Von Brüssel nach Rio de Janeiro sind es fast 10.000 km. Lange haben wir gedacht, dass sei weit genug, um Schwellenländer wie Brasilien von der Eurokrise abzukoppeln. Die BRIC's und andere aufstrebende Staaten würden sich jetzt mehr denn je als Fels in der Brandung erweisen und die Industrieländer vor einer Rezession bewahren. Das war eine Illusion. Die Krise ist inzwischen auch bei den "Emerging Markets" angekommen. Die gesamte Region wird an den Finanzmärkten neu bewertet.
Das Auffälligste ist, dass sich die Wechselkurse vieler Schwellenländer seit etwa sechs Wochen drastisch abwerten. Eine Zeit lang hat man das nicht so sehr beachtet. Man dachte, dass es sich nur um die Korrektur der vorherigen – überzogenen – Aufwertungen handelte. Jetzt gehen die Abwertungen aber spürbar über das vernünftige Maß hinaus. In Brasilien wird der Real gegenüber dem Dollar inzwischen fast 20 Prozent niedriger bewertet. Zudem betrifft die Wechselkursveränderung Länder auf allen Kontinenten. In Lateinamerika ist es neben Brasilien auch Mexiko. In Asien sind es unter anderem Korea, Indien, Indonesien und Thailand. In Afrika ist es die Republik Südafrika. In Europa Polen, Ungarn, aber auch die Türkei und Russland. Einzig China scheint nicht davon betroffen zu sein. Das hängt sicher damit zusammen, dass das Land heftig auf den Devisenmärkten interveniert.
Aber nicht nur die Devisenmärkte sind tangiert. Auch die Aktienkurse der Schwellen- und Entwicklungsländer gehen in die Knie. Auf den Bond-Märkten erhöhen sich die Risikoaufschläge. Der Embi+ Spread, der diese Aufschläge misst, bewegte sich im Sommer noch bei 250. Inzwischen ist er fast auf das Doppelte gestiegen. In der Subprime-Krise lag er in der Spitze bei 850. Investmentfonds, die in den Schwellenländern investieren, verzeichnen erhebliche Mittelabflüsse.
Abwertung des Brasilianischen Real gegenüber dem US-Dollar (USD/BRL) [Quelle: Bloomberg]
Diese Entwicklung muss man ernst nehmen. Denn dahinter stehen erhebliche Volumina. In den vergangenen Jahren sind jeweils rund USD 1.000 Mrd. kurzfristige Gelder aus den Industriestaaten in die Schwellen- und Entwicklungsländer geflossen. Sie waren zwar auch damals ein Ärgernis, weil es sich vornehmlich um kurzfristige Gelder handelte, mit denen die Empfänger keine langfristigen Projekte finanzieren konnten. Aber wenigstens flossen sie in die richtige Richtung (das heißt, aus der entwickelten Welt in die sich entwickelnde Welt). Wenn das alles jetzt zurückgeholt werden sollte, würde das die Verhältnisse ganz schön in Unordnung bringen. Zudem fließt das Geld nunmehr in die falsche Richtung.
Der Grund für die Umkehr der Kapitalströme liegt nicht so sehr in den Schwellen- und Entwicklungsländern selbst. Natürlich verringert sich die wirtschaftliche Dynamik dieser Volkswirtschaften. Zudem senken einige Länder (unter anderem Brasilien) die Zinsen, um der wirtschaftlichen Abschwächung gegenzusteuern. Aber das ist insgesamt noch nicht wirklich dramatisch.
Entscheidend ist vielmehr die veränderte Risikoeinschätzung der Anleger auf den Finanzmärkten. Hier kommt die Eurokrise ins Spiel. Sie wird jetzt global. Daneben ist aber auch die generelle Schuldenproblematik (zum Beispiel in den USA) zu erwähnen, sowie die schwierige Lage der Banken. In solchen Zeiten suchen die Investoren sichere Häfen mit großen und liquiden Kapitalmärkten.
Das sind, trotz aller Schwierigkeiten in Amerika, immer noch die USA und der Dollar. Wahrscheinlich ist, dass sich die US-Währung auch gegenüber dem Euro aufwertet. Interessanterweise ist das durch Fukushima so gebeutelte Japan von diesen Entwicklungen nicht betroffen. Der Japanische Yen hält sich stark gegenüber dem Dollar.
Die Auswirkungen der Umkehr der Kapitalströme zeigen sich unmittelbar in den Schwellen- und Entwicklungsländern. Sie haben weniger Geld. Die Refinanzierung ihres inländischen Kreditgeschäfts wird schwieriger. Das Wachstum wird sich verlangsamen. Die Preissteigerung, die ohnehin noch hoch ist, wird wegen der teureren Importgüter weiter steigen. Devisenreserven werden sich tendenziell verringern. Das mindert auch den Spielraum für Investitionen der Staatsfonds im Ausland, auch in Europa. In jedem Fall werden diese Länder nicht wie gehofft als Rettungsanker für die Industrieländer fungieren können.
Die Industrieländer haben durch die Kapitalrückflüsse zwar mehr Liquidität zur Verfügung, das nützt ihnen jedoch nichts, weil die Zentralbanken ohnehin genügend Geld bereitstellen. Die Zinsen können nicht weiter sinken. Was hier zu Buche schlägt, sind die verschlechterten Exportchancen, einmal wegen des langsameren Wachstums der Empfängerländer, zum anderen wegen der schwierigeren Wechselkurssituation.
Autor: Dr. Martin W. Hüfner, Chief Economist, Assenagon Asset Management S.A.
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