Kommentar

Deutschland im Risk-Off-Modus


Deutschland im Risk-Off-Modus News

Ich habe mich in den letzten Wochen und Monaten immer wieder über den Konjunkturoptimismus in Deutschland gewundert. Wohin man schaut: Überall wird gesagt, dass die Wirtschaft im zweiten Halbjahr (das fängt in zwei Monaten an!) Fahrt aufnimmt und wieder mit ordentlichen Wachstumsraten expandiert. 2014 soll es dann mit dem Aufschwung im ganzen Jahr weitergehen. Wenn es im Augenblick mit der Konjunktur etwas hapern sollte – im März und im April ist der ifo-Geschäftsklimaindex zurückgegangen – dann liege das, so heißt es, nur an kurzfristigen Belastungsfaktoren. Das sei aber schnell vergessen.

Ich bin skeptischer. Natürlich geht es Deutschland nicht schlecht. Die Situation ist besser als in anderen Ländern Europas. Beim Arbeitsmarkt steht die Bundesrepublik sogar günstiger da als die USA. Es wird in diesem Jahr keine Rezession geben. Aber es gibt eben auch keinen Aufschwung, wie uns die Konjunkturoptimisten weismachen wollen. Das reale Bruttoinlandsprodukt wird in diesem Jahr kaum wachsen (vielleicht 0,1 oder 0,2 %) und auch im nächsten Jahr werden die Zuwächse mager bleiben.

Ich fühle mich in dieser Einschätzung von der Europäischen Zentralbank bestätigt. Sie hat in der vorigen Woche ein unerwartet umfangreiches Maßnahmenpaket beschlossen, um die Konjunktur wieder in Schwung zu bringen. Sie senkte nicht nur die Zinsen. Sie versprach darüber hinaus, die Liquiditätszuteilung bis Mitte nächsten Jahres nicht zu kürzen. Ferner stellte sie Sonderhilfen für Klein- und Mittelbetriebe vor allem in Peripherieländern in Aussicht. Präsident Draghi machte klar, dass die EZB weitere Maßnahmen ergreifen werde, wenn es erforderlich sei.

So ein Programm bringt man nicht auf den Weg, wenn man der Meinung ist, dass die Konjunktur schon in den nächsten Monaten wieder besser wird.
Warum tut sich die deutsche Wirtschaft mit dem Wachstum so schwer? Es sind nicht kurzfristig wirkende Stolpersteine wie das immer wieder zitierte harte Winterwetter. Das geht vorüber. Es sind vielmehr die Hypotheken der Finanz- und Währungskrise der letzten fünf Jahre, die sich hier zeigen. Die Wirtschaft baut Risikopositionen ab. Sie zögert, neue Risiken einzugehen. Sie macht sich krisenfester. Das ist nichts Schlechtes. Aber es kostet natürlich Wachstum.
Konkret: Die Unternehmen führen ihre Verschuldung zurück (siehe Grafik). Sie senken die Kosten. Statt stärker in neue Gebiete zu investieren häufen sie Cash-Reserven an. Ihre Ausgaben für Maschinen und Ausrüstungen sind heute real nicht größer als vor drei Jahren.

Rückläufige Verschuldung: Kredite und Wertpapiere der Unternehmen in Deutschland, ohne Banken [Quelle: Bundesbank]
Rückläufige Verschuldung: Kredite und Wertpapiere der Unternehmen in Deutschland, ohne Banken [Quelle: Bundesbank]

Ganz ähnlich die Verbraucher. An sich könnten sie bei den niedrigen Zinsen mehr Kredite aufnehmen und mehr verbrauchen. Sie bleiben aber vorsichtig. Der private Verbrauch war freilich noch nie der große Wachstumsmotor in Deutschland.

Die Banken tragen nicht dazu bei, die Kunden zu mehr Expansion zu ermutigen. Sie sind selbst vorsichtiger. Sie müssen erst einmal das Kapital aufstocken. Amerikanische Häuser waren dabei schneller und haben das schon hinter sich. Die Deutsche Bank sagt erst jetzt (nach der jüngsten Kapitalerhöhung), dass sie nun wieder Gas geben wolle.

Auch der Staat ist im Risk-Off-Modus. Die öffentlichen Defizite wurden zwar zurückgeführt (was wichtig war). Der Reformelan ist aber verloren gegangen. In Sachen Regulierungsdichte auf den Arbeits- und Produktmärkten befindet sich Deutschland nach einer Übersicht von Morgan Stanley auf gleicher Ebene wie Italien und Spanien, aber schlechter als Österreich, die Niederlande oder Schweden. Die Investitionen in die öffentliche Infrastruktur sind heute niedriger als vor zehn Jahren. Die Erfahrungen mit der Energiewende tragen nicht zur Investitionssicherheit bei.

Von der Weltwirtschaft gehen weniger Impulse aus. Das liegt teilweise am geringeren Wachstum in großen Abnehmerländern. China expandiert nicht mehr mit zweistelligen Raten. In diesem Jahr wird das reale Bruttoinlandsprodukt vermutlich nur noch um 7 Prozent bis 7,5 Prozent zunehmen. Das wirkt sich auf andere Schwellenländer aus. Einzig in den USA sieht es so aus, als habe das Land die Krise hinter sich gelassen und beim Wachstum einen Gang hochgeschaltet. Hinzu kommt, dass deutsche Unternehmen auch bei der internationalen Expansion vorsichtiger geworden sind. Die Globalisierung nimmt nicht mehr zu, sondern ab. Das betrifft freilich weniger den Absatz als die Produktion. Last but not least wirken sich die Konsolidierungsmaßnahmen in Euroland negativ auf das deutsche Wachstum aus.

Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Die strukturellen Probleme belasten nicht auf ewig. Sie werden eines Tages überwunden. Die USA zeigen, dass das geht. Aber es dauert länger als viele denken. Ich schließe nicht aus, dass wir auch 2014 noch mit dieser Hypothek leben müssen.

 

Autor: Dr. Martin W. Hüfner, Chief Economist, Assenagon Asset Management S.A.



[Bildquelle: Frank Romeike/RiskNET GmbH]

Kommentare zu diesem Beitrag

RiskNET Redaktion /15.05.2013 08:16
+++ Deutsche Wirtschaft entgeht nur knapp der Rezession +++

Deutschlands Wirtschaft ist Anfang 2013 nur knapp einer Rezession entgangen, was vor allem der Kauflaune der privaten Konsumenten zu verdanken war. Die Wirtschaftsleistung stieg zwischen Januar und März weniger als erwartet und war nach Angaben des Statistischen Bundesamts außerdem im vierten Quartal 2012 schwächer als bisher angenommen. Damit haben sich Hoffnungen auf eine kräftige Konjunkturerholung im Gefolge zuletzt starker Produktions-, Auftrags- und Außenhandelszahlen zerschlagen. Nach Angaben der Statistiker lag das auch am strengen Winter.

Nach den vorläufigen Zahlen stieg das Bruttoinlandsprodukt (BIP) im ersten Quartal gegenüber dem Vorquartal nur um 0,1 Prozent, während die von Dow Jones Newswires befragten Volkswirte einen Anstieg um 0,3 Prozent prognostiziert hatten. Im vierten Quartal 2012 ist das BIP nach revidierten Angaben um 0,7 Prozent gesunken. Bisher war der Rückgang mit 0,6 Prozent beziffert worden. Wäre das BIP im ersten Quartal erneut zurückgegangen, hätte sich Deutschland trotz seines sehr robusten Arbeitsmarkts nach technischer Definition in einer Rezession befunden.

In Frankreich, dessen BIP im ersten Quartal mit minus 0,2 Prozent etwas stärker als erwartet zurückging, ist das bereits der Fall. Damit besteht das Risiko, dass die Wirtschaft der Eurozone stärker als bisher erwartet geschrumpft ist. Prognostiziert wird derzeit ein Minus von nur 0,1 Prozent. Eurostat wird die Daten um 11.00 Uhr veröffentlichen.

Wie die deutschen Statistiker weiter mitteilten, kamen die Wachstumsimpulse Anfang 2013 fast ausschließlich von den privaten Haushalten, die ihren Konsum erhöhten. Bei den Investitionen setzte sich der negative Trend des Vorjahres fort. Es wurde wiederum weniger investiert als im vorangegangenen Quartal.

Der Außenbeitrag hatte im kaum Auswirkungen auf das Wirtschaftswachstum. Zwar wurden deutlich weniger Waren importiert als im Schlussquartal 2012, die Exporte waren aber ebenfalls rückläufig.

Im Vorjahresvergleich sank das preisbereinigte BIP im ersten Quartal 2013 um 1,4 Prozent. Dieser kräftige Rückgang war allerdings überwiegend kalenderbedingt. Zwischen Januar und März standen weniger Arbeitstage zur Verfügung als ein Jahr zuvor, was vor allem auf das zurückliegende Schaltjahr und die Lage der Osterfeiertage zurückzuführen ist. Kalenderbereinigt ging die Wirtschaftsleistung lediglich um 0,2 Prozent zurück. Erwartet worden war allerdings ein Plus von 0,2 Prozent.
RiskNET Redaktion /19.05.2013 18:23
+++ Bundesbank weist Vorwurf der Euro-Gegnerschaft zurück +++

Bundesbank-Präsident Jens Weidmann weist mit Nachdruck angebliche Vorwürfe aus der Europäischen Zentralbank zurück, seine Bank sei ein Gegner des Euro. Weidmann sagte Bild am Sonntag: "Kritik an der Ausgestaltung einzelner Rettungsmaßnahmen bedeutet doch nicht, dass man den Euro abschaffen will. Im Gegenteil: Für die Bundesbank gilt, dass wir den Euro erhalten wollen und zwar als stabile Währung."

Zu Äußerungen aus der EZB, in der Bundesbank gebe es Euro-Gegner, sagte Weidmann: "Es befremdet mich, wenn versucht wird, eine offene Diskussion über den richtigen Weg aus der Krise durch solch haltlose Unterstellungen auf eine unsachliche Ebene zu bringen."

Zugleich bekräftigte Weidmann seine Vorbehalte gegen den Kurs von EZB-Prasident Mario Draghi, notfalls unbegrenzt Staatsanleihen zur Stabilisierung des Euro aufzukaufen: "Ist es eine gute Idee, dass wir einfach alle gegenseitig für unsere Staatsschulden haften? Eigentlich geht es doch darum, dass wir auf dem Weg zu einer stabileren Währungsunion vorankommen."

Weidmann fügte hinzu: "Ich habe die Sorge, dass die gute Entwicklung an den Finanzmarkten und insbesondere die niedrigen Zinsen auch fur Staatsanleihen dazu führen, dass der Kampf gegen die Ursachen der Krise mit weniger Nachdruck geführt wird. Das gehört zu den Risiken und Nebenwirkungen der Medizin, die Zentralbanken weltweit mit der Politik des billigen Geldes gerade verabreichen."
Risk Academy

Die Intensiv-Seminare der RiskAcademy® konzentrieren sich auf Methoden und Instrumente für evolutionäre und revolutionäre Wege im Risikomanagement.

Seminare ansehen
Newsletter

Der Newsletter RiskNEWS informiert über Entwicklungen im Risikomanagement, aktuelle Buchveröffentlichungen sowie Kongresse und Veranstaltungen.

jetzt anmelden
Lösungsanbieter

Sie suchen eine Softwarelösung oder einen Dienstleister rund um die Themen Risikomanagement, GRC, IKS oder ISMS?

Partner finden
Ihre Daten werden selbstverständlich vertraulich behandelt und nicht an Dritte weitergegeben. Weitere Informationen finden Sie in unseren Datenschutzbestimmungen.