Die jüngste Dunkelflaute wurde trotz Rekordpreise erfolgreich gemeistert, doch die Debatte tobt. Während die einen einen Kollaps befürchten, spielen andere die Probleme herunter. Kaum jemand versucht, die wirklichen Ursachen zu ergründen. Dabei deutet alles auf massive Planungsfehler hin.
Die jüngste Dunkelflaute sorgt wieder für hitzige Diskussionen und reißerische Schlagzeilen. Trotz neuer Rekordpreise konnte die Stromversorgung ohne Unterbrechungen aufrechterhalten werden, was auch dazu führt, dass die dahinterliegenden Probleme heruntergespielt und verharmlost werden. Wir dürfen nicht vergessen, dass wir uns im Wahlkampf befinden. Ein bekannter österreichischer Politiker hat Wahlkampfzeiten einmal als Phasen "fokussierter Unintelligenz" bezeichnet - und das ist nicht ganz unberechtigt. Deshalb soll hier der Versuch einer sachlichen Einordnung unternommen werden, auch wenn dabei nicht alle Aspekte berücksichtigt werden können.
Was ist eine Dunkelflaute?
Eine Dunkelflaute liegt vor, wenn über mehrere Tage oder Wochen kaum Wind- und Sonnenstrom produziert wird. Anfang November 2024 dauerte eine solche Phase einen Tag, Mitte Dezember waren es zwei Tage. Auch im Januar und Februar treten Dunkelflauten regelmäßig auf und können auch mal 14 Tage andauern. Zuletzt gab es in den Jahren 2012 und 2017 länger andauernde Dunkelflauten, die zudem mit einer starken Kältewelle einhergingen. Ein ähnliches Ereignis in den kommenden Monaten könnte die europäische Energieversorgung bei Strom und Gas auf eine harte Probe stellen. Auch deshalb, weil wir von den letzten sehr milden Wintern verwöhnt sind und vielleicht einiges falsch einschätzen. Denn die Erzeugungslandschaft hat sich inzwischen drastisch verändert. Es gibt deutlich weniger wetterunabhängige Erzeugungskapazitäten und auch die Gassituation könnte sich mit einem faktischen Lieferstopp aus Russland ab dem 1. Januar 2025 deutlich verschärfen. Vieles hängt also von externen Faktoren ab, die wir nicht beeinflussen können.
Preisentwicklung und ihre Ursachen
Eng damit verbunden sind die Strompreise, die die Verfügbarkeit von Kraftwerkskapazitäten widerspiegeln und sich in den letzten Jahren stark verändert haben. Während der Jahresdurchschnittspreis für eine Megawattstunde (MWh) Strom in Deutschland von 2015 bis 2020 zwischen 29 und 45 Euro lag, stieg dieser 2021 auf 97 Euro und im Krisenjahr 2022 sogar auf 237 Euro. 2023 sank er wieder auf 95 Euro und liegt aktuell bei 80 Euro für 2024. Entscheidender ist jedoch die zunehmende Volatilität: Während es bis 2020 mit einzelnen Ausreißern kaum größere Preisschwankungen gab, sind heute Abweichungen von über einhundert Euro innerhalb eines Tages immer häufiger. Oder wie aktuell, innerhalb von 10 Tagen von 2,3 Euro auf 936 Euro und dann wieder auf 2,3 Euro. Beides ist nicht gesund und deutet auf massive Planungsfehler hin. Denn im Stromnetz muss immer so viel Strom erzeugt werden, wie gerade verbraucht wird. Sonst gerät das System aus dem Gleichgewicht. Der Monatsdurchschnittspreis für Dezember liegt für die erste Dezemberhälfte bei 142 Euro und wird in der zweiten Hälfte noch deutlich sinken, da ab Weihnachten erfahrungsgemäß die Nachfrage deutlich sinkt und gleichzeitig oft größere Mengen Windstrom produziert werden können, die den Preis drücken.
Warum diese extremen Preisschwankungen?
Der Umbau des Stromversorgungssystems hin zu einer überwiegenden Erzeugung aus volatilen, d.h. nicht steuerbaren Quellen ist der Hauptgrund. Früher gab es viele konventionelle Kraftwerke mit einer hohen Verfügbarkeit von über 7.000 von 8.760 Stunden pro Jahr. Heute werden vermehrt Wind- und Photovoltaikanlagen eingesetzt, die jedoch eine deutlich geringere Verfügbarkeit und Regelbarkeit aufweisen. PV-Anlagen können je nach Standort etwa 1.000 Stunden mit optimaler Leistung arbeiten, bei Windkraftanlagen sind es in der Regel 2.000 bis 5.000 Volllaststunden. Und während konventionelle Kraftwerke eine gesicherte Leistung in der Nähe ihrer installierten Leistung bereitstellen können, hängt die Leistung der erneuerbaren Energien stark vom Wind- und Sonnenangebot ab. Am 6. November 2024 lieferten die neuen erneuerbaren Energien nur 0,08 GW, obwohl der Verbrauch 66 GW betrug und insgesamt 168 GW installierte Leistung zur Verfügung standen.
Und genau das drückt der Preis aus: Wenn zu viel Strom da ist, wird er sehr billig, oder man muss sogar dafür bezahlen, wenn jemand den Strom abnimmt, oder es fehlen Kapazitäten, wie jetzt in der Dunkelflaute, dann wird es sehr teuer. Das Grundproblem ist immer, dass niemand weiß, wo die Grenze ist, ab wann es wirklich gefährlich für das System wird. Denn auch zu viel Strom ist problematisch. Deshalb ist es zwar eine große Leistung, dass die Erneuerbaren immer mehr zu einer CO₂-freien Stromversorgung beitragen. Aber für die Systemsicherheit muss eine hundertprozentige Verfügbarkeit garantiert werden können. Gelingt dies nicht, werden Notfallmaßnahmen wie großflächige Abschaltungen notwendig. Im schlimmsten Fall drohen sogar kaskadierende Fehler, die zu einem Blackout führen können. Dazu muss zwar noch mehr schiefgehen, aber auszuschließen ist es nicht. Die enormen Preisschwankungen deuten daher auf ein massives systemisches Problem hin.
Fehlende Speicher und Puffer
Der zentrale Fehler der Energiewende ist, dass es offensichtlich kein Programmmanagement mit Controlling und einem abgestimmten Plan-Do-Check-Act-Prozess gibt. Sonst würde man nicht von solchen Entwicklungen überrascht. Denn ein zentrales Element einer sicheren Stromversorgung und generell in der Versorgung ist, dass ausreichend Puffer und Speicher im System vorhanden sind, um jederzeit ausgleichend auf Schwankungen reagieren zu können. Wir haben in den letzten Jahren immer wieder beobachten können, was in der Logistik alles schiefgehen kann, wenn diese Puffer durch ein Übermaß an Effizienzsteigerung und Optimierung nicht mehr vorhanden sind. Es kommt zu Schwankungen, Preissprüngen und Engpässen. Das sehen wir jetzt auch in der Stromversorgung.
An dieser Stelle wird gerne auf die Batteriespeicher verwiesen, die sich derzeit im Aufbau befinden. Das ist sehr wichtig, darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass diese auf absehbare Zeit nur einen Bruchteil der Probleme lösen können. Und dass die Probleme z.B. durch einen weiteren massiven PV-Ausbau viel schneller eskalieren, als man sie eindämmen kann. Denn im Stromversorgungssystem müssen Puffer für einen Zeitbereich von 12 Zehnerpotenzen bereitgehalten werden. Das beginnt mit dem Ersatz der für die Systemstabilität zentralen Momentanreserve, geht über Minuten, Stunden, Tage bis hin zu saisonalen Speichern. Und wir sollten auch mögliche längere Zeiträume nicht außer Acht lassen. Denn der Ausbruch eines Supervulkans, der in der Wissenschaft als realistisches Szenario gilt, könnte das Wetter auf Jahre hinaus verändern. Auch wenn dieses Szenario weit hergeholt erscheint, könnte es schnell zu einer Überlebensfrage für unsere Gesellschaft werden, wie es in früheren Jahrhunderten durch Missernten der Fall war.
Die heutigen Batteriespeicher decken ein Zeitfenster von maximal einigen Stunden ab. Zum anderen werden die erforderlichen Dimensionen immer noch massiv unterschätzt. Deutschland verbraucht heute im Durchschnitt 1.500 GWh Strom pro Tag. Die derzeit verfügbaren Großbatteriespeicher haben eine Kapazität von 2 GWh, die in den nächsten Jahren deutlich ausgebaut werden soll. Doch dazwischen liegen noch kaum vorstellbare Dimensionen. Auf der anderen Seite müssen die Speicher in Zeiten der Dunkelflaute auch wieder aufgeladen werden können, was bei länger andauernden Ereignissen nur schwer möglich sein wird. Darüber hinaus stehen in Deutschland theoretisch noch 40 GWh Pumpspeicherkapazität zur Verfügung, sowie ca. 300 GWh in den österreichischen Alpen, die direkt in das deutsche Stromnetz eingespeist werden. Zu beachten ist jedoch, dass dann noch eine räumliche Verteilung erfolgen muss, die wiederum von der Netzinfrastruktur abhängt. Daher sehen viele Zahlen auf dem Papier und Durchschnittswerte viel besser aus, als sie in der Realität sind. Denn im Detail liegt der Hund begraben.
Was kann daher getan werden?
Es gibt einen sehr pragmatischen Ansatz, zumindest als Ausgangsbasis für eine weitere Diskussion: Jeder, der am Strommarkt teilnehmen möchte, muss eine definierte Anzahl von Stunden im Jahr gesichert einspeisen können. Das würde die EE-Anlagen automatisch zur Kooperation zwingen, sei es mit Speichern oder mit konventionellen Kraftwerken. Dann kann man noch einen CO₂-Rahmen hinzufügen, und das Ganze regelt sich von selbst. Derzeit wird aber in alle Richtungen gefördert, was das Problem nur verschärft, weil jeder nur seinen Eigennutz sieht und verfolgt. Es sollten daher nur noch systemdienliche Anlagen gefördert werden.
Zusätzlich brauchen wir dezentrale Funktionseinheiten mit einem sektorübergreifenden Energiemanagement ("Energiezellensystem"). Die Probleme müssen dort gelöst und ausgeglichen werden, wo sie auftreten: möglichst dezentral. Zum anderen kann man in diesen Zellen - die ja nur von der Natur abgeschaut sind, weil alles andere evolutionär ausgeschieden wurde - auch experimentieren und verschiedene Lösungswege ausprobieren, ohne gleich das Gesamtsystem zu gefährden. Und man schafft damit eine Vielfalt, die überlebensnotwendig ist. Anders wird die zunehmende Komplexität nicht beherrschbar bleiben, es sei denn, wir hebeln die Naturgesetze und Erkenntnisse der Evolution aus.
Wir brauchen ein systemisches, vernetztes Denken und Handeln!
Gerade in Zeiten großer Unsicherheiten und Umbrüche folgen Menschen schnell falschen Leitbildern oder Heilsversprechen. Und das Perfide daran ist, dass es immer genügend Argumente dafür oder dagegen gibt, mit denen wir nur schwer umgehen können. Deshalb neigen wir zur Polarisierung, um diesen inneren Widerspruch aufzulösen. Diese toxische Polarisierung mit einem "Schwarz-Weiß-Denken“ erleben wir derzeit bedauerlicherweise in vielen Bereichen.
Wenn wir eine positive Zukunft anstreben und die zunehmende Komplexität bewältigen wollen, dann wird uns dies nur mit einem "Sowohl-als-auch“ Denken und -Handeln gelingen. Und diese Fähigkeit ist leider nicht unbedingt unsere Stärke und wird auch im Bildungssystem noch viel zu wenig als Kernkompetenz gefördert.
Das bedeutet auch, dass es immer Widersprüche und auch unterschiedliche Sichtweisen geben wird, denen wir mit einem "Entweder-oder-Denken“ nicht gerecht werden können. Wir wissen aber aus der Geschichte, dass Polarisierungen fast immer in Katastrophen enden, weil sie unüberwindbare Feindbilder schaffen. Deshalb gilt es, diesen Entwicklungen entgegenzuwirken, auch wenn eine Schwarz-Weiß-Sicht oft als einfacher und weniger anstrengend empfunden wird.
Dies gilt es auch in der gesamten Diskussion um die Energiewende und den Weg zu einer nachhaltigen Energieversorgung verstärkt zu berücksichtigen.
Ausblicke
Wir wüssten, wie es besser geht. Aber im Moment sprechen viele Faktoren dagegen, es so zu machen. Deshalb sollten wir auch damit rechnen, dass etwas schief geht. Denn aus der Systemtheorie wissen wir, dass komplexe Systeme Meister darin sind, Störungen abzupuffern. Fehlt aber die Zeit zur Regeneration, drohen schwere Schäden bis hin zum Systemkollaps. Und das gilt leider auch für das Stromversorgungssystem, auch wenn sich das viele aufgrund der bisher sehr hohen Versorgungssicherheit nicht so recht vorstellen können. Es ist daher ratsam, sich auch mit dieser Möglichkeit auseinanderzusetzen und sich darauf vorzubereiten, wie es beispielsweise auch die österreichischen Sozialpartner in einem Handlungsleitfaden für Unternehmen und Beschäftigte empfehlen.
Autor:
Herbert Saurugg, MSc, ist ein international anerkannter Experte für Blackout- und Krisenvorsorge sowie der Präsident der Gesellschaft für Krisenvorsorge. Der ehemalige Berufsoffizier beschäftigt sich seit 2011 intensiv mit der zunehmenden Komplexität und Verletzlichkeit unserer Gesellschaft und insbesondere mit dem Szenario eines möglichen überregionalen Strom-, Infrastruktur- und Versorgungsausfalls ("Blackout"). Saurugg ist Autor zahlreicher Fachpublikationen und als Keynote-Speaker und Interviewpartner zu diesen Themen bekannt. Sein umfangreicher Fachblog ist eine wertvolle Ressource für Kommunen, Unternehmen und Organisationen, aber auch für Privatpersonen, die ihre Blackout-Vorsorge verbessern und krisenfit werden wollen. Mit seiner langjährigen Erfahrung und seinem fundierten Fachwissen unterstützt er aktiv bei der Entwicklung und Umsetzung von ganzheitlichen Lösungen zur Bewältigung von außergewöhnlichen Krisensituationen.