Zwei Mal im Jahr treffen sich die Mitglieder des Washingtoner Institute of International Finance zu einer großen Konferenz. Das ist immer ein gutes Barometer für die Stimmungen und Meinungen auf den internationalen Finanzmärkten. Ich nehme seit vielen Jahren daran teil, um meine Ansichten zu testen, sie eventuell zu korrigieren oder sie zu ergänzen. Diesmal fand die Tagung in Wien statt. Hier ein paar Eindrücke.
Generell: So viel Unsicherheit wie diesmal habe ich auf den Tagungen noch nicht erlebt. Bemerkenswert ist vor allem die große Divergenz zwischen dem realen und dem monetären Sektor. In der Realwirtschaft entwickeln sich die Dinge insgesamt ordentlich. Der Aufschwung ist in Gang gekommen. Die Investitionen ziehen an. Die staatlichen Ankurbelungsprogramme werden nicht mehr gebraucht. 2010 wird für die Weltwirtschaft ein gutes Jahr, 2011 wird etwas schwächer.
Im monetären Sektor dagegen gibt es einfach zu viele Probleme. Die Staaten haben hohe Budget-Defizite und eine hohe Verschuldung. Der Privatsektor hat ebenfalls erheblichen Refinanzierungsbedarf. Das gesamtwirtschaftliche Wachstum ist so niedrig, dass sich trotz Sparmaßnahmen die Relationsverschuldung zum Bruttoinlandsprodukt verschlechtert. Es gibt immer mehr Problemfälle: Von Griechenland, Spanien, Irland und Portugal geht es zu Belgien, Frankreich, Großbritannien, Ungarn und vielleicht auch den USA.
Aus dem Staatsschuldenproblem droht ein Bankenproblem zu werden. Der Wertberichtigungsbedarf steigt, zumal die alten Abschreibungen aus der Subprime-Krise vielfach noch nicht verdaut sind. Banken brauchen mehr Kapital, auch zur Erfüllung der verschärften regulatorischen Regeln. Der Kapitalmarktexperte des Institutes of International Finance, Hung Tran: "Wir sind noch weit entfernt von den Verhältnissen unmittelbar nach der Lehman-Krise, aber wir bewegen uns in die Richtung." George Soros: "Die Krise ist noch lange nicht vorbei, wir befinden uns gerade im zweiten Akt."
Wie soll man sich in einer so gespaltenen Welt verhalten? Die übliche Reaktion heißt Vorsicht und Risikoaversion. Das ist verständlich. Andererseits: In einer Zeit, in der es überall "krachen" kann, sollte man nicht nur nach defensiven Anlagen Ausschau halten. Man sollte Investitionen vielmehr in erster Linie breit streuen. Dann profitiert man von höheren Erträgen, wird trotzdem bei Krisen aber nicht voll getroffen. Interessant ist, dass sich Aktien gemessen an der unsicheren Stimmung und den Belastungen der vergangenen Monate relativ gut gehalten haben. Das könnte darauf hindeuten, dass dies keine Aktienkrise ist. Freilich haben wir auch 2008 lange gedacht, dass die Finanzkrise die Aktien verschonen könnte. Dann kam das dicke Ende aber doch.
Ein Grund für die Unsicherheit der Financial Community: Die steigenden Interventionen des Staates in der Wirtschaft. Hier treffen unterschiedliche Welten aufeinander. Was am Markt geschieht, können Banker einschätzen. Die Aktionen der öffentlichen Hand sind dagegen schwer zu beurteilen. Da muss man zurückhaltend sein. Das erklärt die negativen Wachstumseffekte einer zunehmenden Staatstätigkeit.
Zur wirtschaftspolitischen Koordinierung in der Welt: Jeder weiß, dass sie bei globalen Märkten unabdingbar ist. Die Aussichten dazu sind aber schlechter denn je. Zwar gibt es ein neues Gremium (die G20), das die Machtverhältnisse der Welt besser widerspiegelt. Es ist aber vergleichsweise groß, damit schwer arbeitsfähig und die Mitglieder sind noch nicht aufeinander eingespielt. Zudem gibt es immer mehr nationalistische Tendenzen in der Welt. Die Makrobedingungen in den Ländern sind sehr unterschiedlich. Die Emerging Markets sind nahe an der Überhitzung, die USA und Japan wachsen ordentlich, Europa kommt schwer vom Fleck. Die Bankenregulierung ist primär ein "nordatlantisches Problem". Die Emerging Markets sind kaum betroffen. Wie soll man sich da auf eine gemeinsame Linie einigen?
Die Schwäche des Euro ist – anders als frühere Dollarschwächen – kein größeres Problem für die internationalen Finanzmärkte. Der Euro werde sich, so hieß es, noch bis zur Parität abwerten, dann aber wieder stärker werden. Die USA sind über den Euro nicht wirklich besorgt.
Osteuropa hat sich in der Krise vergleichsweise gut gehalten, allerdings mit großen Unterschieden von Land zu Land. In Polen gab es keine Rezession, in der Ukraine und in Lettland ging das reale Bruttoinlandsprodukt um 14 Prozent bis 17 Prozent zurück. Die Region braucht eine neue Wachstumsagenda: Förderung der Human Ressources, Energieeinsparung, regionale Kooperation, Aufbau eines Kapitalmarktes (Thomas Mirow, Präsident der Osteuropa-Bank).
Eine Stimme aus Lateinamerika: Dort waren Budget- und Leistungsbilanzdefizite in den 80er Jahren anhaltend hoch. In den 90er Jahren konnte die Situation mit einem Mal zum Besseren gedreht werden. Die Verschuldung liegt inzwischen im Durchschnitt unter 50 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Die Banken sind gut kapitalisiert. Der Vergleich sollte den Europäern Mut machen, dass nichts unumkehrbar ist. Freilich möchten die Europäer nicht unbedingt mit dem Lateinamerika der 80er Jahre verglichen werden.
Die Ölkatastrophe im Golf von Mexiko ist nicht nur unter Umweltgesichtspunkten zu sehen. Sie wird erhebliche Auswirkungen auf das Ölangebot der Welt haben, da die meisten Ölfunde der letzten Zeit tief unter dem Meeresspiegel liegen. Folge: Längerfristig höhere Ölpreise.
Griechenland: Premierminister Papandreou machte seine Entschlossenheit deutlich, die Verhältnisse in seinem Land grundlegend zu verändern, auch wenn er deshalb am Ende nicht mehr wiedergewählt werden sollte. In den ersten fünf Monaten dieses Jahres lag das öffentliche Defizit genau im Plan: 8,1 Prozent nach 13,6 Prozent vor einem Jahr. Eine Umschuldung werde es nicht geben. Papandreou verfügt über eine komfortable Mehrheit im Parlament. Seine Politik wird von 55 Prozent der Bevölkerung unterstützt. Der Premierminister bekam von den versammelten Bankern "Standing Ovations".
Dagegen stieß der neue Premierminister von Ungarn, Victor Orban, vielfach auf Kritik. Das Programm, das er den Bankern zur Sanierung seines Landes vorstellte, war zu vage. E-Mail eines Investment Bankers: "Sell Hungary, buy Greece". Von Analysten war zu hören, dass Griechenland eine "Turnaround-Story" werden könne.
Autor: Dr. Martin W. Hüfner, Chief Economist, Assenagon Asset Management S.A.
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