Das größte Ärgernis der Anleger sind heute die niedrigen Zinsen. Für Spareinlagen gibt es inzwischen fast gar nichts mehr. Für Bundesanleihen mit einer Laufzeit von zehn Jahren erhält der Investor gerade einmal 0,5 Prozent pro Jahr. Unter solchen Umständen ist es für den Normalbürger fast unmöglich, ausreichend für das Alter vorzusorgen, geschweige denn sich im Laufe seines Lebens ein kleines Vermögen aufzubauen. Selbst konservative Anleger werden in höhere Risiken gedrängt, die sie gar nicht haben wollen.
Der Wunsch ist daher groß, wieder zu vernünftigen Zinsen für langfristige Anlagen zu kommen. Die meisten denken hier an die Zentralbanken. Sie sollten wieder auf einen vernünftigen Kurs zurückkehren. Das ist aber nicht richtig.
Das liegt an einem Phänomen, das häufig übersehen wird: In den letzten drei, vier Jahren sind nicht nur die Zinsen stark gesunken. Es ist auch die Preissteigerung zurückgegangen. Real, das heißt nach Abzug der Inflation, hat sich die Situation des Sparers also gar nicht verschlechtert.
Schauen Sie sich die Grafik an. Mitte 2011 lagen die Renditen öffentlicher Anleihen in Deutschland bei über zwei Prozent. Das war noch akzeptabel. Das Problem damals war, dass die Preissteigerung ebenfalls zwei Prozent ausmachte. Niemand beschwerte sich in jener Zeit über die niedrigen Zinsen. Die Menschen waren vielmehr besorgt über die hohe Geldentwertung. Zieht man den Geldschleier ab, war die Situation nicht besser als heute.
Zinsen und Inflation: Rendite öffentlicher Anleihen (10-jährig) und Preissteigerung, Deutschland [Quelle: Bundesbank]
Man muss sich die Situation mit den niedrigen Zinsen also genau anschauen. Vieles, was gerne als Betrug am Anleger denunziert wird, ist in Wahrheit nur eine optische Täuschung. Der Ökonom spricht von Geldillusion. Mir persönlich sind niedrigere Zinsen ohne oder mit nur geringer Geldentwertung lieber als höhere Zinsen mit mehr Inflation.
Wenn man fragt, was die Zentralbanken tun können, um die Situation zu verbessern, so muss man zwischen zwei Fällen unterscheiden. Das eine sind Zinserhöhungen im Zusammenhang mit wieder zunehmender Inflation. Hier ist die Situation klar. In den Vereinigten Staaten ist damit schon in diesem Jahr zu rechnen. Die amerikanische Notenbank hat angekündigt, dass sie die Leitzinsen anheben wird. In Europa wird sich das wegen der Reform- und Konsolidierungsnotwendigkeiten in einigen Ländern noch länger hinziehen. Es ist aber absehbar, dass die EZB ihre Politik umstellen wird, sobald sich die Inflationsrate wieder in Richtung auf das Ziel von "nahe aber unter zwei Prozent" bewegt. Optisch sieht das für den Sparer dann besser aus. Tatsächlich wird sich aber nicht viel verändern, eben weil auch die Geldentwertung höher ist.
Der zweite Fall sind Zinserhöhungen, bei denen sich die Situation des Sparers auch real verbessert. Er ist nicht so leicht zu beantworten. Hier geht es um die Realzinsen, also die Differenz zwischen Nominalrenditen und Geldentwertung. Die Grafik zeigt, dass diese Differenz durchaus höher sein kann als heute. In den 80er und 90er Jahren lag sie im Schnitt bei 4,5 Prozent p. a. (es gab sogar Zeiten, in denen sie auf sechs Prozent bis sieben Prozent anstieg). In der ersten Dekade des neuen Jahrhunderts betrug sie im Schnitt 2,5 Prozent.
Solche Verhältnisse sind meilenweit von den heutigen Gegebenheiten entfernt. Seit der Finanzkrise 2008 betrug der Realzins in Deutschland im Schnitt nur noch rund ein Prozent p. a. Heute sind es kaum mehr als Null. Das ist kein Zufall. Nach der ökonomischen Theorie liegt der Realzins auf lange Sicht immer in etwa auf der Höhe des realen Wirtschaftswachstums. In den 80er und 90er Jahren wuchs die deutsche Wirtschaft zeitweise um vier Prozent bis fünf Prozent pro Jahr. Dazu passte der damalige Realzins. Inzwischen ist die langfristig erzielbare Wachstumsrate auf rund ein Prozent zurückgefallen. Da kann natürlich auch der Realzins nicht mehr so hoch sein.
Wer höhere Zinsen haben will, sollte in diesem Fall nicht auf die Notenbanken schielen. Entscheidend für Besserung der Situation der Sparer ist, dass sich die realen Verhältnisse bessern. Das Wirtschaftswachstum muss steigen. Das aber ist sehr schwer zu erreichen. Dagegen sprechen nicht nur die objektiven Verhältnisse, zum Beispiel die Alterung der Bevölkerung oder der Rückgang der Investitionen. Hinzu kommt, dass die Wirtschaftspolitik der Verteilung der Wirtschaftsleistung heute eine größere Bedeutung zumisst als der Schaffung des Sozialprodukts. Auch in der Öffentlichkeit wird das Ziel eines höheren Wachstums zugunsten von Nachhaltigkeitszielen immer häufiger relativiert. Das kann man machen. Man muss sich aber der Konsequenzen für die Sparer und die Zinsen bewusst sein.
Ohne mehr Wirtschaftswachstum kann sich die Situation des Sparers zwar optisch verbessern, indem die Nominalzinsen steigen. Eine wirkliche Besserung wird es nur geben, wenn es wieder mehr Wachstum gibt. Das kann die Zentralbank aber nicht bewirken.
Autor:
Dr. Martin W. Hüfner, Chief Economist, Assenagon Asset Management S.A.
Kommentare zu diesem Beitrag
Die niedrige Inflation von zuletzt 0,20 Prozent sorgt – genau wie in Ihrem Artikel für Anleihen beschrieben – auch beim Tagesgeld dafür, dass trotz niedriger Zinsen die Realrendite aktuell so hoch ist wie seit Jahren nicht mehr. Unsere unter www.tagesgeldvergleich.net/statistiken/realrendite-von-tagesgeld.html veröffentlichten Statistiken zur Realrendite bei Tagesgeld zeigen, dass diese im Dezember aufgrund der niedrigen Inflationsrate erstmals seit 29 Monaten wieder positiv war (0,20 Prozent Inflation, 0,54 Prozent Zinsen aufs Tagesgeld ergeben 0,32 Prozent Realrendite). Nimmt man die Tagesgeldzinsen der jeweils fünf besten Angebote als Benchmark, kommt man auf ein ganz anderes Ergebnis: diese lagen im gesamten Jahr 2014 im positiven Bereich. Bei durchschnittlich 1,40 Prozent, die sich mit den fünf besten der 121 von uns verglichenen Banken im Dezember 2014 erzielen ließen, bleibt nach Abzug der Inflation eine positive Realrendite von 1,20 Prozent.
Das lässt für Sparer nur einen Schluss zu: Gerade in Niedrigzinsphasen wie der, die aktuell vorherrscht, sollten regelmäßig alle Marktangebote verglichen und gegebenenfalls das Sparkonto zu einem höher verzinsten Angebot gewechselt werden. Das dürfte 2015 angesichts der vorherrschenden Niedrigzinsen wichtiger denn je sein.
Sparer sollten sich unserer Meinung nach darüber hinaus bewusst machen, dass Tagesgeld oder Sparkonten keine echte Geldanlage sind, sondern als Liquiditätsreserve dienen sollten. Das versuchen wir auch unseren Lesern zu vermitteln, indem wir empfehlen, maximal drei bis sechs Nettomonatseinkommen in täglich oder kurzfristig verfügbaren Spareinlagen vorzuhalten. So lässt es sich vermeiden, bei Liquiditätsbedarf zum dann meist ungünstigsten Zeitpunkt auf das in längerfristigen Anlageformen wie Aktien oder Fonds angelegte Geld zurückgreifen zu müssen.
Unter www.tagesgeldvergleich.net/veroeffentlichungen/negative-zinsen.html haben wir einen Ratgeber online gestellt, in dessen Rahmen wir einen Fachanwalt für Bank- und Versicherungsrecht um seine Einschätzung zum Thema Negativzinsen gebeten haben. Die eindeutige Aussage unseres Experten: Negativzinsen auf bestehende Einlagen von Kleinsparern sind rechtlich gar nicht zulässig, da es sich gemäß § 488 BGB um Darlehen handelt.
Interessant ist weiterhin, dass das auf Bargeld und Bankeinlagen verteilte Geldvermögen der Deutschen trotz Niedrigzinsen um rund 2.500 Euro pro Sekunde wächst. Wir haben zur Visualisierung dieses Wachstums auf www.tagesgeldvergleich.net/statistiken/geldvermoegen.html eine Vermögensuhr entwickelt, die das Wachstum des Geldvermögens der Deutschen pro Sekunde - aufgeteilt auf die einzelnen Anlageformen – anzeigt. Nach unseren Daten sind es übrigens nur noch rund 62 Tage, bis das in Form von Bargeld und Einlagen bei Banken vorhandene Geldvermögen deutscher Sparer erstmals mehr als zwei Billionen Euro betragen wird.
Bezüglich des Zinsniveaus zeigt sich seit Januar 2014 ein konstanter Abstand zwischen Leitzinsniveau und den durchschnittlichen Tagesgeldzinsen. Daher kommen wir in unserer unter www.tagesgeldvergleich.net/veroeffentlichungen/prognosen-zur-zinsentwicklung-2015.html veröffentlichten Zinsprognose zu dem Schluss, dass der Boden bei den Sparzinsen langsam erreicht zu sein scheint. Der Wettbewerb der Banken untereinander sorgt dafür, dass seit Monaten jeder Zinssenkung eine Zinserhöhung eines anderen Instituts entgegensteht.
Darüber hinaus reagieren die Sparzinsen immer unelastischer auf die letzten Leitzinssenkungen. So führte etwa Senkung des Leitzinses von 1,00 auf 0,75 Prozent im Juli 2012 noch zu einem Rückgang bei den Sparzinsen um 22,91 Prozent. Die letzte Leitzinssenkung vom September 2014 bewirkte drei Monate später nur noch ein Absinken der Sparzinsen um 1,82 Prozent.