Was das Handy mit uns macht ...

Der Spion in meiner Tasche


Helmut Spudich (2020): Der Spion in meiner Tasche - Was das Handy mit uns macht und wie wir es trotzdem benutzen können, edition a, 256 Seiten, ISBN: 978-3-99001-384-7 Rezension

Gesundheitsminister Spahn plante zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie das Auswerten von Standortdaten. Nach den Plänen der Regierung hätten Gesundheitsbehörden die Daten der Mobilfunktelefone von Infizierten über die Anbieter einfordern können, um vor allem Kontaktpersonen zu ermitteln. Doch nach massiver Kritik musste der Gesundheitsminister die Gesetzesänderung zurückziehen – vorerst. Doch bereits heute leitet die Deutsche Telekom anonymisierte Daten an das Robert Koch-Institut weiter, um zu analysieren, ob die Bürger sich an die Kontaktsperren und Ausgehbeschränkungen halten. Hiermit wird vor allem das Ziel verfolgt, Bewegungsströme von Menschen in Deutschland abzubilden – und zwar bundesweit, auf der Ebene der Länder und bis auf die Kommunen und Städte herunterskaliert.

In China, Südkorea und Taiwan wird hingegen stärker auf die Analyse der digitalen Spuren bei der Eindämmung der COVID-19-Pandemie gesetzt. Auch in Israel analysiert der Geheimdienst Bewegungsdaten, um die Bewegungen infizierter Personen nachzuvollziehen. Und auch in Österreich hat der Mobilfunkanbieter A1 damit begonnen, der Regierung die Bewegungsdaten von Handynutzern anonymisiert zur Verfügung zu stellen.

Damit erleben viele Bürger einen Eingriff in ihre Privatsphäre, der bisher in Europa undenkbar war: Handydaten, vor allem unsere Bewegungsprofile und Kontakte, sollen bei der Eindämmung der Epidemie helfen. Die Ausnahmesituation würde diesen drastischen Eingriff in unsere Privatsphäre rechtfertigen, so die Argumentation.

Diese Überlegung wirft ein Schlaglicht auf die allumfassenden persönlichen Daten, die unsere Smartphones und die dahinterstehenden Dienste längst über uns sammeln. Helmut Spudich, Ex-Kommunikationschef des Telekommunikationsunternehmens Magenta (früher T-Mobile), analysiert in seinem neuen Buch "Der Spion in meiner Tasche – Was das Handy mit uns macht und wie wir es trotzdem benutzen können" fundiert und in einer klaren Sprache die Risiken beim Umgang mit Mobiltelefonen. Themen sind unter anderem der Zugang der Justiz zur Überwachung von Handys, datenabsaugende Sprachassistenten und das neue 5G-Netz.

Ein Smartphone stellt ein perfektes Überwachungssystem dar, das mittels Mikrofon, Kamera, GPS, Funkverbindungen und Bildschirmimpressionen Tag und Nacht unsere Daten sammelt, um äußerst indiskret mit ihnen umzugehen, so der Autor. Spätestens seit dem Cambridge Analytica-Skandal weiß man, dass es die Tech-Giganten aus dem Silicon Valley mit der Privatsphäre ihrer Nutzer nicht so genau nehmen. Spudich: "Nicht nur Facebook, sondern etwa auch Google, Apple und Amazon betreiben Datenklau im großen Stil. Etwa durch die Betriebssysteme Android und iOS, die jeden Schritt und fast jede Handlung von Handybesitzern aufzeichnen. Oder durch Sprachassistenten wie Siri, Alexa oder den Google-Assistent, die auch mal unaufgefordert Gespräche mithören und aufzeichnen."

Gleichzeitig versucht China, mittels Smartphones seine totale Überwachung auf den Rest der Welt auszuweiten. Apps wie die besonders bei Jugendlichen beliebte Video-Sharing-Plattform TikTok, aber auch Tech-Riesen wie Huawei, der sich zurzeit als Spitzenreiter beim Ausbau des neuen 5G-Netzwerkes in Europa positioniert, stehen im Verruf, die Daten der Nutzer abzusaugen und für unlautere Zwecke zu verwenden.

Handydaten werden jedoch nicht nur für wirtschaftliche Zwecke gesammelt. Auch die Justiz hat ein wachsendes Interesse an präzisen Lokalisierungsdaten und immer genauerer Gesichtserkennung, beispielsweise um bei der Aufklärung von Verbrechen voranzukommen. Spudich beschreibt in seinem Buch, welche fatalen Fehler dabei auftreten können und welche weitreichenden Folgen eine solche staatliche Kontrolle haben kann.

Einige Pilotprojekte zum Live-Einsatz von Gesichtserkennung bei Überwachungskameras begegnen uns bereits auf Schritt und Tritt. So kommen etwas in Fußballstadien die Systeme zum Einsatz, um ausgewiesene Hooligans zu erkennen. "Der dänische Meister Bröndby setzt Gesichtserkennung seit dem Herbst 2019 ein, um seine Stadionverbote durchzusetzen – dazu müssen allerdings die Gesichter aller Besucher gescannt werden", so Helmut Spudich. Und die Datenschutzbehörde sah dabei kein Problem, da ein "erhebliches öffentliches Interesse" besteht. Das bisher umfassendste Überwachungsprogramm mittels Face Recognition sollte bei den in der Zwischenzeit verschobenen Olympischen Spielen 2020 in Tokio zum Einsatz kommen. Und auch in Görlitz sammelt die Polizei seit Herbst 2019 Erfahrungen mit Live-Erkennung mittels eigener Kamerasäulen, um grenzüberschreitende Kriminalität zu bekämpfen. Seit Anfang 2020 sind solche Anlagen in ganz Deutschland gesetzlich erlaubt, ergänzt der Autor.

Beispielsweise entwickelt die digitale Industrie Gesichtserkennung derzeit so weiter, dass die Programme nicht nur die Identität einer Person erkennen können, sondern etwa auch ihre Gemütslage, die sexuelle Orientierung oder allfällige Erbkrankheiten. Besonders in streng religiösen Ländern, in denen auf Homosexualität noch die Todesstrafe steht, stellt das für viele Menschen eine reale Gefahr dar.

Mit Siri, Alexa & Co haben viele Menschen die mit der Bezeichnung "Lautsprecher" perfekt getarnten Sprachassistenten aktive Abhöreinrichtungen in ihre Häuser installiert. Ein Traum vieler Kommissare, Privatdetektive, autoritärer Regimes und Geheimdienste ging in Erfüllung. "Vom Smartphone, Smartwatch und Smart TV bis in die letzten Winkel von Wohnungen und Büros platziert, ist das Missbrauchspotenzial fast grenzenlos", so die Risikobewertung von Helmut Spudich.
Auf die Frage "Alexa, werde ich belauscht?" wird Alexa antworten "Da bin ich mir leider nicht sicher.". Die Antwort ist vermutlich ehrlich. Helmut Spudich: "Wir können uns nicht sicher sein, ob wir von unseren "Lautsprechern" belauscht werden. Und sollten im Zweifel gut überlegen, ob wir uns der neuen Welle vorbehaltlos hingeben wollen."

Fazit: Der Autor liefert mit seinem exzellent geschriebenen Ratgeber jede Menge Tipps und Hinweise, wie jeder Bürger seine Privatsphäre zumindest teilweise schützen kann. Im Zusammenhang mit den aktuell geführten Diskussionen über die Auswertung von Bewegungsdaten zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie könnte das Buch relevanter nicht sein.

Wir müssen vor allem aktiv dafür sorgen, dass uns der Nutzen unserer Smartphones nicht durch Datensammelwut und Überwachungstätigkeit von Konzernen und Staaten geraubt wird, so das Fazit des Autors. Dafür gibt es aus seiner Sicht kein simples Rezept. Maßnahmen sind vielmehr auf mehreren Ebenen erforderlich: Durch umsichtigen Umgang mit der Technologie; durch Druck der Konsumenten, das Geschäftsmodell zu ändern; durch zivilgesellschaftliche Kontrolle durch Medien und NGOs – und durch gesetzliche Regulierung, die uns vor Missbrauch schützt.

[ Bildquelle Titelbild: edition a ]
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