In der europäischen Geldpolitik gab es in den letzten Wochen einige überraschende Gerüchte. Das wichtigste war, dass die EZB ihr Wertpapierankaufsprogramm im kommenden Jahr langsam auslaufen lassen könnte. Manche taten das ab als das übliche Marktgerede, das man nicht ernst nehmen muss. Andere waren etwas nachdenklicher mit dem Argument: Wo Rauch ist, ist auch Feuer.
Ich will noch einen Schritt weitergehen. Ich glaube, dass die Geldpolitik tatsächlich an dem berühmten "Inflection Point" angekommen ist. Acht Jahre lang hat sie die Wirtschaft mit immer neuen Maßnahmen gestärkt. Sie hat alles getan, um zuerst die große Finanzkrise und dann die Eurokrise zu überwinden. Sie hat dabei auch erhebliche Erfolge erzielt. Ohne sie stünde Europa heute viel schlechter da.
Jetzt aber kommt die Zeit für den Exit aus dieser Politik. Der Grund ist, dass sich bei der Inflation erste Besserungszeichen zeigen. Im September ist die Preissteigerung im Euroraum zum ersten Mal wieder auf 0,4 % gestiegen. Das war der höchste Satz seit zwei Jahren. Natürlich ist das noch weit von dem Ziel der EZB von "nahe, aber unter 2 %" entfernt.
Die Inflation steigt wieder an: Preissteigerung im Euroraum [Quelle: EZB]
Aber alle Indizien deuten darauf hin, dass die Rate in den kommenden Monaten weiter anziehen wird. Die Energiepreise gehen wieder nach oben. Nahrungsmittel, Industriegüter und Dienstleistungen werden teurer. Die Löhne steigen in der Bundesrepublik um 2,5 %, ohne dass die Produktivität entsprechend zunehmen würde. Die Konjunktur ist ordentlich. Die öffentlichen Defizite gehen nach oben. Natürlich gibt es noch Probleme. In einigen Euro-Ländern gehen die Preise noch zurück. Bei den Preiserwartungen zeigt sich noch keine große Bewegung. Aber der Anfang ist gemacht.
Die Europäische Zentralbank, die sicher nicht in dem Verdacht steht, die Verhältnisse auf diesem Gebiet schön reden zu wollen, rechnet insgesamt mit einer Zunahme der Inflation im Euroraum auf 1,2 % in 2017 und 1,6 % in 2018. In der Grafik habe ich diese Prognose in Verlaufsraten übersetzt. Es zeigt sich – wenn die Annahmen richtig sind – eine klare Trendwende in der Entwicklung. Die Preissteigerung hat den Tiefpunkt im Sommer dieses Jahres erreicht. Von nun an geht es deutlich nach oben. Wenn wir in zwei Jahren zurückblicken, werden wir den Herbst 2016 als den Wendepunkt diagnostizieren.
Das ist die Zeit, an dem auch die Geldpolitik über ihre Strategie nachdenken muss. Sie muss nicht sofort reagieren. Sie kann noch warten, bis die Indizien noch klarer sind und die Inflation noch stärker zunimmt. Aber früher oder später kommt sie nicht darum herum, den Grad der monetären Lockerung den veränderten Verhältnissen anzupassen. Das bedeutet im Klartext: Sie wird nicht nur das Volumen der Wertpapierkäufe nicht mehr anheben. Sie wird es im Gegenteil zurückführen. Das kann natürlich nicht in einem Schritt von heute auf morgen geschehen. Sie könnte ihre Käufe aber sukzessive von Monat zu Monat reduzieren. Das war das Verfahren, das die amerikanische Federal Reserve im Jahre 2014 anwandte und das damals unter dem Namen "Tapering" bekannt wurde. Der erste Zeitpunkt, der sich dafür anbietet, wäre der März 2017, an dem das jetzige Programm ohnehin ausläuft. Es könnte aber auch erst ein paar Monate später geschehen.
An eine Zinserhöhung ist selbstverständlich noch nicht zu denken. Die kommt erst, wenn die Wertpapierkäufe ganz zurückgeführt sind, also frühestens in den Jahren 2018/ 2019.
Manche widersprechen. Sie sagen, die Veränderungen bei der Geldentwertung seien in erster Linie durch die Ölpreise bedingt. Ohne sie käme die Inflation noch nicht nach oben. Das ist richtig. Aber erstens ist die sogenannte Kernrate der Inflation (also die Rate ohne Energie und Nahrungsmittelpreise) immer ein nachlaufender Indikator. Sie wird also erst in ein paar Monaten steigen. Zweitens hat die Geldpolitik 2011 reagiert, als die Ölpreise fielen. Sie muss daher auch handeln, wenn die Ölpreise wieder steigen.
Autor:
Dr. Martin W. Hüfner, Chief Economist, Assenagon Asset Management S.A.