Mit sehr deutlichen Worten hat Bundespräsident Köhler den Spitzenbankern ins Gewissen geredet und Konsequenzen aus der Finanzkrise gefordert. Horst Köhler liest den Gastgebern die Leviten, seine Rede beginnt jedoch zunächst mit einer kleinen Geschichte: "Ich kenne einen Dachdecker, der sitzt im Rollstuhl. Autounfall. Zwei, drei Jahre lang hat er sich fallen lassen, als er wusste, er würde nicht mehr gehen können. Dann ist er im Sitzen aufgestanden", so der Bundespräsident. "Heute hat er einen Betrieb, der ´handbikes´ herstellt. Das sind Rollstühle, die mit einem Kettenantrieb per Handkurbel bewegt werden. Auf die Frage des Bundespräsidenten, was für ihn Integration sei, habe er geantwortet: "Integration ist für mich, wenn ich Steuern zahle."
Diese Antwort hat Horst Köhler zu denken gegeben. "Da hat es einer, der unten war und draußen, auf den Punkt gebracht: Dazugehören, Teil von etwas Größerem zu sein, reale Werte zu schaffen und etwas aufzubauen, was anderen Leuten Arbeit gibt, und dafür auch noch gern den Preis zu zahlen in Form von Steuern - muss man die Erfahrung einer persönlichen Tragödie gemacht haben, um diese Sehnsucht in sich zu spüren und sich von ihr leiten zu lassen?", so der Bundespräsident.
Köhler kehrt die Frage um. Gibt es ein Ausmaß von individuellem Erfolg im Leben, von materieller Unverwundbarkeit, die einen überheblich macht und immun für die Erkenntnis, dass jeder von uns nichts erreichen könnte ohne die anderen, ohne die Gesellschaft, in der wir Verantwortung tragen, jeder an seiner Stelle? Horst Köhler: "Wenn die Antwort darauf einfach nur ja wäre, dann hätten wir es leicht. Dann bräuchten wir bloß die Oberkante für ein Jahresgehalt herauszufinden, von dem an der Mensch abhebt, und dann müssten wir nur noch Sorge dafür tragen, dass dieses Jahresgehalt nicht überschritten wird, damit die Welt besser werden kann." Und hier baut Köhler eine Brücke zur aktuellen, weltumspannenden Krise.
Köhler weist darauf hin, dass unsere Demokratie in den vergangenen Wochen und Monaten Tatkraft bewiesen hat. Es geht um die Sicherung unserer Volkswirtschaft und damit um die Sicherung von Arbeit und Einkommen für Millionen Menschen, ergänzt Köhler. "Kurzfristig geht es darum, den Geldfluss wieder in Bewegung zu bringen und einer Weltrezession entgegenzuwirken. Dabei muss jedes Land seinen spezifischen Bedingungen Rechnung tragen. Doch innenpolitische Erwägungen dürfen nicht den Blick dafür verstellen, was zur Überwindung einer globalen Krise notwendig ist."
Stabilisierung der Finanzmärkte basiert auf vier Säulen
Nach Meinung des Bundespräsidenten sind vier tragende Elemente für die Stabilisierung der Finanzmärkte von elementarer Bedeutung:
Erste Säule: Auf den internationalen Finanzmärkten muss die staatliche Ordnungsfunktion neu definiert und durchgesetzt werden. Köhler plädiert für die Schaffung einer internationalen Aufsichtsorganisation. Ergänzend hat er sich dafür ausgesprochen, dem Internationalen Währungsfonds die Wächterfunktion über die Stabilität des globalen Finanzsystems zu übertragen. Damit er diese Aufgabe wirksam erfüllen kann, sollte der IWF mehr Unabhängigkeit bekommen.
Zweite Säule: Eine Hauptursache für die Krise war der Aufbau von enormen Leistungsbilanz-Ungleichgewichten zwischen den großen Volkswirtschaften über Jahre hinweg. Der Bundespräsident weist darauf hin, dass wir ein verbindliches politisches Verfahren benötigen, das dafür sorgt, dass diese globalen Ungleichgewichte abgebaut werden und in dieser Form nicht wieder entstehen können. Das verlangt auch eine Diskussion über die Rolle von Wechselkursen, und in jedem Fall verlangt es eine Absage an Selbstbezogenheit und Protektionismus.
Dritte Säule: Aus Sicht von Horst Köhler muss erkannt werden: Armut und Klimawandel bedrohen die politische Stabilität in Nord und Süd. Deshalb muss ihre Bekämpfung als strategisches Ziel in allen Formen internationaler Zusammenarbeit verankert werden.
Vierte Säule: Wir müssen uns als Weltgemeinschaft auf ein gemeinsames Ethos verständigen, auf Werte, die wir alle teilen und deren Missachtung von der Gemeinschaft bestraft wird. Das Grundprinzip lautet nach Köhler: "Wir dürfen andere nur so behandeln, wie wir selbst behandelt werden wollen. Daran wollen wir uns halten. Daran wollen wir uns messen lassen."
1944 legte die Konferenz von Bretton Woods den Grundstein für eine marktwirtschaftliche, arbeitsteilige Weltwirtschaftsordnung nach dem Zweiten Weltkrieg. Nicht zuletzt diese Entscheidung brachte Vertrauen und den Industrieländern Wohlstand und sozialen Fortschritt. Horst Köhler: "Sie führte Deutschland das dringend benötigte Auslandskapital zu, und sie ermöglichte uns den Aufbau einer bis heute außerordentlich erfolgreichen Exportwirtschaft. Bretton Woods war also eine wichtige Weichenstellung auch für den Erfolg der Sozialen Marktwirtschaft in Deutschland."
Die Kette des Versagens schließt viele ein
Nach Meinung des Bundespräsidenten verlangt die Dimension der Krise ein Bretton Woods II, eine Versammlung der Besten, die mit Sachverstand, Moral und politischem Willen systematisch die Krise aufarbeiten. "Die Kette des Versagens schließt viele ein", sagt der Bundespräsident stattdessen im Mozart-Saal der Alten Oper in Frankfurt. Doch dann wird Köhler deutlich: Das Bankgewerbe müsse sich grundlegend erneuern. "Zu allererst sind Sie Treuhänder derer, die Ihnen Ihr Erspartes überantwortet haben", ruft er dem Publikum zu.
Köhler weiter: Die Verursacher der Krise sitzen in den Hauptstädten und Finanzzentren der größten Industrienationen. Sie vertreten Finanzinstitutionen, Prüfer und Berater, Regierungen, Aufsichtsbehörden und Notenbanken. Die Kette des Versagens schließt viele ein. Markt und Staat: Beteiligt sind beide. Es geht um die Glaubwürdigkeit unseres Systems der Freiheit.
Daraus ergibt sich eine Verantwortlichkeit, so Köhler. "Alle Verursacher der Krise müssen sich dieser Verantwortung stellen. Deshalb sage ich auch: Allen wäre geholfen, wenn der Aufarbeitung der Krise eine sorgfältige Ursachenanalyse zugrunde gelegt würde - erstellt von Leuten, die wissen, worum es geht, und die in ihrem Urteil unabhängig sind." In den üblichen Lobbyismus zurückzufallen, um den eigenen Beitrag klein zu halten, ist keine angemessene Haltung, so der Bundespräsident. Es ist an der Zeit für uns alle, über den Tellerrand hinaus zu denken."
Fragen nach der Verantwortung der Akteure
Der Bundespräsident verdeutlicht, dass die Finanzbranche schon aus Eigeninteresse selbst unangenehme Fragen stellen sollte. Es sind Fragen nach der Verantwortung der Akteure, der Vorgesetzten der Akteure und derer, die die Vorgesetzten zu beaufsichtigen haben. "Es sind Fragen nach der Kompetenz, nach Vergütungssystemen, die Kurzfrist-Denken und Herdenverhalten verstärkt haben. Und es sind Fragen nach den Renditen, an denen sich eine ganze Branche offenbar so berauscht hat, dass sie blind wurde für die Risiken - oder sie bewusst ignoriert hat. Solide kaufmännische Grundregeln wurden missachtet; Teile der Finanzbranche koppelten sich ab von der Realwirtschaft."
Horst Köhler ermahnt die Banken, dass sie sich auch wieder auf Ihre Funktion als Dienstleister für Ihre Firmenkunden besinnen sollten: "Lassen Sie vor allem unsere Mittelständler nicht im Stich. Das sind Leute, die hart arbeiten. Ihre Produkte sind weltweit gefragt. Sie verdienen Vertrauen. Gerade in der Krise. Eine panikartige Verkürzung der Bankbilanzen hilft jetzt niemandem."
Computermodelle sind manchmal blind für die Realität
Der Bundespräsident gibt weitere Ratschläge: So sollen sich Banken in ihrem Risikomanagement nicht nur auf Computermodelle verlassen. Sie sollten prüfen, welches Investmentbanking, welches Geschäftsmodell wirklich Werte schafft. "Bauen Sie eine Kultur der Menschen in der Bank auf, die davon lebt, dass sie den Kunden wirklich kennt. Eine Kultur, die auch vom Bewusstsein über die Grenzen der Beherrschbarkeit und Verantwortbarkeit von Risiken bestimmt wird. Das verlangt Einfühlungsvermögen, Urteilskraft - und Demut."
Horst Köhler wird deutlich: "Lassen Sie auch bitte die Phase hinter sich, in der Sie mit dem Finger auf andere Leute zeigen. Ja, Amerika hat auf Pump gelebt. Ja, die Fed hat das Geld künstlich billig gehalten. Ja, die Rating-Agenturen haben allzu leichtfertig "triple A" vergeben und die Berater und Prüfer ihr Testat. Wahr ist auch: Die Anleger und Aktionäre - große wie kleine - haben die Renditejagd mitgemacht. Aber auch zu viele aus Ihren Häusern, meine Damen und Herren, haben die vielfältigen Warnungen in den Wind geschlagen und lieber mitgewettet, als gegen Fehlentwicklungen anzugehen. Das trifft jetzt leider auch die vielen unter Ihnen, die die Bodenhaftung nicht verloren haben und weiter Vertrauen verdienen."
[Foto Horst Köhler: Bundespresseamt, BPA]
Kommentare zu diesem Beitrag
Bitterer Nebengeschmack: Die kleinen Kreditinstitute, die kaum Verursacher dieser und früherer Finanzkrisen waren, werden noch mehr unter den zusätzlichen Anforderungen ächzen, sehr zur Freude der großen Kreditinstitute. So finden sich wenigstens wieder fusionswillige Kandidaten mit gut diversifiziertem Kundengeschäft, genau das was den renditegierigen Nullen aus Frankfurt & Co. derzeit fehlt... So werden die großen Kreditinstitute für ihr Versagen von der Aufsicht indirekt sogar belohnt...
Ja, wahrscheinlich hast Du Recht ... das bittere an den Entwicklungen ist vor allem, dass die eigentlichen Verursacher - die US-Banken - sich um MaRisk, MaIR, MaK, Basel II und ähnliche regulatorische Papiertiger garnicht geschert haben. Alan Greenspan hat immer darauf hingewiesen, dass die beste Regulierung "keine Regulierung" wäre. Nun ja, das Ergebnis sieht man. Übrigens waren es ja vor allem Staatsbanken, die versagt haben. Warum haben BaFin und Aufsichtsräte (in der Regel auch besetzt mit Staatsdienern) gepennt? Köhler hat hier klare Worte gefunden. Und das ist richtig so!
Die Marktteilnehmer werden immer alle regulatorischen Lücken suchen und auch finden. Die Geschäftsmodelle vieler Staaten basieren darauf, dass man den Unternehmen ein Umfeld bietet ohne regulatorische Einengung und Kontrolle.
Ein BaFin-Präsident muss schleunigst weg, der - wie bei im Fall der HRE - klare Frühwarnsignale aus der Bankenwelt nicht Ernst nimmt und mit Rücksicht auf die Wahl in Bayern zunächst mal alle Probleme unterdrückt! Und das bittere an der Geschichte ist, dass sich die Herren heute als die größten Krisenmanager aller Zeiten aufspielen ... ;-(