Leicht hat es Mario Draghi in Deutschland noch nie so richtig gehabt. Doch jetzt weht dem Präsidenten der Europäischen Zentralbank der Wind noch schärfer ins Gesicht. Die Kritik kommt nicht nur aus Bundesbank und Politik, sondern auch von den Banken und Versicherern. Die Vorwürfe wiegen schwer: Die EZB verzerre durch Anleihenkäufe nicht nur den Wettbewerb, sondern treibe die Investoren auch in riskante Anlagen.
Bis Ende September 2016 will die EZB jeden Monat Anleihen für 60 Milliarden Euro kaufen. Das findet die Munich Re schlicht "falsch". "Sparer und institutionelle Langfristanleger werden gleichermaßen belastet, denn sie werden in unsichere Anlageformen getrieben", sagte Finanzvorstand Jörg Schneider dem Wall Street Journal. "Dass die EZB zum Marktpreis kauft, ist doch eine Illusion, denn die Kurse der Anleihen werden schon durch die Ankündigung von EZB-Käufen nach oben getrieben", kritisierte er.
Dabei ist die Lage für Rückversicherer im Vergleich zu den Banken noch nahezu entspannt. Sie können bei den jährlich neu verhandelten Verträgen die niedrigen Zinsen einrechnen. Allerdings ist ihr Spielraum angesichts der gestiegenen Konkurrenz in der Branche begrenzt. Inzwischen investieren auch Hedgefonds in Versicherungsrisiken und setzen die traditionellen Anbieter damit stärker unter Druck. Langfristig wird es für die klassischen Rückversicherer jedenfalls immer schwieriger, Rendite und Profitabilität zu erhalten.
Für die Banken ist die Lage noch verzwickter. Bislang konnten sie sich über die Fristentransformation retten. Eine Bank refinanziert sich durch eine kurze Zinsbindung. Das Geld verleiht sie längerfristig und zu höheren Zinsen an ihre Kunden. Damit verdient die Bank ihr Geld. Je enger die Differenz zwischen lang- und kurzfristigen Zinsen, desto weniger lukrativ ist das Geschäft.
Das Problem: Es gibt keine risikoarme Alternative. Das Ziel der EZB ist es, mehr Kredite zu forcieren und dadurch vor allem in Südeuropa der Wirtschaft einen Schub zu geben. "Allerdings ist die Kehrseite, dass Banken dazu neigen könnten, die Kredite weniger genau zu prüfen, als wenn das Geld knapp ist", warnte Jan Holthusen, Leiter Fixed Income Research bei der DZ Bank. Dadurch ist das Ausfallrisiko höher. "Einige Banken dürften sich durch das EZB-Programm animieren lassen, wieder höhere Risiken einzugehen", sagte er. Das gleiche gelte für Lebensversicherungen und Pensionskassen.
Damit könnten die Bemühungen der Regulierer wieder zunichte gemacht werden. Seit dem Beginn der Finanzkrise im Jahr 2007 ist es ihr Ziel, das Finanzsystem zu stabilisieren. Nie wieder sollen Konzerne aus Angst vor einem Dominoeffekt mit dem Geld der Steuerzahler gerettet werden. Um Finanzhäusern die Lust auf riskante Anlagen zu nehmen, haben die Aufseher die Kapitalvorgaben stark angehoben. Je riskanter das Geschäft, desto höher muss das Eigenkapital sein. Doch nun könnten sie angesichts der niedrigen Zinsen wieder auf die Idee kommen, wieder ins Risiko zu gehen, warnte jüngst Bafin-Präsidentin Elke König. Der Risikovorstand einer großen Bank bestätigte ihre Befürchtungen. "Irgendwann müssen wir uns fragen, wo das Geld herkommen soll", sagte er.
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Der Finanzvorstand der Munich Re, Jörg Schneider, hält die Staatsanleihenkäufe durch die Europäische Zentralbank (EZB) schlicht für "falsch". Der Vorstand des weltgrößten Rückversicherers sagte dem Wall Street Journal: "Sparer und institutionelle Langfristanleger werden gleichermaßen belastet, denn sie werden in unsichere Anlageformen getrieben." Das Risiko für Vermögenspreisblasen wird seiner Einschätzung nach steigen. Schneider: "Dass die EZB 'zum Marktpreis' kauft, ist doch eine Illusion, denn die Kurse der Anleihen werden schon durch die Ankündigung von EZB-Käufen nach oben getrieben."
Die EZB will bis Ende September 2016 jeden Monat Staatsanleihen und Privatanleihen für 60 Milliarden Euro kaufen. Das Aufkaufprogramm beginne im März, kündigte EZB-Präsident Mario Draghi am Donnerstag an.
Auch politisch hält Schneider die Entscheidung der EZB für das falsche Signal. Der Druck auf die Staaten, mit nachhaltigen Reformen die Wirtschaft in Schwung zu bringen, die Arbeitslosigkeit gerade für die jungen Menschen abzubauen und ihre Finanzen zu konsolidieren, verringere sich, sagte der Finanzvorstand. Schon bei der Bewertung der Deflationsgefahren könne man unterschiedlicher Meinung sein, wie ernst diese seien. "Noch dazu halte ich den Staatsanleihenkauf nicht für ein geeignetes Mittel, um Deflationsgefahren in Europa zu begegnen", sagte Schneider.
Unterm Strich fällt sein Urteil negativ aus. Staatsanleihenkäufe durch die EZB bergen laut Schneider große Risiken, ohne dass damit hinreichend sicher das Ziel einer Stimulierung von Inflation und Wirtschaftswachstum erreicht wird. "Und die EZB verschießt ihr Pulver, bevor die Selbstheilungskräfte der europäischen Wirtschaft wirken konnten", sagte Schneider.
Bundesbank-Präsident Jens Weidmann hat den Beschluss des EZB-Rats zum Ankauf von Staatsanleihen kritisiert. In einem Interview mit der Bild sagte Weidmann: "Der Ankauf von Staatsanleihen ist in der Währungsunion kein Instrument wie jedes andere. Es birgt Risiken." Konkret warnte Weidmann vor einer Gefährdung der Unabhängigkeit der EZB. Seine Äußerungen deuten darauf hin, dass Weidmann im Rat gegen die Entscheidung zum Ankauf von Staatsanleihen gestimmt hat.
Auf die Frage, ob die EZB künftig noch so unabhängig sei wie es die Bundesbank zu Zeiten der D-Mark war, sagte Weidmann: "Fakt ist, dass mit dem neuen Programm die Notenbanken im EZB-System zu den größten Gläubigern der Euro-Staaten werden. Das birgt das Risiko, dass solides Haushalten vernachlässigt wird. Und es könnte der politische Druck auf uns steigern, die Zinslast der Finanzminister dauerhaft niedrig zu halten."
Weidmann forderte, die EZB müsse sich auf die Kernaufgabe Preisstabilität konzentrieren. "Gerade wenn es für die Politik unbequem wird, kommen schnell die Rufe nach der Notenbank auf. Wir müssen uns aber auf unsere Kernaufgabe konzentrieren: mittelfristig für stabile Preise zu sorgen. Das wird dann herausfordernd, wenn die Zinsen wieder erhöht werden müssen", sagte der Bundesbank-Chef dem Blatt.
Die Anleihekäufe der Eurozone-Zentralbanken werden nach Aussage von EZB-Direktor Benoit Coeure nicht zwangsläufig im September 2016 enden. In einem Interview mit Bloomberg TV sagte Coeure: "Wenn wir das, was wir erreichen wollten und erreichen sollten, weil es dem Mandat der EZB entspricht und weil das in den Verträgen steht - nämlich die Inflation mittelfristig zurück in den Bereich von knapp 2 Prozent zu bringen - wenn wir das nicht erreicht haben, dann müssen wir mehr tun und wir müssen es länger tun." Coeure fügte hinzu: "Dieses Programm ist nicht begrenzt."
EZB-Präsident Mario Draghi hatte den Beschluss des EZB-Rats zu den Anleiheankäufen so dargestellt: "Die Ankäufe sollen bis Ende September 2016 und in jedem Fall so lange erfolgen, bis wir eine nachhaltige Korrektur der Inflationsentwicklung erkennen, die im Einklang steht mit unserem Ziel, mittelfristig Inflationsraten von unter, aber nahe 2 Prozent zu erreichen."
Die Eurozone-Zentralbanken werden bis September 2016 Anleihen für rund 1,1 Billionen Euro kaufen. Der größte Teil davon werden Staatsanleihen sein. Bundesbank-Präsident Jens Weidmann hat den Beschluss unterdessen öffentlich kritisiert, so dass davon auszugehen ist, dass er dagegen gestimmt hat.
Bundeskanzlerin Angela Merkel hielt sich mit einem Kommentar dagegen zurück. Nach einem Treffen mit dem italienischen Ministerpräsidenten Matteo Renzi in dessen Heimatstadt Florenz sagte sie, die EZB fälle ihre Entscheidung unabhängig, "deshalb kommentieren wir das in Deutschland auch nie - nicht so rum und nicht so rum".
Italiens Notenbankchef Ignazio Visco hat Zweifel daran geäußert, ob das von der Europäischen Zentralbank (EZB) am Donnerstag angekündigte Anleihekaufprogramm vom Umfang her ausreichen wird, um eine Deflation abzuwenden. Außerdem bedauerte er, dass die Euro-Staaten bei der sogenannten Quantitativen Lockerung (QE) nicht mehr Verantwortung übernehmen. Die EZB will bis mindestens September nächsten Jahres für insgesamt rund 1,1 Billionen Euro Anleihen zurückkaufen, der größte Teil davon Staatsanleihen. Visco machte zudem deutlich, dass das QE-Programm grundsätzlich unbegrenzt ist.
Ähnlich hatte sich bereits EZB-Direktor Benoit Coeure geäußert. In einem Interview mit Bloomberg TV hatte Coeure gesagt: "Wenn wir das, was wir erreichen wollten und erreichen sollten, weil es dem Mandat der EZB entspricht und weil das in den Verträgen steht - nämlich die Inflation mittelfristig zurück in den Bereich von knapp 2 Prozent zu bringen - wenn wir das nicht erreicht haben, dann müssen wir mehr tun und wir müssen es länger tun." Coeure fügte hinzu: "Dieses Programm ist nicht begrenzt."
Visco sagte zudem, er hätte sich gewünscht, dass die Euro-Staaten im Rahmen des QE-Programms mehr Risiken im Sinne einer gemeinschaftlichen Verlustdeckung übernommen hätten. Dies war aber offenbar mit Deutschland nicht zu machen. Der Neuen Osnabrücker Zeitung hatte EZB-Direktor und QE-Befürworter Yves Mersch gesagt, dass keine volle Verlustteilung vereinbart worden sei, um Risiken und unerwünschte Nebenwirkungen zu verhindern.
"Es gibt also keine Gemeinschaftshaftung wie sie bei Eurobonds vorliegen würde", erklärte der EZB-Direktor. "Den deutschen Bedenken ist weitgehend Rechnung getragen worden, auch wenn man es vielleicht nur im Kleingedruckten sieht."
Unterdessen reißt die Kritik an dem Anleihekaufprogramm der EZB nicht ab. "Was die Europäische Zentralbank tut, schadet der Altersvorsorge", sagte Maximilian Zimmerer, Vorstandsmitglied des Versicherungskonzerns Allianz, der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. "Langfristiges Sparen lohnt kaum noch, und damit entsteht eine große Gefahr für künftige Rentner."
Bei dem aktuell sehr niedrigen Zinsniveau sei das Anleihekaufprogramm nahezu wirkungslos, es sei denn, das Ziel sei eine weitere Abschwächung des Euro, fügte Zimmerer hinzu. Die Maßnahmen der EZB führten zu einem niedrigeren Angebot an Anleihen, was wiederum zu noch weiter sinkenden Zinsen führe. "Wo ist da der Sparanreiz?", fragte Zimmerer. "Diese Entwicklung kann nicht nachhaltig sein."
Gemeinsames Ziel in Europa müsse es sein, die hohen Staatsschulden zu verringern. Gerade Privatanleger hätten nur wenig Möglichkeiten, sich gegen die Nullzinspolitik der EZB zu wehren.