Fehlermöglichkeits- und -einflussanalyse

Die FMEA in der Medizintechnik


Fehlermöglichkeits- und -einflussanalyse: Die FMEA in der Medizintechnik Kolumne

Sicherheit von Medizinprodukten und Risikomanagement sind zwei der zentralen Forderungen der gesetzlichen Vorgaben an Hersteller von Medizinprodukten in Europa. In der neuen EU-Medizinprodukteverordnung (2017/745), die die bisher gültige EU-Medizinprodukterichtlinie (93/42/EWG) ablöst, wurden die Forderungen an das Risikomanagement konkretisiert und weiter verschärft. 

Neben den gesetzlichen Forderungen bestehen normativen Vorgaben, die ein risikobasiertes Vorgehen über den gesamten Lebenszyklus von Medizinprodukten fordern. Zu diesen Normen zählen die ISO 13485:2017, die ISO 14971:2019 sowie die ISO 24971:2020. Die Vorgaben für das Risikomanagement wurden auch in diesen Normen verschärft und konkretisiert. Die Forderungen der Normen decken sich weitestgehend mit den neuen gesetzlichen Vorgaben. Da die Normen noch nicht harmonisiert sind, bestehen aber noch nichtdiskutierte Unterschiede in Detailaspekten zu den Gesetzten. 

FMEA im Risikomanagement von Medizinprodukteherstellern

Viele Medizinproduktehersteller haben FMEA als Werkzeug eingesetzt, um die Forderungen bzgl. Risikomanagement zu erfüllen. Bei genauer Betrachtung wird aber ersichtlich, dass nur mit FMEA diese Forderungen nicht erfüllt werden können. Dies wird besonders klar ersichtlich, wenn man die Verwendung des Begriffs "Risiko", wie er im Zusammenhang mit FMEA und wie er in der Norm ISO 14971:2019 definiert ist betrachtet (vgl. Abb. 01). 

Abb. 01: Verwendung des Begriffs Risiko in ISO 14971:2019 sowie der FMEAAbb. 01: Verwendung des Begriffs Risiko in ISO 14971:2019 sowie der FMEA

Risiko aus Sicht der Norm ISO 14971:2019 fokussiert auf die Auswirkungen, die Fehler am Medizinprodukt verursachen, indem die Schwere von Schäden und das Auftreten von Schäden abgeschätzt wird. 

Risiko aus Sicht der FMEA fokussiert hingegen den Fehler des Medizinprodukts selbst, indem das Auftreten der Ursache und die Entdeckung desselben oder dessen Folgen nach Bewertungs-Tabellenvorgabe abgeschätzt wird. 

Ein weiteres Indiz dafür, dass FMEA nicht mehr als "Risiko-Analyse" gesehen wird ist, dass im neuen AIAG/VDA FMEA-Handbuch (2019) der Begriff RPZ (Risiko-Prioritäts-Zahl) durch "Aufgabenpriorität" (AP, "Action Priority") ersetzt wurde. Die Automotive Branche (AIAG/VDA) bestimmt zukünftig also die Aufgabenpriorität und nicht das Risiko.

Ist das Werkzeug "FMEA" damit für das Risikomanagement noch sinnvoll einsetzbar? … Absolut ja!!

Kombinieren von Risikoanalyse und FMEA im Risikomanagement

Das Ziel eines Risikomanagement- Prozesses ist es sicherzustellen, dass Medizinprodukte sicher sind. Um diese Ziel auch wirtschaftlich erreichen zu können müssen die Ressourcen von Unternehmen auf die Aspekte des Produktes gebündelt werden von denen gesellschaftlich nicht akzeptierte Risiken ausgehen. Dazu muss Risikoanalyse und FMEA aneinandergekoppelt werden. 

Aus der Risikoanalyse kann auf Basis der Risikoakzeptanz ermittelt werden welche Gefahren (Fehler am Produkt) zu nicht akzeptierten Risiken führen können und in welchen Umfang diese Gefahren auftreten dürfen um akzeptiert zu werden. Diese Informationen können in den FMEAs eingesetzt werden, um geeignete Maßnahmen festzulegen, die sicherstellen, dass Gefahren nur in einem Umfang auftreten, die zu einem akzeptierbaren Risiko führen (vgl. Abb. 02). 

Abb. 02: Kombinieren von Risikoanalyse und FMEAAbb. 02: Kombinieren von Risikoanalyse und FMEA

Gefahren (potenzielle Fehler am Produkt) müssen identifiziert werden und es muss ermittelt werden welche Gefährdungssituation und welche Schäden auftreten können. Es muss bewertet werden wie häufig Schäden auftreten können und wie schwer diese Schäden sind. Die Kombination aus Auftreten und Schweregrad der Schäden ergibt das Risiko. Wenn das Risiko in einem akzeptierbaren Bereich liegt und das Risiko "so weit wie möglich" reduziert wurde müssen keine Maßnahmen getroffen werden. Wenn das Risiko in einem nicht akzeptierbaren Bereich liegt muss ermittelt werden wo im Lebenszyklus des Medizinproduktes (Auslegung, Herstellung, Verwendung) die Ursache für den Fehler liegt. Mittels FMEA muss analysiert werden welches die Ursachen für den Fehler sind und welche Maßnahmen notwendig sind um das Auftreten des Fehlers am Markt so weit zu senken, dass das daraus resultierende Risiko in einem akzeptierbaren Bereich liegt. 

Durch die Kombination von Risikomanagement und FMEA kann somit gezielt auf Maßnahmen fokussiert werden, die wesentlich für die Sicherheit des Medizinproduktes sind. 

Autor: 

Bernhard Lindner, MSc, ist Leiter des Bereichs Qualitätsmanagement der Abteilung Qualität beim Medizinproduktehersteller Leonhard Lang GmbH in Innsbruck. Er ist für die Reorganisation des bestehenden Qualitätsmanagementsystems zuständig. 
​​​​​​​Bernhard Lindner
, MSc, ist Leiter des Bereichs Qualitätsmanagement der Abteilung Qualität beim Medizinproduktehersteller Leonhard Lang GmbH in Innsbruck. Er ist für die Reorganisation des bestehenden Qualitätsmanagementsystems zuständig. 

 

[Der Beitrag wurde in der Zeitschrift FMEA Konkret, Ausgabe 12/2021, S. 12-13, veröffentlicht und wird auf RiskNET mit freundlicher Genehmigung der Redaktion veröffentlicht]

[ Bildquelle Titelbild: Adobe Stock.com / Gorodenkoff ]
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