauf hin, dass die Liste keine Antwort darauf gibt, ob und wie die Genannten dienstrechtlich, zivil- oder strafrechtlich haftbar zu machen sind (Seite 163). Bei einigen Namen wird sich der Leser fragen, warum dieser aufgeführt wurde und beispielsweise Georg Funke, von Juli 2003 bis Oktober 2008 Vorstandsvorsitzender der Hypo Real Estate, in der Liste nicht auftaucht. Auch Gerhard Bruckermann sucht der Leser vergeblich. Erst der frühere Depfa-Chef siedelte die Depfa-Bank – ursprünglich im Jahr 1922 als staatliche Preußische Landespfandbriefanstalt gegründet – in die irische Hauptstadt Dublin über. Dort beginnt er mit seinem Team riesige Derivate-Summen zu bewegen: Bereits im Jahr 2006 stehen 364 Milliarden Euro der Finanzwetten in der Bilanz. Warum die beiden Herren – die für Maßlosigkeit und Unfähigkeit quasi Pate stehen – in der Liste nicht aufgeführt werden, weiß nur Alexander Dill.
Irrlehren vom Wirtschaftssystem, vom Markt, von Angebot und Nachfrage
Auf dreieinhalb Seiten klärt der Autor seine Leser über die "Irrlehre vom Wirtschaftssystem" auf (Seite 179): "In der Wirtschaft dagegen ist alles umgekehrt: Sie basiert ausschließlich und vollkommen auf Misstrauen. Deshalb müssen die schwächsten Marktteilnehmer, die Empfänger von Arbeitslosengeld und Hartz IV nicht nur mindestens drei Wochen auf das ihnen zustehende Geld der Gemeinschaft warten – oft Monate! –, sondern dafür auch noch 18,25 % Überziehungszins bei der ehemals staatseigenen Postbank bezahlen." Die Argumentationskette ist dann auch schnell gefunden: die staatlichen Banken zocken lieber auf den internationalen Finanzmärkten, als dass sie den Mittelständlern Geld geben. Auf die "Irrlehre vom Wirtschaftssystem" folgt die "Irrlehre vom Wachstum". Als Argumentationsunterstützung wird die im Jahr 1972 veröffentlichte Studie "The Limits to Growth" herangezogen, die im Auftrag des Club of Rome erstellt wurde. Dabei handelt es sich nicht um eine Studie des Club of Rome – wie vom Autor fälschlicherweise angenommen, sondern eine Studie, die von Donella und Dennis L. Meadows am Jay W. Forrester Institut für Systemdynamik (Massachusetts Institute of Technology) durchgeführt haben – im Auftrag des Club of Rome.
In weiteren Kapiteln klärt der Autor seine Leser über die Irrlehren vom Markt, von Angebot und Nachfrage (ich hatte bisher immer gedacht, dass der Begriff das geregelte Zusammenführen von Angebot und Nachfrage von Waren, Dienstleistungen und Rechten beschreibt) und über die Irrlehre vom globalen Wettbewerb auf.
Lösung: Mehr Kinder und Einheitspension
Und endlich folgt im Kapitel "Wie eine einzige Reform den Staatshaushalt sanieren könnte" die Lösung (Seite 201): "Ab sofort werden alle Beamten in die gesetzliche Sozialversicherung aufgenommen. Ab sofort bekommen alle Beamten und Pensionäre eine Einheitspension von 1.200 Euro (das liegt in der Nähe der Durchschnittsrente in der gesetzlichen Rentenversicherung)." Dill weiter: "Es sei deshalb darauf hingewiesen, dass bereits eine Sozialabgabe von 5 Prozent auf die Vermögens- und Unternehmenseinkommen mit einem Betrag von 32 Milliarden Euro zusammen mit den bereits erwähnten Reformen der Rentenversicherung für einen dauerhaft ausgeglichenen Staatshaushalt sorgen würde." Und schließlich weist der Autor uns darauf hin, dass wir wieder mehr Kinder brauchen, um die sozialen Sicherungssysteme in Deutschland aufrechterhalten zu können (Seite 206). Aha!
Was lehrt uns das Buch? Zunächst einmal lernen wir, dass die eigentlichen Ursachen der Finanzkrise etwas komplexer sind, als diese in der Gier der Bankvorstände identifiziert zu haben. Dill sieht die wesentlichen Ursachen für die "deutsche Finanzkrise" in der Politik und interpretiert die Finanzkrise schlichtweg als Höhepunkt eines jahrzehntelang währenden Raubzuges, um eine große Gruppe von Marktfreien (Beamte etc.) zu finanzieren. Den eigentlichen Ursachen der Finanzkrise nähert sich Dill jedoch nicht.
Ein wesentlicher Grund für die Blasenentwicklung auf dem US-Immobilienmarkt liegt in der Niedrigzinspolitik der US-amerikanischen Notenbank nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001. Der damalige US-Notenbankchef Alan Greenspan wollte mit einer drastischen Senkung der Leitzinsen eine Rezession der amerikanischen Wirtschaft verhindern. In einem boomenden Immobilienmarkt vergaben die Banken – gedrängt durch die Politik – "billige" Kredite an US-Bürger, die sich den Traum vom Eigenheim verwirklichen wollten. Im Glauben an ewig steigende Immobilienpreise wurden auch Kredite an Kreditnehmer vergeben, bei denen klar sein musste, dass sie die Hypothek bei wieder steigenden Zinsen nicht würden bezahlen können. Durch die Verbriefung und den Verkauf der Kreditrisiken haben sich die ursprünglichen Gläubiger des Ausfallrisikos entledigt, so dass sie sorglos wurden und Kredite vergeben haben, die sie nicht vergeben hätten, wenn sie das Risiko in den eigenen Büchern behalten hätten. Die verbrieften – angeblich risikolosen Papiere – wurden dann sehr gerne von Banken, Versicherungen und Hedgefonds weltweit – eben auch in Deutschland – ins Portfolio genommen, da deren Kunden (!), Investoren (!) und Aufsichtsräte (!) eine hohe Rendite verlangten.
Leider weist die Publikation von Dill nachweislich (siehe oben) diverse (Recherche-)Schwächen auf bietet nur eine begrenzte Hilfe für eine fundierte und seriöse Aufarbeitung der aktuellen Finanzkrise. Das ist schade, da die einbetonierte Ursachenanalyse (= die gierigen Banker und die Retter aus der Politik) so wohl weiter bestehen bleibt.
Alexander Dill: Der große Raubzug – Wie im Windschatten der Weltfinanzkrise die Staatskassen geplündert werden
FinanzBuch Verlag, München 2009, 236 Seiten, 19,90 Euro, ISBN 978-3-89879-489-3
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Interview mit Autor Alexander Dill:
Alexander Dill ist promovierter Philosoph und hat - nach eigenen Angaben - vom American Dream auf New Yorks Park Avenue bis zu den Höhen und Tiefen der New Economy schon fast alles mitgemacht. So leitete er zeitweise die Initiative für gemeinsames deutsches Auslandsmarketing und ist an einem Softwareunternehmen für die Fotoindustrie beteiligt. Als Autor hat er sich durch Essays in Wirtschaftsmedien einen Namen gemacht. Seine Wirtschaftsseite, ist Treffpunkt für Wirtschaftswissenschaftler, die dem Mainstream der neoliberalen Forscher widersprechen. In seinem Buch "Die Erfolgsfalle" schrieb er bereits 2006: "So, wie der Staat beim Erfolg seiner Bürger Bankrott geht, wenn er sie nicht rechtzeitig zur Kasse bittet, geht auch die Börse an den ständig steigenden Kursen zu Grunde, weil sie die Verkäufe, also die Realisierung der Gewinne, endlos herausschiebt, was nur bei kontinuierlichem Wachstum gut gehen kann."
RiskNET: An den Stammtischen und in den abendlichen Schlaumeier-Talkshows wissen es alle: Die gierigen Bankvorstände sind Schuld an der schlimmsten Finanzmarktkrise seit Jahrzehnten. Interessant ist an diesen Vorwürfen, dass nicht wenige der Politiker, die diese Vorwürfe erheben, in ihrer Vergangenheit ein wesentlicher Teil des Systems waren. Sie drehen das Bild komplett um und schreiben in Ihrem Buch, dass die Finanzkrise das Resultat eines strukturellen Misstrauens des deutschen Beamtenstaates gegen den eigenen Mittelstand ist. Fast alle Verantwortlichen für die Milliardenverluste sind Funktionäre der drei Regierungsparteien SPD, CDU und CSU. Das sind schwere Vorwürfe.
Alexander Dill: Ursprünglich hatte ich auch mal geglaubt, dass die Finanzkrise etwa mit den CDOs und CDS zu tun hat. Dies erklärt aber nicht, warum unsere Staatsbanken in diesen Markt investiert haben. Die Banken sind in diesen Markt hineingegangen, weil sie kein Kapital von ihrer eigenen Regierung bekommen haben. Und als jemand um die Ecke kam und den Vorständen sagte, dass sie gar kein Kapital bräuchten und nur für eine Bürgschaft unterschreiben müssten, waren sie sofort dabei und haben auf den US-Immobilienmarkt gezockt.
RiskNET: Liegt der Grund für die Finanzkrise nicht eher in der Situation, dass weltweit eine gewisse Vorstellung von einer angemessenen Rendite existierte und viele Banken diese Rendite mit ihren traditionellen Geschäftsmodellen – etwa im Geschäft mit dem Mittelstand – nicht erreichen konnten? Wenn man sich die Ziele anschaut, die Aufsichtsräte mit Vorständen vereinbart hatten, dann findet man dort Renditeziele und Wachstumsziele. Hierbei ging es jedoch nie um eine risikoadjustierte Rendite.
Alexander Dill: Wir haben tatsächlich die Situation gehabt, dass diese Ziele zwischen Vorstand und Aufsichtsrat vereinbart wurden. Doch wir müssen einen Schritt zurückgehen. Der Aufsichtsrat hat dieser Ziel definiert, weil McKinsey, Roland Berger und Boston Consulting den Aufsichtsratsmitgliedern diese Ziele eingetrichtert haben.
RiskNET: Ist das nicht eine völlig groteske Welt … vor wenigen Wochen gab es eine Meldung, in der darauf hingewiesen wurde, dass McKinsey riesige Wachstumsraten bei Projekten im Risikomanagement verbuchen würde. Die gleichen Berater, die Banken in die Sackgasse oder in den Abgrund geschickt haben, verdienen heute Geld mit deren Rettung.
Alexander Dill: Ja, die Situation ist grotesk. Die genannten Berater sind vor allem selbst kein Risiko eingegangen, sondern haben mit ihren Empfehlungen – die einige Marktteilnehmer in den Abgrund geführt haben – gutes Geld verdient. Wir haben die Situation, dass in vielen Fällen der "Bock zum Gärtner" gemacht wird. Roland Berger wird als Unterhändler für die Rettung des Opel-Konzerns engagiert und verhandelt mit dem Bundeswirtschaftsministerium. Jörg Asmussen, Staatssekretär im Bundesfinanzministerium, ist Mitglied der Expertengruppe "Neue Finanzmarktarchitektur", die Vorschläge für neue Finanzmarktregeln entwerfen sollen, um die Marktransparenz zu erhöhen. Keiner der Verantwortlichen wurde zur Rechenschaft gezogen. Das gleiche gilt auch für die Wirtschaftsweisen, die ständig als Experten interviewt werden und auf der anderen Seite eine wesentliche Mitschuld an der aktuellen Krise haben.
RiskNET: Die Staatskasse ist aus Ihrer Perspektive nur deshalb notleidend, weil ein Großteil der öffentlichen Mittel dazu verwendet wird, eine große Gruppe von Marktfreien (Bürger, die weder Sozialabgaben leisten müssen noch den Widrigkeiten des Marktes ausgeliefert sind, insbesondere Beamte und Erben) auf Kosten der Marktteilnehmer abzusichern und von Steuern und Sozialabgaben freizustellen. Ist das der Grund für den von Ihnen skizzierten Raubzug?
Alexander Dill: Es ist der entscheidende Punkt. Um die hohen Pensionen und Beamtenentgelte zu finanzieren, sind viele Staatsbanken auf den Markt der CDS und CDOs gegangen. Die Staatskasse ist nur deshalb notleidend, weil ein Großteil der öffentlichen Mittel dazu verwendet wird, eine große Gruppe von Marktfreien auf Kosten der Marktteilnehmer abzusichern und von Steuern und Sozialabgaben freizustellen.
RiskNET: Können wir die Ursachen für die aktuelle Finanzkrise (und auch vieler anderer Finanzkrisen in der Vergangenheit) mit der "Theorie der nervösen Frösche" erklären? Also ist der Herdentrieb der ausschlaggebende Faktor für die Finanzkrise (Dominoeffekt) gewesen? Nach der Logik: Wenn die großen, erfolgreichen Finanzmarkt-Player in diesem Segment engagiert sind, dann muss ich auch dabei sein ...
Alexander Dill: Das klingt zu harmlos. Die Vorstellung, dass sich Geld von alleine vermehrt, ist ein Irrglauben. In den USA hatten die Banken mit einer Hebelwirkung von 1 zu 62,5 unvorstellbare Mengen sogenannten "Fiat moneys" generiert. Einer Weltsparleistung von drei Billionen Dollar im Jahr 2006 stand eine Neuverschuldung von 20 Billionen Dollar gegenüber. Die Staatsschulden weltweit betrugen 92,45 Billionen Dollar. Wer derartige Hebel für "normal" hält, muss eigentlich für unmündig erklärt werden.
RiskNET: Sie konzentrieren sich in ihrem Buch "Der große Raubzug" ausschließlich auf Deutschland. Bei der Lektüre Ihres Buches hat man daher den Eindruck, dass die Ursachen der Finanzkrise in Deutschland zu finden sind. Täuscht dieses Bild?
Alexander Dill: Die originären Ursachen sicherlich nicht. Allerdings ist die Situation in allen Ländern höchst unterschiedlich. Im Hintergrund der Finanzkrise kämpfen noch zwei unterschiedliche Altersversorgungssysteme. Auf der einen Seite kapitalbasierte und auf der anderen Seite umlagenfinanzierte Altersversorgungssysteme, wie etwa in Deutschland. Dies ist zunächst einmal ein großer Vorteil für Deutschland, denn dadurch wurden keine Vermögenswerte in Fondsblasen vernichtet, sondern das System ist so dynamisch, dass es sofort geändert werden könnte.
Die deutsche Betroffenheit in Bezug auf die Finanzkrise ist eine völlig andere als beispielsweise in den USA. Wenn man sich beispielsweise die Portfolien der Hypo Real Estate anschaut, dann stellt man fest, dass in Kommunalobligationen investiert wurde und nicht etwa – wie bei Lehmann Brothers – in privatwirtschaftliche Unternehmen. In dem Zusammenhang muss man feststellen, dass die HRE auch kein Systemrisiko für privatwirtschaftliche Unternehmen darstellt, sondern vor allem ein Risiko für den Staat. Wenn man sich die Portfolien der HSH Nordbank anschaut, dann stellt man fest, dass im Windschatten der Finanzkrise die faulen Kredite aus Schiffsfinanzierungen verpackt werden. Im Hintergrund steht das Ziel, den eigenen Kopf und die eigene Pension zu retten. Es ist daher auch völlig falsch von einem "Banken"-Rettungspaket zu sprechen.
RiskNET: Begibt man sich als Philosoph nicht auf ganz dünnes Eis, wenn Sie sich auf wenigen Seiten mit den Irrlehren der Volkswirtschaft, des Wachstums, von Angebot und Nachfrage und vom globalen Wettbewerb beschäftigen?
Alexander Dill: Fast keiner der sogenannten Finanzwissenschaftler und Volkswirte haben diese Krise vorausgesagt. Vielmehr wurde ein Menschenbild gepredigt, was uns erst in die aktuelle Situation manövriert hat. Warum haben nicht Experten aus anderen Disziplinen das Recht die Situation kritisch zu hinterfragen? Ein Beispiel ist das Bild des homo oeconomicus, also ein nach Nutzenkalkül handelnder Entscheidungstyp. Er handelt rational und maximiert seinen eigenen Nutzen. Dieses Menschenbild darf man als Philosoph hinterfragen.
RiskNET: Gibt es einen Unterschied zwischen "wirtschaftlicher Risikobereitschaft" und "Glücksspiel"? Sind die Finanzmärkte nichts anderes als ein großes Spielcasino? Ist möglicherweise die Unterscheidung zwischen dem, was einfach Glücksspiel genannt wird und "produktiver ökonomischer Betätigung" eine sozial konstruierte? Oder anders formuliert: Glücksspiel imitiert nicht das wirtschaftliche Leben, aber das wirtschaftliche Leben ist zu einem großen Teil dem Glücksspiel nachempfunden! Das war die Grundidee von John Law, der fälschlicherweise nicht selten als der Erfinder des Papiergeldes angesehen wird.
Alexander Dill: Es gibt einen wesentlichen Unterschied. Wenn ein Marktteilnehmer wirtschaftliche Risiken ein, so ist er davon überzeugt, dass er mit wissenschaftlichen Methoden exakt berechnet hat, dass seine Entscheidung korrekt ist. Der Glücksspieler demgegenüber liefert sich dem Schicksal aus und bildet sich nicht ein, dass er das Glück rational beeinflussen kann oder gar wissenschaftlich berechnen kann. Ich habe noch nie einen Glücksspieler kennengelernt, der mir eine rationale Begründung für seine Entscheidung genannt hat.
RiskNET: Was haben Sie gegen Jörg Asmussen, Staatssekretär im Bundesministerium der Finanzen? Sie widmen ihm immerhin ein komplettes Kapitel.
Alexander Dill: Gegen ihn habe ich nichts. Als junger Ministerialbeamter, der der Boston Consulting Group hörig ist, hat es immerhin geschafft seine Chefs – früher Eichel und heute Steinbrück – davon zu überzeugen, dass es das allerbeste für Deutschland ist, wenn in CDS-Papiere investiert wird. Er ist auch heute noch davon überzeugt. Jörg Asmussen ist die treibende Kraft bei der Einführung von asset backed securities (ABS) in das öffentliche Banking gewesen. So war er bereits 2003 an der Gründung der True Sale International GmbH (TSI), einer Handelsplattform zur Förderung der Geschäfte mit ABS, beteiligt. Jörg Asmussen war auch Mitglied im Aufsichtsrat der IKB. Jörg Asmussen, der ABS als angebliches Finanzierungsinstrument für den Mittelstand ideologisch und institutionell zu verantworten hat, ist heute Mitglied des Leitungsausschusses des Bundesfinanzministeriums, der eben jene 480 Milliarden vergibt, die durch Asmussens Handeln verloren wurden.
RiskNET: Beim Lesen der Liste der Hauptverantwortlichen kann mir sofort in den Sinn, dass sie hoffentlich einen guten Anwalt und eine solide Rechtsschutz- und Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung abgeschlossen haben. Ich habe Georg Funke vermisst, der zwischen Juli 2003 bis Oktober 2008 Vorstandsvorsitzender der Hypo Real Estate war und ganz wesentlich die Verluste der HRE zu verantworten hat. Warum haben Sie Gerhard Bruckermann in Ihrer Täterliste nicht aufgeführt?
Alexander Dill: Man könnte sicherlich noch viele Namen ergänzen. Bei der Auswahl der Personen musste ich hermeneutisch vorgehen. Die Liste besteht im Kern aus Personen, die sich öffentlich zum CDO- und CDS-Markt geäußert haben. Einerseits wurden jene aufgenommen, die zur Einführung dieser Finanzierungen aktiv beigetragen haben, sei es durch den Ruf nach Liberalisierung der Finanzmärkte, sei es durch den Verzicht auf staatliche Kontrolle, und andererseits jene, die nun dafür sorgen, dass die Verluste allein der deutsche Steuerzahler tragen muss, während die Verantwortlichen nicht einen Cent dazu beitragen müssen.
RiskNET: Der frühere Chefökonom der Weltbank, Joseph Stiglitz, äusserte sich vor einiger Zeit in einem Interview, dass die Amerikaner froh sein können, dass die Europäer dumm genug waren, die faulen Hypothekenkredite aufzukaufen. Stiglitz weiter: "Das Finanzsystem und die Banken haben mit ihren sogenannten Innovationen die Risiken nicht gemanagt und begrenzt, sondern neue Risiken geschaffen - die Banken haben total versagt", so der Nobelpreisträger des Jahres 2001. Würden Sie die Aussage Joseph Stiglitz unterschreiben? Waren einige europäische Marktteilnehmer zu dumm, um die wahren Risiken zu erkennen?
Alexander Dill: Die Hörigkeit gegenüber den Beratern von McKinsey & Co war einfach viel zu groß. Die deutschen Banken waren mit ihrem "Stupid German Money" in der ersten Reihe mit dabei. Vielen Marktteilnehmern fehlte schlichtweg die Expertise zur Einschätzung von US-Subprime und den Risiken. Insbesondere fehlte ein gesunder Menschenverstand bei den Marktteilnehmern.
RiskNET: Wie können wir die nächste Krise verhindern?
Alexander Dill: Es handelt sich nicht um eine Krise, sondern ein Schneeballsystem. In den meisten Ländern sind diese Systeme mittlerweile verboten. Dementsprechend werden die Verantwortlichen auch zur Rechenschaft gezogen. Ich bin mir sicher, dass es zukünftig kein System mehr geben wird, bei dem man an die reine und automatische Geldvermehrung glaubt. Dies kann dadurch erreicht werden, dass die Rendite abgeschafft wird.
[Das Interview führte Frank Romeike, Chefredakteur RiskNET]
Kommentare zu diesem Beitrag
Alexander Dill führt Jörg Asmussen als Beispiel auf. Das Beispiel ist gut, da Asmussen noch 2006 als Ministerialdirektor des Finanzministeriums den für die aktuelle Krise mitursächlichen Asset-Backed-Securities-Markt in höchste Tönen lobte. Er wandte sich gegen "unnötige" Kontrollen und eine stärkere Regulierung der Finanzmärkte. Heute ist er als Retter unterwegs und agiert in der Rolle eines Staatssekretär als "Architekt" des deutschen "Rettungspakets".
@Marcus: Die Rolle von Jörg Asmussen wird völlig überinterpretiert. Who is "Jörg Asmussen" wird man jenseits des Atlantiks fragen ...
Die "Österreichischen Schule" hatte bereits seit 2002 vor extremen Marktmanipulationen durch die Politik gewarnt. Leider hat niemand zugehört!
Das alleinig Bänker, Gelehrte und "Reiche" schuld sein, ist etwas zu einfach und wohl eher linkslastig-populistisch gemeint.
Die Krise wurde durch eine Vielzahl von teils extrem verschiedenen Ursachen ausgelöst. Hier sind unter anderem amerikanisch Steuergesetz aus den 70er Jahren zu erwähnen, unsachgemäße Geldpolitik der FED nach 2001 und viele, viele mehr. Auch wird meines Erachtens zu wenig über die Eigenverantwortung amerikanischer Häuslebauer diskutiert. Jeder der einen Kredit aufnimmt, obwohl er weiß, dass er diesen eher nicht zurückzahlen kann, handelt verantwortungslos - nicht nur sich und seiner Familie gegenüber.
Übrigens, dass gerade wir Deutschen besonders in diese Finanzprodukte investierten, liegt wohl u.a. auch an der fehlenden Investitionsmöglichkeit in den Standort Deutschland. Langjährige Eigenkapitaldiskriminierung aufgrund unseres deutschen Steuersystems drängte auch den Privatanleger in amerikanische Finanzprodukte, wie Lehman-Zertifikate, zu investieren. Schon vergessen? Sind dafür wirklich deutsche Bänker und Volkswirte verantwortlich? Definitiv nicht!
Immerhin hat des FED Mitte 2003 die Federal Funds Rate auf ein Prozent abgesenkt, um die amerikanische Konjunktur zu stimulieren (und eben auch die Blasenentwicklung auf dem Immobilienmarkt erst zu ermöglichen).
Zum Zweiten hat die Politik durch Gesetze (siehe Novelle des Community Reinvestment Act in den 1990er Jahren) es erst ermöglicht (bzw. das Geschäft forciert), dass US-Banken Kredite mit variablem Zinssatz an Schuldner mit mäßiger Bonität vergaben. Einige Marktteilnehmer wurde quasi in den Subprime-Markt seitens der Politik hineingedrängt.
Zum Dritten hat die Regulierung (in einer der am stärksten regulierten Branchen) über Jahre geschlafen.
Wenn solche Institute nicht massiv gestützt werden, würde dies in einer weiteren Katastrophe enden. Ich bin aus persönlichem Hintergrund ein starker Gegner sozialistischer Marktvorstellungen und auch von Verstaatlichung. Doch Lehman-Brothers hätte sofort verstaatlicht werden sollen. Daraus haben alle gelernt und deshalb sind unsere Steuergelder leider notwendig und gerechtfertigt, um schlimmeres für ALLE zu verhindern. Und damit auch für jeden Arbeitsplatz bei Opel, bei dem Mittelständler aus der Oberpfalz oder einem innovativen Start-up-Unternehmen aus Berlin.
Wo liegen die systemischen Risiken bei der HRE?
1. Die Aktionäre und Investoren (= Eigentümer) sind mit dem Risiko eines Totalverlusts konfrontiert. Das sollte aber jeder Aktionär und Investor wissen (= kein systemisches Risiko)
2. Die HRE fällt als Kreditgeber für Städte und Kommunen aus. Okay, soll der Staat also sich selbst Kredit geben (auch das ist kein systemisches Risiko) - und hier liegt möglicherweise der Hase im Pfeffer ;-)
3. Die Kurse fallen am Pfandbriefmarkt (auch das ist das Risiko eines Investors)
4. Banken als Geldgeber: Prinzipiell auch hier das Kreditrisiko des Geldleihers - auch nur in Grenzen systemisch.
5. Das eigentliche Systemrisiko sehe ich originär nicht in der HRE, sondern in dem massiven Vertrauensverlust nach einer Pleite. Aber dieser Vertrauensverlust ist eh schon eingetreten ... und jede weitere Milliarde Staatsknete erhöht diesen Vertrauensverlust nur noch ...
P.S. Leider zeichnen sich auch private Banken nur in den seltensten Fällen durch Kompetenz in den Aufsichtsgremien aus ... aber das ist ein anderes Thema!
Systemrisiko bezieht sich hauptsächlich auf den Interbankenmarkt der Finanzbranche. Hierbei leihen sich Finanzinstitute täglich Geld untereinander und refinanzieren sich somit. Bei Eigenkapitalquoten von 3-8 Prozent, kann ein Ausfall eines einzigen Handelspartners schwerwiegende Folgen für gleich mehrere (sonst noch "überlebensfähige" Banken) haben, sodass sie in Liquiditätsschwierigkeiten kommen und insolvent gehen. Hierbei geht es nicht nur um Millionenbeträge, die die HRE an diesem Markt handelt (deshalb auch meine Bemerkung zur Bilanzsumme.)
Im World Economic Forum Global Risk Report 2006 und BIS Report aus dem Jahr 2001 kann man lesen: "Systemic risks are risks that originate in an identifiable event that threatens predictable harm to one element of the system and which, due to links between different systemic components is (or has the potential to be) amplified in either magnitude or direction, leading to substantial damage to the system as a whole. The term is widely used in financial markets and has been defined in that context as '…the risk that an event will trigger a loss of economic value or confidence in, and attendant increases in uncertainty about, a substantial portion of the financial system that is serious enough to quite probably have significant adverse effects on the real economy.'
It is thus the linkages within a system and the possibility that certain events will have grave (and possibly unforeseen) consequences for the system as a whole, or other parts thereof not directly connected to the original event, that make certain risks systemic. Because these links and the indirect impacts of particular events are often not transparent, or properly understood, instruments to manage and mitigate such risks may not be readily available."
Auch bei der IKB wurde mit dem Argument "systemic risk" Milliardenbeträge in ein Fass ohne Boden gesteckt. Von "significant adverse effects" kann man der IKB aber wohl kaum sprechen. Bei der HRE hat mir noch niemand diese "systemic risks" transparent dargestellt und quantifiziert (etwa mit Hilfe der Szenarioanalyse)
Ich wollte lediglich zum Ausdruck bringen, dass das Zusammenbrechen / Insolvenz der HRE den Interbankenmarkt so stark tangieren würde, dass andere Großbanken aus Liquiditätsgründen ebenfalls insolvent gehen würden. D.h. das gesamte Refinanzierungssystem der Banken - der Interbankemarkt - könnte mit dem Wegbrechen eines großen Akteurs, wie der HRE, zusammenbrechen. Dies würde unmittelbar die gesamte Realwirtschaft fatal treffen.
Nun Verhalten sich Interessengruppen, wie Beamte, Politiker und reiche Unternehmer etc. nur mal wie es die menschliche Psyche und das kollektive Sozialverhalten implizieren. Und in einem geldbasierten Anreizsystem nutzen diese Interessengruppen natürlich alle legalen (meist) Wege um sich langfristig besser zu stellen, so wie es wohl jedes Individuum an ihrer Stelle täte. Dazu nutzen sie ihre Machtmittel - Macht,Einfluss und Kapital. Sofern das kapitalistische System gewisse einkommes-darwinistische Effekte durch eine weitsichtige Regulation wie z.B. mit "sozialer Marktwirschaft" verhindern möchte, so werden diese Maßnahmen mit der Zeit konsequent unterlaufen, ausgehebelt - teils so geschickt, dass es dem Normalbürger / Angestellten / Steuerzahler / Lastenesel garnicht auffällt (bis auf die Abzüge am Lohnzettel). Insofern sind die "Enthüllungen" des Autors nichts Neues und lassen sich mit einer gewissen Kenntnis kapitalistischer Anreizsysteme leicht am Stammtisch herleiten. In diesem thematischen Zusammenhang ist u.a. auch auf den unpopulären Philosophen Karl Marx und sein Werk "Das Kapital" zu verweisen, in dem derartige evolutorische Entwicklungen wie die Finanzkrise bereits als Systemkritik vorweggenommen wurden.
Im Endeffekt ist die Finanzkrise somit ein ganz normales Kind des globalen Kapitalismus und derartige "Fehlzündungen" wird dieses System auch in Zukunft produzieren. Allein aus dem Grund, das das Anreizsystem, in Verbindung mit der kolletiven Schwäche des Homo Sapiens für den eingenen Vorteil, ein Faktum sind. Ferner aber insbesonders auch durch das mangelhafte Langzeit-Lernvermögen der Menschheit bezüglich Katastrophen. Wäre dies anders, hätte es nicht soviele Kriege im Laufe der Geschichte gegeben.
Letztlich stehen die Chancen somit gut, dass sich das globale Wirtschaftssystem langfristig überlebt und zusammenbricht, wenn es in der bisherigen Form weitergeführt wird. Soziale Unruhen sind bereits jetzt wahrscheinlich, wenn nicht sogar vorprogrammiert. Fiktiv extrapoliert wird es vermutlich viele Zyklen des Aufblühens und des totalen Niedergangs geben, bis in XXX Jahren vielleicht/hoffentlich ein erfolgreicheres System an die Stelle des Kapitalismus tritt. Das wäre ein evolutorischer Quantensprung der Menschheit (sofern es nicht der Kommunismus ist).
Daher wäre eine Publikation, die mehrere Disziplinen zusammenführt und Antworten auf die von Ihnen aufgeworfenen Fragen liefert, ein sinnvoller Schritt. Da wir für Herbst 2009 eine Publikation mit einer fundierten Analyse der Finanzkrise geplant haben, sollten wir uns gelegentlich unterhalten. Ich schicke Ihnen im Laufe der nächsten Tage ein E-Mail.
Dies erklärt allerdings weder das Versagen von Asmussen bei der IKB-Kontrolle noch sein Engagement auf dem Verbriefungsmarkt (der ja per se nicht schlecht ist, siehe Text von F. Romeike oben - aber in den vergangenen Jahren pervertiert wurde) und auch nicht sein Engagement SPVs ausserhalb der eigenen Bücher zu erlauben.
ist gewissermaßen die Fortsetzung von
"Der große Raubzug: Wie im Windschatten der Weltfinanzkrise die Staatskassen geplündert werden"