Dieser Beitrag beleuchtet Zusammenhänge in der Lebensmittelversorgung, die im Alltag vielleicht nicht immer so bewusst sind, weil ohnehin ständig fast alles reibungslos funktioniert. Bei größeren Störungen, wie sie bei einem überregionalen und länger andauernden Stromausfall ('Blackout') eintreffen werden, sollten wir uns nicht darauf verlassen, dass alles schnell und wieder reibungslos funktionieren wird, auch wenn dies in vielen Bereichen noch immer erwartet und angenommen wird. Das ist ein gefährlicher und folgenreicher Trugschluss.
Auch wenn sich aufgrund der Erfahrungen mit der Blackout-Vorsorge einige Hinweise auf Österreich beziehen, so gelten die grundsätzlichen Erkenntnisse sicherlich auch für Deutschland oder die Schweiz und wahrscheinlich auch für viele andere Länder in Europa.
Schlecht vorbereitet auf Lebensmittelkrisen
"Österreich schlecht auf Lebensmittelkrisen vorbereitet – Notfallpläne für Krisenszenarien fehlen" so eine Schlagzeile zum aktuellen Rechnungshofbericht "Lebensmittel – Versorgungssicherheit". Der Rechnungshof empfiehlt dringend Maßnahmen zur Vorbereitung auf Krisenfälle, wie etwa einem Blackout. Und das zu Recht. Denn die Folgen eines überregionalen und länger andauernden Stromausfalls würden sofort alle Produktions- und Logistikbereiche betreffen und langwierige Wiederanlaufprobleme verursachen, was leider noch häufig unterschätzt wird. Besonders beeinträchtigt wäre die Grundversorgung der Bevölkerung mit lebensnotwendigen Gütern und Dienstleistungen.
Die österreichische Lebensmittelwirtschaft beschäftigt sich mittlerweile intensiv mit den möglichen Auswirkungen eines überregionalen und länger andauernden Stromausfalls ('Blackout') bzw. einer möglichen Strommangellage (welche wir im nächsten Newsletter behandeln werden). Viele Unternehmen sehen sich mittlerweile recht gut aufgestellt, um die zu erwartenden Schäden zumindest zu verringern und ihren Betrieb sicher herunterfahren zu können. Klar ist aber auch, dass es erhebliche Schwierigkeiten geben wird, die gesamte Produktion und Logistik wieder hochzufahren, was vielen Kunden, Lieferanten, Logistikpartnern oder Behörden bisher nicht in vollem Umfang bewusst zu sein scheint.
Warnung und Information der Öffentlichkeit
Ein großes Problem ist nach wie vor die Unsicherheit, wie lange es dauern wird, bis ein großflächiger Stromausfall von offizieller Seite bestätigt und der Öffentlichkeit mitgeteilt wird. Dabei zählt jede Minute, um unnötige Schäden zu begrenzen. Es ist daher dringend erforderlich, dass hier Klarheit seitens der geschaffen und eine zeitnahe Information der Öffentlichkeit vorgesehen wird. Unnötige Verzögerungen und damit Schäden haben in jedem Fall negative Auswirkungen auf die Wiederanlaufzeiten bei der Versorgung der Bevölkerung mit lebenswichtigen Gütern auswirken.
Auch die Frage, wie ein schneller und geordneter Wiederanlauf gelingen und wie in der Krise alles koordiniert werden kann, beschäftigt viele. Denn der zu erwartende hohe Kommunikations- und Koordinationsaufwand bei eingeschränkten Kommunikationsmitteln wird nach einem solchen Ereignis ohne entsprechende Vorbereitungen, Abstimmungen und Übungen kaum in angemessener Zeit zu bewältigen sein. Daher sind jetzt Abstimmungen und möglichst einfache Ablaufpläne so wichtig. Denn in einer solch schwerwiegenden Krise zählt nur das Einfache.
Nutzbarmachung von Ressourcen
In den ersten Tagen nach Beginn des Stromausfalls ist mit großen Mengen an Lebensmitteln zu rechnen, die dringend verbraucht werden müssen, da sie ansonsten je nach Jahreszeit rasch zu einem Entsorgungs- und damit Gesundheitsproblem führen werden.
Daher sind hier vor allem die Gemeinden gefordert, diese Abstimmungen und Koordinierungen zwischen den unterschiedlichen Akteuren zu initiieren und zu koordinieren. Dabei sind Gasthäuser oder Großküchen zu beteiligen, die größere Mengen an Lebensmitteln (beispielsweise aufgetaute Kühlware) verkochen können, die sie entweder selbst eingelagert hatten oder nun aus der Bevölkerung zum Verarbeiten bekommen, um sie vor dem Verderben zu bewahren. Schließlich fehlt jede ungenutzte Ressource später und erschwert die Krisenbewältigung.
Es kann daher nicht oft genug betont werden: In vielen Regionen, in denen der Stromausfall nicht über mehrere Tage andauert, ist nicht die Zeit des Stromausfalls das wirkliche Problem, sondern die Zeit danach, wenn zwar wieder gekocht werden kann, Lebensmittel jedoch immer noch knapp sein werden! Durch die gemeinsame Nutzung und Verteilung von Ressourcen, die andernfalls verderben und entsorgt werden müssten, kann die Zeit bis zur Wiederaufnahme der Versorgung besser überbrückt und eine mögliche Eskalation hinausgezögert werden.
Kühlketten
Ein besonderes Problem stellt nach einem solchen Ereignis die gesamte Kühlkette dar. Besonders im Lebensmittelhandel und bei den Zulieferern ist mit erheblichen technischen Störungen zu rechnen. Bereits nach drei bis vier Stunden Stromausfall werden viele Kühlmöbel zum Wartungsfall und müssen von Servicepersonal wieder in Betrieb genommen werden. Dies wird aufgrund des sehr hohen Gleichzeitigkeitsfaktors sicher einige Zeit in Anspruch nehmen und vermutlich dazu führen, dass kühlpflichtige Waren in den ersten Wochen nach dem Stromausfall nur sehr eingeschränkt verfügbar sein werden.
Entsorgung
Vor diesem Hintergrund stellt die ganze Entsorgung eine enorme Herausforderung dar. Der österreichische Lebensmittelhandel hält täglich rund 200.000 Tonnen Frischware in den Supermärkten bereit, die im schlimmsten Fall entsorgt werden müssen, wenn sie nicht rechtzeitig ausgeliefert werden können oder dürfen. Eine andere Schätzung geht von bis zu 30.000 LKW-Ladungen an verderblicher Ware aus, die möglicherweise entsorgt werden müssen. Das wäre die dreifache Menge dessen, was sonst in einem ganzen Jahr entsorgt wird. Das sind völlig unvorstellbare Dimensionen.
Natürlich ist nicht davon auszugehen, dass alles entsorgt werden muss, schon gar nicht, wenn entsprechende Vorkehrungen getroffen wurden. Die anfallenden Mengen werden dennoch deutlich über dem liegen, was wir heute mit den bestehenden Strukturen und Qualitätsanforderungen ordnungsgemäß entsorgen können. So ist etwa auch damit zu rechnen, dass es durch größere Ausfälle in der Tierhaltung zu einer Überlastung aller verfügbaren Entsorgungs- bzw. Verwertungsketten kommen wird.
Je nach Jahreszeit und Temperatur werden bereits nach wenigen Tagen katastrophale Zustände drohen, die dann schnell zu einer ernsten Gesundheitskrise führen könnten. Dieses Aufkommen kann auch nicht einfach zwischengelagert werden, da bei tierischen Abfällen sofort Zersetzungsprozesse einsetzen, die eine Weiterverarbeitung unmöglich machen. Es bleibt dann nur die Möglichkeit der Vernichtung, d.h. der Verbrennung, wofür jedoch die erforderlichen Kapazitäten fehlen. Die Wiederaufnahme der Versorgung hängt jedoch häufig von funktionierenden Entsorgungsketten ab.
Sicherheitslage
Für den Wiederanlauf einer Notversorgung spielt auch die Sicherheitslage eine wichtige Rolle. Diese wird sich absehbar mit jedem Tag des Stillstands verschlechtern. Insbesondere dann, wenn keine funktionierenden Strukturen erkennbar sind, was ohne entsprechende Vorbereitung kaum zu erwarten ist. Erschwerend kommt hinzu, dass die Bevölkerung bekanntermaßen allgemein schlecht vorbereitet ist, sodass auch mit Übergriffen auf Versorgungseinrichtungen wie Supermärkte zu rechnen ist. Sind Verkaufseinrichtungen erst einmal zerstört, wird die Wiederaufnahme der Versorgung noch länger dauern, wodurch die Sicherheitslage sich weiter verschärfen dürfte.
All dies wäre nicht notwendig, würden wir uns intensiver mit dem Thema Vorsorge beschäftigen. Hier sind auch die Kommunen gefordert, aktiv zu werden und die Koordination zu übernehmen. Denn solche Vorbereitungen können nur auf kommunaler Ebene gemeinsam mit den verschiedenen Akteuren getroffen werden.
Zahlungssysteme
Ein weiteres gravierendes Problem wird wohl absehbar bei den Zahlungssystemen auftreten, wobei es nicht nur um den Zahlungsverkehr direkt mit dem Kunden an der Kasse geht. Auch bei der Abrechnung, in der Produktion oder Logistik könnten erhebliche Probleme auftreten. Dennoch muss es gelingen, möglichst rasch und unbürokratisch eine Notversorgung wiederherzustellen. Andernfalls ist mit ganz anderen Herausforderungen zu rechnen.
Notproduktion und Notversorgung
Viele österreichische Betriebe haben mittlerweile einen Notproduktionsplan erstellt, um mit den vor Ort verfügbaren Rohstoffressourcen möglichst rasch nach dem Stromausfall eine Notproduktion wieder aufnehmen zu können. Dabei handelt es sich um einfache Produkte oder Lagerware, mit denen möglichst rasch zur Notversorgung der Bevölkerung beigetragen werden kann.
Dies kann aber keinesfalls die individuelle Eigenvorsorge ersetzen. Zudem ist auch nach dem Wiederanlauf mit erheblichen Schwierigkeiten zu rechnen, wenn etwa neue Rohstoffe nicht geliefert werden können. Daher ist es so entscheidend, dass bereits jetzt entsprechende Rationierungsmaßnahmen vorbereitet und auch kommuniziert werden, damit sich alle darauf einstellen und vorsorgen können.
Logistik
Zentrales Bindeglied zwischen allen Bereichen ist die Logistik und damit oft externe Dienstleister. Auch hier werden schnell vielschichtige Probleme auftauchen: Welche Informationen und Anweisungen haben die LKW-Fahrer? Wie sollen sich diese bei einem Blackout verhalten? Können die Waren noch angenommen werden? Wie kommen die Fahrer nach Hause zu ihren Familien? Haben sie genügend Treibstoff im Tank?
Können diese und andere Fragen nicht zufriedenstellend beantwortet werden, drohen schnell weitere Probleme, die den Wiederanlauf zusätzlich verzögern könnten. Ohne Logistik gibt es keinen geordneten Wiederanlauf und dazu gehört auch die Treibstoffversorgung, die nach einem Stromausfall so lange rationiert werden muss, bis die Treibstofflogistik wieder ausreichend funktioniert. Ein Zahnrad greift ins andere und eine Kette ist nur so stark wie ihr schwächstes Glied.
Telekommunikation und IT-Systeme
Zentrales Bindeglied zwischen allen Bereichen sind die Telekommunikationsversorgung und die IT-Systeme, die für eine permanente Synchronisation unverzichtbar sind. Nicht zu vergessen sind beispielsweise die Gebäudeleittechnik oder die Prozessleitsysteme in der Produktion. In all diesen Bereichen ist bei einem großflächigen Stromausfall mit erheblichen Schäden und Störungen zu rechnen. Ohne sie funktionieren aber weder ein Zahlungs- noch Bestell- oder Liefersysteme, meist auch nicht die Treibstoffversorgung, noch nicht einmal die Entsorgung kann organisiert werden. Von den innerbetrieblichen Problemen bei Ausfall der eigenen Systeme ganz zu schweigen.
Unterschätzte Wiederanlaufschwierigkeiten
Wie alle bisherigen Diskussionen mit der Lebensmittelindustrie zum Thema Blackout-Vorsorge gezeigt haben, wurden - wie in allen anderen Bereichen auch - die zu erwartenden Wiederanlaufschwierigkeiten aufgrund der hier dargestellten komplexen Interdependenzen bisher häufig unterschätzt.
Der enorme Koordinationsaufwand zwischen den unterschiedlichsten Akteuren kann nur durch entsprechende Vorsorge, geplante Rationierungsmaßnahmen und ein koordiniertes und abgestimmtes Vorgehen gelingen. Dies erfordert jedoch nach wie vor eine begleitende, klare Sicherheitskommunikation in Richtung Öffentlichkeit, um die vielen falschen Erwartungen auszuräumen. Während bei der Coronapandemie noch viele Ad-hoc-Verfahren möglich waren, wird diese Handlungsalternative bei einem möglichen Blackout nicht zu Lösungen führen.
Eigenversorgung der Bevölkerung
Daraus lässt sich einmal mehr ableiten, dass eine schwere Versorgungskrise wie nach einem möglichen Blackout nur bewältigt werden kann, wenn auch die Bevölkerung entsprechend vorbereitet ist. Dieser Puffer ist durch nichts zu ersetzen und beginnt bei den eigenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Wenn diese sich nicht ausreichend selbst vorgesorgt haben, werden sie nicht zur Arbeit kommen, um die Systeme und Produktion wieder hochzufahren. Ein Teufelskreis, der nur schwer zu durchbrechen ist.
Eine 14-tägige Selbstversorgungsfähigkeit möglichst vieler Menschen ist daher die zentrale Voraussetzung, um Produktions- und Logistikprozesse überhaupt schnell genug wieder hochfahren zu können und eine katastrophale Versorgungskrise zu vermeiden. Vorsorge ist relativ einfach und kostengünstig. Trotzdem wird diese wegen mangelhafter Sicherheitskommunikation noch viel zu oft zu wenig ernst genommen. Leider werden die Folgen eines möglichen Blackouts noch zu oft heruntergespielt und auf die Zeit des Stromausfalls reduziert. Ein gefährlicher Selbstbetrug.
Zusammenfassung
Die aufgezeigten Probleme und Abhängigkeiten stellen nur einen kleinen Ausschnitt aus einer Vielzahl von Zusammenhängen dar, die oft nicht ausreichend berücksichtigt werden. Ein großes Problem beim Wiederanlauf wird der extrem hohe Gleichzeitigkeitsfaktor werden. Dies gilt sowohl für fehlende Ersatzteile als auch bei der unzureichenden Verfügbarkeit von Dienstleistern. Der Wiederanlauf wird daher deutlich länger dauern, als viele Akteure heute erwarten.
Die notwendige Sicherheitskommunikation und Aufklärung müssen daher breiter angelegt und kontinuierlich erfolgen. Sie sind nicht nur Aufgabe staatlicher Stellen, sondern auch jeder Führungskraft für ihre Mitarbeiter. Mit einzelnen, kurzlebigen Aktionen werden viel zu wenige Menschen erreicht. Die Frage ist, ob wir noch rechtzeitig aktiv werden oder ob wir das Problem weiterhin auf die lange Bank schieben wollen, bis uns die Realität einholt. Gerade die letzten Jahre sollten uns gelehrt haben, dass große und schwere Überraschungen möglich sind und auch gehäuft auftreten. Lassen Sie uns deshalb gemeinsam daran arbeiten, so schnell wie möglich krisenfit zu werden!
Autor
Herbert Saurugg ist internationaler Blackout- und Krisenvorsorgeexperte, Präsident der Gesellschaft für Krisenvorsorge (GfKV), Autor zahlreicher Fachpublikationen sowie gefragter Keynote-Speaker. Er beschäftigt sich seit über 10 Jahren mit den Entwicklungen im europäischen Stromversorgungssystem und den möglichen Folgen eines Blackouts.
Die Gesellschaft für Krisenvorsorge betreibt die beiden Initiativen «Mach mit! Österreich wird krisenfit!» und «Schritt-für Schritt krisenfit».