Marktkommentar 

Die Große Rotation


Die Große Rotation Kolumne

Die "Große Rotation" ist da – so lässt sich die Markentwicklung über das 1. Quartal 2025 hinweg wohl bestmöglich beschreiben. Anleger, die sich womöglich eine dauerhafte Fortsetzung der Überrenditen aus den über die letzten Jahre hinweg beliebten und erfolgsverwöhnten Investmentstilen (Wachstum, Momentum, US-Technologie, Passiv) erhofft hatten, mussten sich erstmals seit langer Zeit mit enttäuschenden Anlageergebnisse zufriedengeben.

Die Kapitalmärkte sortieren sich aktuell neu. An den Aktienmärkten verzeichneten die breiten US-Indizes das schlechteste relative Quartalsergebnis gegenüber den Weltmärkten seit dem Jahr 2002, als die Skandale um Tyco und Worldcom die US-Börsen erschütterten. Besonders bemerkenswert ist die Outperformance europäischer Aktien. In Euro gerechnet verlor der S&P 500 über das Auftaktquartal -8,9%, während im EuroStoxx 50 (+7,1%) und in vielen europäischen Länderindizes (z.B. Dax +10,7%, ATX +12,3%, IBEX 13,2%) robuste Gesamterträge erzielbar waren. Generell standen wachstumsorientierte Werte unter Abgabedruck, Industrie- und defensive Werte waren hingegen gesucht.

Auch an den Rentenmärkten zeigten sich Divergenzen. Galt es Vielen lange als sicher, dass europäische Anleiherenditen weiter fallen, US-Zinsen hingegen länger höher notieren würden, trat das genaue Gegenteil ein: Die Renditen 10-jähriger US-Anleihen notierten zum Quartalsultimo deutlich tiefer als zu Jahresbeginn, während 10-jährige Bundesanleihen gut 0,3% höhere Renditen aufwiesen. In nahezu allen relevanten Währungsräumen dominierte zuletzt der Trend zu deutlich steileren Zinskurven.

Abb. 01: Die Große RotationAbb. 01: Die Große Rotation

Einmal mehr stellte Gold alle anderen Anlageklassen in den Schatten: Das Metall erreichte zum Quartalsschluss ein neuerliches Rekordhoch bei 3.123 Dollar je Feinunze und konnte damit 2025 bereits um rund 20% zulegen. Der Euro wertete - für viele überraschend - deutlich auf. Nachdem im Januar die Parität zum US-Dollar bereits in Sichtweite geraten war, übersprang die Gemeinschaftswährung im März die Marke von 1,09 USD, Anfang April gar von 1,11 USD. 

Mit der Neuordnung der Kapitalmärkte in der "Großen Rotation" wechseln plötzlich viele Gewinner der letzten Jahre auf die Verliererseite und umgekehrt. Unsere Vermutung aus dem letzten Quartalsbericht, dass 2025 kein Selbstläufer mehr sein würde, bestätigte sich bereits im ersten Quartal weitgehend. Die nun nötige stärkere Differenzierung in der Bewirtschaftung der Vermögensanlage gegenüber den Vorjahren erfordert in der Portfoliokonstruktion die Aktivierung breiterer Renditequellen und die aktivere Steuerung der Risikoprämien untereinander. Aktive Fleißarbeit dürfte nach vorne blickend wieder stärker belohnt werden als über weite Strecken der letzten Jahre.

Regelmäßige Leser unseres Marktberichts wissen, dass wir eine solche Entwicklung bereits lange für überfällig erachten. Die sehr einseitige Marktentwicklung der letzten Jahre mit enger Marktführerschaft und hoher Konzentration der "Glorreichen Sieben" im Aktienbereich war ungesund und fachte bestehende Bewertungsbedenken weiter an. Die Margen der US-Unternehmen liegen in der Breite auf Rekordniveau, haben damit kaum noch Raum für Ausweitungen, dafür aber erhebliches Korrekturpotential, gerade in einem Umfeld, in dem es erklärtes politisches Ziel der US-Regierung ist, der Mittelschicht und deren Arbeitnehmern wieder ein "größeres Stück vom Kuchen" zukommen zu lassen. Eine denkbare Verschiebung der Wertschöpfung hin zu möglicherweise höheren Anteilen für Arbeitseinkommen würde direkt zu Lasten von Unternehmensgewinnen und Kapitalrenditen wirken. 

Abb. 02: Gewinnmargen von US-Unternehmen noch immer nahe der AllzeithochsAbb. 02: Gewinnmargen von US-Unternehmen noch immer nahe der Allzeithochs

Hohe Bewertungen und viel Enttäuschungspotential für Unternehmensgewinne in Zeiten steigender makroökonomischer Unsicherheiten bewirken nun ein Auspreisen der vermeintlichen Einzigartigkeit der US-Unternehmen. Ob sich hier schon das Ende einer Ära andeutet, ist offen, doch scheinen Korrekturen der offenkundig strapazierten Bewertungsaufschläge für die "Glorreichen 7", aber auch darüber hinaus, gerechtfertigt. Die Wiederbelebung europäischer Aktienwerte und gleichzeitige Underperformance der US-Märkte erschien aus isolierter Bewertungssicht schon länger möglich. Meist bedarf es für einen tatsächlichen Paradigmenwandel an den Märkten aber eines Auslösers. Davon waren im ersten Quartal gleich mehrere gegeben: 

  • Im Januar überraschte das chinesische Startup DeepSeek mit einem westlichen Angeboten gegenüber ähnlich leistungsfähigen, aber deutlich kosteneffizienterem KI-Angebot, dessen künftige Proliferationsmöglichkeiten Werthaltigkeit und Kommerzialisierungsmöglichkeiten von KI-Investitionen großer US-Technologiekonzerne grundsätzlich in Frage stellen.
  • Eine in den Schlagzeilen des ereignisreichen ersten Quartals weitgehend untergegangene Exekutivverordnung des US-Präsidenten vom Februar baut weitreichende Restriktionen gegenüber chinesischen Investitionen in den USA auf. Sie kommt einer höflichen "Ausladung" bestehender Investitionen gleich und könnte so die Initialzündung für den Verkauf von US-Aktieninvestments durch chinesische Anleger gegeben haben, die sich vor einer weiteren Ausbaustufe mit direkten Sanktionen sorgen. Statistiken zeigen die höchsten Verkäufe von US-Aktien durch ausländische Institutionen seit 2008. 
  • Große US-Technologiekonzerne kürzten Datencenterkapazitäten bzw. stornierten geplante Erweiterungen und sendeten so klare Warnsignale hinsichtlich ihrer Geschäftserwartungen 
  • Die überraschende Kehrtwende der Verschuldungs- und Fiskalkultur in Deutschland befeuerte die Nachfrage nach günstig bewerteten kontinentaleuropäischen Vermögenswerten und nährte so die Rotation.

Im Ergebnis ist es aber fast egal, was genau der Auslöser ist, wenn eine Anlageklasse ausgehend von sehr hohen Bewertungen verwundbar ist und über keinerlei Sicherheitsmarge mehr verfügt. Zur Perfektion gepreiste Anlagen bedürfen der dauerhaften Fortsetzung von Best Case Entwicklungen, um ihr inflationiertes Bewertungsniveau halten zu können. 

Die Überbewertung der US-Aktienmärkte ist einmal mehr gut dokumentiert in einer Studie ("Current Constituents CAPE") von Research Affiliates, die darlegt, wie der Bewertungsmaßstab des zyklisch-adjustierten KGVs (cyclically adjusted price-to-earnings ratio, kurz "CAPE") für den S&P 500 weiterhin nützlich in der Ableitung von Renditeerwartungen ist. Sie zeigt, wie Renditeschätzungen für künftig mögliche Ertragskorridore noch weiter verbessert werden können, wenn eine auf die aktuelle Indexzusammensetzung hin angepasste Variante des CAPEs herangezogen wird. Die Erkenntnis deckt sich mit unserer Auflassung, dass zum Ausgangszeitpunkt einer Investition bestehende Bewertungen der bestmögliche verfügbare Schätzer für nachfolgend erzielbare Gesamterträge sind ("Bewertungen von heute sind die Renditen von morgen"). Die Anpassungslogik marktkapitalisierungsbasierter Indizes resultiert in der generellen Problematik, dass weniger teure Unternehmen ausscheiden, während gegenüber ihren Gewinnen höher bewertete Unternehmen neu hinzukommen. Um diesen systematischen Bias zu korrigieren, wenden die Analysten von Research Affiliates eine verfeinerte Bewertungskennzahl an, welche die Gewinnhistorie auf Basis der aktuellen Indexzusammensetzung betrachtet. Diese Methodik verbessert die Prognosegüte gegenüber der traditionellen Variante und zeigt jener gegenüber ein aktuell noch höheres Überbewertungsausmaß. Beide Varianten notieren im teuersten Dezil ihrer eigenen Historie. Daraus leiten sich gedämpfte Erwartungen an künftig mögliche Aktienerträge im S&P 500 ab. 

Einen in diesem Kontext interessanten Gedanken zu US-Aktienbewertungen äußerte auch BCA-Chefstratege Marko Papic im Gespräch mit der NZZ: Viele Investoren hätten fiskalpolitische Verschwendung mit Innovation und Produktivität verwechselt. Weil nun die Verschwendungssucht an ein Ende käme, wäre damit auch die erhoffte Einzigartigkeit vorbei. 

Investmentimplikation: Wenn die den US-Märkten über die letzten Jahre zugebilligten Bewertungsprämien auf falschen Grundannahmen der Einzigartigkeit beruhten (Fehlannahme: besseres Gewinnpotential der US-Unternehmen – tatsächlicher Kurstreiber: fiskalische Maßlosigkeit mit hohen Dauerdefiziten), hat die Bewertungskorrektur im Rahmen der "Großen Rotation" vermutlich noch weiteren Spielraum. 

Auch Jeremy Grantham, Mitgründer des Vermögensverwalters GMO, traut den auf KI- und Technologiehoffnungen ruhenden Bewertungen nicht: Er vergleicht den KI-Optimismus und resultierende Bewertungen mit der Internetblase 1999 sowie dem Eisenbahn-Crash im Großbritannien des 19. Jahrhunderts. Auch damals bestanden große Erwartungen an bahnbrechende neue Technologien (die auch tatsächlich die Welt veränderten), doch zu viel spekulatives Kapital führte auch bei den Eisenbahngesellschaften zu Überinvestitionen, Überbewertungen und Überhitzungen. Wie die Eisenbahn, so Grantham, wird auch KI Fortschritt und Produktivität bringen, doch möglicherweise an den Börsen in einem ähnlich spektakulären Zusammenbruch enden, weil die Erwartungen an Ausmaß und Geschwindigkeit möglicher Investmentrenditen viel zu hoch sind. 

Wohin führt die Zollwütigkeit?

Auch wenn der 2. April (der – nach US-Lesart – "Liberation Day") formal nicht ins erste Quartal fällt, wären unsere Marktbetrachtungen angesichts der weitreichenden Folgewirkungen und jetzt schon sichtbaren Flurschäden der Zollwütigkeit unvollständig, würden wir sie ausblenden. 

Dass weitreichende Zölle durch die US-Administration verhängt werden würden, konnte ob der zuvor klaren Ankündigungen kaum überraschen. Das Ausmaß erwischte die Märkte dann aber doch klar auf dem falschen Fuß. 

Index2. April bis 7. AprilSeit Jahresanfang
S&P 500-10.7%-13,6%
NASDAQ-100-11,0%-16,9%
STOXX Europe 600-11,7%-5,9%
DAX-11,6%-0,6%
Nikkei-12,8%-21,3%
Hang Seng-14,5%-0,4%

Tab. 01: US-Zöller lösen Ausverkauf an den globalen Aktienmärkten aus [Zahlenangaben beziehen sich auf die Vergangenheit. Frühere Wertentwicklungen sind kein verlässlicher Indikator für künftige Wertentwicklungen. Quelle: Bloomberg; jeweils in lokaler Währung; Stand: 07.04.2025]

Die USA deklarieren ihren Zollrundumschlag als "reziproken" Ausgleich für vermeintlich erlittene Nachteile, denen US-Unternehmen in ihren Exportbemühungen in andere Regionen ausgesetzt sind. So gilt ein "Grundtarif" von 10%, zuzüglich eines "Aufschlags", der sich nach den Handelsrestriktionen der betreffenden Länder bemessen soll. Nach dieser Systematik gelten fortan u.a. folgende Sätze (Stand 08.04.2025 – die Nachrichtenlage dürfte sich vermutlich dynamisch entwickeln; 90-tägiges Zollmoratorium per 09.04.2025, 10%-Basissatz für alle außer China - die Meldungen wechseln vom Tages- in den Stundenrhythmus):

  • 10% Grundzoll auf alle Importe ab April 2025
  • Effektiver Satz von 54% auf chinesische Einfuhren (Effektive Gesamtrate per 09.04.2025 bereits schon bei 104%, nach weiterer Eskalationsstufe)
  • 20% Zölle für Waren aus der Europäischen Union
  • Zollsatz von 31% für die Schweiz 
  • Zollsatz von 24% für Japan 
  • Einige Länder (u.a. Saudi-Arabien, Großbritannien, Brasilien, Singapur, Türkei, Kolumbien, Argentinien) unterliegen "lediglich" dem Basissatz von 10%
  • Am anderen Ende des Spektrums stehen Zölle für Vietnam von 46%, Thailand 36% und Taiwan 32%
  • Zusätzlich 25% auf alle Importe von Autos

Die Folgewirkungen des Zollinfernos – wenn es wie angekündigt umgesetzt wird – als "weitreichend" zu beschreiben, wird dem Ausmaß vermutlich noch nicht einmal gerecht. Schätzungen zufolge steigt die effektive Zollrate der USA auf 25% und liegt damit höher als in den 1920er/30er Jahren zur Zeit des berüchtigten Smoot-Hawley Acts (effektive Belastung von 20%), der möglicherweise mitverantwortlich für die Große Depression und Weltwirtschaftskrise war, diese zumindest aber verstärkte. Die erhofften Mehreinnahmen durch die Zölle betragen 600 bis 700 Mrd. US-Dollar und aggregieren sich auf 2 bis 3% der Wirtschaftsleistung der USA. Zölle und zu erwartende Gegenzölle könnten zu erheblichen Störungen des internationalen Warenverkehrs führen, den Freihandel deutlich ausbremsen und sich zu einer schweren Wirtschaftskrise auswachsen. Die Rezessionsgefahr ist deutlich gestiegen. 

Über die Motivlage hinter den Zöllen wird viel spekuliert. Die verbreiteten Erklärungs- und Deutungsversuche nehmen vor allem folgende Aspekte in den Blick:

  • Der Wunsch der USA, die industrielle Basis und inländische Produktion wiederherzustellen, deren Verlust über die letzten Jahrzehnte hohe wirtschaftliche und soziale Kosten hatte (Abwanderung Industriearbeitsplätze, Deindustrialisierung, Arbeitslosigkeit, Trostlosigkeit im "Rust Belt" mit gesellschaftlichen Folgen wie Drogen-Alkohol-, und Medikamentenmissbrauch, Kriminalität, Zerfall sozialer Strukturen).
  • Vergeltung gegen vermeintliche "Übeltäter", die durch ihrerseits protektionistische Maßnahmen die Exportchancen von US-Unternehmen behindern (hierzu zählt die US-Administration u.a. auch Mehrwertsteuern und Industrienormen) 
  • Strategische Schwächung Chinas  
  • Aufbau einer starken Verhandlungsposition ("The Art of The Deal"), um Konzessionen anderer Länder zu erwirken 
  • Primär fiskalische Maßnahme, bei der die Zollmehreinnahmen in Aussicht gestellte Steuersenkungen finanzieren und das Fiskaldefizit einhegen helfen sollen 

Die Motivlage scheint zum Zeitpunkt der Abfassung des Quartalsberichts noch nicht abschließend klar. Einige Analysten haben aber darauf hingewiesen, dass die Berechnung der vermeintlich "reziproken" Zollsätze tatsächlich – etwas vereinfacht – lediglich eine Funktion des US-Handelsbilanzdefizits mit dem betreffenden Land zu sein scheint. 

Folgt man dieser Logik, würden sich die Verhandlungen deutlich erschweren. Eine solche, nicht sachgemäße Herleitung der Zollsätze würde bedeuten, dass die USA ein grundsätzliches Problem mit Handelsbilanzdefiziten haben und diese zu beseitigen wünschen. Die Entschärfung der Zollkonflikte würde damit schwierig bis unmöglich: Einerseits entstehen Handelsbilanzungleichgewichte nicht in bösartiger Absicht des Handelspartners, sondern sind vollständig durch Marktfaktoren (preisliche Wettbewerbsfähigkeit, Spezialisierung in Produktion und Wertschöpfungsketten, Präferenzen der Konsumenten, relative Transport- und Arbeitskosten, Währungseffekte) erklärt. Handelsflüsse und resultierende Handelsbilanzüberschüsse oder -defizite sind Ergebnis komparativer Vorteile, die sich einzelne Regionen im Rahmen von Spezialisierung oder standortbedingten Faktoren (z.B. Rohstoffvorkommen, Ausbildungsstand der Erwerbsbevölkerung, geografische Lage, usw.) erarbeiten. Zölle stören, wie jeder Eingriff in den Preismechanismus, die hocheffizienten Allokationseffekte der internationalen Arbeitsteilung und führen zu schlechteren Ergebnissen für alle Beteiligten. Andererseits können die vermeintlichen "Übeltäter" faktisch nichts zur Lösung beitragen. Ihre Handelsbilanzüberschüsse können nicht per Knopfdruck abgestellt werden, sie sind nicht oder nur sehr begrenzt in der Lage, den USA ein "phänomenales Angebot" (Trump) zu unterbreiten, das wohlwollendes Entgegenkommen bei den Zollstrafen bewirken würde. 

Ein Indiz dafür, dass die Berechnungslogik der US-Zölle tatsächlich auf einem fragwürdigen Approximieren über die jeweiligen Handelsbilanzdefizite beruht, zeigt sich in den statistisch sehr engen Zusammenhängen zwischen Zollsatz und Import/Export-Relationen. Die USA weisen mit fast allen Ländern deutliche Handelsbilanzdefizite auf, nennenswerte Ausnahmen bilden Australien, Argentinien, Großbritannien und Brasilien. Mit diesen wenigen Ländern erzielen die Vereinigten Staaten einen Handelsbilanzüberschuss. Just diese Länder sind lediglich mit dem "Basiszoll" von 10% belegt. Vietnam gehört zu den Ländern, die mit einem der höchsten Zusatzzölle (46%) belegt sind. Das Land erzielt einen hohen Leistungsbilanzüberschuss mit den USA, verhängt seinerseits aber nur 5% direkten Einfuhrzoll gegen US-Produkte.

Weil Handelsbilanzdefizite Ergebnisse von unterschiedlicher Wettbewerbsfähigkeit und über Jahrzehnte hinweg gewachsener Spezialisierung von Kompetenzclustern sind, lassen sie sich nicht planwirtschaftlich steuern, verordnen oder dekretieren. Jeder Versuch des Zoll-Eingriffs in das fragile System internationaler Arbeitsteilung und Spezialisierung ruft definitionsgemäß schwere Schäden in der Nutzenfunktion aller beteiligten Produzenten und Konsumenten hervor. Exporteure leiden unter verschlechterter preislicher Wettbewerbsfähigkeit, die Konsumenten hinter der Zollmauer erleiden Nachteile durch höhere Kosten, reduziertes Angebot und einen schleichenden Prozess der Qualitätsverschlechterung, weil inländische, von Schutzzöllen und Wettbewerbsdruck abgeschirmte Anbieter sich nicht mehr um Innovation und Weiterentwicklung bemühen müssen. Damit wirken Zölle ähnlich schädlich wie Subventionen, die ineffiziente Fertigung und geringe Produktivität belohnen, den Wettbewerb schädigen und mit staatlichen Top-Down Eingriffen die effiziente Ressourcenallokation behindern. Das hochgradig effiziente Entdeckungsverfahren der Märkte für bestmögliche Ergebnisse, Arbeitsteilung und Preise wird außer Kraft gesetzt. 

Die Argumentationslinien der US-Administration ignorieren den Grundsatz der komparativen Produktions- und Wettbewerbsvorteile (jeder produziert, was er am besten und preislich wettbewerbsfähigsten kann) und verkennen, dass auch unter angepassten Zollschranken Autos aus US-Fertigung vermutlich keine Nachfrage in Europa finden werden und umgekehrt die Vereinigten Staaten auch künftig sehr wahrscheinlich keine Produktion von T-Shirts, Haushaltselektronik oder Spielzeug im eigenen Land aufbauen werden. Der gewünschte Aufbau von Produktionskapazität in den USA wird in Teilbereichen sicher möglich sein, benötigt aber (u.a. auch nach Verfügbarkeit von qualifiziertem Personal und Know-how) Zeit. 

Die Zölle werden mit Ausnahme der Haushaltseffekte nicht erreichen können, was mit ihnen beabsichtigt wird. Sie versagen in der gewünschten Steuerungswirkung des internationalen Freihandels und bringen, wenn sie wie geplant umgesetzt werden, solch schwere Störungen des freien Güterverkehrs mit sich, dass die sich mit der Zeit einstellenden Schäden den erhofften Nutzen übersteigen werden. Doch selbst mit Blick auf die Fiskaleinnahmen ist fraglich, wie dauerhaft die kalkulierten Mehreinnahmen sind, weil keine zuverlässige Prognose über die Effekte von Importelastizitäten und andere Verschiebungen erstellt werden kann. Das Handeln der Millionen von beteiligten Anbietern und Nachfragern und über deren künftige Präferenzen kann eben nicht planwirtschaftlich vorherberechnet werden. 

Die Zölle sind grundsätzlich hochproblematisch und schädlich. Die Gefahren einer weiteren Eskalationsspirale sind real, wenn an den aktuellen Planungen festgehalten wird. Gegenzölle sind wahrscheinlich, teure Neujustierungen der Lieferketten kennen fast nur Verlierer. Auf Einschränkungen des freien Warenverkehrs folgende Einschränkungen des Kapitalverkehrs sind ebenfalls denkbar. Besonders verwundbar sind im Zollkontext die US-Technologiekonzerne: Anders als bei Gütern, erwirtschaften die USA bei Dienstleistungen mit vielen Regionen einen Überschuss, der sich primär aus dem Export von Technologie erklärt. Möglich Instrumente, welche die US-Technologieunternehmen ins Visier nehmen ("Digitalsteuer" o.ä.), sind der offenkundigste Angriffspunkt für denkbare Gegenmaßen.  

Investmentimplikation: Die Margen und Gewinne von US-Tech-Titeln unterliegen damit zusätzlichen Risiken aus der Zollpolitik. Daraus erhält die "Große Rotation" weitere Nahrung. Aber ganz grundsätzlich müssen US-Unternehmen mit deutlichen zollinduzierten Kostensteigerungen (etwa aus dem Einkauf von Gütern zur heimischen Weiterverarbeitung, besonders relevant u.a. bei Halbleitern) und somit Druck auf ihre rekordhohen Gewinnmargen rechnen. Weitere Bausteine stellen die Einzigartigkeit der US-Aktien damit in Frage. 

Auch die Eindämmung des US-Fiskaldefizits belastet die Margen. US-Finanzminister Scott Bessent beabsichtigt eine Reduzierung des Haushaltsdefizits auf 3%, Präsident Trump sprach im Kongress gar von dem Ziel eines "ausgeglichenen Haushalts". Die Annahme vieler Marktteilnehmer, die Trump-Administration stünde für eine Fortsetzung und Ausweitung des hochgradig expansiven Fiskalkurses korrigiert sich gerade. Scott Bessent bekräftigte die Bereitschaft der Administration eine "Detox-Periode", eine Anpassungsrezession ("Take the pain early") in Kauf zu nehmen, in der sich die Wachstumsträger von Staatsausgaben hin zum privaten Sektor verschieben sollen. Bessent bemängelt, dass 95% der 2024 neugeschaffenen Stellen von Regierung, Bildungs- und Gesundheitswesen aufgebaut worden seien, dies sei weder wünschenswert noch nachhaltig, die US-Wirtschaft müsse sich von Staatsausgaben lösen. Damit einher geht die Rosskur, die durch die DOGE-Einsparungen im Verwaltungsapparat aufgesetzt wird. Erstmals seit den Sparprogrammen von Margaret Thatcher in den 1980er Jahren (und ausgenommen des Griechenland-Programms nach der Eurokrise) zeigt damit eine westliche Regierung die Bereitschaft zu ernsthaften Austeritätsbemühungen. 

Ähnlich wie bei den Thatcher-Programmen ist kurzfristig mit Anpassungsschmerzen in Form von höherer Arbeitslosigkeit, Einsparungen, rückläufigen Konsumausgaben und eben auch negativen Marktentwicklungen zu rechnen. Die US-Administration hat mehrfach klar gemacht, sie blicke auf die Interessen der "Main Street", nicht der Wall Street. Langfristiges Ziel ist die Freisetzung von Wachstumskräften, indem Ressourcen in produktivere Verwendung gelenkt werden als im Falle von Staatsausgaben. Diese Disruption kann gesund sein, wird aber konterkariert durch die planwirtschaftlichen Zollvorhaben. Die Zölle kennen vermutlich nur Verlierer, in einer Abstufung könnte über die kommenden Monate aber folgende Differenzierung eintreten:  

Vermutete Hauptverlierer:

  • Asiatische Aktien
  • Asiatische Währungen
  • Alle chinesischen Anlagen 
  • Emerging Markets-Währungen
  • Rohstoffe
  • US-Tech-Titel (als wahrscheinliches Hauptziel von Gegenmaßnahmen der Zölle) 
  • US-Unternehmen mit Produktionsschwerpunkten in Hochzollgebieten (z.B. Apple, Nike) 

Mögliche relative Gewinner bzw. geringere Verlierer:

  • Von Zöllen nicht betroffene Sektoren (z.B. Immobilien) 
  • US Small Caps ("Reshoring"-Gewinner aus den Sektoren Industrie, Grundstoffe, Maschinen, Werkzeuge, Infrastruktur, Transport, Logistik)
  • Gold
  • Euro
  • Volatilität 
  • Vermögenswerte aus Ländern, die sich zu relativen Export-Profiteuren gegenüber ihren Wettbewerbern mit höheren Zollsätzen entwickeln können (z.B. Großbritannien, Kolumbien, Argentinien) 

Entscheidend wird sein, welches Szenario nach vorne blickend greift: 

Das Nichtkompromiss-Szenario mit tatsächlicher Anwendung der derzeit geplanten Zollsätze dürfte zu schweren Störungen der Weltwirtschaft führen und würde eine stark risikodefensive Positionierung nahelegen (Zurückhaltung bei Aktien, Vollallokation gegenüber sicheren Häfen wie Gold und langlaufenden Staatsanleihen).

Ein Kompromiss-Szenario, in dem die Zollankündigung primär als Verhandlungsbasis dient und einzelne Zolllasten auf weniger schädliche Sätze zurückgebaut werden, würde nach den bereits erfolgten Marktverwerfungen hingegen Chancen eröffnen. 

Die Hoffnungen der Kapitalmarktakteure richten sich natürlich auf das Kompromissszenario. Möglich scheint, dass die Feedbackschleifen und der Schmerz aus den schweren Marktverwerfungen von Anfang April zu einem Überdenken der Zollpläne innerhalb der US-Administration führen. Möglich auch, dass die an einer (Wieder-)Wahl zu den "Midterms" 2026 interessierten Abgeordneten und Senatoren der Republikanischen Partei als Gegengewicht zu den Freihandelsfeinden im Beraterstab der US-Regierung wirken können. 

Der Marktkonsens und die Schlagzeilen der Finanzpresse erwarten als unmittelbare Folgewirkungen der Zollpolitik ein Stagflationsszenario. Große Einigkeit herrscht über die wachstumsdämpfenden Effekte der Zölle, mit geringerer Konsumnachfrage, nachlassendem Wachstum, höherer Arbeitslosigkeit. Gleichzeitig erwarten die meisten Beobachter steigende Preise, merklich höhere Inflationsraten aus den Preisaufschlägen auf Importwaren. Für uns scheint der Preiseffekt aber weit weniger eindeutig als der Wachstumseffekt: Schwächeres Wachstum und ein schwächerer Arbeitsmarkt wirken jeweils disinflationär. Preiserhöhungen sind ein Einmaleffekt, ähnlich wie bei Steueranhebungen (die auch keine strukturelle Inflationswirkung entfalten). Anders als im Falle der durch Regierungen und Notenbanken in den Nachcovidjahren "organisierten Inflation" wäre der Begriff "temporär" diesmal tatsächlich korrekt und treffend für die Einmaleffekte der Zolleinführung. 

In Erinnerung zu rufen sind auch historische Beispiele. Die während Trumps erster Amtszeit verhängten Zölle hatten keinen inflationären Impuls. Besonders lehrreich ist aber der Blick auf die vom Ausmaß her sehr viel bedeutenderen Zölle der 1920er Jahre. Auch damals beschädigten die Zölle verfügbare Einkommen und Konsumausgaben und wirkten direkt disinflationär. In Kombination mit den schweren Wachstumsstörungen der damals globalen Rezession, mit vielen Insolvenzen und deflationären Liquidationseffekten des Börsencrashs waren die Zölle eindeutig keine Inflationsquelle. Die Weltwirtschaftskrise und Große Depression von 1929 bis 1941 wies mit 1937 tatsächlich nur ein Jahr auf, in dem die Verbraucherpreise mit +3,6% merklich stiegen, in den meisten anderen Jahren fielen die Preise, in der Frühphase gar stark (Deflation im Jahr 1931 -9,3% und -10,3% in 1932). Rezessionen sind definitionsgemäß disinflationär und wir bezweifeln, ob Inflation ohne die notwendige Zutat der Geldmengenausweitung überhaupt entstehen kann. Da Inflation stets monetär ist, wäre auch im aktuellen Umfeld aus den Zöllen allein – wenn überhaupt – ein nur temporärer Preiseffekt zu erwarten. 

Investmentimplikation: Relativ zum Konsens sehen wir die Preiswirkung der Zölle als weit weniger klar und eindeutig. Der erste Impuls der Marktpreise Anfang April bestätigt unsere Sicht: Die marktbasierten Inflationserwartungen waren rückläufig, die Zinssätze langlaufender Anleihen sanken deutlich. Speziell außerhalb der USA (etwa in Europa) könnten disinflationäre Effeke sogar dominieren: Güter, die nun statt Exportwaren zu Angebot im heimischen Markt werden, drücken die Preise. Gleichermaßen senkt das Zusatzangebot aus Importen, die nun nicht mehr in die USA, dafür aber in anderen Zielmärkten angeboten werden, die Preise. Ein festerer Euro-Wechselkurs dämpft die importierte Inflation. 

Nur monetäre Inflation, die realwirtschaftlich nachfragewirksam wird, kann das Preisniveau strukturell erhöhen. Zölle allein führen nicht zu anhaltenden Preissteigerungen. Eine mögliche Spirale aus Gegenzöllen, weiteren Handelshemmnissen, Abschottung und Protektionismus erhöht im Gegenteil die Gefahren einer globalen Wachstumskrise, die wie in den 1920-30er Jahren eher deflationäre Folgewirkungen auslösen würde (Nicht-Kompromiss-Szenario). Zu erwartende Zollverwüstungen in diesem Szenario treffen stärker negativ auf wachstumssensible Anlageklassen als auf zinssensitive Anlagen. 

Ausblick und Folgeabschätzungen wahrscheinlicher Zollverwüstungen hängen somit stark an der Frage, ob das Kompromiss- oder ein Nichtkompromiss-Szenario zum Tragen kommt. In jedem Fall ist der Freihandelsbeschuss der USA ein gefährliches Experiment, welches historisch keine Beispiele mit gutem Ausgang kennt. Eine Chance für Märkte könnte in einem durch die US-Abschottung erzwungenen Reformkurs anderer Regionen liegen. Eine stärkere Orientierung am Freihandel der Zoll-Leidtragenden untereinander oder Reaktionsfunktionen einer lockereren Fiskal- und/oder Geldpolitik könnten von den Märkten positiv aufgenommen werden. In jedem Fall haben sich Makrovolatilität und mithin die Unsicherheiten deutlich erhöht. Auch die Spannbreite möglicher Schritte der Zentralbanken hat zugenommen. 

Tatsächlich reziprok konstruierte Zölle würden Spielraum für Verhandlungen erlauben und eine baldige Deeskalation ermöglichen. Eine auf Handelsbilanzdefiziten errichtete Berechnungsarchitektur der Zölle erschwert jedoch konstruktive Verhandlungen und birgt das Risiko anhaltend marktbelastender Nachrichten. Die Sichtweise, dass Handelsbilanzdefizite schlecht sind, ist ein Irrtum, der verkennt, dass sie natürliche Folge von Markt- und Konsumentenpräferenzen sind, die es zu akzeptieren gilt. Die Entschlackung und Verschlankung der US-Staatsdefizitorientierung ist richtig, auch wenn durch Wegfall des Fiskalimpulses kurzfristig eine (jedoch unnatürliche) Wachstumsstütze wegbricht, der Turbo "abgeschaltet wird". Umgekehrt ist die Errichtung einer Zollbarriere falsch, wenngleich sich die US-Administration wohl nachhaltige Effekte zur Bereinigung der Staatsfinanzen und eine "Investition" in die langfristige Attraktivität als Produktionsbasis erhofft. 

Der S&P 500 verlor am Tag der Zollankündigung, jenem nun denkwürdigen 02. April 2025, -4,8% und verbuchte damit den stärksten Rückgang seit der Covidkrise. Die "Glorreichen 7", wie auch der Nasdaq haben von ihren Höchstständen mehr als 20% verloren und befinden sich damit formal im Bärenmarkt. Die Risikoaufschläge für Hochzinsanleihen sind deutlich angestiegen. Preismomentum und Trend der großen Aktienindizes sind angeschlagen, das technische Bild nun negativ. Der Leitindex S&P 500 ist deutlich unter die 200-Tageslinie gefallen. 

"Nothing good happens below the 200 day moving average”.

Paul Tudor Jones

Die kommenden Wochen werden zeigen, wieviel "short term pain" aus den Zollschmerzen (Märkte, Rezession, Arbeitsmarkt, rückläufige Steuereinnahmen, usw.) die US-Administration willens ist zu akzeptieren für den erhofften und spekulativen "long term gain” von Reindustrialisierung, höheren Wachstumsraten oder solideren Staatsfinanzen. Während dieser Findungsphase dürfte sich die Große Rotation weiter fortsetzen und der Bewertungsaufschlag von US-Aktien strukturell weiter unter Druck stehen. 

Abb. 03: Hoher Bewertungsaufschlag bei US-AktienAbb. 03: Hoher Bewertungsaufschlag bei US-Aktien

Investmentimplikation: Die laufende Marktkorrektur bei US-Aktien hat die von uns schon lange für nötig erachtet Bewertungskorrektur eingeleitet – bei Technologiewerten in Richtung des erforderlichen Ausmaßes, bei vielen anderen Werten möglichenfalls bereits auf dieses oder über dieses Maß hinaus. Die technisch angeschlagene Situation der Leitindizes birgt das Risiko weiterer Abverkaufswellen, unabhängig vom Zollstreit. Vergangene Bärenmärkte zeigen, dass die Nachrichtenlage im abwärtsgerichteten Trend oft in den Hintergrund tritt und Märkte zunächst die Übertreibungen der vorausgegangenen Spekulationsblasen verarbeiten, bis ein tragfähigeres Bewertungsgleichgewicht erreicht ist. Die Volatilität an den Kapitalmärkten dürfte über die kommenden Wochen deutlich erhöht bleiben. 

Greift jedoch das Kompromiss-Szenario, liegt speziell für einige defensive, hochqualitative US-Unternehmen in den Bereichen Industrie, Konsum, Gesundheit oder Infrastruktur der Fokus nun auf den Chancen. Bleibt die Weltwirtschaftskrise aus und können die Freihandelserrungenschaften einigermaßen verteidigt werden, eröffnen sich aktuell in einigen Unternehmen ansprechende Bewertungen. Auch in Europa können im Prinzip kostenlos erhältliche Bewertungsoptionen nun schnell "ins Geld" kommen, wenn die Worst-Case Folgen des Nichtkompromiss-Szenarios abgewendet bleiben. Im Krisenszenario, in dem die Zollstreitigkeiten tatsächlich zu Handelskriegen eskalieren, sind die Aktienmärkte hingegen noch zu teuer, weil die Gewinne stärker einbrechen würden als aktuell gepreist. Die USA haben aber grundsätzliche Verhandlungsbereitschaft signalisiert. Wir sehen es als eher wahrscheinlich, dass die Animositäten im Kern zwischen den USA und China erhalten bleiben, in vielen anderen Fällen aber Kooperations- und "Deal"-Bereitschaft dominieren dürfte. In einem solchen Verhandlungsszenario bieten einige Segmente nach den erfolgten Kurskorrekturen von Anfang April bereits erste "Schnäppchen".  

Die von den USA angekündigten, aber noch ausstehenden Zölle für Pharmaerzeugnisse dürften die Marktstimmung bei Einführung noch einmal neuerlich belasten. Danach sind dann aber vermutlich zunächst alle Negativmeldungen im Markt und weitgehend gepreist. Die Verhandlungen zu Zollkonzessionen dürften stark diskretionären Charakter haben. Die USA erwarten, dass andere Regionen mehr US-Produkte importieren und Exporte in Produktionskapazität in den USA umbauen. Die Märkte werden sich wohl zunächst schwertun, entsprechend komplexe Folgewirkungen zu preisen. Gelingt es in Verhandlungen, bestehende Handelshemmnisse in anderen Regionen abzubauen, kann der robusten Verhandlungsführung der Amerikaner zumindest ein klein wenig Positives abgewonnen werden. Mit Blick auf China und die dort praktizierten staatlichen Subventionen kann man den USA gar zubilligen, dass sie einen validen Punkt haben, ebenso wie in Fällen von "Industriepolitik" und nicht-tarifären Handelshemmnissen in anderen Ländern, die mit der Idee des Freihandels nicht unbedingt im Übereinklang zu bringen sind. Umgekehrt haben viele Überschussländer faktisch aber gar nichts anzubieten, was die Zollwut der US-Administration besänftigen könnte.

Mittel- bis langfristig ist zu vermuten, dass die Zölle, werden sie aufrechterhalten, vielen globalen Unternehmen bei ihren Investitionsentscheidungen kraftvolle Argumente an die Hand geben, Produktion tatsächlich in den USA aufzubauen. Der lukrative Zugang zum US-Markt setzt einen hohen Anreiz, in von Zollaufschlägen freie Produktionskapazitäten zu investieren. Gepaart mit ohnehin attraktiveren Standortbedingungen gegenüber weniger wirtschaftsfreundlichen Regionen der Welt, könnte die Ansiedlung von Unternehmen und Verbreiterung der Kompetenzcluster das mögliche Potentialwachstum der USA relativ zu konkurrierenden Standorten damit noch etwas weiter erhöhen.  

Investmentimplikation: Auf die lange Frist bleiben die USA für Kapitalanlagen ein Magnet, weil sie bessere Standortbedingungen aufweisen, Innovation zulassen und weil Investitionsvorhaben auf eine bestehende Infrastruktur aus Technologie, hervorragenden Bildungsinstitutionen und Finanzierungsmöglichkeiten (z.B. ausgereifte, tiefe Märkte für Venture Capital und Private Equity) treffen. 

Auf die kurze Frist dürften sich jedoch die aktuell präsente disinflationäre Wachstumsschwäche noch einige Zeit weiter festsetzen. Eine Rezession ist für die USA im laufenden Jahr wahrscheinlicher als ihr Ausbleiben. Die historisch stets treffsichere Zinskurveninversion als Vorbote einer Rezession hätte am Ende doch, mit großem Zeitverzug (und zwischenzeitlich betäubt durch die immensen Staatsausgaben der Biden-Administration), Recht behalten. 

Abb. 04: US-Einkaufsmanagerindex (ISM) verzeichnet deutliche Abschwächung der AuftragseingängeAbb. 04: US-Einkaufsmanagerindex (ISM) verzeichnet deutliche Abschwächung der Auftragseingänge

Der ISM zeigte zuletzt eine sehr schwache Auftragseingangskomponente, das Verhältnis von Auftragseingängen zu Lagerbeständen war klar rezessiv. In der Breite negative Überraschungen bei US-Wachstumsdaten haben auch die Anleiherenditen unter Abwärtsdruck gesetzt. Die US-Preisdaten kühlen sich ebenfalls weiter ab. Der informative und für nachfolgende Verbraucherpreise oft richtungsweisende "Truflation"-Index, der eine recht zuverlässige Echtzeitmessung der Preise vornimmt, unterstreicht die gegenwärtige Tendenz einer verlangsamten Teuerung. 

Abb. 05: "Echtzeitmessung" der US-Inflation mit mehr als 10 Millionen DatenpunktenAbb. 05: "Echtzeitmessung" der US-Inflation mit mehr als 10 Millionen Datenpunkten

Somit zeigt sich eine direktional fast schon leicht gegenläufige Makro-Entwicklung zwischen Europa und den USA, die lange nicht für möglich gehalten wurde. Während in Europa ein Reflationierungsimpuls mit steigenden Wachstumserwartungen und eher auslaufendem Abwärtsmomentum der Preise entsteht, führt das Herunterkühlen der US-Wirtschaft zu einem gegenüber dem Jahresbeginn deutlich verschobenen Zinsausblick: In Europa wird wohl weniger Spielraum für sinkende (Leit-)Zinsen bestehen, während sich die Zinssenkungserwartungen in den Vereinigten Staaten zuletzt in Richtung deutlich höherer Spielräume verschoben haben.

Mit nachlassender Unterstützung aus dem Zinsdifferential eröffnet sich so für den US-Dollar weiteres Abwertungspotential gegenüber dem Euro. Immer in Erinnerung zu rufen ist dabei, dass die "Physik" gegen den teuren US-Dollar wirkt, dessen Kaufkraftparitäten deutlichen Spielraum für Abwertungen zeigen. Euro und Yen sind ihren fundamentalen Bewertungen nach hingegen unverändert günstig.  

Abb. 06: Europäische Aktien mit deutlicher Outperformance im laufenden JahrAbb. 06: Europäische Aktien mit deutlicher Outperformance im laufenden Jahr

Die bemerkenswerten Aktienmarktentwicklungen im ersten Quartal belegen diese relative Verschiebung ebenfalls fast lehrbuchartig. In Europa waren zyklische Werte gesucht, viele Aktien eher niedriger Qualität konnten stark outperformen. In der Breite fassten die europäischen Märkte nach ihrer jahrelangen Lethargie neuen Mut. Die Aussichten auf eine schuldenfinanzierte Konjunkturbelebung in Verbindung mit allgemeinhin günstigen Bewertungen gab Anlegern die nötige Überzeugung, bei europäischen Werten nun beherzt zugreifen zu können. Statt den "Glorreichen Sieben" sind nun plötzlich europäische Rüstungswerte die Lieblinge der Märkte.

TitelKursentwicklung im 1. Quartal 
ThyssenKrupp AG141,4%
Rheinmetall AG114,6%
Hensoldt AG79,0%
Thales SA77,1%
Leonardo SPA72,9%
Dassault SA54,7%
BAE Systems35,8%

Tab. 02: Europäische Rüstungswerte als Lieblinge der Märkte [Hinweis: Zahlenangaben beziehen sich auf die Vergangenheit. Vergangene Wertentwicklungen sind kein verlässlicher Indikator für künftige Wertentwicklungen. Quelle: Bloomberg; Zeitraum: 31.12.2024 – 31.03.2025]

Neben der spektakulären Performance von Rüstungsaktien warteten auch südeuropäische Banken (Santander +38,8%, Banco de Sabadell +37,4%, Unicredit +33,7%) im ersten Quartal 2025 mit sehr starker Wertentwicklung auf. Gleiches galt für mögliche Profiteure der erwarteten Infrastrukturprogramme in Deutschland (Vossloh +51,9%, Secunet 48,1%, Bilfinger 43,1%, Wacker Neuson 42,4%). 

Investieren in der Staatswirtschaft

"Deutschland ist überwiegend eine Staatswirtschaft und keine Marktwirtschaft"

Bernd Raffelhüschen

Die Outperformance deutscher und europäischer Märkte, auch außerhalb des Rüstungssektors, kann überraschen, hat sich doch bislang wenig an der desolaten Wirtschaftslage und Strukturkrise geändert. Die prekäre Lage in Deutschland zeigt sich darin, dass nach 2023 und 2024 auch für 2025 ein Rückgang der gesamtwirtschaftlichen Leistung erwartet wird. Diese Dauerrezession wäre die am längsten anhaltende Kontraktion seit Bestehen der Bundesrepublik. Viele Leistungs- und Produktionsindikatoren liegen in Deutschland 10-20% unterhalb des langfristigen Trends, die nichtadressierten Dauerthemen der Standort- und Strukturbedingungen wie Steuer- und Abgabenlast, Energieversorgung, Bürokratie und Regulierung fordern weiter ihren Tribut. Statt nötiger Strukturreformen richtete sich die Aufmerksamkeit der Verantwortlichen über die letzten Monate aber leider primär darauf, wie man die lästige Schuldenbremse endlich umgehen oder abschaffen könnte. 

Die Außerkraftsetzung der missliebigen Schuldengrenzen ist nun unter dem Vorwand der Notstandsbehauptung auch gleich dreifach "gelungen". Zum 500 Mrd. Euro Infrastrukturpaket in Deutschland gesellen sich die faktisch unbegrenzten Möglichkeiten für Rüstungsausgaben und ein avisiertes 800 Mrd. Euro Verteidigungspaket der EU. Die äußerst fragwürdige Entstehung der verfassungsändernden deutschen Verschuldungsaktion, die sich zwar noch im legalen, sicherlich aber nicht im Bereich des Legitimen bewegte, vermittelt die Wirkung, dass der Zweck jedes Mittel rechtfertigt. Damit erodiert Vertrauen.

Ein klares Misstrauensvotum gegen das Agieren der Handelnden sandten die Bondmärkte. Die Rendite 10-jähriger Bundesanleihen stieg sprunghaft an und verzeichnetet die größte Tagesbewegung der letzten 35 Jahre! Der Bund wird mit den beschlossenen Schuldenpaketen 20 bis 30 Mrd. Euro neuer, zusätzlicher Zinslasten schultern müssen, die Verschuldung steigt voraussichtlich auf 80 bis 90% des BIPs. Die bestehenden Maastricht Schuldenregeln werden schlicht ignoriert. Weitreichende Folgen sind zu befürchten. Nachdem über die letzten Jahrzehnte bereits schleichend die stabilitätsorientierte Tradition der Bundesbank auf geldpolitischem Terrain ausgehöhlt wurde, gerät nun die fiskalische Stabilitätskultur der Bundesrepublik in Bedrängnis. Der Schuldencoup erhöht so die langfristigen Finanzierungskosten und wird im Kontext seiner semilegitimen Übertölpelung auch die relativen Risikoprämien nicht unverändert lassen: Sind die Pakete im Affekt entstanden, wurden tatsächliche oder behauptete Bedrohungen und Notlagen verstärkt und instrumentalisiert, unterminieren sie Vertrauen in die Problemlösungskompetenz und in das langfristige, strategische Denken und Handeln der politischen Entscheidungsträger. Sind sie hingegen mit Kalkül entstanden, resultiert ein Vertrauensverlust in Integrität und Verlässlichkeit des Rechtsrahmens – eher an Regionen mit geringer institutioneller Qualität erinnerndes Agieren wird über kurz oder lang in einer Annäherung an deren Risikoprämien resultieren. Der erhoffte Befreiungsschlag könnte sich als Pyrrhussieg erweisen, wenn sich die Finanzierungskosten in allen Bereichen der Volkswirtschaft strukturell erhöhen. 

Mögliche Folgen reichen gar noch weiter: Wo Vertrauenskapital schwindet und Argwohn und Misstrauen florieren, steigen direkte und indirekte Kosten sinkender Planungssicherheit. Abnehmendes Grundvertrauen in Kooperation und in die Vertragstreue der Transaktionspartner errichtet unsichtbare Transaktionskosten, die einen Standort und dessen Investitionsbedingungen weiter beeinträchtigen können. 

Die Rechtfertigungs- und Erklärungsversuche der Schuldenbefürworter stützen sich wesentlich auf zwei Argumente: Erstens, können die nun nötigen Staatsaufgaben ohne Neuverschuldung nicht geleistet werden. Zweitens sind die Spielräume in Deutschland vorhanden. Beide Argumente halten einer genaueren Prüfung aber nicht stand.

Zum ersten Punkt weist die "Wirtschaftsweise" (als Mitglied im Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung) Frau Prof. Veronika Grimm im Interview mit Institutional Money korrekt darauf hin, dass Schuldenbremse und Investitionen sich nicht gegenseitig ausschließen, sondern vielmehr eine Frage der politischen Präferenzen sind. Stärkere staatliche Eingriffe, so Grimm, überwinden bestehende Probleme nicht, sondern verstärken sie vielmehr. Für sie sind die Schuldenpakete ein "Schritt in die falsche Richtung", die "überstürzten und nicht zielführenden" Maßnahmen ließen die Befürchtungen aufkommen, dass neu gewonnene Haushaltsspielräume für weitere Sozialleistungen und zusätzliche Subventionen verwendet würden. 

Tatsächlich steht zu befürchten, dass allenfalls Teile des Infrastrukturpakets den Weg in Investitionen finden werden, zu stark sind die politischen Anreize und Versuchungen einer konsumtiven Verwendung, für die es dann auch keine Sanktionsmechanismen gäbe. Die Instandhaltung und Erweiterung von Infrastruktur zählt wie die Verteidigung zu den staatlichen Kernaufgaben, die aus den laufenden Steuereinnahmen leistbar sein müssen. Beide Verwendungszwecke rechtfertigen keine Sonderschulden. Reichen die Einnahmen nicht, wäre zunächst eine kritische Prüfung der Ausgaben anzumahnen. Nahezu gesichert kann davon ausgegangen werden, dass nicht alle Posten im Bundeshaushalt einer kritischen Prüfung auf ihre Notwendigkeit hin standhalten würden. Deutsche Telekom-Chef Höttges forderte jüngst sogar ein DOGE-Programm für Europa.  

Abb. 07: Deutliches Auseinanderlaufen der Renditen deutscher und schweizer StaatsanleihenAbb. 07: Deutliches Auseinanderlaufen der Renditen deutscher und schweizer Staatsanleihen

Dass Wohlstand, Wertschöpfung und gleichzeitige Investitionen keiner Zusatzverschuldung bedürfen, zeigen erfolgreiche Länder wie Schweden oder die Schweiz. Beide haben eine deutlich geringere Gesamtverschuldung, setzen aber hohe IT-Investitionen um (Schweden und Schweiz jeweils 5,3% des BIPs, Deutschland 1,4%). Die Fiskaldisziplin der Schweiz und ihre glaubwürdige Schuldenbremse honoriert der Kapitalmarkt mit strukturell niedrigen Refinanzierungskosten. 

Die Übergriffigkeiten des Staates würden in vielen Bereichen einen Rückzug erfordern, die damit einhergehende Entbürokratisierung sowohl Wachstumskräfte wecken als auch Budgetfreiheiten für Infrastruktur und Landesverteidigung eröffnen. Bislang bleibt diese Option vollständig ungenutzt, auch in die sich abzeichnenden Vereinbarungen der Koalitionäre in Deutschland werden sich vermutlich keine weitreichenden Sparbemühungen hineinschleichen. 

Um im Bild des letzten Quartalsberichts zu bleiben, in dem wir als Analogie zur generationenungerechten Verschuldungspolitik den grantigen Großvater bemüht hatten, der den Geburtstagsgästen beim Kindergeburtstag den Kuchen vom Teller stiehlt: Nun legt der Senior noch mal richtig los. Das Spielzeug der Kinder wird zum Pfandleiher gebracht, das Sparschwein geplündert - davon die Jagdwaffe gekauft und die seit Jahren überfällige Pflasterung der Einfahrt bezahlt. Die teuren Kneipenabende, bei denen er es mit den Skatbrüdern so richtig krachen lässt, bleiben aber unangetastet. 

Die Behauptung, der für mehr Verschuldung benötigte "Spielraum" sei da, ist nur insofern technisch zutreffend, als dass die Gesamtverschuldung des Bundes noch immer niedriger liegt als in vielen anderen europäischen Ländern. Dennoch ist sie aber absolut hoch und oberhalb der Maastrichtkriterien. 

[Quelle: Bund der Steuerzahler per 31.03.2025][Quelle: Bund der Steuerzahler per 31.03.2025]

In dieser Betrachtung wird stets auch lediglich auf die Bundesschuld geblickt. Außer Acht gelassen wird hingegen die katastrophale Kassenlage der Sozialversicherungsträger und die ruinösen, der Überschuldung nahekommenden kommunalen Finanzen. Bevor anderswo neue Schuldentürme errichtet werden, wäre das vorrangige Gebot, dem Kollaps der Kommunalhaushalte Einhalt zu gebieten. Auch wird ausgeblendet, dass die demographischen Gegebenheiten in Deutschland an sich überhaupt gar keinen Spielraum für zusätzliche Belastungen der künftig noch leistbaren Zins- und Tilgungspläne mehr lassen. Sinkt dabei noch das Vertrauen in die Rückzahlungsfähigkeit des Staates, erhöhen sich die Zinslasten für folgende Generationen noch weiter, ihre eigenen Spielräume engen sich weiter ein. 

Doch kann die Staats- und Schuldenwirtschaft überhaupt positiv zur Wachstumsbelebung beitragen? 

"Was die Regierung mehr ausgibt, geben die Bürger weniger aus. Staatliche Projekte werden nicht durch die wundertätige Kraft eines Zauberstabes bewerkstelligt. Sie werden aus Mitteln bezahlt, die den Bürgern genommen wurden."

(Ludwig von Mises, "Human Action")

Die Schuldenbefürworter erhoffen sich einen merklichen Impuls für die Wirtschaft aus den Mehrausgaben des Staates. Denkbar ist eine kurzfristige Wachstumsbeschleunigung, dabei wird es aber auf die genaue Verwendung der Mittel ankommen. Zu betrachten sind aber immer auchdie Opportunitätskosten gegenüber sinnvolleren Handlungsalternativen, die denkbar gewesen wären, etwa Steuersenkungen oder Senkung von Staatsausgaben und Staatsquoten zur Stimulierung privatwirtschaftlicher Initiative. Die Schuldenpakete nehmen jeden Anreiz zu Konsolidierung, Reform- und Sparprogrammen, welche die bessere Basis zur Gesundung der Wirtschaft gewesen wären. Auch tatsächliche Investitionen – in Forschung und Entwicklung – wären als Voraussetzung für künftige Wachstumsmöglichkeiten begrüßenswert. Im aktuellen Vorgehen ist zu befürchten, dass lediglich ein nichtnachhaltiges, teures Strohfeuer angefacht wird, dem keine weitreichenden, langfristigen Wachstumsimpulse folgen werden. 
Wie jeder staatliche Verteilungsmechanismus werden auch die großen Verteidigungs- und Infrastrukturpakete der Bundesregierung grundsätzlich anfällig sein für Verschwendung, Missbrauch, Vettern- und Günstlingswirtschaft, für die Begehrlichkeiten von Sonderinteressensgruppen und für bürokratische Ineffizienz. Sie bedürfen daher in der Umsetzung einer sehr guten Aufsicht. Das mit großen Erwartungen nach der Covid-Krise lancierte 750 Mrd. Euro-Paket der EU ("NextGenerationEU") ist mahnendes Beispiel für enttäuschte Erwartungen. Das Paket ist weitgehend verpufft und hat vor allem Negativschlagzeilen produziert, wie in den zahlreichen Fällen, in denen inzwischen Verschwendung und Betrug hinlänglich dokumentiert sind. Staatlichen Investitionsprogrammen wohnt die Grundeigenschaft inne, dass realwirtschaftlich wenig von ihnen ankommt und wenn überhaupt mit sehr willkürlichen und selektiven Verteilungseffekten, bei denen meist der konsumtive Charakter überwiegt und die eben nicht zum Aufbau des Kapitalstocks beitragen.

Investmentimplikation: Wir würden uns mit überzogenen Erwartungen an den möglichen Wachstumsimpuls der Schuldenpakete zurückhalten. Rüstungsausgaben sind zu 100% konsumtiv und klassisches Beispiel für einen Geldregen für Sonderinteressengruppen. Das Geld ist aber nicht entstehungsneutral und könnte anderswo sinnvoller eingesetzt sein.

Das Investieren in der "Staatswirtschaft", in welcher der Staat mehr und mehr Ressourcen und deren Verwendung auf sich zieht, stört die Preissignale in der Volkswirtschaft und führt dazu, dass sich Investoren häufiger veranlasst sehen, die "Pferde zu wechseln", was zu höheren Volatilitätsausschlägen in den jeweils gerade en-vogue befindlichen "National Champions" führen kann (z.B. "Clean Energy" oder Elektromobilität im Kontext der "Green Deals" 2021 oder die Rüstungsbranche aktuell). Unproduktive Investitionen nehmen zu, die Risiken für Fehlallokationen von Kapital ebenso. Was produziert wird, ist zunehmend staatlich dekretiert. Unternehmen fällt es schwerer zu planen, weil Preise zunehmend Fehlsignale für echte Knappheiten senden.

Politiker haben einen (selbstoptimierenden, jedoch nicht die allgemeine Wohlfahrt maximierenden) Anreiz zum kurzfristigen Handeln und auch zur Maximierung der Verschuldungsspielräume, fallen deren Kosten doch außerhalb der Wahl- und Amtsperioden an, während die Vorteile im Hier und Jetzt vereinnahmt werden können. Am Kapitalerhalt interessierte Anleger müssen hingegen langfristiger denken und substanzerhaltende Renditequellen (Aktien, Gold, alternative Risikoprämien) im Portfolio bestmöglich aktivieren. Die gebotene Skepsis gegenüber den Staatsfinanzen vertieft sich mit der ausufernden Staatsverschuldung weiter. Eine letztlich notwendige Monetarisierung der Schuldenberge durch die Notenbanken wird wahrscheinlicher, im Ergebnis steht anhaltende und dauerhafte finanzielle Repression zum Schaden der Anleger in Nominalwerten. Die Inflationsrisiken nehmen wieder zu. Anleger, die den Luxus der Regulierungsfreiheit genießen, bringen sich nicht ohne Not in zu hohe Abhängigkeiten gegenüber Staatsanleihen. Innerhalb des Segments von Anleihen mit Bestbonitäten sind inflationsindexierte Anleihen unverändert zu bevorzugen.  

Krieg und Frieden

Es bedarf keiner großen Phantasie, dass die in Deutschland nun im Prinzip unlimitierten Einkaufsmöglichkeiten für Rüstung in kreativen Anstrengungen resultieren werden, alle möglichen Ausgaben in das Verteidigungsbudget hineinzudeklarieren. 

"Wir müssen unser Denken in Europa jetzt auf Kriegswirtschaft umstellen"

Manfred Weber (CSU/EVP)

Die Kriegswirtschaft ist Inbegriff der wohlstandsvernichtenden Staatswirtschaft. Rüstungsausgaben sind stets konsumtiv und unproduktiv, die Erzeugnisse der Rüstungsindustrie definitionsgemäß auf Zerstörung, nicht auf Aufbau und zivilisatorischen Fortschritt gerichtet.  

Die Hochrüstungsbegeisterung in der veröffentlichten Meinung kennt aktuell keinen Mangel an irritierenden Ideen: Automobilwerke sollen zu Werkhallen für Panzerproduktion umgerüstet werden, Subventionen für Waffenproduktion fließen, wo einst Eisenbahnwaggons und Regionalzüge gefertigt wurden, alle Bereiche des öffentlichen Lebens "kriegstüchtig" werden. Das Aufrüstungsfieber erinnert fatal an die Stimmungslage, die in historischen Dokumenten und Zeitzeugenberichten vor Ausbruch der großen Konflikte der letzten beiden Jahrhunderte beschrieben wird. Der militärisch-industrielle Komplex sieht seine Stunde gekommen. 

Medial werden Bedrohungslagen angefacht und Feindbilder bewirtschaftet. Aus welchen Beweggründen auch immer, in jedem Fall ist zu beobachten, dass sich die politischen Entscheidungsträger in Deutschland und Europa sehr schnell von der angefachten Stimmungslage mitreißen lassen. Die Bereitschaft, zur Hochrüstung alternative Handlungspfade zu prüfen, ist gering. Die Idee der Diplomatie und der friedlichen Koexistenz scheint in Vergessenheit geraten. 

Selig sind, die Frieden stiften, denn sie werden Gottes Kinder heißen.

Matthäus 5,9

Dabei kann sich speziell Europa einen dauerhaften Kurs der Abschottung und Konfrontation gar nicht leisten, ob seiner geografischen Lage nicht und ob seiner geringen ökonomisch-demographischen Handlungsspielräume schon gar nicht (hohe Verschuldung, Überalterung, geringe Produktivität, schwaches Wachstum, Energieabhängigkeit, Nichtteilnahme an Zukunftstechnologien, Selbstgeißelung in bürokratisch-administrativen Bremsklötzen). Europa gelingt es aber immer wieder, überinvestiert zu sein und "all-in" zu gehen bei Themen, bei denen es wenig bis nichts zu gewinnen gibt. Die Bereitschaft, erkannte Irrwege zu verlassen, ist gering. 

Nötig wäre im Gegenteil aber die Bereitschaft zu Kooperation, Freihandel und guten Beziehungen in alle Himmelsrichtungen. Orientierung können jene Erfolgsmodelle geben, die Europa in der Geschichte stark gemacht und Frieden, Wohlstand und Freiheit gewährt haben: Die über Jahrhunderte kluge Handelspolitik und Weltoffenheit der Niederlande etwa oder die beispiellose Erfolgsstory der Hanse. 

Europa hat ein hohes Eigeninteresse an Stabilität an seinen Grenzen und an partnerschaftlichen Beziehungen zu seinen Nachbarn. Statt Sanktionen, Abschottung und Hochrüstung wären Deeskalation, Freihandelsabkommen und die Pflege der kulturellen Begegnung (Städtepartnerschaften, Schüleraustausch, paneuropäische Bildungsprogramme, Förderung Fremdsprachen, usw.) Instrumente zur Wohlstandsmehrung. Ein partnerschaftlicher Umgang mit Großbritannien und mit den USA ist unabdingbar. Chancen auf neue Freihandelsabkommen bestehen mit Ländern in Asien und Lateinamerika. Insbesondere aber sollte Europa ein hohes Eigeninteresse an der Befriedung schwelender Konflikte (z.B. in Bosnien, Kosovo, Moldawien, Georgien, usw.) in direkter Nachbarschaft und der Lösung offener Konflikte (Ukraine) haben. 

"Vom Standpunkt der Sicherheit wird das Wettrüsten zur Absurdität, denn es führt logisch zur Destabilisierung der internationalen Beziehungen (…). Das Wettrüsten ist von Natur aus ein Feind des Friedens"

Michail Sergejewitsch Gorbatschow

Umso mehr verwundert, dass ein strategisch kluger Kurs der Verständigungsbemühungen nicht maximal möglich eingeschlagen wird, sondern scheinbar weiter die Eskalationskontinuität gesucht wird. Es verwundert, dass die Initiativen der USA zu einem Frieden in der Ukraine in Europa allenfalls halbherzig aufgenommen werden, teils bot sich der Eindruck, es bestünde bei Einigen gar kein vordringliches Interesse an einer baldigen friedlichen Beilegung des Ukrainekonflikts. 

"There is never a good war or a bad peace”

Benjamin Franklin (1773)

Mehr noch als Zölle, kennt der Krieg ausschließlich Verlierer. Seine Vermeidung und wo ausgebrochen schnellstmögliche Beendigung sollte Lehre aus der leidvollen Geschichte und unverrückbare Konstante eines jeden ethisch-moralisch verantwortungsvollen Handelns sein. Bei aller gebotenen Wachsamkeit und nötigen Vorsorge gegenüber realen Bedrohungsszenarien erhöht sich die Wahrscheinlichkeit für dauerhaft friedliche internationale Beziehungen nicht durch die Bewirtschaftung von Angst- und Feindbildern, Entmenschlichung von Sprache und einer dauerhaften Gegensatzhysterie, die anderen Weltregionen ausnahmslos unredliche und bösartige Absichten unterstellt. Das Eingraben in die Dauerpolarisierung verunmöglicht eine interessengeleitete Realpolitik und facht die Eskalation weiter an. Eine bereits überaus bedenkliche Entwicklung ist zum Beispiel, wenn Polen, Finnland und die baltischen Staaten nun aus dem Abkommen zum Landminenverbot aussteigen. Vor allem aber die steigenden Risiken einer tatsächlichen militärischen Konfrontation und Entgleisung der Sicherheitslage in Europa muss beunruhigen. 

Das aktuelle Säbelrasseln bei gleichzeitiger globaler Aufrichtung von Abschottungsmauern aus Zöllen und Protektionismus sowie schuldenfinanziertem Gigantismus in Infrastruktur- und "public works"-Projekten erinnert fatal an Parallelen von vor 100 Jahren. Die Aufrüstungsbegeisterung bedient Entwicklungen, aus denen nichts Gutes resultieren kann. Europa zählt zu den Hauptprofiteuren friedlicher Beziehungen und geopolitischer Stabilität. Eine interessengeleitete Realpolitik in Tradition von Willy Brandt, Hans-Dietrich Genscher oder Helmut Schmidt würde den respektvollen Umgang mit Interessen anderer Regionen und Erreichung eigener politischer und wirtschaftlicher Ziele klug zu vereinen suchen. 

Die Rüstungsausgaben befinden sich in direkter Konkurrenz zu Investitionen in Forschung und Entwicklung, zu Steuersenkungen, zu Reparaturarbeiten an den Sozialsystemen oder zu möglichem Verschuldungsabbau. Investitionen in die Zukunft ermöglichen künftige Wertschöpfung und höhere Kapitalrenditen. Die Hochrüstung allokiert Ressourcen zu mehr Staatswirtschaft, verspricht keine zukunftsgerichteten Investitionen und ist bestenfalls neutral für künftige Anlagerenditen. Die Schuldenpakte laufen Gefahr, weitgehend das Gegenteil dessen zu bewirken, was nötig wäre, um Deutschland und Europa wieder auf Kurs zu bringen. Einfach nur mehr Geld auszugeben ist keine Strategie für ein zukunftsfähiges Geschäftsmodell. Es wäre bedauerlich, wenn in Deutschland nur noch die Rüstungsindustrie floriert. 

Investmentimplikation: Die meisten Anleger werden sich von den schuldenfinanzierten Rüstungs- und Infrastrukturprogrammen vermutlich wenig kaufen können. Nur einzelne, wenige direkte Profiteure der geöffneten Schleusen könnten für deren Investoren merkliche Zusatzrenditen erwirtschaften. Meist ernten nur wenige "National Champions" und Sonderinteressengruppen direkte wirtschaftliche Vorteile aus staatlichen Schuldenpaketen. Diese Entwicklungen sind aber volatil, wenig planbar und endlich, wie vergleichbare Erfahrungen der Vergangenheit zeigen.

Die Realzinsen in Deutschland sind nach Beschluss der Pakete deutlich angezogen. Ein politisch leichtfertiges Agieren im Emerging Markets-Stil führt langfristig zu einer Annäherung der Risikoprämien, die ein Land am Kapitalmarkt zahlen muss, in Richtung eben jener Märkte. Das Vertrauen in die Bonität wird verwässert, kommende Generationen mit Zins- und Tilgungspflichten belastet, denen nur geringe Werte gegenüberstehen. Europäische Staatsanleihen scheinen immer weniger geeignet, in langfristigen Anlegerportfolien ihre einstmalige Aufgabe als verlässlicher Stabilitäts- und Sicherheitsanker erfüllen zu können. Generell engen sich die wirtschaftlichen Freiheitsgrade künftig weiter ein, je stärker der Staat in das Wirtschaftsgeschehen eingreift und einzelne Industriebereiche immer stärker in Richtung einer Kontroll- und Kommandowirtschaft umbaut (u.a. auch durch immer mehr Regulierung). Dem "Weg zur Knechtschaft", vor dem F.A. Hayek im gleichnamigen Werk gewarnt hat, wohnt leider ein Automatismus inne – mehr Staatswirtschaft beschädigt die Integrität von Institutionen, unterminiert Rechtsstaatlichkeit und führt zu mehr Unfreiheit auf allen Ebenen – keine günstigen Voraussetzungen für ansprechende Kapitalrenditen, für die freie Märkte unabdingbare Vorbedingung sind.  

Als zentrales Selbstschutzinstrument im Portfolio gewinnt der Vermögenswert an Bedeutung, der über Jahrhunderte hinweg robust und antifragil gegenüber widrigen Bedingungen gewirkt hat: Gold kann hohe Unsicherheiten und drohende finanzielle Repression im Anlageportfolio gut abfangen. Das Metall schirmt Anlegerkapital von ungünstigen Ereignisrisiken ab und kann möglicherweise enttäuschende Anlagerenditen in anderen Vermögensklassen zumindest teilweise ausgleichen. Auf ein Gesamtvermögen ratsame Goldquoten lassen sich immer nur aus der jeweils individuellen Situation erarbeiten, doch liegen angemessene Portfolioanteile heute vermutlich strukturell höher als über weite Strecken der letzten Jahrzehnte. Im Zuge der "Großen Rotation" hat sich der Goldpreis bislang als überaus resilient gezeigt. Gegen aktuelle und kommende Schuldenorgien und deren erwartbare Folgeschäden ist das Edelmetall wie kein anderer Vermögenswert immun. 

Krieg ist grundsätzlich schlecht für Kapitalrenditen, die Wiedereinsetzung der Friedensdividende wäre für Anleger wünschenswert. Vom Säbelrasseln profitieren nur die Anleger der Kriegsindustrie – es erstaunt, mit welcher Geschwindigkeit aktuell entsprechende Produkte lanciert werden. Neue Rüstungs-ETFs kommen beinah im Wochenrhythmus an den Markt, teils von den gleichen Anbietern, die vor einigen Jahren in vergleichbarer Geschäftigkeit ihre "ESG ETFs" mit dem Claim aufgelegt haben, die Welt besser machen zu wollen. 

Ist Gold bereits zu teuer?

Der Goldpreis eilte in den letzten Monaten von Rekordhoch zu Rekordhoch. Der vorläufige Hochpunkt wurde am 2. April 2025 bei 3.134 US-Dollar je Feinunze erreicht. Der Preis ist unverändert gestützt durch die anhaltend hohe Nachfrage asiatischer Notenbanken, die kaum Alternativen haben, ihre erwirtschafteten, strukturellen Überschüsse anderweitig sicher zu investieren. Der Vertrauensverlust in US-amerikanische Staatsanleihen nach den Russlandsanktionen im Jahr 2022 war wohl ein irreversibler Strukturbruch, der sich nicht umkehren wird. Viele Notenbanken in den Schwellenländern sind noch weit entfernt von realistisch scheinenden Zielbeständen in Gold. So hält China Schätzungen zufolge gerade einmal 10% seiner Reserven in Gold. Zum Vergleich: Deutschland und die USA liegen näher an einem Wert von 70% der Währungsreserven. Zusätzliche Nachfrage zeichnet sich in China aktuell ab: In einem hochinteressanten Regulierungsschritt verkündete die chinesische Regierung jüngst, dass inländische Versicherungen auch Gold erwerben können (sollen?).
Die vielfältigen Argumente pro Gold haben wir in unseren Berichten über die Jahre wiederkehrend und umfänglich erörtert. Mit der Preisdynamik der letzten Wochen und Monate stellt sich aber die Frage, ob das Edelmetall die Rekordjagd wird fortsetzen können. Traditionelle Bewertungsansätze versagen nachvollziehbarerweise in ihrer Eignung, den Goldpreis nach günstig oder teuer taxieren zu wollen.

Abb. 08: Goldpreis entkoppelt sich in den letzten Jahren vom RealzinsAbb. 08: Goldpreis entkoppelt sich in den letzten Jahren vom Realzins

Der Goldpreis hat sich bereits seit geraumer Zeit von seinen einst verlässlichen Treibern (Realzinsen, US-Dollar) entkoppelt. Physische Käufe asiatischer Notenbanken, eine erhöhte geopolitische Prämie und ein antizipierendes Re-Pricing der monetären Erwartungen der Marktteilnehmer (= neuerliche kräftige Geldmengenexpansion voraus) erklären sicherlich wesentlich den Aufschlag, den der Goldpreis aktuell gegenüber den aus alten Trendlinien abgeleiteten Zielkorridoren erreicht. Doch als wie dauerhaft können diese Nachfragefaktoren angenommen werden? 

Wer den Versuch unternehmen möchte, sich einer Abschätzung der "fairen Bewertung" des Goldpreises zumindest grob nähern zu wollen, kommt am "Golden Dilemma" nicht vorbei. Diese zeitlose Arbeit von Prof. Campell Harvey (Duke University) und Claude Erb aus 2013 unternimmt eben diesen Versuch, künftig erzielbare Wertentwicklungen im Gold in Abhängigkeit einer Ausgangsbewertung zu untersuchen. Als Bewertungsbasis wird der "reale Goldpreis" betrachtet. Dazu wird der nominale Goldpreis ins Verhältnis zur Inflation gesetzt. Dieser Wert dient als "Ausgangsbewertung" auf Basis derer die über den nachfolgenden 5- oder 10-Jahreszeitraum resultierende Wertentwicklung betrachtet werden kann. 

Auf Basis der Arbeiten von Prof. Harvey und den Erkenntnissen seines Papers haben wir das Verhältnis von realem Goldpreis als Ausgangsbewertung und den nachfolgenden Wertentwicklungen für die USA (Inflationswerte ab 1975 bis heute) und für die Eurozone (Inflationswerte ab 1999 bis heute) einmal nachvollzogen. Im Ergebnis zeigt sich eine überraschend deutliche Direktionalität.

Abb. 09: Realer Goldpreis und nachfolgende 10-Jahres-RenditenAbb. 09: Realer Goldpreis und nachfolgende 10-Jahres-Renditen

Der Startzeitpunkt der Zeitreihenbetrachtung für die USA mit dem Jahr 1975 ist sachgemäß, weil die relevante "Zeitrechnung" mit der Entkoppelung des Geldes von der Goldbindung im Jahr 1971 beginnt. Um für den Einmaleffekt der reflexhaften Anpassung an das neue monetäre Regime zwischen 1971 und 1975 (als Entladung der vor 1971 aufgestauten, verdeckten Geldmengeninflation) zu korrigieren, stellt das Jahr 1975 die bestmöglich bereinigte Datenbasis dar. Für die Eurozone ist 1999 als Einführung der Gemeinschaftswährung der sachlogisch korrekte Ausgangszeitpunkt für die Betrachtungen. 

Wie in anderen Anlageklassen auch, zeigt sich die erwartbare Beobachtung, dass "günstige" Ausgangsbewertungen im realen Goldpreis zu nachfolgend überdurchschnittlichen Wertentwicklungen führen. Umgekehrt gehen teure Einstände mit nachfolgend enttäuschenden Goldpreisentwicklungen einher. So gesehen ist der heute weit außerhalb jeder historischen Norm liegende (Aktueller Wert von 9,9 USD-Goldpreis/US-VPI vs. 4,0 im langfristigen historischen Durchschnitt; aktueller Wert von 22,3 EUR-Goldpreis Euro/VPI vs. 9,3 im langfristigen historischen Durchschnitt) Goldpreis für sich genommen ein starkes Warnsignal aus "Bewertungssicht". 

Investmentimplikation: Behalten historische Relationen weitgehend ihre Gültigkeit, wäre ausgehend vom aktuellen "realen Goldpreis" Vorsicht geboten gegenüber allzu euphorischen Erwartungen, ja ließe sich aus dieser isolierten Betrachtung heraus gar ein Verkaufssignal argumentieren.  

In vielen der vergangenen Marktkommentare haben wir ausführlich den Kapitalerhalt und "seine Feinde" diskutiert. Wir haben gezeigt, welche Anlageklassen langfristig den Substanzerhalt ermöglichen und welche Instrumente eher geringe oder gar schädliche Beiträge zum Vermögenserhalt beisteuern. Wir hatten wiederholt argumentiert, dass für die Zielstellung des Kapitalerhalts eines Gesamtvermögens die Betrachtung der Verbraucherpreise zu kurz greift und die relevantere Werterhaltungsschwelle vielmehr in der langfristigen Geldmengeninflation zu suchen ist, weil die Kaufkraft des Gesamtvermögens eben auch durch Vermögenspreisinflation geschmälert wird, die von Verbraucherpreisen nicht erfasst ist. 

Aus dieser Überlegung heraus sehen wir es als notwendig, auch den Goldpreis nicht nur gegen eine inflationsbasierte Bewertungssicht zu prüfen, sondern ebenfalls in den Kontext des monetären "Debasements" zu stellen. Dafür erweitern die Ausgangsbetrachtung (Verhältnis nominaler Goldpreis zu Inflationsniveau auf Basis des Inflationsindexwerts) auf die Analyse des nominalen Goldpreises in Verhältnis zum Geldmengenaggregat. 

Abb. 10: Realer Goldpreis und nachfolgende 10-Jahres-RenditenAbb. 10: Realer Goldpreis und nachfolgende 10-Jahres-Renditen

Dabei zeigt sich eine gänzlich andere Feststellung. Der grundsätzliche Zusammenhang zwischen Ausgangswert der "Bewertung" (Gold/M2) mit nachfolgenden Wertentwicklungen ist gleichermaßen robust, doch liegt der aktuelle Wert in einem der Historie gegenüber sehr viel begründeterem Bereich. Der heutige Goldpreis im Verhältnis zur US-Geldmenge M2 erreicht einen Wert von 0,14, während der langfristige (seit 1959) verzeichnete Durchschnitt bei 0,12 liegt. 

Diesen Erkenntnissen wohnt hohe ökonomische Signifikanz inne. Einerseits bestätigen die Daten den Verdacht, dass die Verbraucherpreise den ökonomisch erlittenen Kaufkraftverlust eines Gesamtvermögens über lange Zeiträume hinweg stark unterzeichnen. Die Untererfassung der Verbraucherpreise für Substanzverluste einer Währung kann mit der Betrachtung der Geldmengeninflation korrigiert werden. Diese Relation zeigt für den Goldpreis aktuell keine Extremwerte und kein Warnsignal aus einer "Bewertungsperspektive". In dieser Analyse ruht der Goldpreis aktuell sehr nahe seiner üblichen historischen Norm. 

Konzeptionell betrachtet ist genau das auch die langfristige Aufgabe des Goldpreises: Er soll die Geldmengeninflation, welche die Kaufkraft eines Vermögens sowohl gegenüber Gütern und Dienstleistungen als auch gegenüber Vermögenswerten beschädigt, ausgleichen. 

Die langfristig reale Ertragserwartung an den Goldpreis liegt daher realistisch bei null (so argumentieren im Übrigen auch Prof. Harvey und Erb) – das Edelmetall soll lediglich Kaufkraft erhalten. Diese Bedingung ist erfüllt, wenn die nominale Preisentwicklung mit der Geldmengen-ausweitung Schritt hält und so den resultierenden Kaufkraftverlust der Währung ausgleicht.

Abb. 11: Enger Zusammenhang zwischen Geldmengenausweitung und GoldpreisentwicklungAbb. 11: Enger Zusammenhang zwischen Geldmengenausweitung und Goldpreisentwicklung

Genau das leistet Gold langfristig auch zuverlässig. Wie keine andere Anlageklasse trägt Gold zum Kapitalerhalt bei, ohne dass Anleger die mit anderen Anlageklassen verbundenen Risiken tragen müssen (u.a. Kreditrisiken, Währungsrisiken, politische Risiken, unternehmensspezifische Risiken, usw.). 

Ein überaus interessanter Gedanke in Prof. Harveys "Golden Dilemma" ist die Überlegung, dass der "reale" Goldpreis gar keine fixe oder gar "angemessene" Bewertungskonstante hat, sondern vielmehr veränderlich sein kann in Abhängigkeit struktureller Nachfragefaktoren. Harvey schlägt vor, dass der reale Goldpreis weiter ansteigen könne, wenn etwa Schwellenländer ihre Goldbestände in Richtung der durchschnittlichen Reservehaltung entwickelter Länder ausbauen. Genau diese Entwicklung ist heute nun gerade im Gange und könnte eben tatsächlich zu einer sukzessiven Verschiebung als angemessen wahrgenommener realer Goldpreisrelationen beitragen. 

Investmentimplikation: Das Verhalten des Goldpreises gegenüber Inflationsraten und gegenüber Geldmengenaggregaten legt ein "Mean Reversion"-Verhalten des Edelmetalls nahe. Langfristig tendieren Über- und Unterbewertungen zu einer Korrektur in Richtung der langfristigen Mittelwerte durch Ab- bzw. Aufbau der Bewertungsdifferenzen über entsprechende Unter- oder Überperformance. Die relevantere und ökonomisch besser informierte Bewertungssicht ist jene, die die Geldmengeninflation in den Blick nimmt. Diese Betrachtung zeigt aktuell eine vollkommen unauffällige Goldbewertung im Vergleich zur langfristigen Historie. 

Gold bleibt grundsätzlich ein alternativloser Grundbaustein und Stabilitätsanker im Portfolio. Die lineare Fortschreibung der Preisentwicklung der letzten Monate stellt aber sicher keine gut begründete Erwartungshaltung an künftig mögliche Performancepfade des Edelmetalls dar. Gegenüber dem langfristigen Preisverhalten bestand zuletzt eine auffallend hohe Preisdynamik, der auch eine Phase folgen könnte, in der der vorherige Anstieg zunächst verdaut werden muss (ähnlich wie 2012-2017 oder 2020-2022). Wir trauen uns auf die kurze Frist keine Aussage über mögliche Kursentwicklungen des Goldpreises über die kommenden Monate zu und wollen prinzipiell auch stets prognosearm bzw. prognosefrei arbeiten. Daher bleibt eine weitgehend neutrale Sichtweise gegenüber Gold weiter geboten. Anleger, deren Zielquoten im Portfolio nicht erreicht sind, können weiterhin ratierlich zukaufen. Investoren, die schon länger Goldbestände aufgebaut haben und deren Istquoten sich nun mit den Preisentwicklungen der letzten Monate zu weit nach oben entfernt haben, können guten Gewissens auch im Sinne eines begründeten Rebalancings die Gewichtungen wieder in Richtung der Zielgewichte zurückführen. 

Gold ist weiterhin nötig als Selbstverteidigungsinstrument gegen Ereignisrisiken, gegen Schuldenorgien, gegen finanzielle Repression und vor allem eben zum langfristigen Kaufkrafterhalt als "Gegengift" zum monetären Debasement der Papiergeldwährungen. Geld verliert in einem Fiatgeld-Regime seine Funktion als Wertaufbewahrungsmittel, daher ist eine alternative Kassehaltung in Gold gegenüber dem Inflationsgeld vernünftig und sinnvoll. Auch gegenüber Anleihen, die zunehmend den Charakter des zinslosen Risikos tragen und nicht mehr der Funktion des risikofreien Zinses gerecht werden, stellt Gold eine sinnvolle Substitution dar. 

Gold ist frei von Zollsorgen und möglicherweise im Kontext der aktuell brodelnden Handelskonflikte gar antifragil: Sollte etwa China als Vergeltungsmaßnahme gegen US-Zölle die Verkäufe von US-Staatsanleihen beschleunigen und dafür die Goldbestände noch konsequenter aufbauen, würde sich die zuletzt hohe Nachfragedynamik noch einmal weiter erhöhen. Der denkbare Aufbau einer goldbasierten, gemeinsamen Verrechnungswährung der BRICS+ Staaten bleibt für Gold ein positives Randszenario mit potentiell hohem einmaligen Aufwertungspotential. 

Autor
Bernhard Matthes, CFA, Bereichsleiter BKC Asset Management, Bank für Kirche und Caritas eG
Bernhard Matthes, CFA
Bereichsleiter BKC Asset Management
Bank für Kirche und Caritas eG

 

[ Bildquelle Titelbild: Generiert mit AI ]
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