Die Folgen des verheerenden Erdbebens in Japan sind für deutsche Großunternehmen mit einer Vor-Ort-Produktion nach ersten Einschätzungen überwiegend begrenzt. Während die Rückversicherer die Schäden bisher nicht beziffern können, melden Unternehmen aus der Industrie erste, kleinere Schäden.
Die Börsen spiegeln unterdessen die große Verunsicherung der Anleger wider: Nach herben Kursverlusten zum Wochenbeginn an der Börse in Tokio tendieren deutsche Aktien am Montag schwächer. Hervorzuheben sind Munich Re mit einem Minus von 3,1 Prozent, die Hannover-Rück- gibt 3,3 Prozent und die Allianz-Aktie 1,6 Prozent nach, das Papier von RWE verliert 5,1 Prozent und E.ON gibt gut 5 Prozent nach. Der DAX tendiert mit einem Minus von 1,3 Prozent schwach.
Während die Fernsehsender weltweit Bilder der Zerstörung liefern, tun sich die Versicherer bei der Einordnung der finanziellen Größenordnung dieser Schäden schwer. Munich Re, der weltweit größte Rückversicherer, erklärte am Morgen, es sei noch für "viel zu früh", die volkswirtschaftlichen und die versicherten Schäden zu beziffern. Es werde noch eine Weile dauern, bis "zumindest näherungsweise" feststehe, welche Lasten einzelne Rückversicherer wie Munich Re zu tragen hätten.
Unterdessen hat der Versicherungsdienstleister AIR Worldwide die versicherten Immobilienschäden auf bis zu 35 Mrd USD geschätzt. Doch ist die Prognose noch sehr grob, wie der Anbieter von Software und Beratung zur Risikomodellierung am Sonntag einräumte: Zwischen 14,5 Mrd und 34,6 Mrd USD schwanken die Schätzungen. Damit könnte die Katastrophe in Japan für die Assekuranz zum teuersten Erdbeben der Geschichte werden.
Allerdings, und das könnte den Schaden begrenzen, wird Erdbebenschutz in Japan nur als teure Zusatzpolice angeboten. Viele Japaner haben darauf verzichtet, so dass für einen Großteil der Schäden auch kein Versicherer aufkommen dürfte, wie James Vickers vom Versicherungsbroker Willis Re erklärte. Auch gehöre die am schwersten betroffene Region nicht zu den Wirtschaftszentren der Insel. Auch Munich Re geht davon aus, dass bei der Deckung von privaten Erdbebenschäden nur "ein sehr kleiner Teil" des Risikos ins Ausland transferiert wird. Die Folgen der schweren Unfälle in den japanischen Atomkraftwerken dürften die private Versicherungswirtschaft ebenfalls "nicht signifikant" betreffen.
Automobilsektor vom Erdbeben besonders betroffen
Neben der Versicherungsbranche ist der Automobilsektor vom Beben betroffen. Nachdem japanische Autohersteller wie Toyota, Nissan und Honda ihre gesamte Produktion wegen der Katastrophe und ihrer Folgen ausgesetzt haben, zeichnen sich auch Folgen für deutsche Hersteller ab. So hat die japanische Lkw-Tochter von Daimler, Mitsubishi Fuso Truck and Bus Corporation, die Produktion für diese Woche gestoppt. Die Sicherheit der 12.836 Mitarbeiter habe oberste Priorität, sagte ein Konzernsprecher am Montag in Stuttgart. Nach bisherigem Kenntnisstand sei kein Mitarbeiter zu Schaden gekommen.
Ein BMW-Sprecher sagte, es sei noch zu früh, die wirtschaftlichen Auswirkungen abzuschätzen. Der Münchener Autokonzern produziert zwar nicht in Japan, beschäftigt nach eigenen Angaben aber gut 700 Mitarbeiter im Vertrieb, in den Niederlassungen, beim Marketing und der Finanztochter. Die 50 deutschen Kollegen seien bereits ausgeflogen worden oder auf dem Weg. Den japanischen Beschäftigten habe BMW Hilfe angeboten, etwa in Form von Unterkünften im Süden der Insel, sagte der Sprecher.
Beim Automobilzulieferer Continental kann man noch nicht sagen, in welchem Ausmaß Mitarbeiter in Japan von dem Erdbeben und dem folgenden Tsunami betroffen sind. Das Unternehmen habe ein Krisenteam eingerichtet, das in regelmäßigen Abständen den Vorstand informiere. In Japan hat das MDAX-Unternehmen Standorte in Yokohama, Hamakita, Asahi, Monbetsu, Hiroshima und Utsunomiya. Dabei handele es sich vor allem um Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten sowie Marketing und Vertrieb.
Beim weltgrößten Automobilzulieferer Bosch gibt es nach jetzigem Stand keine Verletzten und Toten unter den Beschäftigten in Japan. Bosch betreibt in Japan 36 Standorte mit etwa 8.000 Mitarbeitern, davon rund 130 Deutsche. Es gebe Schäden an Gebäuden, die sich aber im Rahmen hielten, sagte ein Sprecher am Wochenende. Bosch geht nicht davon aus, dass die Produktion stark beeinträchtigt wird. Vereinzelte Schwierigkeiten gebe es aber auf Zuliefererseite.
Auch beim Autozulieferer ElringKlinger sagte ein Sprecher, die Fertigung laufe. Allerdings sei unklar, wie sich die Katastrophe auf die Nachfrage aus der Autoindustrie auswirken werde. ElringKlinger ist in Japan über ein Joint Venture vertreten, das an vier Standorten etwa 200 Mitarbeiter beschäftigt.
Beim Nutzfahrzeug- und Maschinenbauer MAN sind die Mitarbeiter in Japan nach jüngsten Angaben in Sicherheit. MAN hat in Japan nur rund ein Dutzend Mitarbeiter für MAN Diesel & Turbo. Die Münchener lassen in Japan Schiffsdieselmotoren in Lizenz fertigen.
Ähnlich äußerten sich Leoni und Tognum: Leoni verfüge in Japan über keine Produktion, sondern "nur" eine Vertriebsniederlassung. Diese befinde sich in der Stadt Nagoya, in der es offensichtlich keine schlimmen Auswirkungen der Katastrophe gegeben habe. Tognum betreibe in Japan ein Joint Venture, das eine reine Vertriebsgesellschaft ist. In zwei Büros in Osaka und Tokio arbeiten rund 30 Mitarbeiter. Durch das Erdbeben gab es nach Aussage einer Sprecherin keine Verletzten und auch keine Schäden an den Büros, so dass der Betrieb ganz normal weiter laufe.
Andere Industrien prüfen Auswirkungen des Bebens
Andere Industriezweige klären noch die Auswirkungen des Bebens. So prüft der Chemiekonzern BASF noch mögliche Schäden an seinen Anlagen. Mitarbeiter seien nicht zu Schaden gekommen. Betriebe, die Probleme hätten, seien heruntergefahren worden. Derzeit gebe es noch keine Details. Nach Angaben einer BASF-Sprecherin setzte das Unternehmen in Japan 2010 1,7 Mrd EUR um und beschäftigte 1.740 Mitarbeiter. Zum Vergleich: Der Konzernumsatz von BASF betrug 2010 63,9 Mrd EUR. BASF verfügt in Japan über 27 Produktionsbetriebe, die überwiegend technische Kunststoffe, Dispersionen, Bauchemie und Lacke produzieren.
Beim Chemie- und Pharmakonzern Bayer laufe die Produktion normal, sagte ein Sprecher. Bayer betreibt in Japan vier Werke, die für alle drei Teilkonzerne - HealthCare, CropScience und MaterialScience - produzieren. Die Fabriken liegen dabei im Westen Japans, so werden zum Beispiel in Osaka thermoplastische Polyurethane produziert. In Tokio, neben Osaka Standort für die Verwaltung des Konzerns in Japan, habe es Gebäudeschäden gegeben, deren Höhe Bayer noch nicht beziffern konnte. Bayer habe Kontakt zu fast allen Mitarbeitern des Konzerns, diese seien wohlauf. Insgesamt beschäftigt Bayer 3.660 Mitarbeiter in Japan.
Auch beim Einzelhändler Metro, der neun Cash & Carry-Märkte im Großraum Tokio mit rund 1.000 Mitarbeitern betreibt, habe es keine Verletzte gegeben. Es gebe leichte Gebäudeschäden, die Märkte wurden kurzzeitig geschlossen, seien aber bereits seit Samstag schon wieder geöffnet und in Betrieb.
Der Mischkonzern Siemens muss unterdessen seine Anlagen auf dem japanischen Krisengebiet ruhen lassen. Die Gebäude würden begutachtet und Schäden bewertet. "Wir haben keine gesicherten Erkenntnisse für das ganze Land, ob und welche Produktionsanlagen derzeit stehen, aber für das Krisengebiet können wir es sicher sagen", erklärte eine Siemens-Sprecherin. Probleme mit der Belieferung aus Japan verzeichnet der Technologiekonzern bislang nicht.
Siemens ist mit allen drei Sektoren in Japan vertreten, den größten Anteil hat die Medizintechnik mit rund 1.600 Mitarbeitern, davon die Hälfte in Tokio. Die Lichtsparte Osram kommt nahe Tokio auf rund 500 Mitarbeiter. Die Standorte für Produktion, Service und Vertrieb sind dabei über das ganze Land verteilt.
Bei der früheren Siemens-Tochter Infineon kann man noch nicht abschätzen, welche Folgen die Ereignisse in Japan für die Lieferkette haben werden und ob es zu Ausfällen in der Belieferung mit Teilen kommt. "Es wird noch analysiert werden, welche Lieferketten in welchem Umfang betroffen sind", sagte ein Sprecher. Im Laufe der nächsten Tage wolle man hier klarer sehen. Alle Mitarbeiter seien wohlbehalten, sagte ein Sprecher. Infineon beschäftigt in Japan etwas mehr als 100 lokale Mitarbeiter. Im vergangenen Jahr erzielte der DAX-Rückkehrer 6% seines Umsatzes in Japan.
Während die Unternehmen und die Menschen in Japan sich derzeit darauf konzentrieren, die Verwüstungen und Schäden abzuschätzen, versuchen Aktienhändler mögliche Gewinner eines Wiederaufbau Japans auszumachen. Bauwerte sowie die Hersteller von Baustoffen und Baumaschinen könnten dabei profitieren, aber auch Stahlwerte zählten dazu, meinen Händler.
Die deutschen Baukonzerne Hochtief und Bilfinger Berger sind in Japan allerdings nicht vertreten. Hochtief verfügt über ihre australische Tochter Leighton zwar über ein starkes Standbein in der asiatisch-pazifischen Region, konzentriert sich aber hier auf Australien, die Golfregion sowie einige ausgewählte asiatische Standorte wie Hongkong oder Indien. Der Umsatz des Geschäftsbereichs Hochtief Asia Pacific lag 2009 bei rund 7,8 Mrd EUR.
[Bildquelle: iStockPhoto]
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