Die Konjunktur hat Schwung verloren. In den USA ging in dieser Woche zum ersten Mal seit Langem der wichtige ISM-Einkaufsmanagerindex zurück. In China, Brasilien und Russland ermäßigte sich der Einkaufsmanagerindex zum Teil sogar noch stärker. In Europa stockten die entsprechenden Indizes in Deutschland und Frankreich. Das kam in dieser Häufung für viele überraschend. In den vergangenen Monaten waren die konjunkturellen Sorgen angesichts der Probleme mit der Staatsverschuldung in den Hintergrund getreten. Die Deutsche Bundesbank hatte sogar von einem "breit fundierten globalen Aufschwung" gesprochen. Der Internationale Währungsfonds hatte seine Prognose kräftig nach oben revidiert. War das doch etwas voreilig?
Von den Zahlen her gesehen ist die wirtschaftliche Entwicklung nach wie vor nicht schlecht. In den USA wuchs das reale Bruttoinlandsprodukt im vierten Quartal um 5,9 %, die höchste Steigerung seit sechs Jahren. Die Arbeitslosigkeit erhöhte sich nicht mehr. In China belief sich die Zunahme der Wirtschaftsleistung in dieser Zeit sogar auf 10,7 % (gegenüber Vorjahr). In Japan gab es ein unerwartetes Plus von 4,4 % (annualisiert). In all diesen Ländern ist auch die Industrieproduktion im Januar gut ausgefallen. Lediglich in Euroland ging es im vierten Quartal nur schwach aufwärts (annualisiert + 0,4 %). Das Problem ist freilich, dass diese Zahlen kein verlässliches Bild zeichnen. Sie sind durch Sonderfaktoren verzerrt. Vor allem sind aus ihnen noch keine Indizien abzulesen, dass die Konjunktur eine Eigendynamik entwickelt.
Schauen wir uns die Sache etwas genauer an. Wichtigster Treiber des Wachstums im vierten Quartal waren lagerzyklische Effekte. In den USA waren rund zwei Drittel der Expansion auf diesen Faktor zurückzuführen. Ohne ihn hätte die Expansion nur bei 2 % gelegen. Das ist kein verlässliches Ruhekissen. Wie schnell sich Lagerbewegungen drehen können, zeigt sich am Beispiel Deutschlands. Im dritten Quartal hatte der Lagereffekt EUR 9 Mrd. zum Wachstum beigetragen, im vierten Quartal hat er wieder EUR 7 Mrd. abgezogen. Es war vor allem dieser Lagereffekt, der für das schlechte Wachstumsergebnis in Euroland vor dem Jahresende verantwortlich war.
Gestützt wird die Erholung ferner von den nach wie vor erheblichen fiskal- und geldpolitischen Ankurbelungsmaßnahmen. Auch das ist nichts Nachhaltiges. In den USA gingen zwei Prozentpunkte der BIP-Zunahme im vierten Quartal auf staatliche Ankurbelungsmaßnahmen zurück. Ohne die lagerzyklischen und fiskalpolitischen Effekte wäre die US-Wirtschaft nicht um 5,9 % gewachsen, sondern nur um weniger als 0,5 %, also fast gar nicht.
Die Investitionen der Unternehmen in Maschinen und Ausrüstungen sowie neue Bauten sind nach wie vor schwach. In Deutschland gingen sie im vierten Quartal um 0,7 % zurück. Das ist angesichts der Unterauslastung der Kapazitäten verständlich. Warum sollten Unternehmen investieren, wenn schon die bisherigen Anlagen nicht voll genutzt werden? Andererseits macht es deutlich, dass das Deficit Spending bisher noch nicht die erwünschte Initialzündung in der Wirtschaft ausgelöst hat.
Auf den ersten Blick positiv sieht der Export aus. Er erhöhte sich im vierten Quartal in Deutschland um real 3 %. Die Ausfuhren sind in der Bundesrepublik traditionell der im Zyklus erste und wichtigste Konjunkturmotor. Aber auch hier muss man Wasser in den Wein gießen. Wichtige Impulse kommen derzeit nämlich vor allem aus den USA sowie China und den südostasiatischen Ländern. Es sind dies aber genau die Staaten, in denen fiskalpolitische Programme eine wichtige Rolle spielen. China hatte bekanntlich mit knapp USD 600 Mrd. das relativ größte Konjunkturprogramm der Welt. Niemand weiß, wie lange diese Programme wirken. Sicher aber ist, dass sie nicht ewig laufen. Ich wäre nicht überrascht, wenn die Impulse aus China und den USA für die deutschen Exporte im Verlauf des Jahres abnehmen würden. Was dem europäischen Export hilft, ist die Abwertung des Euro. Aber sie ist bisher nicht sehr groß.
All das macht mich bei der Beurteilung der weiteren Konjunkturentwicklung vorsichtig. Im ersten Quartal 2010 dürfte sich das gesamtwirtschaftliche Wachstum weltweit verlangsamen. In den USA hängt das mit einer geringeren Lageraufstockung zusammen (oder gar einem Abbau der Lagerbestände). Hinzu kommt der harte Winter ("Snowmageddon"), der auch Europa getroffen hat. Nach einer alten Daumenregel kann sich das Bruttoinlandsprodukt in einem Vierteljahr durch Witterungsbedingungen um rund 0,3 % (= 1,2 % annualisiert) abschwächen. In Europa spielen darüber hinaus die Schwierigkeiten mit der Konsolidierung in den südeuropäischen Ländern eine Rolle. Auch sie kosten Wachstum.
Im zweiten Quartal könnte die Konjunktur wieder etwas besser sein. Sie profitiert davon, dass die im Winter ausgefallene Produktion nachgeholt wird. Allerdings beginnen sich dann die Wirkungen der Fiskalprogramme abzuschwächen. Natürlich wird der Staat immer noch viel Geld in die Wirtschaft pumpen. Für das Wirtschaftswachstum kommt es aber nicht auf das absolute Niveau der Staatsausgaben an, sondern auf den Zuwachs. Damit sieht es aber nicht mehr so gut aus. Denn die Programme werden jetzt nicht mehr aufgestockt.
Für das zweite Halbjahr und darüber hinaus ist entscheidend, ob das Deficit Spending einen Multiplikator in den Unternehmen auslöst. Wenn das der Fall ist, dann hat die keynesianische Rezeptur gewirkt und es wird einen richtigen Aufschwung mit mehr Beschäftigung und mehr Einkommen geben. Wenn das nicht passiert, dann wird es schwierig. Denn dann stellt sich die Frage, ob der Staat mit weiteren Maßnahmen zur Konjunkturstützung nachlegen kann oder ob wir vor einer länger anhaltenden Stagnation oder Rezession stehen. Dann wäre auch die Frage Inflation versus Deflation wieder offen. Welcher der Fälle eintritt, kann derzeit noch nicht beurteilt werden. Beides ist möglich. Die Konjunktur steht auf der Kippe.
Autor: Dr. Martin W. Hüfner, Chief Economist, Assenagon Asset Management S.A.
[Bildquelle: Frank Romeike/RiskNET GmbH]