Der bereits 2013 vom neuen King of Pop Pharrell Williams veröffentliche Song "Happy" ist ein eingängiger Ohrwurm. Der Hit verbreitet eine so ansteckend gute Laune, dass daraus das weltweit erste 24-stündige Musikvideo entstanden ist. Grund zur Freude haben derzeit wohl auch die meisten Kapitalmarktteilnehmer. Trotz eines klassischen Fehlstarts an den Finanzmärkten in der zweiten Januarhälfte und der gegenwärtigen Spannungen zwischen Ost und West liegen die Investoren seit Jahresbeginn über alle Asset-Klassen vorne und können sich sogar über teils erhebliche Zugewinne freuen. Während es wenig verwundert, dass sich das Öl um vier Prozent verteuerte, beeindruckten italienische und spanische Staatsanleihen eher unerwartet erneut mit Wertsteigerungen von 10 Prozent bis 12 Prozent. Aber auch deutsche Bundesanleihen konnten die im vergangenen Jahr nicht eben verwöhnten Anleger mit einem Plus von mehr als 6 Prozent überraschen. Und nicht zuletzt legten auch die Aktien zu, der europäische Leitindex hat dabei mit einem Kursplus von mehr als vier Prozent die Nase noch vor seinem US-Pendant S&P 500.
Wertentwicklung verschiedener Asset-Klassen seit Jahresbeginn [Quelle: Bloomberg, eigene Berechnungen]
Dennoch warnen einige Stimmen vor der wachsenden Gefahr eines dramatischen Rückschlags an den Finanzmärkten. Die fortdauernden geopolitischen Konflikte in der Ukraine, Syrien und auch Asien sowie Chinas unberechenbares Wirtschaftswachstum und das Ende der ultralockeren Geldpolitik Amerikas sorgen bei Investoren zu Recht für Unbehagen.
Das Dilemma der Investoren
Hier beginnt das Dilemma des Investors. Die Aufgabe eines umsichtig agierenden Anlegers liegt nämlich nicht nur darin, vorausschauend Verluste durch Kursrücksetzer zu vermeiden. Vielmehr gilt es auch, die sich bietenden Möglichkeiten, Erträge zu generieren, nicht ungenutzt zu lassen. Der am meisten gefürchtete Fehler liegt für viele aber darin, Börsen-Crashs nicht rechtzeitig erkannt zu haben. Crash-Prognosen bescheren ihren Propheten daher ein erhebliches Maß an medialer Aufmerksamkeit. Der frühere Finanzmathematiker und Autor des Bestsellers "Der schwarze Schwan: Die Macht höchst unwahrscheinlicher Ereignisse", Nassim Taleb, erlangte mit seinem Werk über Risiken im Finanzsektor weltweite Berühmtheit, als es kurz nach Erscheinen des Buches zur Finanzkrise kam. Wäre es nicht zum Crash gekommen, wäre Taleb wohl auch kein Vorwurf daraus erwachsen – ein angekündigter, aber nicht eingetretener Absturz hat noch selten für Schlagzeilen gesorgt. Im Gegensatz zu erlittenen Kursverlusten wird der zweite mögliche Fehler, nämlich aus Sorge vor Verlusten nicht zu investieren und dadurch Kursgewinne versäumt zu haben, nur von Anlegern mit klar definierten Ertragszielen als Risiko wahrgenommen. Dabei kann dieser Fehler mittelfristig vergleichbar gravierende Konsequenzen haben.
Reale Verluste durch negative Realzinsen
Denn nicht investiertes Finanzkapital trägt nicht nur nicht zum Wirtschaftswachstum bei, es verliert aufgrund der aktuellen Inflation von 0,9 Prozent in Deutschland bzw. 0,7 Prozent in der Eurozone fortwährend an Wert.
Bei den aktuellen kaum noch wahrnehmbaren Renditen deutscher Bundesanleihen müssen Investments in heimische Staatspapiere schon eine Restlaufzeit von mehr als sieben Jahren aufweisen, nur um den preissteigerungsbedingten Kaufkraftverlust auszugleichen. Dass die EZB sich nach Kräften bemüht, dem Angstgespenst einer Deflation zu begegnen und die Inflation in Richtung 2 Prozent anzuschieben, verschärft die Lage noch zusätzlich. Ein rational agierender Anleger wird daher für seine Positionierung weniger auf die einschlägigen Crash-Propheten setzen, sondern verschiedenen Szenarien Kursveränderungen zuordnen und diese dann mit Eintrittswahrscheinlichkeiten gewichten. Ein Kurseinbruch bei den Aktien von 20 Prozent mit einer Wahrscheinlichkeit von 5 Prozent wäre dann weniger zu fürchten als ein entgangener Ertrag von moderaten 2 Prozent bei einer recht hohen Eintrittswahrscheinlichkeit von 95 Prozent. Nicht umsonst haben Finanzmarktteilnehmer daher der Zinsentscheidung der Europäischen Zentralbank am 5. Juni eine hohe Bedeutung zugemessen (Die EZB hat den Hauptrefinanzierungssatz in der Eurozone um 10 Basispunkte auf 0,15 Prozent gesenkt und erstmals in der Geschichte den Einlagesatz auf einen negativen Wert von minus 0,1 Prozent gesenkt, Anmerkung der Redaktion).
Unkonventionelle EZB
Die wiederholten Bemühungen des EZB-Vorsitzenden Mario Draghi, Investoren auf bahnbrechende, inflationstreibende und damit wirtschaftsbelebende Maßnahmen einzuschwören, haben bereits deutliche Wirkung gezeigt. Die Renditen zehnjähriger Bundesanleihen liegen aktuell deutlich unter denen des Vorjahres. Seinerzeit wurde von der amerikanischen Notenbank erstmalig der Begriff des "Taperings" gebraucht, was in der Folge erhebliche Turbulenzen an den Börsen auslöste. Trotz der vorherrschenden Niedrigstzinsen erwarten die Analysten überwiegend ein "Quantitative Easing" im Stile der amerikanischen Federal Reserve und der Bank of Japan. Danach könnten Staatsanleihen und Schulden des Privatsektors von der Zentralbank aufgekauft werden. Die Einführung negativer Einlagenzinsen gilt bei Ökonomen ebenso wie eine Fortsetzung des LTRO als sicher. Alles andere als sicher dagegen ist, ob die EZB mit diesen Maßnahmen tatsächlich das Ziel der Preissteigerung erreichen wird. Denn auch ohne weitere Hilfsmaßnahmen gehen Analysten von einer Erholung der Wirtschaft in den kommenden Jahren aus.
Konsensusschätzungen der Volkswirte für das Wirtschaftswachstum ausgewählter Länder [Quelle: Bloomberg, eigene Berechnungen]
Dabei fällt auf, dass die europäischen Peripherieländer sich zwar aus der Rezession befreien können sollten, ihr Wirtschaftswachstum aber hinter dem der Kernländer zurückbleiben wird. Als eine der Hauptursachen dafür gilt die unverändert verhaltene Kreditversorgung etwa in Spanien, Italien oder auch Portugal.
Kredite an Industrieunternehmen im Euroraum [Quelle: EZB, eigene Berechnungen]
Schwerer noch wiegen jedoch die Unterschiede in den Finanzierungskonditionen für kleinere Kreditnehmer. Während sich die Sätze für größere Unternehmen des Euroraums weitgehend angeglichen haben und in vielen Fällen Mittel zu vergleichbaren Bedingungen über den Kapitalmarkt beschafft werden können, leiden kleine Firmen und Private der europäischen Peripherie noch immer unter erheblich höheren Kreditkosten, sofern sie überhaupt Zugang zu Krediten haben.
Der daraus resultierende Wettbewerbsnachteil für die Unternehmen der Südländer ist nicht zu unterschätzen. Auch führen diese Probleme zu noch immer bedenklich hohen Beständen notleidender Kredite bei den in diesen Ländern beheimateten Banken.
Kreditkonditionen für Kredite an kleine und mittelständische Unternehmen und Private [Quelle: UniCredit Research]
Wiederkehr der Asset Backed Securities (ABS)
Immer häufiger ist im Zusammenhang mit der erwarteten geldpolitischen Lockerung seitens der EZB auch von einem Revival der ungeliebten Asset Backed Securities (ABS) die Rede. Seit der Finanzkrise genießen ABS, die Bankkredite verbriefen und diese so für Anleger investierbar werden lassen, einen eher zweifelhaften Ruf. Da in vielen Fällen auch Kredite fragwürdiger Qualität an Investoren weitergereicht wurden, entstanden durch ABS hohe Verluste, die ganze Banken in die Knie gezwungen haben. Seitdem wurden die Auflagen für Investoren und auch für die Kapitalentlastung der emittierenden Banken erheblich verschärft, so dass diese Vehikel als Mittel zum Risikotransfer für Finanzinstitute heute keine nennenswerte Rolle mehr spielen. Können die Banken ihre Bilanzaktiva aber nicht an den Kapitalmarkt weiterreichen, bildet die gegebene Kapitalausstattung die natürliche Obergrenze für die Kreditvergabetätigkeit. Zwar erlitten auch solche ABS, die das Brot- und Buttergeschäft der Banken wie beispielsweise Geschäftskredite umfassten, in der Krise ebenfalls erhebliche Wertverluste. Bei Fälligkeit der Wertpapiere konnten die Investoren dann jedoch überwiegend voll bedient werden. Trotz der regulatorisch bedingt geringen Nachfrage sind Banken weiterhin aktiv in der Bündelung von Krediten in ABS. Die Papiere werden jedoch nicht mehr an Kapitalmarktteilnehmer verkauft, sondern dienen weitgehend als Sicherheit für Zentralbankkredite bei der EZB.
Kredite an Industrieunternehmen im Euroraum [Quelle: UniCredit Research]
Die EZB weiß um dieses Problem und sucht nach Wegen, ABS wiederzubeleben. Denn das Risiko ist hoch, dass negative Einlagenzinsen der EZB die Kreditinstitute nur zu Ausweichanlagen beispielsweise in Staatsanleihen verleiten, ohne dass die Liquidität schließlich in der Wirtschaft ankommt. Dabei herrscht bei der Nachfrage nach den Staatsanleihen Italiens, Spaniens oder auch Griechenlands auch ohne Nachhilfe durch die EZB derzeit kein Mangel.
Das ungebrochene Investoreninteresse, das nur durch die unlängst stattgefundene Europawahl einen temporären Rücksetzer erfuhr, ließ die Rendite fünfjähriger spanische Bonos mit einem Rating von Baa2 bzw. BBB erstmals seit 2007 auf das Niveau der als risikoarm geltenden US-Treasuries, die mit AAA bzw. AA+ eingestuft werden, sinken.
Renditen spanischer und US-amerikanischer Staatsanleihen im Vergleich [Quelle: Bloomberg, eigene Berechnungen]
Moderate Risikoprämien für Länder
Etwas anders sieht das Bild dagegen für die Risikoprämien für Spanien, Italien und den USA aus. Da zeigt sich, dass die europäischen Peripherieländer weiterhin riskanter als die Kernländer oder die USA eingestuft werden.
Absicherungskosten für Länderrisiken (5 Jahre Laufzeit) [Quelle: Credit Suisse]
Dennoch waren auch die CDS-Spreads in den vergangenen Monaten deutlich rückläufig. Es steigt also die Zuversicht, dass von den schwächeren Mitgliedern der Eurozone keine unmittelbare Gefahr mehr ausgeht. Eindrücklich untermauert wird diese Überzeugung auch durch den Erfolg Griechenlands bei der Platzierung einer Anleihe mit einem Kupon von nur 4,75 Prozent bei fünfjähriger Laufzeit. Obwohl das Land nur ein Rating von Caa3 bzw. B- vorweisen kann, stand einem Emissionsvolumen von 3 Mrd. EUR einer Nachfrage von mehr als 20 Mrd. EUR gegenüber. Dies ist umso bemerkenswerter, als dass die Anleger noch 2012 erhebliche Verluste bei der Restrukturierung griechischer Staatsanleihen erlitten.
Rekapitalisierung der Banken kommt voran
Neben der Fähigkeit der Länder, sich direkt Mittel am Kapitalmarkt beschaffen zu können, gelten auch die Rekapitalisierungsmaßnahmen der heimischen Banken als Bedingung für eine nachhaltige Stabilisierung der Länder. Denn trotz der neuen "Bail in"-Regeln, bei denen der Steuerzahler geschont und die Investoren bei einer Bankpleite zur Kasse gebeten werden sollen, würde angesichts der im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt noch immer teilweise überdimensioniert wirkenden Bankbilanzsummen eine erhebliche Belastung auf die Heimatländer einer in Not geratenen Bank zukommen. Mit gutem Beispiel voran geschritten sind die griechischen Banken, die sich seit vergangenem Jahr fast 9 Mrd. EUR frisches Eigenkapital beschafften und diese Mittel zum Teil zur Rückführung der Staatshilfen verwendeten. Doch damit stehen die griechischen Finanzinstitute nicht allein da. Italienische Banken nahmen etwa 10 Mrd. EUR und spanische Institute 6 Mrd. EUR neues Kapital auf. Doch damit nicht genug.
Werden auch noch die Erlöse aus dem Verkauf von Aktiva hinzugerechnet, kommt Morgan Stanley auf einen Betrag von mehr 35 Mrd. EUR, die den europäischen Banken als zusätzliches Kapital zur Verfügung stehen. Dazu kommen noch die zahlreichen Nachranganleihen, die ebenfalls verlustabsorbierend wirken. Allein seit Jahresbeginn wurden Contingent Convertibles, sogenannte CoCos, im Umfang von mehr als 25 Mrd EUR begeben . Hier waren mehr als zehn Banken, darunter die Deutsche Bank, die spanische BBVA und Santander, die italienische UniCredit, die dänische Danske Bank, die belgische KBC, die Schweizer UBS sowie die französischen Großbanken Credit Agricole und Sociéte Generale aktiv. Weitere CoCos werden auch von der Aareal Bank oder der Commerzbank erwartet. Angesichts der hohen Investorennachfrage nach diesen Anleihen sowie des anstehenden Stresstests im Vorfeld der Übernahme der Bankenaufsicht durch die EZB ist von einer weiter regen Emissionstätigkeit durch europäische Banken auszugehen. Im Ergebnis stehen die Banken und die Länder also erheblich besser da, als in den vergangenen Jahren. Dies äußert sich nicht zuletzt ganz richtig auch in den gesunkenen Risikoprämien, die Investoren heute für Anleihen und Kreditderivate erhalten.
Euphorie oder Enttäuschung
Ohne Zweifel hat die EZB mit ihrer entschiedenen Vorgehensweise bei der Bewältigung der Finanzkrise viel erreicht. Die angewandten Instrumente und nicht zuletzt die mitunter kompromisslose Rhetorik der Währungshüter zeigten trotz angebrachter Skepsis ihre Wirkung. Die aktuellen Anstrengungen der EZB, mit einer unkonventionellen Geldpolitik die Wirtschaft weiter zu stärken, wirken dagegen etwas hilflos. Es ist mehr als ungewiss, ob die EZB am Ende über die richtigen Werkzeuge verfügt, um an der Preisspirale spürbar drehen zu können. Kann Draghi bei der nächsten EZB-Sitzung aber nicht überzeugen, droht bei den Zinsen Ungemach. Denn das aktuelle Niveau zehnjähriger Bundesanleihen lässt sich nur noch mit der Euphorie erwartungsfroher Anleger erklären. Das Enttäuschungspotenzial überwiegt zumindest mittelfristig die noch verbleibenden Chancen bei festverzinslichen Anleihen. Eine Absicherung gegen Kursverluste aufgrund steigender Zinsen kann derzeit auch aufgrund der niedrigen Opportunitätskosten nicht schaden.
Autor:
Michael Hünseler, Head of Credit Portfolio Management, Assenagon Asset Management S.A.
[Bildquelle oben: © Mopic - Fotolia.com]
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Wenig beeindruckt zeigen sich die Börsen in Ostasien von der Zinssenkung in der Eurozone. Viele Akteure halten sich nach dem Motto "nach der Zinssenkung ist vor dem US-Arbeitsmarktbericht" zunächst noch bedeckt. Auch positive Vorgaben der US-Börsen mit neuen Rekordhochs lassen die Börsianer weitgehend kalt. Lediglich in Sydney und Singapur zeigen die Indizes kleine Aufschläge, an den anderen Plätzen geben die Kurse überwiegend moderat nach. In Tokio verliert der Nikkei-Index 0,1 Prozent auf 15.069 Punkte. In Seoul wird wegen eines Feiertags nicht gehandelt.
"Die Maßnahmen der EZB haben niemanden mehr wirklich überrascht, auch wenn Mario Draghi signalisiert hat, dass weitere wenn nötig folgen könnten - das dürfte dann weitere quantitative Lockerungen bedeuten", heißt es beim Fondsmanagement von Shinkin Asset Management. Da der Dollar von seinen jüngsten Hochs zum Yen etwas zurückkomme und auch der Euro nach der Zinssenkung schwach aussehe - beides negativ für japanische Exportunternehmen -, gebe es aktuell zumindest von der Währungsseite keine Gründe, Aktien zu kaufen. Der Dollar kostet aktuell 102,33 Yen, verglichen mit Ständen um 102,50 zur gleichen Vortageszeit.
Aus der Reserve locken lassen sich die Anleger in Tokio auch nicht von der Nachricht, dass sich Ministerpräsident Shinzo Abe dafür stark macht, dass der Government Pension Investment Fund - der größte Pensionsfonds der Welt mit einer Anlagesumme von 1,27 Billionen Dollar - seine Aktienbestände schneller aufstocken soll. Dies sei am Markt schon eingepreist, meint ein Teilnehmer.
"Für die asiatischen Schwellenländer sind das zwar gute Nachrichten. Das kreditfinanzierte Wachstum kann weitergehen. Es bedeutet aber auch, dass der Druck auf Reformen nachlässt. Die Hoffnung ist dennoch, dass die Politik darüber steht und die Volkswirtschaften auf den richtigen Weg gebracht wird, damit auch die unausweichlich kommende nächste Zinserhöhung gemeistert werden kann", kommentieren die Experten von HSBC den Zinsschritt in der Eurozone.
Der nächste Impuls für die Finanzmärkte dürfte nun mutmaßlich von den monatlichen US-Arbeitsmarktdaten im späteren Tagesverlauf kommen. "Gute Daten sind immer gerne gesehen, zumal die weiter niedrigen US-Renditen keinen plötzlichen Stimmungswandel am Markt erwarten lassen", meint Investmentstratege Norihiro Fujito von Mitsubishi UFJ Morgan Stanley Securities.
An den chinesischen Börsen belasten unterdessen Kursverluste von Immobilienaktien wie China Vanke und Gemdale. Sie leiden unter schwach ausgefallenen Umsatzprognosen für die Branche, wie Analysten sagen. Verkauft würden auch Aktien aus dem Finanzsektor angesichts weiter schwelender Konjunktursorgen.
In Sydney werden Bankenaktien dagegen gekauft nach den geldpolitischen Lockerungen in der Eurozone. Am stärksten legen Macquarie zu. Gesucht sind daneben Aktien von Goldminenbetreibern, nachdem der Goldpreis in Reaktion auf die EZB-Lockerungen etwas zugelegt hat. Newcrest gewinnen knapp 2, Evolution über 3 und Kingsgate sogar über 7 Prozent. Die Feinunze Gold kostet derweil 1.254 Dollar, das ist zwar das gleiche Niveau wie im späten US-Handel am Vortag, liegt aber rund 10 Dollar über dem Tagestief vom Vortag.
Die bereits niedrige Inflation in Deutschland ist im Mai weiter zurückgegangen und auf den tiefsten Stand seit Juni 2010 gefallen. Im Mai kosteten Waren und Dienstleistungen im Schnitt nur noch 0,9 Prozent mehr als ein Jahr zuvor, wie das Statistische Bundesamt (Destatis) mitteilte und damit erwartungsgemäß seine vorläufige Angaben bestätigte. Im April waren die Verbraucherpreise noch um 1,3 Prozent gestiegen.
Dämpfend auf die Gesamtteuerung wirkte wie schon in den Vormonaten die Preisentwicklung bei Energie. Im Jahresvergleich sanken hierfür die Preise um 0,8 Prozent. Ohne Berücksichtigung der Preise für Energie hätte die Teuerungsrate mit 1,1 Prozent etwas höher gelegen.
Die Preise für Nahrungsmittel erhöhten sich binnen Jahresfrist nur um 0,5 Prozent. Im Mai schwächte sich der Preisanstieg somit deutlich ab und lag damit erstmals seit drei Jahren unter der Gesamtteuerung.
Gegenüber dem Vormonat sanken die Verbraucherpreise im Mai um 0,1 Prozent. Auch damit wurde die erste Schätzung bestätigt. Im April waren die Preise um 0,2 Prozent gesunken.
Der für europäische Vergleichszwecke berechnete Harmonisierte Verbraucherpreisindex (HVPI) stieg gegenüber dem Vormonat um 0,3 Prozent, auf Jahressicht erhöhte er sich lediglich um 0,6 Prozent. Die Jahresrate fiel damit auf den niedrigsten Wert seit Februar 2010.
"Und weiter sah ich den Sisyphos in gewaltigen Schmerzen: wie er mit beiden Armen einen Felsblock, einen ungeheuren, fortschaffen wollte. Ja, und mit Händen und Füßen stemmend, stieß er den Block hinauf auf einen Hügel. Doch wenn er ihn über die Kuppe werfen wollte, so drehte ihn das Übergewicht zurück: von neuem rollte dann der Block, der schamlose, ins Feld hinunter. Er aber stieß ihn immer wieder zurück, sich anspannend, und es rann der Schweiß ihm von den Gliedern, und der Staub erhob sich über sein Haupt hinaus." (Homer: Odyssee 11. Gesang, 593–600)
Die EZB-Zinsentscheidung ist in der Regierungskoalition in Berlin auf überraschend deutliche Kritik gestoßen. "Die Entscheidung der EZB setzt falsche Signale", erklärte der für Finanzen zuständige Unions-Fraktionsvize Ralph Brinkhaus. "Der Schlüssel zur Überwindung der Wirtschaftskrise ist eine Politik der nachhaltigen Strukturreformen und keine Politik des niedrigen Zinses", mahnte Brinkhaus in einer Pressemitteilung der CDU/CSU-Fraktion.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) wollte sich hingegen bei einer Pressekonferenz in Brüssel nicht zu der Entscheidung der Zentralbank äußern, den Leitzins von 0,25 Prozent auf 0,15 Prozent zu senken. Auch das Finanzministerium lehnte eine Stellungnahme ab.
Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) hatte noch unmittelbar vor dem Zinsschritt die Rolle der EZB in der Krise gelobt, gleichzeitig aber betont, dass das niedrige Zinsniveau nur vorübergehend sein könne. "Die EZB hat bisher alle Entscheidungen sehr klug getroffen", hatte er zu Journalisten in Berlin gesagt. "Deswegen habe ich jedes Vertrauen in die Europäische Zentralbank, und das bleibt auch so."
Brinkhaus sprach nach der Entscheidung aber eine klare Warnung an die Adresse der Frankfurter Notenbank aus. "Die EZB muss aufpassen, dass sie die Grenzen ihres Mandates nicht überschreitet", sagte er. Die Unabhängigkeit der EZB sei allein durch ihre währungspolitische Funktion legitimiert. "Wenn Herr Draghi meint, selektive Wirtschaftspolitik für Teilbereiche des Euro-Raumes machen zu müssen, dann ist das schlichtweg nicht seine Aufgabe." Der CDU-Politiker betonte, es gebe andere und auch zielgenauere Instrumente als eine "Zinsgießkanne", um etwa die Kreditversorgung der Unternehmen in den Krisenstaaten zu verbessern.
Ähnlich verärgert zeigte sich die deutsche Bankenlandschaft. "Ein negativer Zins auf die Einlagen der Geschäftsbanken bei der Europäischen Zentralbank wird kaum zur gewünschten Belebung der Kreditvergabe und des Interbankenmarktes führen", kritisierte der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes deutscher Banken, Michael Kemmer. Vielmehr steige die Gefahr von verschleppten Strukturreformen. Die EZB hätte bei den Leitzinsen ihr Pulver trocken halten können, da die Wirtschaft im Euro-Raum inzwischen auf einen Erholungskurs eingeschwenkt sei, meinte Kemmer und betonte: "Auch die derzeit viel diskutierte Deflationsgefahr sehen wir kaum."
Auch Liane Buchholz, die Hauptgeschäftsführerin des Bundesverbandes Öffentlicher Banken Deutschlands (VÖB), fand wenig Gutes an der Entscheidung der EZB. "Die weitere Zinssenkung und der negative Einlagenzins sind zwar ein historischer Schritt, der aber zumindest als effektlos in die Geschichtsbücher eingehen wird", erklärte sie. Die Banken hätten kein Liquiditätsproblem, seien aber auch nicht bereit, auf diesem niedrigen Zinsniveau noch ins Risiko zu gehen. "Mit der Zementierung des Zinsniveaus heute erhöht die EZB diese Risikoaversion zusätzlich und konterkariert damit ihre eigene Intention, das Ausreichen von Krediten zu forcieren", bemängelte Buchholz.
Kritik kam auch aus der Bundestags-Opposition. "Die EZB kann die wirtschaftliche Misere Europas nicht überwinden", sagte der Grünen-Finanzexperte Gerhard Schick. "Immer fraglicher wird es deshalb, dass sie es trotzdem versucht und dabei sogar noch einen deutlichen Gang zulegt." Schick erwartete nicht, dass das zusätzliche Paket an Maßnahmen eine deutliche Verbesserung der wirtschaftlichen Lage bringt. "Schon zuvor war das Geld für die Banken so billig wie selten zuvor, für Unternehmen der Krisenländer aber weiterhin zu teuer", meinte er. Daran werde auch ein niedrigerer Leitzins nichts ändern. "Gleichzeitig nehmen die Risiken und Nebenwirkungen einer Nullzinspolitik zu," warnte er. Die Anleihe-, Aktien- und Immobilienmärkte zeigten erste Zeichen einer Überhitzung, und auf der Suche nach Rendite würden auch toxische Altlasten wieder zu einer lukrativen Investition.
Die FDP nutzte die Zinsentscheidung der EZB hingegen für Kritik an der Großen Koalition. "Die Entscheidung der Europäischen Zentralbank ist ein Alarmsignal", sagte Präsidiumsmitglied Volker Wissing. Die Notenbank bestätige mit ihrer Entscheidung, "dass sie im Gegensatz zur Großen Koalition die Eurokrise noch lange nicht für bewältigt erachtet". Vielmehr sei die Eurozone meilenweit von einer wirtschaftlichen Normalität entfernt. "Vor diesem Hintergrund bekommt die verantwortungslose Ausgabenpolitik von Union und SPD eine neue Dimension", meinte Wissing.
Auch ifo-Präsident Hans-Werner Sinn kritisierte die Beschlüsse der EZB. "Das ist der verzweifelte Versuch, mit noch billigerem Geld und Strafzinsen auf Einlagen die Kapitalströme nach Südeuropa umzuleiten und so dort die Wirtschaft anzukurbeln", sagte er. Das könne deshalb nicht funktionieren, weil dort vorher die Wettbewerbsfähigkeit durch Reformen des Arbeitsmarktes verbessert werden müsste. "Die Zeche zahlen jetzt alle jene, die Geld langfristig anlegen, also die Sparer und die Besitzer von Lebensversicherungen," beklagte Sinn.
Gelassener zeigte sich da der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher. "Für sich betrachtet sind die Zinssenkung und der negative Einlagezins eher symbolische Maßnahmen", erklärte er. Sie würden weder die Kreditvergabe in den Krisenländern maßgeblich verbessern noch das Deflationsrisiko deutlich mindern. Zusammen mit den anderen angekündigten Maßnahmen interpretierte der Ökonom die Maßnahmen jedoch "als Startsignal einer neuen EZB-Strategie". Als erste Schritte in einer Reihe weiterer Maßnahmen in den kommenden Monaten seien sie bedeutungsvoll.