Immer mehr Unternehmen erkennen, das letztlich der Unternehmenserfolg maßgeblich davon abhängt, dass Risiken und Chancen professionell gemanagt werden. Das Management von Risiken bedeutet jedoch mehr als eine klassische vergangenheitsorientierte Risikobuchhaltung. Um die Fähigkeit von Unternehmen weiterzuentwickeln, mit Risiken umzugehen, muss vor allem der Qualifikation der Mitarbeiter hinsichtlich des Risikomanagements mehr Aufmerksamkeit entgegengebracht werden.
Das Berufsbild eines Risikomanagers ist anspruchsvoll – dies wird leider viel zu häufig vergessen. Es gibt kein homogenes Berufsbild für den Risikomanager. So findet man bei Banken und Versicherungen quantitative Architekten, die Risikomanagement-Methoden, Scoring-/Ratingmodelle und stochastische Bewertungsmethoden entwickeln. Bei den großen Konzernen wird man auch Zukunftsforscher finden, die – im Kontext einer strategischen Frühaufklärung – durch das Erkennen und die Analyse von schwachen Signalen im Umfeld eines Unternehmens Diskontinuitäten, technologische Trends und Veränderungen im Marktumfeld erkennen sollen. Betriebswirte, Volkswirte und Absolventen anderer Fachrichtungen sind vor allem bei der qualitativen Umsetzung des Risikomanagements gefragt.
Basierend auf der Vielfalt des Themas sind die gesuchten Kompetenzen vielfältig. Der Risikomanager muss zunächst einmal vor allem die Geschäftsprozesse und ein Unternehmen aus einer "Helikopter-Perspektive" verstehen – also eher Generalist und weniger ein "Schubladendenker" sein. Neben ausgeprägten fachlichen Kompetenzen (etwa im Bereich der stochastischen Modellierung oder der Analyse von makroökonomischen Trends) sollten Risikomanager vor allem ausgeprägte soziale, analytische und kommunikative Fähigkeiten mitbringen. In diesem Kontext ist auch ein "dickes Fell" vorteilhaft, da Risikomanagement nicht selten Entscheidungen konterkariert, die beispielsweise der Vertrieb favorisiert. Risikomanager müssen immer wieder darauf hinweisen, dass die Risikomedaille zwei Seiten hat: die negative Gefahrenseite und die positive Chancenseite.
Doch welche Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten stehen dem Risikomanager zur Auswahl? Die RiskNET-Redaktion sprach mit Christoph Schwager, Chief Risk Officer bei der EADS N. V. und Mitglied des Vorstands der Risk Management Association und Andreas Kempf, Leiter der Konzernfunktion Revision und Risikomanagement der ZEISS Gruppe, über Ihre Einschätzungen.
RiskNET: Was zeichnet das Berufsbild des Risikomanagers aus und gibt es einen Unterschied zum Risikocontroller?
Christoph Schwager: Der Risikocontroller als Teil der Finanzorganisation hat die finanziellen Aspekte von Risiken im Fokus. Er schaut im wesentlichen auf die Einhaltung der Finanzziele sowie darauf, dass nur Risiken im festgelegten finanziellen Risikoappetit eingegangen werden. Der Risikomanager dagegen kümmert sich hauptsächlich um die Dynamik im Risikomanagement: Bei noch einzugehenden Risiken muss er überwachen, dass diese strategisch und operativ ins Gesamtbild passen. Bei solchen, die schon eingegangen sind, muss er sicherstellen, dass diese wirkungsvoll reduziert und nicht vergessen werden.
Andreas Kempf: Beim Umgang mit Risiken kommt es meiner Meinung nach weniger auf die Funktionsbezeichnung an. Wichtiger sind unter anderem der kompetente Umgang mit qualitativen und quantitativen Methoden gepaart mit der Fähigkeit mit unternehmerischer Unsicherheit konstruktiv umzugehen.
RiskNET: Wie sieht die Aus- und Weiterbildungslandkarte im Risikomanagement aktuell aus?
Christoph Schwager: Die Landkarte im Bereich Aus- und Weiterbildung ist sehr heterogen, sowohl was die Ausrichtung, die Qualität als auch die Dauer der Programme angeht. In Deutschland gibt es nur wenige professionelle Anbieter im Industriebereich. Zu diesen zählen unter anderem die Risk Academy des Kompetenzportals RiskNET, das Forschungszentrum Risikomanagement der Uni Würzburg in Zusammenarbeit mit der RMA sowie das Masterprogramm Risiko- und Compliancemanagement der HDU. Daneben haben sich insbesondere Programme für Bank- und Versicherungsrisikomanager etabliert wie bei der Frankfurt School of Finance and Management in Kooperation mit dem Institut für Risikomanagement und Regulierung (FIRM).
Andreas Kempf: Das Weiterbildungsprogramm zum Enterprise Risk Manager hat ein klares Profil, das sicher auf die Zusammenarbeit zwischen der RMA und der Universität Würzburg zurückzuführen ist. Hier wird praxisrelevantes Wissen im akademischen Kontext vermittelt.
RiskNET: Und im Vergleich zu den Nachbarländern und Übersee?
Christoph Schwager: Über Deutschland hinaus gibt es noch viel mehr, insbesondere im angelsächsischen Bereich. Interessant ist zum Beispiel die Harvard Business School mit ihrem Programm "Risk Management for Corporate Leaders" oder das Institute for Risk Management mit seinem umfassenden Ausbildungsprogramm.
RiskNET: Sie beide sind Dozenten im Weiterbildungsprogramm zum Enterprise Risk Manager. Wie können Sie Ihr theoretisches und praktisches Wissen in den Lernprozess einbringen?
Christoph Schwager: Die Schwierigkeit ist zunächst mal, richtiges Verständnis für umfassendes und Mehrwert stiftendes Risikomanagement zu entwickeln. Wichtig ist, den Studierenden zu vermitteln, wie man den gelernten, doch eher trockenen Stoff in der Praxis am besten einsetzt. Dies passiert am Besten durch die Vermittlung an Hand von Beispielen oder Fallstudien.
Andreas Kempf: Als Praktiker sehe ich meine Aufgabe in der anschaulichen Verknüpfung von Theorie und täglicher Praxis. Dies gelingt am besten durch konkrete Beispiele aus dem beruflichen Alltag. Hier lernen die Studierenden nicht nur, wie der Transfer des theoretisch erlernten in die Praxis gelingen kann. Sie haben hier auch die Möglichkeit, eigenen Themen zur Diskussion zu stellen, um auf diese Weise unmittelbar Lösungsansätze zu entwickeln.
RiskNET:In welchen Bereichen und Branchen sehen Sie in puncto Aus- und Weiterbildung Nachholbedarf und warum?
Christoph Schwager: Oft wird leider nur eine Ansammlung von Detailwissen vermittelt. Das ist nicht wirklich zielführend und auch nicht das, was letztlich in der Praxis den Unterschied macht. Oder es werden nur Spezialgebiete des Risikomanagements trainiert wie Finanz-, Versicherungs- oder Projektrisikomanagement. Oft wird beispielsweise die Anwendung quantitativer Methoden gelehrt, ohne zu vermitteln, wie sich dies in den großen Kontext einordnet. Für die Praxis ist dies eher die Kür. Die Pflicht ist, zunächst das große Bild zu malen. Nämlich was holistisches und dynamisches Risikomanagement bedeutet.
Andreas Kempf: Sicherlich hatten die regulatorischen Vorgaben im Bereich von Banken und Versicherungen eine deutliche Auswirkung auf Aus- und Weiterbildung in diesen Branchen. Andere Industrien holen hier nach meiner Wahrnehmung aber auf. Hier leistet das RMA-Weiterbildungsprogramm einen guten Beitrag. Mir gefällt dabei insbesondere der Fokus auf den unternehmerischen Nutzen, der über den rein regulatorische geprägten Blick auf Risiken hinausgeht.
RiskNET: Welchen Beitrag können Unternehmen leisten, um das Thema Risikomanagement stärker auf die Ausbildungsagenda zu schreiben?
Christoph Schwager: Leider ist Risikomanagement nicht etwas, was Menschen so richtig leicht fällt. Es ist schwer, den Fokus zu behalten und immerzu das Augenmerk auf dem frühzeitigen und umfassenden Management von Risiken zu behalten. Dies muss systematisch und nachhaltig geschult werden. Unternehmen können sich einen bedeutenden Wettbewerbsvorteil erarbeiten, wenn sie die Aus- und Fortbildung ihres Personals zu besserem Risikomanagement ernst nehmen und darin investieren.
Andreas Kempf: Der Umgang mit Unsicherheit ist die klassische Herausforderung für jeden Unternehmer. Damit ist Risikomanagement auch automatisch Teil einer guten Unternehmensführung. Deshalb sind Unternehmen gut beraten, sich hiermit systematisch zu befassen. Hierzu gehört nach meiner Meinung auch eine entsprechende Qualifizierung.
RiskNET: Was müssen professionelle Risikomanager aus Ihrer Erfahrung idealtypisch für den Beruf mitbringen?
Christoph Schwager: Ein guter Risikomanager ist ein "Business Generalist" mit unternehmerischem Profil und hoher Kompetenz in Führung, Management und Risikomanagement. Der Umgang mit Risiken erfolgt meist nicht explizit, welches große Schwächen hat und zu Fehleinschätzungen führt. Der Risikomanager soll dies korrigieren. Dazu muss der Risikomanager ein guter Kommunikator und Koordinator, ein flexibler Denker, ein Überzeuger, Integrator und Macher sein. Er muss es anderen leicht machen, Risikomanagement zu betreiben. Dazu benötigt er Durchsetzungsvermögen und Organisationstalent. Der Risikomanager ist ein "Change Agent" für ERM. Ein Risikomanager benötigt starke analytische Fähigkeiten, muss Komplexität reduzieren können und Dinge vereinfachen können. Er muss Informationsquellen einrichten und koordinieren. Er darf kein Ja-Sager sein, sondern muss auch gegen die vorherrschende Meinung Chancen und Risiken neutral ansprechen.
Er benötigt hohe soziale Kompetenz mit ausgeprägten Einfühlungsvermögen für Menschen und Situationen, ein ausgewiesenes Denken in Geschäftsprozessen, Strukturen und vernetzten Abläufen sowie sehr gute Präsentations- und Kommunikationsfähigkeit auf unterschiedlichen Ebenen. Er muss übergeordnet denken können und problemlos mit Führungskräften und Mitarbeitern aller Funktionen arbeiten und sie überzeugen können. Er muss mit der Tatsache klarkommen, in einem politisch sehr sensiblen Bereich des Unternehmens zu arbeiten. Er muss in weitläufigen Netzwerken und interkulturellem Umfeld arbeiten können.
Andreas Kempf: Es ist sicher nicht so, dass man als Risikomanager geboren werden muss. Hier ist viel handwerkliches Wissen gefragt. Das kann man lernen. Die Erfahrung aus einer Tätigkeit in einer operativen Einheit ist aus meiner Sicht sehr hilfreich, da gute Risikomanager nach meiner Wahrnehmung zunächst auch am Unternehmen und dessen dauerhaften Bestand interessiert sind. Zur Absicherung gehört insbesondere die Fähigkeit konkrete Lösungen zu entwickeln und Methoden passend anzuwenden. Welche konkrete Erfahrung der jeweiligen Unternehmung aber wirklich hilft, hängt eindeutig von der Situation und dem Kontext der jeweiligen Firma ab. Hier gibt es keine pauschalen Empfehlungen.
RiskNET: Der Blick in die Kugel: Wo steht das Aus- und Weiterbildungsthema im Risikomanagementumfeld Ihrer Meinung nach in 3 bis 5 Jahren?
Christoph Schwager: Ich hoffe, dass wir bis dahin ein einheitlichere Strukturen bei der Aus- und Weiterbildung haben. Ideal wäre es, wenn diese von der Industrie mitgetragen würden und zusammen mit Forschung und Lehre an Universitäten und Hochschulen weiterentwickelt würden. Ich würde mir wünschen, dass das Thema Risikomanagement eine größere Beachtung vor allem in der Hochschullandschaft finden würde. Bisher sehe ich dies hauptsächlich im Ausland, etwa in Harvard oder in London. Bessere Ausbildung und Standards würden dem Thema gut tun und die Wettbewerbsfähigkeit der heimischen Industrie stärken.
Andreas Kempf: Auch als Risikomanager verfüge ich nicht über die berühmte Kristallkugel, die mir die Zukunft vorhersagt. Ich wünsche mir aber für die Zukunft, dass viele Unternehmen die Vorteile eines systematischen Risikomanagements für eine gute Unternehmensführung erkennen und deshalb noch mehr in die persönliche und fachliche Qualifikation der Mitarbeitenden investiert wird.
Christoph Schwager ist Vorstandsmitglied der Risk Management Association e. V. (RMA) und Chief Risk Officer der EADS, des globalen Aerospace-Riesen.
Sein Ziel ist Wertsteigerung durch dynamisches und ganzheitliches Management von Chancen und Risiken mit dem Fokus auf Risk Management Execution, intelligentem Eingehen von Risiken, Risikokultur und IKS.
Andreas Kempf ist Leiter der Konzernfunktion Revision und Risikomanagement der ZEISS Gruppe.
Seine inhaltlichen Schwerpunkte liegen auf den Themen zeitgemäße Interne Revision, effiziente Kontrollsysteme und unternehmerisches Risikomanagement.
Zuvor war er u. a. in diversen Managementfunktionen in der ZEISS Gruppe tätig. Andreas Kempf erlangte Hochschulabschlüsse als Diplom-Ingenieur (Maschinenbau) und Executive M.B.A. (Unternehmensführung) und ist CRMA beim IIA.
Darüber hinaus ist er u. a. fachlicher Beirat beim Kompetenzportal RiskNET, Jury Mitglied des Audit Innovation Award und Mitglied im Berufsverband Financial Experts Association (FEA).
[Bildquelle oben: iSockPhoto]
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