Kommentar

Die Angst vor dem Blutbad an den Kapitalmärkten


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Könnte es an den Kapitalmärkten ein Blutbad geben? Die kurzfristigen Zinsen sind fast bei Null. Die Renditen für langlaufende Staatsanleihen liegen in Deutschland gerade etwas über 1 Prozent, in den USA bei knapp 2 Prozent. Das sind ungesunde Verhältnisse, die auf Dauer so nicht anhalten können. In den USA reden immer mehr Mitglieder des Boards der Zentralbank davon, dass die Geldpolitik zu locker ist und die monetären Zügel angezogen werden sollten. Manch ein Anleger fürchtet, dass in einem solchen Fall die Anleihemärkte zusammenbrechen und die Aktien in den Keller gehen könnten. Muss man sich auf ein solches Szenario vorbereiten?

Zunächst sollte man die Kirche im Dorf lassen. Selbst wenn es zu einer Umkehr der Geldpolitik kommt, wird dies nicht so bald sein. Die Inflationsrate liegt in den USA bei 2 Prozent, in Europa bei 1,7 Prozent. Das ist praktisch Stabilität. Die Arbeitslosigkeit ist in den USA in den letzten Monaten zwar gesunken (derzeit 7,7 Prozent). Sie ist aber noch weit von dem Wert entfernt, den die amerikanische Notenbank als Schwelle für ein Ende der lockeren Geldpolitik definiert hat (6,5 Prozent). Selbst wenn sich die gute Entwicklung am Arbeitsmarkt so wie in den letzten sechs Monaten fortsetzt, würde es bis zum zweiten Halbjahr 2014 dauern, bis der kritische Wert erreicht ist. Die Anleger haben also noch Zeit.

Aber natürlich muss man fragen: Was ist dann? Ich habe mir dazu einmal die letzte größere Restriktionsperiode in den USA und in Europa angesehen. In den Vereinigten Staaten sind die Leitzinsen von Mitte 2004 von damals 1 Prozent in 17 Schritten auf 5,25 Prozent angehoben worden (siehe Grafik). Alle sechs Wochen gab es einen Zinsschritt. Das war starker Tobak.

Kein Blutbad: Zinsen für 3-Monatsgeld und Renditen 10-jähriger Staatsanleihen in den USA von Anfang 2003 bis Ende 2007 [Quelle: Riksbank]
Kein Blutbad: Zinsen für 3-Monatsgeld und Renditen 10-jähriger Staatsanleihen in den USA von Anfang 2003 bis Ende 2007 [Quelle: Riksbank]


Und was ist an den Märkten geschehen? Fast nichts. Die Renditen für 10-jährige Staatspapiere haben sich bis zum Ende der Zinserhöhungsphase von 4,9 Prozent auf 5,2 Prozent erhöht. Die Zinsstruktur ist allerdings erheblich geschrumpft. Die Differenz zwischen 3-Monatsgeld und 10-Jahresrenditen lag zu Beginn bei drei Prozentpunkten. Am Ende war sie sogar negativ. Die Zinsstruktur war invers.

Am US-Aktienmarkt war das Bild ähnlich. In den ersten Monaten reagierte der Dow etwas nervös. Am Ende notierte er sogar etwas höher als zu Beginn der Restriktion. In Europa war die Zinserhöhung nicht ganz so krass. Die EZB hob den Satz für die Hauptrefinanzierungsgeschäfte lediglich in sieben Schritten von 2 Prozent auf 3,75 Prozent an. Die Wirkung auf die Märkte war jedoch ähnlich wie in den USA. Die Zinsen für 10-jährige Bundesanleihen stiegen zwar um gut einen halben Prozentpunkt an. Sie waren in den Monaten zuvor jedoch um einen ähnlichen Betrag zurückgegangen. Der deutsche Aktienmarkt reagierte sogar ausgesprochen positiv. Der DAX stieg von Ende 2005 (als die EZB den ersten Schritt nach oben machte) bis März 2007 (als die Phase zu Ende ging) insgesamt um 28 Prozent. Wer hätte sich das vorstellen können? Die Geldpolitik zieht die Zügel an und die Märkte reagieren so positiv.

Ich erinnere mich noch gut an die Diskussion im Vorfeld dieser Phase. In den USA herrschte damals große Nervosität. Die Notenbank wollte alles andere als einen Crash riskieren. Andererseits ging die Preissteigerung nach oben und die Konjunktur lief heißer, so dass die Federal Reserve handeln musste. Sie bereitete die Märkte intensiv auf bevorstehende Änderungen vor. Im Juni 2004 wagte sie eine erste Erhöhung der Leitzinsen um einen viertel Prozentpunkt.

Als die Märkte darauf nicht negativ reagierten, fiel allen ein Stein vom Herzen. Sechs Wochen später riskierte der damalige Vorsitzende der Fed, Alan Greenspan, einen zweiten Schritt. Und so ging es dann in kleinen Dosen immer weiter nach oben. Am Schluss hatten sich dann alle so daran gewöhnt, dass die Zinserhöhungen kaum mehr zur Kenntnis genommen wurden.

In Europa war das Ganze nicht so dramatisch. Zum einen begann die EZB ihre Restriktion erst gut eineinhalb Jahre später. Da gab es schon die amerikanischen Erfahrungen. Zum anderen waren ihre Zinsen nicht ganz so niedrig und mussten daher auch nicht in demselben Maß erhöht werden.
Wie erklärt sich die maßvolle Reaktion der Märkte? Entscheidend war die gute Kommunikation der Geldpolitik. Die Notenbanken schafften es, den Märkten klarzumachen, dass sie selbst nicht an einer Dr. Eisenbarth-Kur interessiert waren. Sie begründeten die Notwendigkeit der Zinserhöhung und wiesen darauf hin, dass die Märkte dadurch auf eine solidere Basis gestellt würden. Die Gefahren einer steigenden Inflation und einer Überhitzung der Konjunktur (an der auch die Märkte kein Interesse haben) würden geringer. Die Notenbanken hatten dabei auch von den Erfahrungen der Restriktionspolitik 1994 gelernt. Damals hatten die Märkte nicht ganz so gelassen reagiert, weil die Maßnahmen nicht so gut kommuniziert worden waren.


Autor: Dr. Martin W. Hüfner, Chief Economist, Assenagon Asset Management S.A.

 

 


[Bildquelle: © absfred - Fotolia.com]

Kommentare zu diesem Beitrag

RiskNET Redaktion /03.04.2013 20:35
++ Abwertungswettlauf gefährlich verführerisch +++

EZB-Direktor Benoit Coeure hat eindringlich vor den Folgen eines Abwertungswettlaufs zwischen den großen Volkswirtschaft gewarnt. Obwohl sich die Finanzmärkte der Industrieländer auf einem klaren Erholungskurs befänden, "sind sie noch immer fragil und die Realwirtschaft zeigt bestenfalls Zeichen einer vorsichtigen Erholung", sagte der Währungshüter in einer Rede. "Die Versuchung, globale Nachfrage und ausländisches Kapital für die heimische Wirtschaft auf Kosten anderer abzuzweigen, kann gefährlich verführerisch sein", sagte Coeure in Washington laut Manuskript.

Die Gefahr werde aber von den Notenbankern verstanden. Abwertungswettläufe haben aus seiner Sicht trotzdem das Potenzial, zerstörerisch zu wirken. Anfang des Jahres war vor allem Japan wegen seiner ultralockeren Geldpolitik und der Rhetorik seiner Spitzenpolitiker kritisiert worden, einen Währungskrieg anzuzetteln. Von Schwellenländern wie zum Beispiel Brasilien mussten sich aber auch die USA und Großbritannien wegen der aktiven Politik ihrer Zentralbanken vorwerfen lassen, ihre Währungen künstlich zu schwächen. Durch die niedrigen Zinsen entsteht aus Sicht der aufstrebenden Volkswirtschaften zudem viel heißes Kapital, das nach renditestarken Anlagechancen auf ihren Märkten sucht.

Dennoch ist der EZB-Direktor aus Frankreich überzeugt, dass die Zentralbanken vorerst ihre konjunkturstützende Niedrigzinspolitik fortsetzen werden.
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