Wenn in diesen Tagen vom Ende der Liquiditätshausse die Rede ist, denkt jeder an die USA. Dort hat die Federal Reserve bekannt gegeben, dass sie die Wertpapierkäufe auf den Kapitalmärkten verringern wird. Offen ist nur, wann damit begonnen wird und in welchem Ausmaß es geschieht. Das hat die Märkte erheblich verunsichert und die Bond-Renditen nach oben getrieben. Derzeit kauft die Federal Reserve pro Monat noch für 85 Mrd. US-Dollar Wertpapiere.
Es gibt aber noch eine andere Baustelle in diesem Zusammenhang. Das ist die Verringerung der Geldmenge in Euroland. Hier geht es nicht nur um Absichtserklärungen, sondern bereits um Fakten. Zudem sind die Beträge viel höher.
Seit Mitte des letzten Jahres ist die Bilanzsumme der Europäischen Zentralbank um insgesamt 500 Mrd. Euro zurückgegangen. Die Grafik zeigt, dass sie sich inzwischen wieder auf dem Trend-Niveau der letzten Jahre befindet. Der monetäre Überhang ist weg. Es ist zu vermuten, dass sich die Bilanzsumme in den nächsten Monaten noch weiter verringern wird. Derzeit haben die Banken noch 220 Mrd. Euro Überschussreserven, die nicht gebraucht werden. Die Basisgeldmenge, die sich aus der Bilanzsumme ableitet, war im Mai 23 Prozent niedriger als vor einem Jahr.
Gesamtwirtschaftlich gesehen ist das eine positive Entwicklung. Es zeigt, dass die Geldflut zurückgeht und sich die monetären Bedingungen zu normalisieren beginnen. Damit nehmen die Inflationssorgen ab. Freilich sind wir von normalen Verhältnissen noch weit entfernt, wie sich an den extrem niedrigen Zinsen zeigt. Für die Märkte ist es dagegen eher problematisch. Es bedeutet, dass ihnen die Liquiditätsdroge entzogen wird.
Der Liquiditätsüberhang ist weg: Bilanzsumme der EZB in Mio. Euro [Quelle: EZB]
Warum haben sie darauf – anders als in den USA – bisher so gelassen reagiert? Fünf Gründe.
Erstens ist der Zusammenhang zwischen der Geldmenge und Aktienkursen nicht so eng. Für die Märkte kommt es auf das gesamte monetäre Umfeld an, nicht auf jede einzelne Bewegung der Liquidität.
Dazu ist wichtig – zweitens –, dass der Rückgang der Liquidität keine restriktive geldpolitische Maßnahme ist. Er ist Resultat einer Marktentwicklung. Die Banken zahlen Kredite an die EZB zurück, die sie im Rahmen der Longer Term Refinancing Operation (LTRO) Ende 2011/Anfang 2012 aufgenommen hatten. Die Notenbank hat an der Rückzahlung kein Interesse. Ich vermute sogar, es wäre ihr lieber, wenn die Banken die Gelder behalten und sie für zusätzliche Kredite (vielleicht auch Wertpapierkäufe) verwenden würden.
Drittens wissen die Märkte, dass die Europäische Zentralbank bisher in keiner Weise an eine Restriktion der Geldpolitik denkt. Dafür gibt es angesichts der niedrigen Preissteigerungsraten, der schlechten Konjunktur und der schwierigen Lage in den Peripherieländern auch keinen Anlass.
Viertens hat die EZB gerade Anfang Mai ihren Leitzins noch einmal auf nun 0,5 Prozent heruntergenommen. Sie hat angedeutet, dass sie zu weiteren Lockerungen bereit ist, wenn sich die Konjunktur verschlechtern sollte. Möglicherweise wird der Zins für die Einlagenfazilität auf unter Null gesenkt.
Damit würden die Banken noch mehr gedrängt, keine Gelder bei der EZB zu parken. Allerdings liegen in der Einlagenfazilität derzeit nur noch rund 100 Mrd. Euro. Das könnten die Banken schnell auf ihre normalen EZB-Konten umleiten.
Fünftens hat die Notenbank zugesagt, dass die Banken mindestens bis Mitte nächsten Jahres bei den regelmäßigen Repo-Geschäften so viel Geld bekommen würden, wie sie möchten. Die Tender werden voll zugeteilt (Full Allotment Policy). Wenn sie rentable Geschäfte sehen (auch auf den Kapitalmärkten), werden diese nicht an Geldmangel scheitern.
Mit diesen Maßnahmen ist es der EZB gelungen, den negativen Effekt der Verringerung der Liquidität bis zu einem gewissen Grad aufzufangen. Ganz wird das aber nicht reichen. Zum einen stößt die Zinssenkung inzwischen an Grenzen. Sie belastet die Kredit- und Versicherungswirtschaft mehr als sie der Industrie durch niedrigere Finanzierungskosten nutzt.
Zudem ist Liquidität nicht gleich Liquidität. Bisher bestand die Liquidität der Banken vor allem in Geld auf dem Konto der EZB. Das konnten sie jederzeit disponieren. Es gab sogar einen Druck, das Geld zu verwenden, denn die Banken mussten dafür Zinsen zahlen. In Zukunft heißt Liquidität nur noch, dass die Banken bei den Tendern bieten können und jeweils volle Zuteilung erhalten. Das ist ein Unterschied. Die Banken können nicht mehr so schnell agieren. Zudem haben sie das Geld jeweils nur für die Laufzeit des Tenders. Die Liquidität ist nicht mehr so liquide.
Autor: Dr. Martin W. Hüfner, Chief Economist, Assenagon Asset Management S.A.
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Die Rosskurpolitik für Euro-Krisenländer stößt nach dem Fehlereingeständnis des Internationalen Währungsfonds auf wachsende Ablehnung bei den deutschen Parteien. Gleichzeitig wehrt sich die EU-Kommission gegen die Seitenhiebe des IWF, sie sei bei der Griechenlandrettung unfähig gewesen.
In Deutschland kommen sowohl aus den Reihen von Grünen und SPD Forderungen nach einer Neuausrichtung der Hilfspolitik. SPD-Chefhaushälter Carsten Schneider prophezeit, dass die Hilfsgelder für Griechenland nicht ausreichen werden und verlangte von Finanzminister Wolfgang Schäuble, dies öffentlich anzuerkennen. "Es ist offensichtlich, dass das Programm für Griechenland angesichts der wirtschaftlichen Entwicklung und der hohen Arbeitslosigkeit nicht nachhaltig finanziert ist", sagte Schneider. Hinzu komme, dass es eine schon heute bekannte Finanzierungslücke von mehr als 50 Milliarden Euro nach dem Ende des Hilfsprogramms ab 2015 gebe.
Der Grünen-Finanzexperte Gerhard Schick forderte die Bundesregierung auf, sich den IWF zum Vorbild zu nehmen. "Denn auch hier wäre eine solche kritische Aufarbeitung und Analyse begangener Fehler seit Ausbruch der Krise dringend nötig", sagte Schick Handelsblatt Online. "Vor allem muss jetzt die Krisenpolitik in den anderen Programmländern einer umfassenden Fehleranalyse und ehrlichen Bestandsaufnahme unterworfen werden", forderte Schick.
Der IWF hatte in einem Bericht eingestanden, sich bei den Verhandlungen über Milliarden-Nothilfen für Griechenland zwei grobe Patzer erlaubt zu haben. So wurden die rigiden Sparvorgaben und ihre enormen Folgen für die Wirtschaft des südeuropäischen Eurolands falsch eingeschätzt. Außerdem räumt der Fonds ein, bei der Einschätzung der Schuldentragfähigkeit seine eigene Regeln gebeugt zu haben. Griechenland befindet sich im sechsten Jahr der Rezession.
Die EU-Kommission hat den IWF-Bericht zu den schweren Fehlern bei der Griechenland-Rettung vehement zurückgewiesen. "Wir sind grundlegend anderer Meinung", sagte Simon O-Connor, Sprecher von Wirtschaftskommissar Rehn vor Journalisten. So hätte anders als in dem IWF-Bericht festgestellt, der Schuldenschnitt nicht schon 2010 statt erst im Mai 2012 erfolgen können. "Der Bericht ignoriert die integrierte Natur der Eurozone-Staaten", sagte Rehns Sprecher.
Auch die Kritik der IWF-Experten, die Kommission habe sich zu wenig um wachstumsfördernde Strukturreformen in Griechenland gekümmert, bezeichnete O'Connor als "völlig falsch und unbegründet". Er verwies zudem darauf, dass die Troika - Vertreter der Kommission, der EZB und des IWF - unter "außergewöhnlichen" Umständen ihre Arbeit aufgenommen haben und sich im Nachhinein immer sagen lasse, was hätte besser laufen können. Als Beweis für die Berechtigung der von der EU-Kommission auferlegten Reformen und Sparzwänge führte Rehns Sprecher an, dass das Land es trotz der enormen Risiken geschafft habe, im Euroraum zu bleiben.
Der griechische Ministerpräsident Antonis Samaras kommentiert das Schuldeingeständnis aus Washington mit Genugtuung. Er habe seit Jahren auf die nun eingestandenen Fehler hingewiesen. "Wenn Sie diesen Bericht lesen, werden Sie sich vielleicht erinnern, was ich seit Jahren sage. Wir korrigieren diese Fehler seit dem vergangenen Jahr", sagte Samaras nach einem Treffen mit seinem finnischen Amtskollegen Jyrki Katainanen in Helsinki.