In der angelsächsischen Literatur erreichte die Theorie vom "Shareholder Value" einen "Kultstatus", berichtet Fredmund Malik in seinem neuen Hörbuch im Campus Verlag, "Die richtige Corporate Governance - Mit wirksamer Unternehmensaufsicht Komplexität meistern". Zu diesem Eindruck haben die Medien beigetragen, die unreflektiert die angelsächsischen Lehren verbreiteten. Das amerikanische Wachstum sei als Medienereignis gefeiert worden. Das "Wirtschaftswunder" der USA gründete aber allein auf Verschuldung, nicht aber auf Produktivitätszuwächsen, wenn man von wenigen Ausnahmebereichen absieht.
Malik räumt mit der Vorstellung auf, die gesetzlich verankerte Corporate Governance gebe eine sinnvolle Antwort auf die Frage nach guter Unternehmensführung. Schon der Begriff der "Corporate Governance" (statt "Corporate Management") und die Ausrichtung des Unternehmens darauf seien irreführend. Malik hält sogar viele Regeln als mit guter Unternehmensführung gänzlich unvereinbar, so dass gute Unternehmer geradezu gezwungen seien, sich über die von Juristen geprägten Regeln hinwegzusetzen. Die meisten diesbezüglichen Gesetzesnormen seien Notgeburten, da durch Fehlentwicklungen Sofortmaßnahmen notwendig wurden.
In seinem Hörbuch arbeitet Malik die wichtige Rolle des Aufsichtsorgans detailliert heraus. Nach angelsächsischen Unternehmensverfassungen ist die Institution eines Aufsichtsrats weitgehend unbekannt. Das in Deutschland verbreitete, für Aktiengesellschaften zwingende, zweistufige Modell sei in den USA kaum bekannt. Die in dieser verfehlten Konstitution liegenden Interessenkonflikte und Fehlsteuerungswirkungen macht Malik evident. Malik betont die Rolle des Aufsichtsorgans für jede gute Unternehmensführung.
Malik zeigt den Zusammenhang zwischen einseitiger Aktionärsorientierung und Missmanagement auf. Früher wurde der größte Teil der Aktien auch börsennotierter Unternehmen von Privatpersonen gehalten. Heute seien diese von Pensionsfonds und anderen institutionellen Anleger zu einem großen Teil verdrängt worden. Damit habe sich auch die Ausrichtung hin auf kurzfristige Performanceziele verschoben. Malik warnt auch vor der Rolle von Ratingagenturen, die mit ihren Fondsratings dazu beigetragen hätten, stets das Ranking der Performance kurzfristig zu verfolgen und damit Anstoß zu Veränderungen in den Unternehmenszielsetzungen gaben.
Nachdem Malik keinen Zweifel daran lässt, dass die gegenwärtig praktizierten Ansätze der Corporate Governance und der Orientierung am Shareholder Value in die Irre führen müssen, richtet sich der Blick auf die Maßnahmen, die für eine gute Unternehmensführung kennzeichnend sind. Malik bringt dazu eine Reihe von Faktoren ins Spiel, wie beispielsweise die "Total Factor Productivity", die über alle produktiven Faktoren des Unternehmens hinweg gemessene Produktivität, die also nicht allein an der Produktivität der Ressource "Kapital" zu messen ist. Außerdem unterstreicht Malik die Bedeutung guten Personals – "gute Leute".
Da an deutschen Hochschulen von Professoren der Wirtschaftswissenschaften meist nur angelsächsische Lehren nacherzählt werden, klingen die Forderungen von Malik in deutschen Ohren ungewöhnlich: Malik tritt nicht nur für eine strikte Abkehr von den verfehlten Modellierungen der Shareholder-Value-Lehren ein, sondern sogar dafür, nicht die Gewinnmaximierung zur Leitmaxime des unternehmerischen Handelns zu machen, sondern das Gewinnminimum, verstanden als langfristig zu erwirtschaftender Gewinn. Die Unternehmensführung habe danach zu fragen, wieviel Gewinn mindestens erwirtschaftet werden muss, um die Eigentümerinteressen zu befriedigen. Im Mittelpunkt aller Anstrengungen müssten aber Märkte und Kunden stehen, denn nur sie bezahlen für Leistungen des Unternehmens und verfolgen nicht lediglich Interessen. Nur für Kunden erbrachte Leistungen enthalten eine Wertschöpfung, die an "Stakeholder" verteilt werden könne. Die Ausrichtung an "Stakeholder"-Interessen sei ebenso wenig mit guter Unternehmensführung vereinbar wie die an "Shareholder"-Interessen im Speziellen.
Persönliches Beispiel und Vorbildfunktion lässt sich nicht per Gesetz dekretieren. Aufbau und Erhaltung der Humanressourcen muss ein zentrales Anliegen der Unternehmensführung sein: Die Wissensträger und Spezialisten bedürfen systematischer Laufbahngestaltung. Nur das Exekutivorgan kann die Vorbereitung und Entwicklung der Struktur erarbeiten, denn diese lässt sich nicht von anderen machen. Ebenso sind die Beziehungen zu Schlüsselgruppen wie Medien, Kapitalgebern und Öffentlichkeit vornehmlich Aufgabe des Exekutivorgans, aber das Aufsichtsorgan muss sich damit befassen, ob das Management diesen Aufgaben angemessen nachkommt.
Top-Manager müssen operativ in dem Sinne tätig sein, dass sie direkten Kontakt zu Kunden behalten. Nur die operative Aufgabe zwinge Manager, sich unmittelbar mit den Realitäten ihrer Kunden zu befassen. Dazu könnten nicht Stabsleute oder Berater herangezogen werden, denn diese würde nur über ihre Sichtweise berichten. Ein kompetenter Gesprächspartner für Mitarbeiter und Kollegen zu sein, bleibe Voraussetzung dafür, Akzeptanz zu finden. Ohne einen gewissen Anteil an Sacharbeit werde man nur noch Marionetten im Management haben, prophezeit Malik.
Wenn ein Finanzmanager Vorstandsvorsitzender werde, sei es nur natürlich, dass finanzielle Größen im Vordergrund seiner Unternehmensführung stehen würden. Ebenso verhalte es sich mit einer Betonung technischer Fragen, wenn ein Ingenieur diese Spitzenposition besetze. Rasch Ergebnisse zu erzielen, um wieder bestellt zu werden, seien die Konsequenz kurzer Vertragslaufzeiten. Fünf oder mehr Jahre Vertragslaufzeit haben die umgekehrten Wirkungen, wenn auch der Leistungsdruck abnehme und sich möglicherweise eine gewisse Bequemlichkeit einstelle. Malik empfiehlt, branchenspezifische Antworten zu geben. Der "goldene Mittelweg" der fünfjährigen Vertragsdauer sei nicht immer die beste Lösung, denn auch eine unbefristete Vertragslaufzeit sei möglich.
Exekutives Topmanagement könne kaum von Einzelpersonen dargestellt werden. Daher seien Teams zu fordern. Besonders sorgfältig muss auf die Funktionsweise von Teams im Topmanagement geachtet werden, zumal hier oft Machtmenschen zu beobachten seien. Malik fordert Disziplin und das Zurückstellen persönlicher Beziehungen und "Chemie". Beispiel "Chemie": Das Topmanagement müsse auch dann funktionieren, wenn "die Chemie" unter seinen Mitgliedern einmal nicht stimme. Die Regeln des Zusammenwirkens müssten entsprechend ausgestaltet sein. Die Mitglieder eines Managementteams brauchen sich nicht zu mögen, aber es dürfe keine Agitation nach außen geben. Topmanager dürfen ihre Kollegen nach außen nicht qualifizieren, auch nicht loben.
Teams brauchen eine innere Struktur und eine Leitung, eine Schlüsselposition, die durch ein Stichentscheidungsrecht eine Pattsituation zu überwinden. Muss er von diesem häufig Gebrauch machen, sei dies ein Warnsignal, dass etwas grundsätzlich mit dem Team nicht mehr stimme. Gewisse Entscheidungen dürfen von niemandem alleine getroffen werden, sondern bedürfen der Zustimmung aller bzw. der Entscheidung durch das Gesamtteam gemäß Geschäftsordnung, zum Beispiel im Falle von Akquisitionen. Autonome Entscheidungskompetenzen müssten mindestens mit Informationspflichten einher gehen.
Malik setzt sich mit dem Managereinkommen auseinander. Mit dem "Economic Value Added" wurde die Vergütung einseitig an den Unternehmenswert gekoppelt, kritisiert Malik. Es sei weniger eine Frage des Versagens der Ethik, als des Versagens der Unternehmensaufsicht, wenn es zu Exzessen gekommen sei. Zweifellos müssten gute Leute gut bezahlt werden. Es sei aber ein unbewiesenes Dogma, dass gute Leistungen gute Bezahlung erfordern würden. Gute Bezahlung sei nur bei guten Leistungen möglich, aus dieser Logik ergibt sich aber noch nicht die Richtigkeit des Umkehrschlusses, dass gute Leistungen nur bei außergewöhnlich hoher Bezahlung erbracht würden. Die Bezahlung erfolge "aus" dem Ergebnis, aber nicht "für" das Ergebnis.
Die verfehlten Managementlehren angelsächsischer Prägung blieben nicht ohne Wirkung auf die Betrachtungsweisen US-amerikanischer Ratingagenturen. Die "herrschenden Lehren" von der Überlegenheit der einseitigen Ausrichtung von Unternehmen auf kurzfristige Aktionärsinteressen konnten an den auf amerikanischen Business Schools geschulten Analysten der Agenturen nicht spurlos vorübergehen. Obwohl Malik nicht explizit auf diesen Aspekt zu sprechen kommt, so weist sein Ansatz der Ausrichtung an einem anzustrebenden Gewinnminimum auch den Weg für die Zukunft des Kreditratings: Die Einhaltung von Mindestgewinnzielen ist deutlich besser als kurzfristige Gewinnmaximierung und die damit verbunden, rein finanzwirtschaftlichen Ergebnismanipulationen mit den Bedürfnissen von Gläubigern nach Sicherheit ihrer Forderungen vereinbar. Das Buch von Malik ist deshalb für jeden eine Empfehlung, der die Notwendigkeit eines europäischen Ratingansatzes als Alternative zum US-Kartell verstehen will.
Autor: Dr. Oliver Everling, Everling Advisory Services, Frankfurt a. M.
[Bildquelle: iStockPhoto]
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