Jens Schmidt-Bürgel ist im deutschen Ratingbusiness eine Instanz. Seit 1997 war er für das Rating von deutschen und Schweizer Banken sowie für das Rating von Pfandbriefen der Landesbanken bei einer der wichtigsten Ratingagenturen der Welt zuständig. Damals gab es in Deutschland keine hier ansässigen Ratingagenturen, keine in Deutschland ansässigen Rating Advisors, noch keine Anbieter von Ratingsoftware und auch keine auf den Mittelstand spezialisierte Ratingagenturen. Als Schmidt-Bürgel dann vor über sieben Jahren Geschäftsführer der Fitch Deutschland GmbH wurde und das Geschäft in Deutschland, Österreich und der Schweiz aufbauen sollte, betrat er absolutes Neuland. Heute lässt sich sagen: Er hat seinen Job gut gemacht, in der Assekuranz Fitch zum Marktführer werden lassen und die Ratingagentur neben den scheinbar übermächtigen Moody's und Standard & Poor's mit beiden Beinen etabliert. Dass er noch immer fest im Sattel sitzt, ist in der anglo-amerikanisch geprägten "Hire and Fire"-Ratingszene schon bemerkenswert. Mit den Angelsachsen kennt sich der gelernte Bankkaufmann ohnehin aus. Bevor er zu Fitch stieß, arbeitete Schmidt-Bürgel bei der Londoner Managementberatung Management Horizons Europe und der Investmentbank Morgan Stanley. Auch sein Betriebswirtschaftsstudium absolvierte er u. a. in London.
Wer sich mit so viel Eigenschweiß für das Thema Rating eingesetzt hat, dem blutet angesichts der gegenwärtigen Anfeindungen gegen die großen Ratingagenturen im Gefolge der Finanzkrise das Herz. Doch Schmidt-Bürgel lässt sich sein Lebenswerk nicht kaputtreden. In unzähligen Vorträgen hat er in der gesamten Republik erklärt, was Ratings bedeuten. Doch nun ist sein Job schwieriger geworden. Jetzt erklärt er, was Ratings nicht bedeuten. "Marktteilnehmer haben sehr viel mehr in Ratings hineininterpretiert, als diese eigentlich aussagen", sagt Jens Schmidt-Bürgel vor erlesenem Publikum in der Bertelsmann-Repräsentanz in Berlin, wohin der Credit Management-Anbieter Arvato Infoscore geladen hin. Ratings böten keine Einschätzung über mögliche Marktpreisrisiken, sie gäben keine Beurteilung von Anleihepreisen relativ zu deren Ratings und sie seien nicht mit einer Abschlussprüfung gleichzusetzen. Ratings verifizierten auch nicht die Richtigkeit von öffentlichen oder nicht-öffentlichen Informationen. Viele Vorwürfe gegen die Ratinganalysten ließen sich auf diese Falschinterpretation zurückführen. "Der Mythos Rating muss endlich entzaubert werden", sagt Schmidt-Bürgel. Ratingagenturen hätten durchaus Fehler begangen, aber sie seien nicht der Auslöser der Krise. Allzu oft wird heute vergessen, wie sich die Ausgangslage Anfang 2007 gestaltet hat: niedrige Kreditausfallquoten und hohe Liquidität, relativ gute Wachstumsprognosen, Erträge auf historischen Höchstständen, eine extrem niedrige Volatilität sowie Rekordvolumina bei Unternehmens- und Structured Finance-Transaktionen. "Schon damals gab es klare Anzeichen einer Asset Bubble", so Schmidt-Bürgel. Doch die Warnungen der Ratingagenturen seien kaum wahrgenommen worden. Kreditrisiken hätten in den vergangenen Jahren einen zunehmend geringeren Stellenwert eingenommen. Die Rendite kam vor der Risikobetrachtung. "Das war ein klassisches Lemminge-Verhalten", sagt der Deutschlandchef von Fitch. Nun stünden viele vor ihrem Scherbenhaufen und zeigten mit dem Finger auf die Ratingagenturen, doch deren Rolle sei stark übertrieben.
Jens Schmidt-Bürgel ist Überzeugungstäter. Und er ist sich nach wie vor sicher, dass die Nutzung von Ratings weiter zunehmen wird. Gefragt, welches Potenzial er mittel- bis langfristig für sein Unternehmen sieht, antwortet der Ratingmann: "Kurz und knapp: ein sehr großes Potenzial". Das war in einem 2002 veröffentlichten Interview mit der Zeitschrift RATINGaktuell. Seine Antwort heute ist die gleiche.
Kommentare zu diesem Beitrag
Korrekt ist sicherlich auch (und da sind wir wieder bei der Rendite), dass gute Ratings für Finanzprodukte vergeben wurden, um einen Auftrag zu erhalten. Der Markt wollte schlichtweg nur AAA sehen. Andere Preisschilder waren nicht gefragt, da die Attraktivität des CDO/CDS Geschäfts eben auf guten Ratings basierte.
Korrekt ist auch, dass Fitch in der Riege der drei großen Agenturen äußerst zurückhaltend agiert hat und sich dadurch auch aus dem Markt geschossen hat. Aber Herr Schmidt-Bürgel seien Sie beruhigt: Es wird nicht nur auf die Ratingagenturen gezeigt. Jeder zeigt zur Zeit auf Jeden. Die Vorstände auf die Aufsichtsräte und Wirtschaftsprüfer. Die Politik auf die Bankvorstände. Die Bankvorstände und Aufsichtsmitglieder auf die Finanzaufsicht ... und so weiter ...
Wie passen den die durch die Presse geschleiften EMails von Standard & Poor's Mitarbeitern ins Bild? "Rating agencies continue to create and [sic] even bigger monster [...] the CDO market. Let's hope we are all wealthy and retired by the time this house of cards falters." Von Warnungen (ausser vor eigenen Vermögensverlusten) kann ich da nicht viel erkennen.
ich bin erst jetzt dazu gekommen, Ihren Artikel zu lesen. Im Nachhinein hätte ich mir das aber sparen können, denn jetzt muss ich ihn auch kommentieren, genauer Ihre Aussagen kritisieren! Mal abgesehen davon, dass die Überschrift sich nur in den letzten beiden Absätzen wiederfindet, ist vieles aus meiner Sicht schlichtweg falsch dargestellt. Nach einem (reißerischen) Rundumschlag gegen die bösen und unverschämten "Banker" - der gar nichts mit Thema und Titel zu tun hat - führen Sie einige Neuerungen aus dem MaRisk-Entwurf auf, die Sie aber eben nicht kritisieren sind. Ihre erste kritische Argumentation zum Thema "Externe Ratings" ist nicht sachgerecht (hierüber können wir gerne diskutieren). Auch hinsichtlich des Liquiditätsrisikos kratzen Sie nur an der Oberfläche, aber zeigen nicht, dass die MaRisk-Novelle "... am Ziel einer effektiven Aufsicht vorbei" geht. Erst jetzt kommen Sie zur Hauptkritik - der Umsetzungshürde für kleine und mittelständische Institute und hier unterschätzen Sie einerseits, dass diese Häusern in der Vergangenheit viel getan haben und dass es andererseits den Grundsatz der "doppelten Proportionalität" gibt. Schon mal hiervon gehört? Institute müssen die MaRisk nach Art, Umfang, Komplexität und Risikogehalt ihres Geschäftes umsetzen und die Aufsicht berückscihtigt bei der Prüfung auch nur diese individuellen Gegebenheiten. Was sagen Sie nun?
Beste Grüße....