Angesichts der westlichen Sanktionen gegen Russland erwägt die Regierung einem Medienbericht zufolge ein Überflugverbot für westliche Fluglinien. Die Zeitung "Wedomosti" berichtete am Dienstag unter Berufung auf informierte Kreise, das Außen- und das Verkehrsministerium seien im Gespräch, die Überfluggenehmigungen einzuschränken oder ganz zu verbieten, davon betroffen könnten Lufthansa, British Airways oder Air France sein. Fluggesellschaften nutzen in der Regel bei Flügen von Europa nach Asien den Weg über Sibirien, da dieser am kürzesten und damit am günstigsten ist.
Die russische Fluglinie Aeroflot erhält für die Überfluggenehmigungen laut "Wedomosti" jährlich 225 Millionen Euro. Aeroflot wollte sich am Dienstag nicht zu dem Bericht äußern. Die russische Billigfluglinie Dobrolet, eine Tochtergesellschaft von Aeroflot, die von Moskau auf die annektierte ukrainische Halbinsel Krim flog, hatte am Montag mitgeteilt, wegen der Sanktionen ihren Betrieb einzustellen. Der russische Ministerpräsident Dmitri Medwedew sagte am Dienstag, Russland müsse über Gegenmaßnahmen zu den westlichen Sanktionen nachdenken.
Der Regierungschef sagte bei einer Kabinettssitzung zudem, die Regierung müsse über eine Erhöhung der Steuern nachdenken. Bei der Planung des Staatshaushalts für die Jahre 2015 bis 2017 müssten die "negativen Folgen" der in der Ukraine-Krise gegen russische Unternehmen erlassenen Sanktionen berücksichtigt werden, sagte Medwedew. Es müssten zudem "zusätzliche Maßnahmen zur Steigerung der Einnahmen" erwogen werden, darunter als "letztes Mittel" auch Steuererhöhungen.
Die USA und die EU beschlossen im Juli weitreichende Wirtschaftssanktionen, um Moskau zur Änderung seines Verhaltens in der Ukraine-Krise zu zwingen. Der Westen wirft der russischen Regierung vor, die prorussischen Separatisten im umkämpften Osten der Ukraine mit Waffen und Kämpfern zu unterstützen. Die Sanktionen schränken unter anderem den Zugang russischer Staatsbanken zum westlichen Finanzmarkt ein, zudem wird der Verkauf von Waffen und militärisch einsetzbaren Gütern an Russland verboten. Auch die Lieferung von Technologie für den Ölsektor wird eingeschränkt.
Russische Regierungsvertreter zeigten sich bislang demonstrativ unbeeindruckt von den Sanktionen. Internationale Experten erwarten jedoch, dass die russische Wirtschaft wegen der Strafmaßnahmen in die Rezession stürzt. Medwedew sagte am Dienstag, die Bedingungen für "ausländische Investitionen" und "ausländische Kreditgewährung" seien "nicht sehr gut". Russland werde zudem wegen der Exportbeschränkungen versuchen, Importe aus dem Westen zu ersetzen.
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Nach der Verhängung schärferer Sanktionen gegen Russland bereitet sich die Bundesregierung auf mögliche wirtschaftliche Reaktionen Moskaus vor. Die Fachleute im Auswärtigen Amt befassten sich "ganz konkret mit der Frage: Was können denn mögliche Gegenreaktionen sein und wie könnte dann eine Gegenreaktion der Bundesregierung aussehen", erklärte Außenamtssprecherin Sawsan Chebli am Mittwoch in Berlin. Details nannte sie nicht. Die wirtschaftlichen Auswirkungen der angespannten Lage in der Ukraine sind derweil immer spürbarer: Die Auftragseingänge der deutschen Industrie gingen im Juni um 3,2 Prozent zurück, das Wirtschaftsklima in der Eurozone trübte sich laut einer ifo-Umfrage deutlich ein.
"Wer Sanktionen verhängt, muss auch mit den Kosten rechnen", bekräftigte Chebli frühere Aussagen der Bundesregierung. Es sei hinreichend bekannt, dass die russische Regierung unter Wladimir Putin auf Druck mit Gegendruck reagiere. Letztendlich handele es sich bislang aber nur um Spekulationen, was von russischer Seite an Gegenmaßnahmen kommen könnte, betonte Chebli. Die Bundesregierung sei dem nicht ausgeliefert. "Wir machen uns schon Gedanken, was es für die Bundesregierung bedeutet, wenn da was kommt."
Bislang sei nur bekannt, dass es auf russischer Seite Einfuhrbeschränkungen für die Lieferung von Äpfeln und Kohl aus Polen gebe, sagte Vize-Regierungssprecherin Christiane Wirtz. Die Bundesregierung werde die Auswirkungen der Sanktionen sehr genau beobachten, erklärte Wirtz und verwies darauf, dass die beschlossenen Maßnahmen innerhalb von drei Monaten durch die EU überprüft werden sollen.
"Konjunktur ist intakt"
Für das von SPD-Chef Sigmar Gabriel geführte Wirtschaftsministerium erklärte Sprecher Adrian Toschev, die Auswirkungen der Sanktionen würden sehr genau verfolgt. Man nehme die Probleme "sehr ernst", die einzelnen Unternehmen gegebenenfalls entstehen könnten.
"Wir verfolgen insbesondere die konjunkturelle Entwicklung", sagte Toschev. Zwar habe es im Zeitraum Januar bis Mai 2014 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum einen Rückgang der Exporte nach Russland um 14,7 Prozent gegeben. Was die Gesamtlage angeht, so sei "die konjunkturelle Aufwärtsentwicklung in Deutschland allerdings intakt". Es gelte die vorsichtige Frühjahrsprognose von 1,8 Prozent der Bundesregierung. "Der Aufschwung basiert auf einem sehr starken privaten Konsum und momentan gibt es für die konjunkturelle Entwicklung keinen Anlass zur Änderung."
Auf die Frage, ob es aufgrund höherer Risiken Änderungen bei den Konditionen für Hermesbürgschaften gebe, erklärte der Sprecher, diese seien nicht teurer geworden. Zu Forderungen aus den Bundesländern nach einer Wirtschaftsminister-Konferenz mit Minister Gabriel sagte Toschev, ein Termin für eine solche Veranstaltung sei nicht bekannt. Es sei den Landeswirtschaftsministern unbenommen, eine solche Konferenz einzuberufen.
Einzelne deutsche Unternehmen können derzeit allerdings auch bei starken Auswirkungen der Russland-Sanktionen nicht auf breite staatliche Hilfen zur Abfederung der negativen Effekte hoffen, wie der Vertreter der Europäischen Kommission in Deutschland, Richard Kühnel, deutlich machte. Zwar prüfe auch Brüssel die Folgen der Sanktionen für die Firmen, doch sei dies "primär eine unternehmerische Frage, die die Unternehmen für sich stellen müssen", erklärte er. Wie weit auch öffentliche Unterstützung nötig werde, sei erst in der weiteren Folge eine Frage.
Als Reaktion auf Moskaus Verhalten in der Ukraine-Krise verhängten die 28 Mitgliedstaaten bereits mehrfach Sanktionen gegen Russland. Die vergangene Woche beschlossene Verschärfung umfasst hauptsächlich ein Waffenembargo, Maßnahmen im Bereich Kapitalmarkt sowie Verbote für die Ausfuhr von Dual-Use-Gütern und Ausrüstung für bestimmte Projekte im Energiebereich. Daneben geht es um die Ausweitung von Kontensperrungen und Einreiseverboten sowie ein Investitions- und Lieferverbot für bestimmte Infrastrukturprojekte auf der Krim.
Aufträge brechen ein
In die am Morgen veröffentlichten Juni-Zahlen für die Auftragseingänge in der deutschen Industrie konnten die neuesten Sanktionen naturgemäß noch nicht einfließen. Gleichwohl lassen die Zahlen kaum eine Wende zum Besseren erwarten: Die Auftragseingänge gingen vor allem wegen eines Einbruchs bei den Großaufträgen im Juni gegenüber dem Vormonat um 3,2 Prozent zurück, wie das Statistische Bundesamt mitteilte. Das Bundeswirtschaftsministerium machte für die Entwicklung hauptsächlich "geopolitische Entwicklungen und Risiken" verantwortlich, die offenbar zu einer Zurückhaltung bei den Bestellungen geführt hätten.
Im Mai hatte es bereits ein Auftragsminus von 1,6 Prozent im Vergleich zum April gegeben. Von Dow Jones befragte Volkswirte hatten für Juni mit einem Plus von 0,8 Prozent gerechnet.
Laut Ministerium kam der Rückgang nicht unerwartet. Einige Stimmungsindikatoren hätten dies bereits angedeutet, hieß es. "Es ist daher zu erwarten, dass sich die Industriekonjunktur in den kommenden Monaten eher moderat entwickeln wird", zeigte sich das Wirtschaftsministerium beim Blick in die Zukunft denn auch skeptisch.
Der am Mittwoch veröffentlichte ifo-Index für die Wirtschaft im Euroraum zeigt für das dritte Quartal eine deutliche Eintrübung. Er ging um 4,1 Punkte auf 118,9 zurück, nachdem er zuvor mit 123,0 Zählern den höchsten Stand seit Ende 2007 erreicht hatte. Er sank damit auch unter den Stand im Auftaktquartal 2014 von 119,9. Damit hat sich die optimistische Einschätzung aus dem zweiten Quartal verflüchtigt und die damals geäußerte Erwartung zerschlagen, dass die konjunkturelle Erholung weiter Fahrt aufnehmen wird.
Besonders belastet durch die absehbaren Folgen der Russland-Sanktionen sei die Stimmungslage in Estland und Finnland, zwei Länder mit ausgeprägtem Russland-Geschäft. Nur in Irland, den Niederlanden und Österreich zeichne sich eine leichte Verbesserung auf gedämpftem Niveau ab. Deutschland sticht laut der ifo-Umfrage weiter durch seine sehr gute wirtschaftliche Verfassung heraus.
Die Zweifel an der Zuverlässigkeit russischer Energielieferungen nehmen zu. Das Handelsblatt berichtet, dass sich bei 59 Prozent der vom Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) befragten Energieexperten die Einschätzung der Verlässlichkeit Russlands zuletzt verschlechtert habe. Das gehe aus dem jüngsten Energiemarktbarometer des ZEW hervor, für das halbjährlich rund 200 Energieexperten aus Wissenschaft und Praxis in Deutschland befragt werden.
In Frankreich sei die Skepsis noch größer. Mehr als drei Viertel der französischen Experten schätzten die Verlässlichkeit der Russen etwas oder gar deutlich schlechter ein. Das gehe aus einer Umfrage der Grenoble Ecole de Management unter Fachleuten hervor, das in enger Abstimmung mit dem ZEW durchgeführt werde.
Die große Mehrheit der deutschen Experten rate dazu, die Abhängigkeit von russischen Gaslieferungen zu reduzieren. Favorisiert wird vor allem eine gesteigerte Energieeffizienz, für die sich 88 Prozent der Befragten ausgesprochen hätten. Nur 18 Prozent der Experten empfehlen demnach die Nutzung von Kernenergie, um die Versorgungssicherheit zu wahren. 69 Prozent der Befragten raten dazu, die Infrastruktur für die Versorgung mit Flüssiggas (LNG) auszubauen.
Sechs von zehn Fachleuten rieten außerdem dazu, Pipelines im EU-Ausland auszubauen. Der Hintergedanke: Ein Zusammenwachsen des EU-Gasmarktes über einen Ausbau des Pipeline-Systems könnte die Abhängigkeiten einzelner Länder reduzieren. Die EU fördert entsprechende Projekte.